Wer meint, dass einschneidende personelle Veränderungen auf die Kreativität oder künstlerische Qualität von AVERSIONS CROWN durchschlagen, liegt falsch. Mit „Hell Will Come For Us All“ erscheint das vierte furiose und szenerelevante Album der australischen Deathcore-Gruppe.
In Person von Tyler Miller ist inzwischen ein US-amerikanischer Frontmann Teil des Line-ups, der einen souveränen und bereichernden Einstand hinlegt. Moderne Extremkost mit gewohnt technischem Fokus wird um reichlich Atmosphäre und noch mehr Melodie erweitert und entlang beständiger Intensitäts-, Tempo- und Komplexitätsverschiebungen vorangetrieben. Was auffällt: AVERSIONS CROWN arbeiten mehr denn je mit wiedererkennbaren Fixpunkten und achten im Songwriting auf Nachvollziehbarkeit. Soweit es in ihrem Kontext eben geht: „Während des kreativen Prozesses versuchen wir, keine Außenperspektive in unsere Arbeit und Betrachtungen einzubeziehen, sondern uns allein auf uns und unsere Bedürfnisse zu konzentrieren“, stellt die Band klar. „An das Schaffen von Musik, die repräsentativ für AVERSIONS CROWN ist, haben wir dabei eine sehr lockere Herangehensweise. Wir versuchen, uns das Live-Ergebnis der Lieder und Platten vorzustellen, denn für uns dreht sich alles um die spätere Live-Show. Deshalb ist es so wichtig und lohnend, für alle Stücke eine Vision vom Studio bis zur Bühne zu durchdenken.“
Diese Aussage überrascht vielleicht, dürfte aber dafür verantwortlich sein, dass die Tracks der Gruppe trotz ihrer technischen Anlage immer auch zugänglich sind: „Death Metal ist, vielleicht mehr als andere Musikgenres, auf ein gewisses Maß an technischen Fähigkeiten angewiesen. Das ist für uns ein Nebenprodukt dieser extremen Musik. In den für uns prägenden Jahren als Musiker sind wir in die Kunst des Songwritings eingeführt und in der Praxis der Beherrschung unserer Instrumente ausgebildet worden. Das zahlt sich heute für uns aus. Für uns ist es ein Privileg, von einigen Hörern als Teil des Lexikons des technischen Death Metal betrachtet und von ihnen als Vorbild angesehen zu werden. Letztlich muss es jedem Musiker darum gehen, diesen Zyklus des Lernens durch Vergnügen voranzutreiben.“ AVERSIONS CROWN lassen diesen Worten auch Taten folgen, wie „Hell Will Come For Us All“ beweist: „Wir wissen, dass man es nie allen Hörern recht machen kann. Also versuchen wir, beim Songwriting allein uns selbst zu gefallen. Deadlines einhalten zu müssen und erwartungsvolle Fans zu haben, ist sowohl ein Segen als auch ein Fluch, doch das stachelt uns an. Wir sind bestrebt, das Tempo der Tourneen und der Veröffentlichung neuer Alben beizubehalten. Dabei gehen wir heute jedoch analytischer als früher vor, da wir von unseren Erfahrungen auf der Straße und unseren Fehlern bei früheren Songs lernen wollen. Nur so können wir uns weiter verbessern.“
Es ist der Anspruch der Musiker, ihren Extremsound partiell immer wieder anders aufzusetzen: „Wir versuchen, auf jedem Album einige neue Elemente hinzuzufügen, ohne unseren Kurs aber zu sehr oder gar vollständig zu ändern. Dies ist für uns essentiell, um die Dynamik in der Entwicklung von AVERSIONS CROWN aufrechtzuerhalten. Wenn wir ein Pop-Punk-Album herausbringen würden, dann wäre das definitiv eine drastische neue Richtung, doch das wird nie passieren.“ Die Musiker wissen, welche Arbeitsweise für sie funktioniert: „Der Songwriting-Prozess für dieses Album verlief ähnlich wie bei unserer vorherigen Platte, da alles zu Hause im Studio beginnt. Die Inkubationszeit für die Songs kann viele Monate betragen, bevor die Riffs anfangen, sich wirklich herauszukristallisieren. Dann wird das Schlagzeug auf die einzelnen Parts zugeschnitten. Mehr als zuvor haben wir dieses Mal aber viel Zeit damit verbracht, Freiräume für den Gesang zu schaffen und sicherzustellen, dass eine optimale Synergie zwischen den Gitarren, dem Schlagzeug, der Atmosphäre und unserem neuen Sänger Tyler Miller entsteht.“ Die neuerlichen Line-up-Wechsel haben die Musiker als Chance begriffen: „Die Band ist während der Arbeit an der neuen Platte nochmals gereift. Der textliche Inhalt und die Musik an sich sind auch für uns als Zuhörer zerebraler. Deshalb hoffen wir, dass dieser Umstand die Botschaft leichter verständlich und vielleicht auch emotional einprägsamer werden lässt. AVERSIONS CROWN haben im Laufe der Jahre viele Veränderungen durchlebt. Wir haben nach wie vor das Gefühl, dass uns die Band auf diesen Weg geführt hat und dass dies der für uns richtige ist. Wir wünschen uns, dass diese Platte als kreativ und reif wahrgenommen wird. Sie weist aber auch die wilde Geschwindigkeit und Technizität auf, für die wir bekannt geworden sind.“
Auf „Hell Will Come For Us All“ agieren die Musiker bewusst songdienlich und differenziert: „In der Vergangenheit haben wir mitunter mit dem Problem zu kämpfen gehabt, dass es zu technisch war. Deshalb haben wir hart daran gearbeitet, das abzustellen. Manchmal lassen wir uns als Individualisten hinreißen und verlieren das größere Bild unserer Musik aus den Augen. Bisweilen wirkt es sich zu unserem Vorteil aus, wenn wir uns gegenseitig pushen, um etwas schneller oder intensiver anzugehen. Während der Vorproduktion konnten wir aber feststellen, dass dieser Ansatz den Songs nicht immer am besten dient. Also haben wir Änderungen vorgenommen, die wir für notwendig erachteten, um eine maximale Wirkung zu erzielen. Wir wissen, dass man auch Flow, Hooks und einprägsame Abschnitte braucht, an die sich die Leute erinnern können. Es ist uns wichtig, dass wir uns, sobald die Musik ihre Grundstruktur gefunden hat, Zeit nehmen, um die Stücke richtig zu verdauen. Später wieder darauf zurückzukommen, weckt oft frische Ideen oder kreatives Denken, das verlorengehen kann, wenn man sich zu weit eingebracht hat und Abstand fehlt. Dies ist Teil unseres Prozesses, den Standard des Songwriting so hoch wie möglich zu halten.“
© by Fuze - Ausgabe #82 Juni/Juli 2020 und Arne Kupetz
© by Fuze - Ausgabe #82 Juni/Juli 2020 und Arne Kupetz