ANIMAL COLLECTIVE

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Befreite Musik auf den Strassen Brooklyns

Eine der seltsamsten Platten, die im letzten Jahr meinen Weg kreuzten, war die CD „Here Comes The Indian“ vom ANIMAL COLLECTIVE. Schon nach dem ersten Lauschen hatte mich der Sound in seinem Bann. Was war das? Elektro-Avantgarde, seltsam verzerrter Rock, Psychedelic oder doch Punk? Schwer nachvollziehbar, welchem Ursprung die dargebotene Geräuschkulisse entsprang. Man glaubt, Tierstimmen zu vernehmen, zumal sich die Bandmitglieder auch auf dem Cover wie wilde Tiere im Baumwipfel ablichten ließen, und ansonsten auch Tierpseudonyme als Namen verwenden. Fakt ist, diese Scheibe ist ein Stück Musik, in das man sich hineindenken muss und das einfach so weit wie nur irgendwas über den Dingen steht. Grund genug, mich einmal etwas näher mit der Formation zu beschäftigen.

ANIMAL COLLECTIVE kommen aus Brooklyn, NY und reihen sich dort in eine Reihe von Künstlern ein, die ihr Tun als „Free Rock“ bzw. „Free Folk“ betiteln. Es geht dabei darum, gängige Formen des Musikmachens in Frage zu stellen, und die Idee zu verneinen, alles nur für Groupies und Kohle zu machen. Bands wie ANIMAL COLLECTIVE, JACKIE-O-MOTHERFUCKER oder NO-NECK BLUES BAND eint neben ihren schwer einprägsamen Namen vor allem das Experimentieren mit Strukturen, Sounds und Ideen, man lässt gängigen Stilmitteln wie Strophe und Refrain wenig Spielraum, und versucht vielmehr mit elektronischen, vor allem aber akustischen Mitteln eigenwillige Klanggebilde zu erschaffen. Es geht um die Musik und nicht ums Business. So verwundert es kaum, wenn man z.B. die NO-NECK BLUES BAND in New Yorker Parks oder an Straßenecken einfach mal unverhofft beim Jammen antrifft, und Leute wie Lee Ronaldo von den SONIC YOUTH einen Heidenspaß dran haben, dabei mitzuwirken.
Das Zentrum von ANIMAL COLLECTIVE bildet das Duo Avey Tare und Panda Bear, ebenfalls wirken ihre Kollegen Geologist und Deaken mit. Erstere beiden kennen sich bereits seit 1992, fassten aber vor vier Jahren den finalen Entschluss, als ANIMAL COLLECTIVE die Popmusik in eine neue Richtung zu führen. Dabei sollte ihr Bandgefüge eher locker gesehen werden. Vom Soloprojekt bis zum Quartett ist alles möglich, je nach Lust und Laune. Und auch musikalisch ist für reichlich Bandbreite gesorgt. Neben bereits angesprochener Scheibe sind zuletzt noch zwei weitere Werke erschienen. Zum einen kamen ihre beiden Frühwerke „Sprit They‘ve Gone, Sprit They‘ve Vanished“ und „Danse Manatee“ auf einer Doppel-CD auf dem britischen Label Fat Cat raus, zum anderen gibt es eine Split-12“ von Avey Tare mit Ex-GASTR DEL SOLs David Grubbs auf dem selben Label, wo der ANIMAL COLLECTIVE-Mastermind eher seine Ambient-Seite zeigen kann. Egal was sich die Vier in den Kopf setzten, es wird immer eigenständig sein. Man darf gespannt sein, ob sie uns denn dieses Jahr noch live beehren werden, denn ihren Auftritten sagt man Großartiges nach. Einige Gedanken zur Musik und Herangehensweise der Band findet ihr im folgenden kurzen Interview, welches ich via E-Mail mit Avey Tare führen konnte.

Wie würdest du ANIMAL COLLECTIVE musikalisch einordnen, eher als Rock- oder als Elektronik-Musik?


„Ich würde unsere Musik wirklich nicht als Rock beschreiben. Wir nutzen zwar Rock-Instrumente, aber meiner Meinung nach bewegt sich unser Songwriting eher auf Wegen, die eigentlich gar nicht ‚Rock‘ sind. Uns interessieren Formen und Sounds mehr als Strophe und Refrain, obwohl wir die aber auch nutzen. Manchmal würde ich sagen, dass wir eine Art elektronische Musik machen, aber manchmal simulieren wir einfach nur elektronische Musik mit unseren Mitteln. Unser neues Album zum Beispiel ist größtenteils akustisch entstanden, aber einige Teile davon klingen absichtlich eher elektronisch, weil wir die traditionelle Art, ein Instrument zu spielen, langweilig finden. Es ist ganz schön, es nach etwas klingen zu lassen, was es dann gar nicht ist.“

Was sind eure wichtigsten musikalischen Einflüsse?

„Minimal-Techno, Horrorfilm-Soundtracks, klassische Psychedelic-Musik, African Trance und Popmusik. Mein momentan größter Einfluss ist Kylie Minogue. Ihre letzten beiden Platten waren so umwerfend. Und dann z.B. noch BURZUM, kranker norwegischer Metal.“

Was ist für dich beim Musik machen wichtig?

„Einen frischen und neuen Sound zu kreieren, und vor allem Spaß an der Sache zu haben. Außerdem denke ich, dass es sehr wichtig ist, in der Lage zu sein, uns genauso ausdrücken zu können, wie wir es wollen. Ich denke, wenn unsere Visionen jemals keine Bedeutung mehr haben, dann würde ich aufhören. Aber glücklicherweise arbeiten wir mit Labels zusammen, die genau das unterstützen, was wir wollen.“

[/b]Was bedeuten die Worte „Autonomie“ und „Kollektivität“ für euch, will sagen, inwiefern arbeitet ihr lieber allein bzw. holt ihr euch Unterstützung von Personen außerhalb eures engeren Kreises? Und mit wem würdet ihr gern zusammen arbeiten?[/b]

„Das ist eine wirklich gute Frage, denn wir arbeiten gerade an einer Compilation, bei der Kollaborationen mit anderen Musikern mit einbezogen werden. Ich denke, dass es für jeden, der irgendwie etwas Persönliches macht – ich schrecke davor zurück, das Wort Künstler zu verwenden –, das eigenständige Arbeiten sehr wichtig ist. Ich brauche immer Zeit, um meine Stimme beim Musikmachen zu finden, und auch, um mich unter Kontrolle zu bekommen. Aber ich denke, unser Sound resultiert daraus, dass wir alle zusammen spielen, und deshalb ist es auch so schwer, einmal zurück zu stecken und auszusetzen, denn man hat ja all diese netten kleinen Ideen und Sounds im Hinterkopf. Das macht für mich das kollektive Zusammenspiel aus. Es gibt einfach nicht diese eine Stimme, die sagt, wo es lang geht. Jeder spielt aber seinen Part, wie es ihm gerade einfällt, wodurch man die Songs in die unterschiedlichsten Richtungen treiben kann. Für die bereits angesprochene Compilation werden wir versuchen, mit einigen uns gerade sehr am Herzen liegenden Bands aus den Staaten und England zu kooperieren. Uns ist damit die Gelegenheit gegeben, sehr ungewöhnliche Visionen dieser Musiker zu präsentieren, aber trotzdem erlaubt uns diese Zusammenstellung auch, einige zusammenhängende Elemente – also nicht nur eine zusammengewürfelte Compilation.“

Die Musik-Industrie sucht ja gern nach neuen Hype-Themen. Denkst du, dass sie mit eurem Sound und eurer Performance was anfangen könnten? Würdest du überhaupt was mit denen zu tun haben wollen oder ist dir das egal?

„Ich denke, es wäre nicht schlecht, mit der Musik-Industrie zusammen arbeiten zu können, aber es müsste, wie bereits angesprochen, nach unseren Spielregeln laufen. Im Business dreht sich zu viel um Wiederholungen und Neuauflagen altbekannter Themen und Ideen. Ich sage ja nicht, dass es generell so ist, aber tendenziell hat man schon das Gefühl. Ich kann mir uns einfach nicht in einer Werbung für uns selbst vorstellen. Wir spielen keine Hits, und wenn wir unsere Songs erst einmal aufgenommen haben, spielen wir sie in der Regel auch nicht mehr live. Wenn aber das Business für derlei Gedankenspiele bereit wäre, dann nehmt mich unter Vertrag, andererseits machen wir so weiter wie bisher und schauen mal, was noch so passieren wird.“

Wie entstehen eure Songs?

„Jeder Song entsteht anders. Einige Ideen stammen von einer Person alleine, die sie dann in die Gruppe einbringt. Diese Ideen ändern sich dann noch mal gewaltig, wenn wir erstmal alle gemeinsam daran zu arbeiten beginnen. Ich und Panda Bear, wir neigen dazu, die meisten Melodien und Texte selber zu schreiben, die Struktur kommt aber nur durch die gemeinsame Arbeit zustande. Unsere Platte ‚Here Comes The Indian‘ zum Beispiel verdeutlicht den gemeinsamen Pfad des Musikmachens. Der Großteil der Platte wurde in einem Liveset aufgenommen. ‚Spirit...‘ ist unsere einzige Platte, auf der ich alle Songs geschrieben und die Entscheidungen zu Struktur und Orchestrierung selber getroffen habe.“

Welchen Stellenwert haben für euch Experimente und Improvisation?

„Da scheint es eine falsche Vorstellung von unserer Band zu geben, was die Improvisation anbelangt. Ich denke, die meisten Leute hören oder sehen uns, und legen uns als einen voll improvisierenden Act die Nase rümpfend beiseite. Aber so ist es überhaupt nicht. Das Meiste, was du von uns hörst oder siehst, ist mühevoll ausgearbeitet und geschrieben worden. Wir schätzen Improvisationsmusik aber trotzdem. Ganz besonders von Bands wie GRATEFUL DEAD und SONNY SHARROCK, die das Improvisieren auf genialem Wege beherrschten. Ich persönlich denke aber, das Problem bei Improvisation ist, dass es zu oft schief geht. Außerdem merke ich immer sofort ganz klar, wenn da einfach nur ein paar Leute zusammen jammen, oder wenn sich eine Band wirklich die Zeit genommen hat, etwas zu schreiben. Das Improvisations-Element kommt bei uns mit hinzu, wenn es darum geht, wie wir unsere Stücke spielen, jedoch nicht bei der Frage, was wir spielen. Ich denke, wir improvisieren derart, dass wir unseren Gefühlen folgen und nicht irgendwelchen Richtlinien, denen man folgen soll. Ich denke, letzten Endes fühlen wir uns einfach nur frei. Die Songs verbreiten immer eine andere Stimmung, welche davon abhängt, wo wir sie spielen und wer gerade zuhört. Wir neigen dazu, der Umgebung und unserer eigenen Stimmung den Weg vorzugeben, dem die Songs folgen. In diesem Sinne also improvisieren wir den Weg, den die Songs beschreiten, jedoch wissen wir stets ganz genau, welche Teile und Melodien wir zu spielen haben. Wenn wir live spielen, ist das ein wenig schwierig, denn wir machen keine Pausen auf der Bühne. So denken viele Leute, dass wir nur eine lange Jamsession spielen. Wir improvisieren aber in der Regel nur, wenn es darum geht, einzelne Songs zu verbinden. Diese Songs sind aber immer im Gesamtgebilde verborgen. Ich denke, die Klarheit der Übergänge und die Verständlichkeit unserer Musik hängt sehr stark vom Sound des Abends ab, von unserer Stimmung und der Umgebung. Am meisten interessieren uns Strukturen, und ich denke, unsere Musik ist persönlich und sehr angenehm, gerade wegen der Strukturen, die wir entwickeln. Würden wir versuchen nur zu improvisieren, würde es den Leuten bei weitem nicht so viel geben.“

Welche Message wollt ihr mit euren Songs rüberbringen?

„Was die Texte anbelangt, hat jeder Song eine andere Aussage. Die Inhalte basieren im Moment hauptsächlich auf dem, was in unseren Leben gerade so passiert, gemischt mit dem schräg skurrilen, humorvollen Ausblick, den wir auf all das haben, was wir tun, und was andere Menschen zu tun pflegen. Ich denke, ich möchte einfach nur ein paar Bemerkungen über die Gesellschaft und die Lebensweise von Leuten machen, dabei aber nicht mit erhobenem Zeigefinger dastehen. Ich möchte Leute nicht dazu zwingen, so zu denken, wie wir es tun, oder ihnen suggerieren, dass unsere Art zu denken und zu Leben besser wäre, denn es ist ja ehrlich gesagt nicht so. Wir möchten einfach nur ein paar Visionen, Alpträume oder Phantasien zeigen, die wir gern als relevant betrachtet hätten, und nicht nur als das Produkt einiger verkiffter, drogenabhängiger Kids, die am Rand der Realität leben.“

 


Lesetip:
„Free Rock, Free Folk, Free USA“
in „Neue Züricher Zeitung“ vom 23.10.2003
zu finden unter: www.nzz.ch/2003/10/23/fe/page-article96DAG.html