ANTITAINMENT

Foto

Locker hundert Kilo pumpen

Wenn wir ehrlich sind, schaffen die wenigsten Hardcore-Bands den Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung: entweder sie sind nur predigerhaft oder sie widmen sich ganz dem Entertainment, ohne dabei Inhalte zu vermitteln. ANTITAINMENT aus dem Kurort Bad Vilbel in Hessen gelingt auf ihrem zweiten Album "Nach der Kippe Pogo!?" aber das Kunststück, in aussagekräftigen Texten die Klischees der Szene zu hinterfragen und zugleich mächtig unterhaltsam zu sein. Trotz des enormen Spaßfaktors sehen sich Udo, Matze, Jo und Tobi jedoch keinesfalls als Comedy-Band. Ein gewisser Zwiespalt, der im Folgenden zu kuriosen Fragen und einigen spitzen Antworten führte.



Wo seht ihr eigentlich eure Einflüsse? Deutsche Texte, Hardcore und Synthies sind ja eine eher ungewöhnliche Kombination.


Udo: Na ja, es gibt sicherlich Ungewöhnlicheres: Gute Ska-Musik, Oi!, der nicht stumpf ist, oder seine musikalischen Einflüsse in Interviews zu benennen, ohne dass es langweilt.

Was habt ihr bisher veröffentlicht und auf welchen Labels seid ihr aktiv?

Udo:
Ein paar EPs da und zwei Hitscheiben hier, wahlweise via Fiese-Asseln-Youth-Crew, Zeitstrafe oder Kidnap-Music.

Matze: Unser Kumpel Gabor, der auch bei TRAGIC VISION Gitarre spielt, hat unsere ersten EPs auf seinem Label Unknown Records veröffentlicht. Zeitstrafe bringt unsere Platte raus und Kidnap die CD.

Findet ihr, dass sich die Hardcore-Punk-Szene zu ernst nimmt, oder seid ihr nur auf die schnelle Provokation aus und macht euch deshalb über alles und jeden lustig?

Udo:
Es ist ja nicht die eigentliche Intention, sich über Dinge lustig zu machen. Die Texte sind eben Alltagsbeobachtungen, die Situationen, Sachverhalte oder Menschen beschreiben. Wenn diese dann lustig bis bescheuert sind, liegt das eben im Wesen dieser Dinge selbst. Da wir uns viel im subkulturellen Bereich bewegen, stehen folglich viele Texte in diesem Zusammenhang.

Hattet ihr schon handfeste Auseinandersetzungen wegen eurer Texte oder gab es irgendwelche verbalen Entgleisungen in Messageboards?

Udo:
Nein, eigentlich nicht. Obwohl, einmal schmiss einer mit einer Bierflasche nach uns. Aber der war zu besoffen, als dass es als eine inhaltliche Auseinandersetzung zu werten gewesen wäre.

Matze: Jeder von uns pumpt locker hundert Kilo und trainiert täglich die Martial-Arts-Palette rauf und runter. Jeder weiß das und scheut daher den tätlichen Angriff auf uns. Ich kann nur jedem raten: Guckt auf den Boden, wenn ihr uns seht!

Was hat es denn mit der Wasserrutschen-Thematik auf sich, die ist ja stetiger Bestandteil eures Albums?

Udo:
Ursprünglich wollten wir einfach nur ein Hobby haben, was noch keiner so richtig hat und welches ein bisschen was mit Geschwindigkeit zu tun hat, was ja auch Gefahr und eine Living-On-The-Edge-Attitüde suggeriert. Deswegen und aus Mangel an Möglichkeiten in den meisten Konzertorten adäquate Körperhygiene zu betreiben, haben wir uns eben für das Wasserrutschen entschieden. Eine Zeit lang war das auch dann ein fester Bestandteil der Bandausflüge. Mittlerweile hat das aber ein bisschen nachgelassen, da manche sich immer erkälten, wenn sie mit ungeföhnten Haaren das Schwimmbad verlassen.

Matze: Aber ich wette, dass MANOWAR ihre Motorräder auch schon lange nicht mehr ausgefahren haben.

Seht ihr ein Risiko für eure Musik darin, dass Witze nach dem ersten Hören unheimlich an Reiz verlieren? Wie versucht ihr dem Verschleiß entgegenzuwirken?

Udo:
Unser Musik ist true from the heart und ganz bestimmt kein Witz! Du vielleicht!

Matze: Also ich kann das nicht wirklich einschätzen, wie unsere Musik insgesamt so ankommt. Allerdings sind wir ganz sicher keine Comedy-Band.

Ihr kommt aus dem Kurort Bad Vilbel, inwiefern unterscheidet sich da die Musikersozialisation von der in Großstädten?

Udo:
Es gab und gibt dort jede Menge unsäglicher Menschen und Bands, welche es nicht verdient haben, hier namentlich genannt zu werden. Jedoch fungierten sie als Grund, sich inhaltlich sowie musikalisch abzugrenzen.

Matze: Ich mag Bad Vilbel. Ich genieße die nur durch Vogelgezwitscher unterbrochene Ruhe zwischen Niddermündung und Stadtwald. Die Langeweile hier passt zu meinem Gemüt. Das sehen die anderen aus meiner Band aber anders. Die haben sich längst in die Anonymität der Großstadt Frankfurt abgeseilt, um coole hohe Mieten zu bezahlen und sich über das harte Leben zu beklagen. Ach ja ... Leider hat Bad Vilbel keinen rappenden Bürgermeister mehr.

Ist was Wahres dran an dem Satz: Er ist Musiker, die können sogar im Waschbecken schlafen?

Udo:
Es kommt auf ihre Größe an. Und auf die Größe des Waschbeckens natürlich.

Matze: Ich bin kein Musiker und interessiere mich nur bedingt für Musik. Ich bediene mein Instrument durch das Abrufen antrainierter Motorik. So wie ein Leierkasten. Daher nehme ich mir dann das Privileg heraus, im gemütlichen Bett zu schlafen.

Wer hatte denn die Idee zum Layout des Albums, und gab es auch Entwürfe, die dann doch zu weit führten? Stoßt ihr bei dem ganzen Humor nicht auch mal an eure Grenzen und habt ihr schon Textzeilen bereut oder entschärft?

Udo:
Die Idee zum Layout war wohl göttliche Fügung und somit kann der gute Schrottkopp, welcher diese dann ins Bildliche umsetzte, als himmlisches Medium gesehen werden. Ähnlich verhält es sich mit unseren Texten. Würdest du das Wort Gottes anzweifeln?

Matze: Das Transzendentale an der Geschichte ist, dass Tobi das so durchgesetzt hat. Der Rest von uns schweigt, aus Angst davor, rausgeschmissen zu werden. Tobi ist unantastbar.

Udo: Ich würde sagen, der Rest schweigt, weil er gar nicht so genau weiß, wie die Texte gehen.

Um jetzt mal konstruktiv Kritik zu üben, was mögt ihr an der HC-Szene und welche Dinge sollte man noch mal überdenken?

Matze:
Kurz gesagt: Leider ist die "Szene" ja in fast allen Fällen bloß ein Mikrokosmos der Gesamtgesellschaft. Schön wäre es, wenn es wie in dem BANE-Song "Can we start again" wäre, wo es zur Szene heißt: "A place where the strange were accepted and judged by what's inside. A scene of truly open minds." Trotz all des Gemotzes bin ich aber dankbar dafür, welche Chancen sich durch HC für mich ergeben haben, welche tollen Menschen ich getroffen oder Orte ich bereist habe. Danke, Hardcore!

Udo: Eine homogene HC-Szene gibt es ja eigentlich nicht. Was nur positiv sein kann, es aber ein bisschen erschwert, konkret auf deine Frage zu antworten. Was ich weiß, ist, dass die Musik, welche heutzutage unter diesem Label firmiert, weitestgehend langweilig und vorhersehbar ist. Es ist eine Wiederholung des Immergleichen, eine Kopie von etwas, das vor vielen Jahren, bei seinen Anfängen, viel Energie und Radikalität besaß. Es war fortschrittlich, da es mit alten Sachen brach, denke ich. Um so blöder, dass es heute zu einer Art Folklore verkommen ist. Diese ganze Hardcore-Mentalität, welche von so vielen nach außen getragen wird, ist ja eher regressiv, sehr traditionsbewusst. Da geht es um alte Werte. Die immer selben Plattitüden. Es dreht sich alles im Kreis und vor allen Dingen um sich selbst. Deswegen auch diese ganzen Durchhalteparolen in Oldschool-HC-Songs. Natürlich gibt es auch immer wieder Sachen, die begeistern, weil sie aus diesem ganzen Schema ausbrechen. Und natürlich ist das Ganze auch für mich von Belang, weil es einen wichtigen Teil meiner Sozialisation ausmacht und die Idee, alles in die eigene Hand zu nehmen, für mich von großer Bedeutung ist.