Am 26.09.1987 besuchte ich in Ludwigshafen ein Punk-Festival. Es spielten HEIMAT-LOS und KROMOZOM 4 aus Frankreich, UPRIGHT CITIZENS, EA80 und RAZZIA. Hunderte Punk- und Hardcore-Fans aus ganz Deutschland waren angereist, es gab Dosenbier für eine Mark, und in der Halle türmten sich die leeren Bierdosen zu kleinen Haufen.
Für den Kleinstadt-Punk war das eine interessante, neue Welt, und neben Fanzines wurden auch Platten gekauft, von EA80 und RAZZIA. Im Falle letzterer war es das damals ganz neue „Ausflug mit Franziska“-Album, das kontrovers diskutiert wurde, denn im Gegensatz zu all den Beiträgen zu heute legendären Compilations, dem Album „Tag ohne Schatten“ (1983) und der extrem raren „Los Islas Limonados“-12“ (1985) hatten sich die Hamburger danach stilistisch etwas geändert.
Schon das Bandfoto, auf der Band komplett schwarz gekleidet im nächtlichen Wald steht, zeugte von einer Düsterkeit, die sich auch thematisch und musikalisch niederschlug. Zwar war der für die Hamburger Punk-Szene der frühen Achtziger typische Punkrock-Sound nicht verschwunden, dazugekommen war aber das manchem konservativ gestrickten Punk missfallende Keyboard-Spiel, das in seiner Flächigkeit eine gewissen Goth-Touch hatte und RAZZIA in die Nähe der zwar ohne Synthie spielenden, aber ähnlich düsteren EA80 rückte.
Produktionstechnisch war „Ausflug mit Franziska“ auch ein deutlicher Fortschritt. Die meisten Punk- und Hardcore-Platten waren damals noch recht rumpelig, doch hier begeisterte glasklarer Sound und ließ die Platte viel dynamischer wirken als die vieler anderer Bands – dafür sorgte der damals einflussreiche Stefan Grujic im Masterplan-Studio in Hildesheim.
Ebenso war der Gesang von Rajas Thiele sehr prägnant: einerseits aggressiv und wütend, an anderer Stelle aber auch mit leichtem Tremolo und etwas Pathos – das macht mir auch 25 Jahre später noch Gänsehaut.
Und erst die Texte von Bassist Sören Callsen und Gitarrist Andreas Siegler: schon zuvor hatten RAZZIA textlich ohne jede Plattheit und höchst elegant ins Schwarze getroffen, die bequeme, fette BRD der Achtziger mit ihren spitzen Kommentare wortgewaltig in den dicken Bauch gepikst (man würde sich solche Texte von all den deutschsprachigen Flachpfeifen-Deutschpoppern heute wünschen), doch diesmal wurde in Sachen „Teenage Angst“ und Jungerwachsenenwut noch einer draufgesetzt, die Selbstzufriedenheit des von unterdrückten Skandalen und noch nicht ausgerotteten Altnazis geprägten Landes angeklagt, oft aber auch einfach nur die persönliche Befindlichkeit schonungslos ergründet.
Heraus kamen dabei Perlen wie „Als Haus wärst du ’ne Hütte“, „Fahnensog“ oder „Sentimentaler Zusammenbruch“, wobei meine Hits ganz klar „Damenwahl“ und vor allem das mit seinem Synthie-Intro Gänsehaut verursachende „Helfende Hände“, das für mich damals mit der erste Kontakt mit der in Punk-Kreisen weit verbreiteten Thematik Tierversuche (und Vegetarismus) war.
Ein absolut elementarer Klassiker des deutschsprachigen Punkrocks der Achtziger, dessen Neuauflage um zwei Bonus-Songs („Unterwegs in Sachen Selbstmord“, 1984; „Den Fliegen lieb“, 1989) ergänzt wurde und mit dickem Booklet mit allen Texten kommt.
Mit „Menschen zu Wasser“ (1989) und „Spuren“ (1991) veröffentlichten RAZZIA in den nächsten Jahren noch zwei weitere sehr gute Studioalben, bevor sie dann 1992 ihr (vorläufiges) Abschiedskonzert spielten, das aufgenommen wurde und in Form der „Live“-LP/CD (1993) dokumentiert wurde.
Zusammen mit „Ausflug mit Franziska“ wurde das Live-Album jetzt vom kleinen Hamburger Label Colturschock in limitierter Vinyl- wie CD-Version neu aufgelegt – eine Tatsache, die beinahe schon Grund zu Sorge ist, denn was macht eigentlich der Hamburger Punk-Dokumentarist Mansur und sein Weird System-Label? Live spielten RAZZIA damals ein Best-Of ihrer vier Studioalben, entsprechend ist die Scheibe ein Quasi-Best-Of geworden mit „Nacht im Ghetto“, „Arsch im Sarge“, „Schatten über Geroldshofen“ oder „Fahnensog“.
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