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ERNTE 77

Das rote Album

Das vierte Album der Kölner Band trägt den Namen „Das rote Album“ und es wären nicht ERNTE 77, wenn das Cover nicht in einer anderen Farbe leuchten würde, nämlich in Grün/Schwarz. Die Zeichnung zeigt einen Tunnel(?), der Blitze aussendet. Genauso gut könnte er aber auch den Betrachter einsaugen, und genau diese Wirkung hat der Punkrock von ERNTE 77 auf mich. 14 Songs sind es geworden. Dieses Mal ist es nicht nur der typische melodische Punkrock, sondern die Band versucht sich auch an neuen Genres wie Indie, Alternative oder Elektro, ohne dabei zu scheitern. Im Gegenteil! Und die Texte laufen dabei auf dem gewohnt hohen Sprachniveau. Welche Punkband könnte Wörter wie „Pronomen“ in ihren Texten verwenden, ohne dass es zumindest seltsam anmutet. Und ihr Wortwitz und auch ihr mal sanfter, dann auch wieder bissiger Humor suchen hierzulande ihresgleichen! Während andere Bands dabei häufig genug in den Untiefen des Humors untergehen, bleibt bei ERNTE 77 alles auf einer fast spielerisch anmutenden Ebene, eher zu vergleichen mit Till Eulenspiegel. Schon der Opener „Wer feiern kann, kann auch ausschlafen“ ist nicht nur ein toller Punkrock-Song, sondern die langerwartete Antwort auf diesen dummen Spruch, den ich mir auch öfter auf der Arbeit anhören durfte, wenn ich noch zugedröhnt vom Vorabend erschien. Dem Song „Zu Bier sag ich nie no“, ihrem Kommentar zu albernen Dating Sprüchen, gelingt es jedes Mal, mich auf eine besondere Reise zu entführen, die in einer Lounge endet, wo nur hippes und vor allem junges Volk abhängt, in dem Bier in einem Cocktailglas serviert mit Sonnenschirmchen und Olive und ich mich absolut deplatziert fühle. Aber es geht auf „Das rote Album“ nicht nur um den Rausch als solches wie auch bei „Besoffen meditieren“, sondern ERNTE 77 nehmen uns außerdem mit zu einem Planetentest und in die eine oder andere „Filterblase“, wo auch ein Klavier zum Einsatz kommt. „Ernte 77 bereiten das zweite Punkrevival vor“ hätte auf Englisch auch gut auf das „Punk In Drublic“-Album von NOFX gepasst, der Song lässt die Kids united sein und bleibt auch sonst gut im Ohr. Aber die Band ist auch politischer geworden. In „Die goldene Mitte“ zerlegen sie im Stil der frühen Neuen Deutschen Welle gekonnt diesen Typus Mensch, der der „Hufeisentheorie“ anhängt und selbstgerecht und selbstgefällig keine eigene Haltung annimmt, sondern die Linken im Zweifelsfall schlimmer findet als Nazis, die Menschen ermorden. „Ihr und euer Wir – sind mir ein Dorn im Auge“, singen ERNTE 77 treffend an anderer Stelle und auch „Mein Dildo ist wichtiger als Deutschland“. Selbst aufgenommen und produziert, hinterlässt „Das rote Album“ bei mir das Gefühl, es ständig neu auflegen zu wollen. Extrem hoher Suchtfaktor – womit wir wieder beim Thema Sog wären.