Alle vorhergehenden Platten der letzten Wochen wurden von einer einzigen, zwei Jahre alten Scheibe, um mehr als 1.000.000 Lichtjahre geschlagen, nämlich dieser hier. Ein New Yorker Quartett, das im ganzen Hype um die STROKES oder FRANZ FERDINAND einfach untergegangen ist.
Die Jungs klingen so britisch wie ihre Wurzeln und wären auf der Insel DAS große Ding der ganzen Jubelpresse, die keinen Artikel an FRANZ FERDINAND verschwendet hätten, wenn diese Herren hier aus Manchester, Liverpool oder London kämen.
Tun sie aber nicht, deswegen liebt nun jeder die Franzens und es bleibt mehr für uns. "Turn On The Bright Lights" ist aus dem Jahre 2002, was nicht schlimm ist, denn so verkürzt sich schon die Wartezeit auf die zweite Platte von INTERPOL, die im September erscheinen soll.
Wunderbare Melodien, eine aufrichtige Melancholie, die auch bei diesem warmen Sommerwetter voll durchgreift, ein dichter Gitarrensound ergeben eine abwechslungsreiche Platte, wie ich sie von einer Band schon lange nicht mehr gehört habe.
Wenn ich sage, dass diese Scheibe nach den ersten 30 Sekunden bereits gewonnen hatte, dann können das wahrscheinlich nur die älteren Semester nachvollziehen, die sich an das Zelebrieren eines Plattenauflege-Erlebnisses noch erinnern können.
Das fing mit dem zufälligen Hören eines Stückes im Radio (oder sonstwo) an, ging in die Enttäuschung über, weil der Plattenhändler des Vertrauens die Scheibe natürlich nicht hatte (was ok war, weil man so noch etwas Zeit bekam, um sich sein Taschengeld zusammenzusparen), setzte sich mit der Wartezeit fort, bis die bestellte Platte im Laden endlich ankam, wurde weitergeführt mit dem vorsichtigen Transport nach Hause und endete vor dem Plattenspieler, dessen Nadel ganz behutsam auf die Scheibe aufgesetzt wurde.
Selbstverständlich musste man noch warten, bis die Erziehungsberechtigten weg waren, damit man die Platte auf voller Lautstärke hören konnte, was den Kitzel noch einmal zusätzlich erhöhte.
Dann saß man da, vor der sündhaft teuren HiFi-Anlage (die damals noch mindestens zwei komplette Monatsgehälter der Eltern wert war) und "Das ist es!" So enstanden Lieblingsplatten fürs Leben.
"Turn On The Bright Lights" ist so eine Platte, mit der ich diese Tortur gerne durchlebt hätte, aber der Laden hatte sie, ich musste mir mein Geld nicht mehr zusammensparen, die CD ist transportunempfindlich, und ich kann Musik seit langer Zeit so laut hören wie ich mag, außerdem kosten HiFi-Anlagen heute nur noch einen Bruchteil dessen, was man früher für einen fünf Kilo schweren Kopfhörer ausgeben musste.
Nimm das Beste von den frühen JOY DIVISION (als sie noch WARSAW hießen), den frühen NEW ORDER (als sie noch JOY DIVISION-Stücke spielten), ein wenig SMITHS, Morrissey, frühen New Yorker New Wave-Sound, junge CURE, ein grandioses Gespür für große Melodien und Ohrwurmrefrains, dann kommst du in etwa in die Nähe dieser grandiosen Platte.
Einige Stellen und Songs schaffen es auch nach dem fünfzigsten Hören noch (und so oft habe ich sie in den letzten vier Wochen in der Tat gehört), mir die Haare im Nacken aufzurichten. So abwechslungsreich, so spannend, so tief und doch so dicht habe ich lange Zeit keine Band mehr aus dieser Sparte gehört.
INTERPOL kam der ersten Begegnung mit JOY DIVISION verdammt nahe, und das will etwas heißen! Das Beste, was du dir hier aus dieser Richtung kaufen kannst! Definitiv! (10/10)
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