ANTITAINMENT

Foto

„Ich kannte die, da waren sie noch real!“

So lautet der Plattentitel zum soeben auf Zeitstrafe erschienenen dritten Album der Bad Vilbeler, die gerade auf großer Tour waren. Seit ich die Truppe vor vier Jahren in Darmstadt gesehen habe, verfolge ich die Aktivitäten des Quartetts. Für mich sind ANTITAINMENT eine der derzeit innovativsten und wichtigsten deutschen Bands. 2006 hatte ich Sänger und Gitarrist Tobi alias Zink und den Kerl an den Synthies namens Mat real vor mir. Viel beschäftigte Männer, die wir sind, schicken wir jetzt Fragen und Antworten via E-Mail hin und her. Und wie immer ist es alles andere als Anti-Entertainment, aber lest selbst.

Roland Koch ist weg – hat die Hessenszene jetzt ein Feindbild verloren oder ist eh alles scheißegal?

Zink: Vielleicht hat die Hessenszene ein Feindbild verloren. Ich habe eines dazu gewonnen, nachdem ich just erfuhr, dass es eine Hessenszene gibt!

Mat: Die Hessenszene hat sich aber schon wieder aufgelöst, nachdem es im Land nun kein Konfliktpotenzial mehr gibt. Alles tanzt nun auf den Straßen. Arm und Reich liegen sich in den Armen. Unglaublich, was hier los ist.

Ihr seid immer noch in der gleichen Besetzung aktiv, was ja heutzutage nicht so selbstverständlich ist.

Zink: Gut, dass du das ansprichst! Einigen Bandmitgliedern scheint es nämlich nicht bewusst zu sein, dass eine durchgehend gleiche Besetzung nicht selbstverständlich ist. Dieses Unwissen drückt sich durch zu spätes Erscheinen bei Proben und durch Vergessen von ganzen Liedteilen sowie Konzertterminen aus. Deswegen wird es in Zukunft einen Strafenkatalog geben. Die judikative sowie exekutive Umsetzung dieses Kataloges wird meine zukünftige Aufgabe in der Band sein. Die Aufgabe der anderen ist folglich die Unterordnung unter diese Bandstaatsräson. Das alles natürlich nur, damit der Band wieder jene Priorität zugeschrieben wird, die sie eigentlich verdient.

Mat: Im Übrigen machen wir nach wie vor quasi alles selber. Da hat sich seit unserer Gründung nicht viel getan.

Musikalisch bleibt ihr aber eurem ganz eigenen Stil treu, oder?

Zink: Vollkommen richtig! Es hat sich nichts verändert. Die einzige Weiterentwicklung bezüglich des Entstehungsprozesses der Platte war, dass wir eigentlich alles ganz anders machen wollten. An diesem Anspruch sind wir gescheitert. Um nicht verdächtigt zu werden, das immer Gleiche zu reproduzieren, haben wir dieses Mal auf Filmzitate verzichtet.

Mat: Nichtsdestotrotz sind wir ausgesprochen zufrieden mit der neuen Platte. Folgende Floskeln beschreiben das vortrefflich: Quantensprung, Meilenstein, musikalisches Austoben, keine Grenzen ...

Beim Erstkontakt in Sachen Interview schien es mir, als ob ihr eure Stücke und Texte erst im Studio schreibt.

Zink: Wir sind keine Jam-Band, da wir unsere Instrumente nicht ausreichend gut bedienen können. Allein die Tonfindung und das Erlernen der Partituren dauern Wochen. Deswegen sind wir wie immer mit Musik und Text im Studio erschienen. Dort haben wir dann gemerkt, dass wir noch weniger gut musizieren können als gedacht, und haben alles über den Haufen geworfen. Jeder spielte dann einen Ton mit seinem Instrument, welchen Andi, der schon die letzte Platte aufgenommen hat, dann aufnahm. Ein Musikprogramm nebst Plug-ins erledigte den Rest. Das klingt für den Laien natürlich erst mal schockierend.

Mat: Auf der anderen Seite wäre es ja blöd, diese Hilfsmittel nicht einzusetzen. Der Mensch muss sich die Technik schließlich untertan machen.

Es soll ja Leute geben, die mit eurer innovativen Art rein gar nichts anfangen können. Wie denkt ihr über traditionelle Strukturen in Subkulturen, deren Musik ihr euch bedient? Warum seid ihr lieber musikalische Genregrenzgänger, als vielleicht derart engstirnigen Leuten gefallen zu wollen?

Zink: Zu traditionellen Strukturen und Verhaltensweisen in der Subkultur haben wir uns schon zu Genüge geäußert. Dass es sie gibt und diese auch auf unseren Konzerten gerne reproduziert werden, liegt in der Sache selbst. Man kann sich darüber aufregen, beleidigt sein, sie ignorieren oder nicht mehr mitmachen. Welche die adäquate Reaktion ist, weiß ich immer noch nicht. Jedenfalls zeigt es, dass wir erstens so innovativ nicht sein können, und zweitens wirkliche Veränderungen in diesem Rahmen nicht möglich zu sein scheinen.

Gibt es Gruppierungen, Peergroups, denen ihr euch zugehörig fühlt?

Zink: Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, sind wir mittlerweile zu alt, um Mitglied in solch einer Gruppe zu sein. Der Vorgang ist abgeschlossen. Die Sozialisation durch die Peergroup, welche uns von unserem Elternhaus emanzipieren sollte, hat das Übel nur potenziert. Könnte ich mich noch einmal entscheiden, würde ich wohl der Gruppe der Cosplayer beitreten.

„Eigentlich wollte ich ja nicht mehr über Musik reden“ heißt es auf dem neuen Album – wird da eine weitere offene Rechnung mit der Szene beglichen?

Zink: Bei diesem Text geht es zunächst überhaupt nicht um andere, sondern um uns selbst. Es geht um das bereits erwähnte Scheitern an den eigenen Ansprüchen und Ideen. Das textlich auszudrücken, ist wichtig, da es den Status quo in der Kulturindustrie widerspiegelt, wo alles am Ende immer ganz großartig und neu ist, die Produzenten sich aber in einer Situation befinden, in welcher gängelnder Zwang und Unfreiheit besteht, sei er nun selbst auferlegt oder von außen oktroyiert.

Seht ihr euch als Teil davon? Was euch daran stört, gebt ihr ja immer wieder zum Besten, aber was würdet ihr daran verändern?

Mat: Es lebt sich wesentlich leichter, wenn man sich selbst nicht als Teil einer Szene begreift. Ständig ist man mit Ein- und Ausgrenzen beschäftigt. Ich bestimme mein Handeln selbst und muss nicht schauen, ob meine Taten mit dem Knigge einer Szene oder einer politischen Programmatik korrespondieren.

Zink: Ich sehe nirgendwo eine homogene Szene, nur Aspekte, die überall immer wieder auftauchen. Wenn mich was stört, mache ich nicht mit, ignoriere, bin beleidigt oder rege mich auf.

Mat, inwiefern hat sich deine Einstellung zu Open-Air-Festivals – viele Menschen, viel Dreck und Müll ... – geändert, jetzt, da ihr doch selbst auf einigen in diesem Sommer gebucht wurdet?

Mat: Mit einem Backstage-Pass ist man mit diesen Problemen nicht konfrontiert. Alles easy.

Noch mal zurück zu euren Texten und Aussagen wie „Vor großen Taten steht immer erst mal eine Idee und ein Mutiger, der sie ausspricht.“ Hört sich an wie aus dem Existenzgründungsseminar der Agentur für Arbeit!

Zink: Den Satz hab ich mir ausgedacht, geprägt durch eine Antragstellungsprozedur, welche ich über mich ergehen lassen musste, um Fördergelder für ein Scheingewerbe als DJ zu erlangen.

Und was hat es mit „The sound of Produktionszwang“ auf sich? Was wird von ANTITAINMENT in Zukunft noch kommen?

Zink: Da kommt nicht mehr viel.

Mat: Wir denken nicht viel weiter als einen Monat.

Zink, da war doch mal was von wegen Nebenprojekt – was habt ihr in der Zeit eurer „kreativen Pause“ getrieben?

Zink: Ja, das mit dem Nebenprojekt habe ich schon öfter gehört. Da liegt aber eine Fehlinformation vor! Tatsächlich spielt mein Bruder Jeff in einer Band namens LES TRUCS, die von dem seltsamen Kindwesen Charlotte ins Leben gerufen wurde. Die sind echt gut und werden bald berühmt sein. Neben ANTITAINMENT betätigen sich alle noch anderweitig kreativ: Jo kann gut kochen, Uwe kann gute Häuserskizzen malen, Mat kann gut Sammelbilder sammeln und ich kann fünf Klimmzüge.