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GEWALT

Doppeldenk

2016 wurden GEWALT aus/in Berlin gegründet, erst 2021 und mitten in der Pandemie kam von der bis dahin „nur“ zahlreiche Singles veröffentlichenden Band das Debütalbum „Paradies“. Und nun also, nach drastisch weniger Zwischenalbenoutput, das zweite Album „Doppeldenk“, mit dem sich Helen Henfling, Jasmin Rilke und Patrick Wagner zu einem guten Teil neu erfunden haben und Patricks Wortgewalt (!) auf einem anderen, aber immer noch intensiven musikalischen Fundament stattfindet. Denn waren GEWALT bislang eine immer wieder im Noiserock kontextualisierte Formation, so ist das diesmal ... anders. Helen hatte eine Abneigung gegen Gitarrenmusik entwickelt, was, wie sie im Interview eingesteht, bei dieser Band „extrem ungünstig“ ist. Aber das Trio hat tatsächlich die Quadratur des Kreises geschafft und sich mal eben neu erfunden – und ist sich doch treu geblieben. Denn GEWALT klingen unverkennbar nach GEWALT, Patricks Stimme ist eben eine Marke. Aber statt der Gitarre ist da nun ein Roland 303, ein Saxophon, und dennoch funktioniert der alte Kontext noch, kommt hier kein Widerwille auf, wie man ihn oft empfindet, wenn geschätzte Bands sich neu erfinden müssen oder wollen, sich dabei aber im Unterholz verirren. Textlich sind und bleiben GEWALT eine Macht, Patrick haut mal nachdenklich, mal appellativ raus, aber es darf auch durchaus mal fast schon kalauernd zitiert werden, siehe „Felicita“ oder „Halt dich an deiner Liebe fest“. Faszinierendster Song des Albums ist für mich neben dem Opener „Schwarz Schwarz“ ganz klar „Ein Sonnensturm tobt über uns“ – was für ein Flow, das ist fast schon Pop. GEWALT, die mit ihrem Albumtitel einen deutlichen Hinweis auf George Orwells Dystopie „1984“ geben, übertrumpfen mit ihrem konzeptionell mutigen Album mal eben die längst schon redundant gewordenen EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN des Jahres 2024, weil sie deren diese einst auszeichnende musikalische und textliche Radikalität übernommen haben.