AMULET

Nur wenige Monate nach dem Debütalbum „The Burning Sphere“ schieben AMULET gleich den nächsten Longplayer nach, der auf den Namen „Freedom Fighters“ getauft wurde. Mit diesem Werk wird plötzlich deutlich, dass die fünf Norweger etwas ganz Besonderes sind.

Das auch nicht gerade schlechte Debüt orientierte sich noch sehr stark am klassischen Hardcore der New Yorker Schule, was auf Dauer allerdings ein wenig eintönig wurde. Mit „Freedom Fighters“ vollziehen die fünf Norweger nun einen Evolutionssprung, den man in dieser Form kaum für möglich gehalten hätte. Wo früher noch eindeutig die alte Hardcore-Schule dominierte, schleichen sich heute auch extrem arschtretende Punk- und Rock´n´Roll-Elemente ein, die Erinnerungen an TURBONEGRO wach werden lassen. Zufall? Absicht? Schwer zu sagen, aber fest steht jedenfalls, dass AMULET unter der Obhut einiger Ex-TURBONEGRO-Mitglieder stehen, was sich auch in Gastauftritten von Knut „Euroboy“ Schreiner (Gitarre auf „Profane Wishes“) und Chris Summers (Percussion) äußert. Sänger und Songwriter Torgny Amdam beleuchtet die TURBONEGRO-Connection etwas genauer für uns: „Rune Rebellion ist unser Manager, aber auch mit den anderen Bandmitgliedern sind wir gut befreundet. Euroboy war außerdem an der Produktion unseres ersten Albums beteiligt.“

Hinzu kommt, dass AMULET auch einen Song für das TURBONEGRO-Tribute-Album beigesteuert haben. AMULET waren auch auf der offiziellen Release-Party dieses ungewöhnlichen Samplers in Hamburg mit von der Partie, wo sie als einzige Band auch live spielen durften. „Das war eine echt geile Party“, erinnert sich Torgny lachend, „ein echter Klassiker sozusagen! Es waren verdammt viele Leute da, darunter auch einige 35-jährige Punk-Girls mit rosa Haaren und Minirock – das war echt verrückt. Und dann kamen auch noch TURBONEGRO auf die Bühne, wodurch ich einen Song mit ihnen gemeinsam singen durfte.“ Da wird man ja fast neidisch, dass man nicht in Hamburg war.

Das Quintett aus Oslo hat mittlerweile eine größere Tour durch Deutschland absolviert, was natürlich die Frage provoziert, wie diese Tour für den flotten Fünfer aus Skandinavien gelaufen ist. „Die Tour war echt gut.“, freut sich der 27-jährige Sänger, der einen sehr fröhlichen und lustigen Eindruck macht. „Wir haben viele nette Leute getroffen, schöne Orte kennen gelernt und positive Resonanzen bekommen. Ich hoffe, dass wir im September wiederkommen können.“ Und wie viele Zuschauer kamen im Durchschnitt zu ihren Auftritten? „So 300 bis 400 Leute“, schätzt Torgny, um kurz darauf lachend zuzugeben, dass er bei dieser Schätzung wohl doch ein bisschen übertrieben hat: „300 oder 400 klingt in einem Fanzine halt wesentlich besser als acht Besucher in Schweinfurt.“ Es geht aber auch ernster: „Wir haben schon vor den unterschiedlichsten Zuschauermengen gespielt – mit HOT WATER MUSIC und LEATHERFACE vor sehr vielen Leuten, in Schweinfurt hingegen nur vor acht Leuten. Außerdem wurden wir in Schweinfurt von der Polizei festgenommen, weil wir von einer Brücke aus in den Rhein gesprungen sind.“ Und das reicht schon, um verhaftet zu werden? Sorry, ich vergaß: Schweinfurt liegt ja in Bayern, wo alles ein bisschen anders ist. „Ja, die Polizei ist dort etwas rigoroser als anderswo“, schmunzelt mein Gesprächspartner. „Wir sind halt während des Berufsverkehrs von einer dieser Brücken gesprungen, was einige Passanten wohl als kollektiven Selbstmordversuch interpretiert haben. Die haben dann prompt die Polizei gerufen, die uns dann erst einmal eingesperrt hat, aber zum Glück kamen wir schnell wieder frei. Die wollten unbedingt unsere Pässe sehen. Ich wusste ja nicht, dass das Springen von Brücken verboten ist. Die haben uns in unseren nassen Unterhosen bis in den Club verfolgt – das musst du dir mal vorstellen!“ Norwegische Brückenspringer und bayerische Ordnungshüter – ein hochinteressantes Thema, welches förmlich nach weiteren empirischen Versuchen schreit.

Angesichts der Qualität des zweiten AMULET-Longplayers wird sich wohl kaum jemand vor Verzweiflung aus dem Fenster stürzen, schließlich ist das neue Werk wesentlich abwechslungsreicher und atmosphärischer als der Erstling ausgefallen. „Das sehe ich auch so“, stimmt mir Torgny zu. „Wir haben ganz bewusst versucht, jeden einzelnen Song anders klingen zu lassen. Hinter jedem Stück steckt ein eigenes Konzept, während „The Burning Sphere“ noch sehr gleichförmig klang – die meisten Songs darauf unterscheiden sich kaum.“ Ein Fehler, den der Fünfer aus Oslo nicht mehr begehen wird, wie Torgny versichert: „Die meisten Underground-Combos machen den Fehler, sich immer wieder zu wiederholen. Sie halten krampfhaft an ihrer Erfolgsformel fest, so dass sie schnell zu einer schlechten Kopie ihrer selbst werden.“ Von der breiten Masse heben sich unsere fünf Helden beispielsweise durch weibliche Backgroundsängerinnen ab, die auf zwei Tracks („Hot Time“ und „Profane Wishes“) vertreten sind. Ich persönlich finde, dass die beiden angesprochenen Stücke dadurch ausgesprochen gut und interessant klingen. „Danke für das Kompliment. Wir wollten halt etwas Neues ausprobieren und die Regeln brechen. Magie entsteht meist erst dann, wenn man im Punkrock die Regeln bricht. Hör dir doch bloß mal das letzte REFUSED-Album an, das sagt alles. Die meisten Leute haben die Platte damals nicht richtig verstanden, aber heute ist jeder begeistert von der Scheibe.“

Womit wir auch schon bei der Frage wären, welche weiteren Bands er zurzeit noch aufregend und innovativ findet. „Letztes Jahr fand ich das AT THE DRIVE-IN-Album echt ansprechend, weil die etwas Neues gemacht haben. Dieses Jahr mag ich die neue HOT WATER MUSIC-CD ganz besonders, weil sie mich angenehm an die ganzen alten Washington D.C.-Sachen wie EMBRACE erinnert.“ Sicherlich nicht die schlechtesten Beispiele für gute Musik, die der Gute hier nennt. Früher tendierten AMULET übrigens auch in die Emo-Richtung, wie mein Gesprächspartner verrät: „Früher haben wir eher Emocore gemacht, so das Zeug halt, was heutzutage gerade angesagt ist. Dann haben wir uns allerdings in eine andere, viel härtere Richtung verändert, weil uns der alte Sound irgendwann gelangweilt hat. Wir versuchen ständig, neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, was uns auch von den meisten anderen Bands unterscheidet.“ Folglich wird auch die nächste Scheibe erheblich anders als das Material auf „Freedom Fighters“ klingen. „Wir haben schon wieder drei neue Songs geschrieben, die düsterer und eingängiger als bisher klingen“, blickt Torgny in die Zukunft. „Wir sind jetzt schon wieder von unserem Sound gelangweilt.“

Fühlen sich die Jungs trotzdem immer noch der Hardcore-Szene zugehörig? „Ich persönlich nicht“, verneint er. „Diese ganze Szene-Geschichte ist doch langweilig. Was heute angesagt ist, war auch schon mal vor zehn Jahren im Trend. Für mich ist das frustrierend, so dass ich mich gar nicht mehr damit beschäftige. Ich fühle mich nicht als Teil irgendeiner Szene – für den Scheiß bin ich zu alt! Man muss sich mal vor Augen halten, dass sich die Kids heutzutage über die verschiedenen Szenen ihre Identität beschaffen. Wenn man diese Musik hört, hat man diese und jene Klamotten zu tragen. Diese Musikrichtung gehört zu diesen Schuhen und diesen Pants. Das hat teilweise nichts mehr mit Liebe zur Musik zu tun, sondern mit dem Kauf eines ganzen Identitätspakets.“ Das saß, denn ein gewisser Hang zur Konformität und Uniformität ist auch in der Punkrock- und Hardcore-Szene kaum zu übersehen, wie ein einziger Konzertbesuch meist anschaulich demonstriert.

Einen wichtigen Stellenwert nehmen übrigens auch die Texte im Universum von AMULET ein, die allesamt aus der Feder meines Interviewpartners stammen. „Die Texte sind für mich persönlich natürlich sehr wichtig“, tönt es aus dem Hörer. „Ich stecke sehr viel Arbeit in sie, wobei ich hoffe, dass die Hörer den Willen und die Energie haben, die Texte selber zu interpretieren. Manche meiner Texte sind sehr offen und direkt, andere sind hingegen eher interpretationsbedürftig und verschlüsselt, was ich persönlich auch am liebsten mag. Texte, die den Hörer zum Nachdenken anregen, sind meiner Meinung nach die stärksten und politischsten Texte überhaupt.“ Würde er seine Rasselbande als politisch motivierte Band bezeichnen? Der Albumtitel „Freedom Fighters“ kann ja zum Beispiel auch politisch aufgefasst werden. „Nicht direkt, aber indirekt schon irgendwie, weil wir ja auch einige politische Lieder im Repertoire haben. Unser Album ist auf jeden Fall musikpolitisch motiviert, weil wir versuchen, aus dem klaustrophobischen Underground-Ghetto auszubrechen, wobei wir natürlich einige Regeln und ungeschriebene Gesetze brechen. All diese Underground-Szenen hängen doch so was von stark an ihren Gesetzen und Konventionen. Wir passen zwar in keine der gängigen Schubladen, aber trotzdem fließt noch jede Menge Hardcore in meinem Blut. Wenn ich auf der Bühne stehe, trage ich das Outfit eines Pakistaners, um mich von dem ganzen Outfit-Scheiß zu distanzieren. Es geht doch letztendlich um die Musik und die Emotionen, nicht um Verhaltens- und Kleiderregeln.“ Das wird ja immer besser: Norweger in pakistanischen Klamotten springen von bayerischen Brücken. Es fehlen eigentlich nur noch amerikanische Burger in den Händen und holländische Holzschuhe an den Füßen...

Ganz reibungslos und friedlich läuft es dennoch nicht immer innerhalb der Band ab, wie Torgny aus dem Nähkästchen plaudert: „Natürlich haben wir unterschiedliche Meinungen, nicht nur im Studio, sondern auch auf Tour. Manchmal hassen wir uns regelrecht, aber Spannungen dieser Art sind auf der anderen Seite auch hilfreich und produktiv, wenn man gute Musik machen möchte.“ Na dann hasst euch mal schön weiterhin! Solange dabei so super Scheiben wie „Freedom Fighters“ herauskommen, soll es uns recht sein. Notfalls auch in Frauenklamotten beim Schlammcatchen...