Durch den Mülleimer-Sampler „Hardcore Power Music Vol. 2“ stieß ich 1984 auf RAZZIA, deren düster-treibende Deutschpunk-Beiträge „Unterwegs in Sachen Selbstmord“ und „Kreuz oder Kopf“ mich begeisterten.
Die Alben „Tag ohne Schatten“, „Ausflug mit Franziska“ und „Menschen zu Wasser“ gehören für mich heute noch zu den absoluten Highlights der deutschen Punk-Geschichte. Die Verwendung von Keyboards brachte eine ganz neue Klangfarbe in den Sound von RAZZIA.
Hier schieden sich bereits die Geister. Trotz „Fahnensog“ wollte das „Spuren“-Album bei mir dann nicht mehr zünden; und 1992 war erst einmal Schluss. Die zweite Phase zwischen 1993 und 2004 in neuer Besetzung und mit neuem Sänger Stefan Arndt brachte drei Studioalben „Labyrinth“ (1994), „Augenzeugenberichte“ (1999) und „Relativ sicher am Strand“ (1999) hervor, die bei einer neuen Punk-Generation gut ankamen.
Erst 2008 begann sich die Urbesetzung für die Planung zum dreißigjährigen Jubiläum zu treffen, um eine einmalige Party zu organisieren, die niemals stattfand. In der Zwischenzeit gab es weitere Besetzungswechsel, aber RAZZIA treten seitdem wieder sporadisch live auf.
So reifte der Gedanke, doch noch einmal neue Stücke zu schreiben und ein weiteres Album zu veröffentlichen: „Am Rande von Berlin“. Bedauerlich ist der Ausstieg von Keyboarder Bernhard Waack im Jahr 2016, da hier leider kaum Keyboardsounds („Lauf, Junge lauf“) zu hören sind.
Ansonsten hat man viel mit verschiedenen Gitarrensounds gearbeitet. Wer nun aber glaubte, RAZZIA würden mit Sänger Rajas die Zeit zurückdrehen, um ihre Klassiker aus den Achtziger Jahren zu kopieren, den wird die neue Platte eines Besseren belehren.
Zugegeben, auch ich fieberte mit ähnlichen Hoffnungen dieser Veröffentlichung entgegen, las aber vorsichtshalber vorab aktuelle Interviews, um mich auf etwaige Überraschungen einzustellen.
Fernab jeglicher Achtziger-Deutschpunk-Nostalgie ist „Am Rande von Berlin“ ein Werk geworden, das ich musikalisch zwischen „Ausflug mit Franziska“ und „Menschen zu Wasser“ einordnen würde, beginnend mit dem instrumentalen Intro „Nitro“, das als Teil 2 von „In der Mentalkorrektur“ gelten könnte.
Daran erinnern manche typischen subtilen Chöre und die düster-wütende Grundstimmung, mal treibend, mal schleppend, aber nie träge. So entstehen Ohrwürmer wie „Nicht in meinem Namen“, der Titeltrack „Am Rande von Berlin“, „Ein Hauch von Wandlitz“, „Liebe Grüße aus dem Rotweingürtel“, „Straße der Krähen“ oder „Rezeptur der Angst“.
Der Rest ist entweder rockiger oder sehr ruhig, ja balladesk geworden. Von Phrasen keine Spur. Die Texte, gesungen von Rajas, sind hart und gehen durch wie ein eisiger langer Winter. Ich freue mich auf die Vinylversion!
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