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GRAUZONE

s/t

Als ich vor gut zwei Jahren Stephan Eicher zu GRAUZONE just in diesem Heft interviewte und von der im „April erscheinenden“ Werkschau sprach, lag ich nicht so ganz falsch. Der Monat passte, es dauerte nur knapp weitere zwei Jahre. Aber was sind die schon, wenn es doch um das eigene Vermächtnis und ein Geschenk an sich selbst geht, das einfach stimmen muss? Selten ergeben Boxsets derart Sinn wie hier (wer sich hingegen nur die CD-Version oder die Doppel-LP zulegt, ist vielleicht ein Sparfuchs, aber eben auch zu bemitleiden). Elektronisch, minimal, reduziert und perfekt auf den Punkt gebrachte Songs mit glasklaren Texten ohne viele Worte, die auch nach über vierzig Jahren immer noch zeitlos sind. Mit einem Gesamtwerk, das gerade mal vier Seiten einer Doppel-LP umfasst, das aber so makellos ist, lässt sich der Kultstatus und die nachhaltige Wirkung von GRAUZONE sehr gut erklären, eine Band, mit der man in den Achtzigern aufwachsen konnte und beim mehrfachen Ausmisten der Plattensammlung nie auch nur kurz darüber nachdachte, sich von irgendeiner GRAUZONE-Veröffentlichung zu trennen. Die kurze Lebensspanne der Band hat sie auch vor dem einen oder anderen möglichen Stück bewahrt, das es nur aus Verlegenheit auf einen Tonträger geschafft hätte, hier gibt es jedenfalls kein Mittelmaß. In der Box befindet sich auf einer hervorragend gemasterten Doppel-LP das komplette Studiowerk und die bereits vor mehr als zwei Jahren als Bootleg erschienene Live-LP aus dem Berner Gaskessel. Damit lässt sich der Weg von der rohen Punkband zur Band perfekt nachvollziehen, die das Studio für sich als Bühne entdeckt hat. Von den neun Live-Songs hat es gerade mal „Moskau“ bis in die Aufnahmekabine geschafft, und auch das klingt dort deutlich reifer und auf den Punkt gebracht. Das Remaster, das wie die Mital-Retrospektive von den Originalbändern gezogen wurde, ist noch mal deutlich besser ausgefallen. Es klingt wärmer und differenzierter als das ohnehin schon gut gealterte Original. Mit dem Remaster lässt sich erkennen, wie weit diese Aufnahmen ihrer Zeit voraus waren. An manchen Stellen könnte ich schwören, Dinge und Details so zum ersten Mal zu hören, und ich habe die LP, jedes einzelne Stück bestimmt 217 Mal gehört. So sitze ich dann wie damals vor denselben Liedern und bin wieder 15, weil ich völlig andere Dinge neu entdecke. In der Doppel-LP wird die Entstehung aller Songs erklärt, es gibt Hintergründe und einen kurzen Abriss der Bandgeschichte in ihren drei Phasen. Kuratiert und niedergeschrieben von Lurker Grand, der hier ganze Arbeit geleistet hat. Eine Werkschau, wie sie aussehen sollte, wenn sie nicht von irgendwem, sondern von jemandem gemacht wird, der Ahnung und ein Händchen dafür hat. Dazu gibt es noch ein altes Konzertplakat im Großformat. Ein weiteres Highlight ist das beiliegende Fanzine, das, wie das komplette Boxset, im Xerox-Vintage-Look reproduziert wurde – ein Verweis, der sich nur denen erschließt, die die komplette Geschichte kennen. Neben alten Plakaten, Setlisten und nie gesehenen Fotos gibt es noch mehr zur Band sowie zusätzliche Beiträge von François Mürner und Norbert Prothmann. Darüber hinaus steuerten großartige Künstler wie Sylvie Fleury, Rainier Lericolais, Genesis P-Orridge, Gregor Hildebrandt und etliche mehr Werke bei, die dank Xerox auf das Minimalste reduziert wurden. Schon jetzt ein Rerelease, der sich 2021 nur schwer toppen lässt, schöner kann man sich sein eigenes Denkmal einfach nicht setzen. Heute wie damals übrigens in den LP-Charts auf exakt demselben Platz, nur waren das damals andere Zahlen.