Eines der Dinge, das mich seit vielen Jahren Fanzineschreiberei bei der Stange hält, ist die Tatsache, dass es immer wieder Überraschungen gibt. Manchmal solche, die auf den ersten (scheinbar geübten) Blick gar nicht nach solchen aussehen. Manchmal wirft so eine Überraschung den ganzen Tagesplan durcheinander, der darauf ausgerichtet war, möglichst alle neuen Platten an ein und demselben Mittag mal eben kurz zu reviewen. Dann passt das aufgezogene Schubfach nicht, weil es doch ganz anders klingt, du sitzt fasziniert vor der Anlage, schaffst mitnichten dein selbst gesetztes Pensum, weil du auf einmal gar kein Interesse mehr an den anderen Platten auf dem Stapel hast, und liest viel lieber die Texte dieser einen Scheibe, die von da an für Tage und Wochen immer wieder mit dir auf alle möglichen Reisen geht. BEN RACKEN aus Magdeburg waren mit ihrer ersten Platte („I“) so eine Überraschung, eine, die sie mit der Zweiten („II“) noch einmal übertroffen haben. Ein Kunststück, das wirklich nur wenige Bands geschafft haben, wenigstens bei mir.
Euer Bandfoto signalisiert bei mir vor allem eines: Ihr seid nicht mehr die Jüngsten und habt wohl schon die schlimmsten Fehler im Leben gemacht.
Daniel: Äh, ich weiß nicht, was du meinst.
Tuba: Ich könnte behaupten, es wäre ein Fehler gewesen, erst mit 36 Jahren damit anzufangen, Texte zu schreiben und diese auch zu singen. Ich weiß aber noch nicht so lange, dass ich das kann. Es gab einige Bands in meiner Vergangenheit und jetzt gibt es BEN RACKEN und das ist gut so. Aber das Leben wäre langweilig, wenn man gleich von Anfang an schlau wäre.
Trotz intensiver, fünfminütiger Suche über einschlägige Suchmaschinen, konnte ich nichts über den Hintergrund eures Bandnamens finden. Klärt mich bitte auf, was es damit auf sich hat.
Nico: Ben Racken ist ein großer gutgebauter, intelligenter Mann im besten Alter, sehr kämpferisch, eine der vielen Inkarnationen des Rock’n’Roll-Gottes. Immer wenn wir an unseren Instrumenten kommunizieren, entsteht er aus uns.
Tuba: Das ist so das „Power Rangers“-Prinzip: Zusammen sind wir der Cerberus, den Herakles aus der Unterwelt geführt hat.
Daniel: Bandnamen sind eigentlich egal. Sie müssen nur für die Leute leicht zu merken sein.
Wenn jeder von euch fünf Bands aufzählen müsste, an denen sein Herz hängt, welche wären das?
Tuba: Phillip Boa, OASIS, BLUMFELD, TURBOSTAAT, INTERPOL ... ich könnte noch 30 weitere nennen.
Nico: Ich muss gestehen, gern das Tagesgeschehen bei unserem lokalen Kultursender MDR Figaro zu verfolgen, und ich liebe die Passagen klassischer Musik, die dort offeriert werden.
Daniel: MOTÖRHEAD, AC/DC ... Ach scheißegal, Musik muss mich bewegen.
Damit lassen sich schwerlich Rückschlüsse auf euren Sound ziehen! Wären die Antworten anders ausgefallen und Bandnamen wie EA80, FLIEHENDE STÜRME, BOXHAMSTERS oder DACKELBLUT gefallen, hätte das zwar immer noch nicht eine unfehlbare Umschreibung geliefert, aber wenigstens das Feld grob umrissen. Bleibt die Frage, ob er statt bewusster Entscheidung doch nur das Ergebnis einer unglücklichen Verkettung von Zufällen ist?
Tuba: Unser Sound ist genau das, was wir können. Wichtig ist, dass sich ein Song beim Spielen gut anfühlt, ich dabei nicht viel nachdenken oder mich konzentrieren muss und den Gesang so gestalte, dass ich nach einem Konzert noch halbwegs bei Stimme bin.
Daniel: Tuba hat schon recht. Außerdem kommt jetzt wieder der Winter. Es wird kalt bei uns im Raum. Da müssen die Songs rocken. Und übrigens weiß ich nicht, was wir mit diesen genannten Bands gemeinsam haben sollen.
Tuba: Mein Plattenregal ist voll, unter anderem auch mit den Bands, mit denen wir gern verglichen werden. Ich habe viele musikalische Einflüsse und daraus hat sich über die Jahre schon eine ästhetische Vorstellung davon entwickelt, wie Rock-Musik klingen kann, damit sie mich berührt.
Mit verbundenen Augen – nicht Ohren – hätte ich euch instinktiv nach Hamburg oder wenigstens in einen der Hamburger Vororte gepflanzt. Bei einigen Texten schimmert das Meer durch, an anderer Stelle winken alte Waterkant-Punk-Größen. Umso erstaunter war ich, als ich feststellen musste, dass ihr aus dem Bördeland kommt und alles, über das Labelkonglomerat bis hin zu den wirklich exzellenten, satten Aufnahmen, aus der Gegend um Magdeburg kommt.
Tuba: Also das Meer ist weit weg. Wir haben die Elbe. Es gibt in Magdeburg sehr gute Leute und kurze Wege, wir sind froh, diese Vorzüge genießen zu können. Wir leben in einer überschaubaren Stadt, wir kennen viele Personen seit langem und versuchen, unnötige Differenzen, Vorbehalte und kleinliche Eifersüchteleien über Bord zu werfen.
Daniel: Es gibt Schlimmeres als Magdeburg. Aber das mit der Eifersucht und dem ganzen Zirkus ist hier richtig heiß. Ich weiß, wovon ich rede, habe schon mit dem einen oder anderen Musik gemacht.
Eure Texte und Musik bewegen sich fernab von angesagten Trends und Inhalten, Musik von Erwachsenen für Erwachsene? Post-Punk? Oder wo würdet ihr das einordnen wollen, wenn überhaupt? Sagt nicht Rock’n’Roll, das wäre zu billig!
Tuba: Musik für Erwachsene klingt öde, aber wir können unser Alter nicht verhehlen. Als wir vor TURBOSTAAT gespielt haben, war das Publikum im Schnitt zehn bis 15 Jahre jünger als wir, das war sehr angenehm und inspirierend. Wenn die Jugendlichen noch jugendlicher werden, wird’s etwas schwierig, weil die wahrscheinlich ganz andere Hörgewohnheiten haben. Und mein lieber Kalle, so billig es klingt, es ist einfach nichts weiter als Rock’n’Roll. Wir bedienen nichts weiter als das archaische Bedürfnis, mittels Rhythmus und Radau in Zwischenwelten abzudriften, Gehirnwäsche in positivem Sinne sozusagen, zuerst für uns selbst, und es ist schön, wenn der Funke ein kleines bisschen überspringt.
Jedenfalls sind eure Texte frei von Phrasendrescherei und tausendfach gehörten Parolen. Seid ihr zu alt für markige Sprüche oder habt ihr andere Ziele?
Nico: Der erhobene Zeigefinger liegt uns nicht.
Tuba: Die Worte müssen erst aus dem Herzen und dann aus dem Mund kommen. Es gibt welche, die singen sich gut, und manche Wörter sind doof. Außerdem brauche ich niemandem entgegen zu schreien, dass Nazis beknackt sind, man weniger Fleisch essen sollte und die Menschheit eh den Bach runtergeht. Das setze ich als bekannt voraus. Ich habe lediglich den Vorsatz, keine Fäkalsprache zu verwenden, damit meine Kinder die Musik problemlos hören können.
Daniel: Was willst du für Sprüche hören? Wir schreiben, was uns gefällt und was in unserem Hirn ist.
Hört oder liest man sich ein, schimmert schon das eine oder andere vernarbte Beziehungsproblem durch, was uns zur Theorie führt, dass zufriedene Menschen selten gute Musik und Texte machen.
Nico: Texte entstehen bei mir auch dadurch, dass ich mich in Situationen hineinversetze.
Tuba: Ich bin sehr glücklich und zufrieden. Wenn man die Sache mit der Sterblichkeit erst einmal akzeptiert hat, lösen sich die restlichen „Probleme“ in Wohlgefallen auf.
Wie zur Hölle kommt man darauf, „William Price Turner“ zu vertonen? Ein Text, der wiederum sehr nach Meer klingt, schon wegen der darin verwendeten Allegorie des Ertrinkens.
Daniel: Sieh dich selbst an. Bist du nicht auch viel zu weit draußen, weiter, als du dachtest? Jeder erzählt dir jeden Tag, wie gut es ihm geht. Und in Wirklichkeit? Die Menschheit muss ihre Überheblichkeit ablegen, sonst ...
Label, Studio ... das sieht alles sehr nach kleinem Familien- oder Freundeskreis aus!
Tuba: Hm, wir sind jetzt nicht verwandt miteinander. Vielleicht ein bisschen so wie Freunde, manchmal.
Zumindest sieht es mit den Beteiligten sehr nach D.I.Y. aus, ist wenigstens das gewollt oder auch nur aus den Umständen heraus geboren?
Tuba: Macht ja kein anderer, und nur auf dem Sofa sitzen, ist zwar nett, aber nichts würde passieren. Da ich vieles selbst nicht kann, frage ich eben jemanden, der sich damit auskennt, meine persönlichen Gelben Seiten.
Ein größeres Label wollte euch wohl nicht haben?
Nico: Hat sich noch keiner von uns drum gekümmert.
Daniel: Ich spreche für mich. Ein großes Label wäre gut.
Tuba: Ich fänd’s schon cool, wenn mir jemand den Arsch nachtragen würde beziehungsweise etwas Arbeit und Kosten abnähme. Es ist unsexy, mit krummem Rücken vor Computer und Telefon zu sitzen und dabei das halbe Schlafzimmer voller Kartons zu haben.
Wenn ich mir euer eher regionales Konzertengagement ansehe, gibt es drei logische Schlussfolgerungen: 1. Ihr habt alle kein Auto und reist nicht besonders gerne weit. 2. Mindestens einer von euch ist Heimschläfer, was den Bewegungsradius von vornherein ziemlich einschränkt. 3. Ihr steht alle mit beiden Beinen im Leben und könnt wegen Job, Familie etc. nur an Wochenenden spielen.
Nico: Ich reise nicht gern weit, und schlafe gern zu Hause und bin ziemlich eingebunden. Ich bin extrem beschäftigt.
Daniel: Antwort drei kommt der Sache schon nahe. Wozu für einen Gig 700 Kilometer fahren?
Tuba: Es ist jetzt auch nicht so, dass hier alle Nase lang Angebote reintrudeln.
Schade eigentlich, aber ihr würdet sicher nicht Nein sagen, wenn ein kleiner Booker euch für zwei Wochen ein Mal quer durch die Republik lotsen würde? Es gibt ja auch Leute, die eure Platte mögen und die nicht das Glück haben, in eurem Einzugsgebiet zu leben.
Tuba: Das müsste man sich konkret anschauen und bräuchte von unserer Seite ausreichend zeitlichen Vorlauf. Wobei drei bis vier Tage am Stück fürs Erste realistischer wären, denn es kann sein, dass ohne die üblichen sozialen Kontrollinstanzen, also Frau und Kinder, ich nach wenigen Tagen als stimmloser, verlotterter Alkoholiker ende, wobei ungewaschen sein das kleinere Problem wäre.
Wenn ihr als Band Ziele habt, dann ist jetzt der Zeitpunkt, diese zu äußern.
Nico: Gute Musik machen und gute Freunde sein.
Daniel: Gesundheit für meine Kollegen. Und vielleicht mal mehr Leute bei den Auftritten.
Tuba: Noch ungefähr 40 Platten zusammen aufnehmen.
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