Das Quintett aus Sheffield ist schon seit der Bandgründung 2006 immer ein bisschen anders als das Gros im Metalcore. Auf ihrem neuen Album erweisen sie sich jetzt erst recht als experimentierfreudig. „Self Hell“ strotzt vor bunten Einflüssen aus Punk, Emo, Nu Metal, Britpop und Drum’n’Bass. Hinter jeder Ecke verbirgt sich eine andere Überraschung. Zudem nehmen uns WHILE SHE SLEEPS mit auf eine Zeitreise: Die Einflüsse der frühen Zweitausender sind unüberhörbar, zugleich vermittelt es eine Idee davon, wohin sich die Metal- und Core-Genres in den nächsten Jahren entwickeln könnten. In der Mode feiert diese Ära schließlich auch gerade ein Comeback. Wir sprechen mit Sänger Lawrence „Loz“ Taylor über „Self Hell“, Nostalgie, den wachsenden Erfolg – und erfahren, wieso ihn trotzdem manchmal das Gefühl beschleicht, nicht gut genug zu sein.
Ihr habt schon immer einen Ansatz „ohne Grenzen“ verfolgt, „Self Hell“ ist nun aber euer größter Schritt über sämtliche Genrebarrieren hinweg.
Ja, das sehe ich auch so. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir eine gute Metalcore-Band sind. Wenn du eine Band gründest, ist es wichtig, dass die Leute erst einmal wissen, wer du bist. Du musst dir eine Identität aufbauen und diese auch ein Stück weit bedienen, sonst kann es passieren, dass du deine Fans verärgerst und verlierst. Inzwischen haben wir eine solide Community und das erlaubt uns, zu experimentieren und einfach Spaß zu haben. Ich denke, unsere Fans lieben die Abwechslung genauso wie wir.
Hast du auch das Gefühl, dass die Offenheit gegenüber neuen Einflüssen im Metalcore langsam wächst?
Zu einhundert Prozent! Und gerade Bands aus unserer Heimat Großbritannien machen das ganz gut. Man konnte über die letzten Jahre schön beobachten, wie sich immer mehr Metalbands getraut haben, ihre Komfortzone zu verlassen. Und die Leute hier lieben es. Uns geht es genauso. Das könnte auch damit zusammenhängen, wie Musik heute konsumiert wird. Beim Streamen hörst du im einen Moment einen heavy Popsong und im nächsten wechselst du zu MESHUGGAH. Es werden mehr Singles gehört als ganze Alben, weshalb es auch so wichtig geworden ist, häufiger Singles rauszubringen, um die Leute bei der Stange zu halten. In dem Zuge steigt dann auch die Bereitschaft für Abwechslung.
Und trotzdem habt ihr euch dafür entschieden, ein Album zu machen und ziemlich standardmäßig drei Singles vorab zu veröffentlichen.
Ja, das stimmt. Wir haben ehrlicherweise gar nicht über eine Alternative gesprochen. Aber es würde in heutigen Zeiten schon Sinn machen, eher EPs zu veröffentlichen oder sich komplett auf die Singles zu fokussieren. Wir selbst sind halt alle noch Typen, die ganze Alben hören. Und auch bei unseren eigenen Platten ist uns wichtig, dass sie gut durchdacht sind, der Flow stimmt. Damit lassen wir uns auch immer viel Zeit. Wahrscheinlich ging es uns letztendlich doch mehr darum, was sich für uns richtig anfühlt.
Hat sich mit all den neuen Einflüssen auch der Schreibprozess verändert?
Ja, definitiv. Jeder hat die gleiche Chance, etwas zum Gesamtwerk beizutragen, dadurch hat sich der Prozess sehr kollaborativ gestaltet, was sich auch im Sound niederschlägt.
Das heißt, wenn jemand eine Idee mitbringt, wird die erst einmal akzeptiert.
Ganz genau! Auch wenn dir eine Idee vielleicht nicht so gut gefällt, hör sie dir an, atme durch und lass die anderen sich daran erfreuen. Ich nehme an, deshalb fiel es uns letztendlich auch so schwer, Singles auszuwählen, weil in jedem Song viele individuelle Emotionen stecken.
Ihr wolltet ursprünglich „Rainbows“ zur ersten Single machen.
Ja, das war mein Favorit, aber aus irgendeinem Grund haben wir uns dann dafür entschieden, den Song für das Album aufzuheben. Ich wurde einfach überstimmt. Aber das ist genau der Punkt, jeder hatte andere individuelle Beweggründe.
Zur ersten Single wurde der Titeltrack „Self hell“. Darin sprichst du davon, am Imposter-Syndrom zu leiden, also immer wieder das Gefühl zu haben, nicht gut genug zu sein. Wie äußert sich das aktuell?
Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich über lange Zeit mit meiner Gesangstechnik gekämpft und mich nicht gut um meinen Körper gekümmert habe. Du weißt ja, dass ich bereits drei Stimmband-Operationen hatte. Ich wusste, dass ich gesünder leben musste, damit mein Körper meine Stimme besser unterstützen kann. Aber als ich aufgehört habe zu trinken, kamen die Ängste, nicht gut genug zu sein. Es kann ganz schön hart sein, mit den eigenen Erwartungen oder auch anderen Bands mithalten zu wollen. Früher hat der Alkohol diese Sorgen offenbar verschleiert.
Euer Erfolg wächst, ihr spielt in immer größeren Hallen, im Herbst 2023 habt ihr als Headliner den Alexandra Palace in London mit zehntausend Plätzen ausverkauft. Das ist für britische Bands immer ein elementarer Meilenstein. Hilft dir das positive Feedback?
Ja, in jedem Fall. Auch der Jahresauftakt mit zwei Shows, die wir im Januar mit ARCHITECTS gespielt haben, war phänomenal. Manchmal beschleicht mich dennoch das Gefühl, nicht wirklich verdient zu haben, als Musiker dort zu stehen, wo wir heute mit WHILE SHE SLEEPS sind. Aber hier hilft mir die gesündere Lebensweise, zu verstehen und zu schätzen, was wir leisten. Vielleicht bin ich ja einfach gut in meinem Job? Das klingt jetzt etwas überheblich, das meine ich nicht so. Ich möchte einfach nur wertschätzen, was ich habe.
Nein, ich finde, das klingt nach einem gesunden Selbstverständnis. Wieso habt ihr eigentlich „Self Hell“ auch als Albumtitel ausgewählt?
„Self Hell“ ist etwas sehr Individuelles, kann für jede:n etwas anderes sein. In jedem Leben geschehen belastende Dinge, jede:r kann sich plötzlich in niederschmetternden Situationen befinden. Was mir aber immer ins Auge fällt, ist, dass, wenn du „Self Help“ handschriftlich aufschreiben möchtest, du fast automatisch zuerst an „Self Hell“ vorbei musst. Das hat für mich etwas sehr Poetisches und Philosophisches. Es spiegelt auch wider, wie ich früher war.
Lass uns mal konkret über die musikalischen Einflüsse sprechen, man hört Punk, Emo, Nu Metal, Britpop und vor allem den Vibe der frühen Zweitausender. Welche Elemente hast du mit eingebracht?
Mich haben in den letzten Jahren vor allem PLACEBO sehr inspiriert. Insbesondere Songs wie „Bitter end“ faszinieren mich, weil sie zwischen Pop und Rock mäandern. Und Brian Molkos Stimme ist natürlich auch fantastisch. Darüber hinaus habe ich wieder die Emo-Bands der Nuller gehört, wie AFI oder ALKALINE TRIO.
Waren das auch die Bands, zu denen du damals aufgeschaut hast?
Ja, und LINKIN PARK! Die haben bis heute einen großen Einfluss auf mich. Ach, weißt du, damals waren Subkulturen ja noch viel mehr voneinander abgegrenzt. Ich war dieses Skateboard fahrende Metal-Kid, habe mich für die unterschiedlichsten Genres interessiert, habe nie aufgehört, nach neuer Musik zu suchen. Ich glaube, deshalb mag ich „Self Hell“ auch so gerne – man entdeckt ständig etwas Neues. Und über allem schwebt dieses nostalgische Gefühl.
Wenn du dem Loz von damals einen Rat geben könntest, welcher wäre das?
„Schalte mal einen Gang runter“, würde ich sagen. „Sei nicht so ein Party-Monster.“ Das klingt vielleicht nicht so sehr nach Rock’n’Roll und ehrlich gesagt hatte ich immer Sorge, dem Image, dem Lifestyle nicht gerecht zu werden, sollte ich es langsamer angehen lassen. Aber wir sind viel auf Tour, managen uns selbst, da ist es keine gute Idee, die ganze Zeit betrunken zu sein. Ich würde dem Loz von früher raten, die kleinen Dinge des Lebens zu genießen. Damals lag ich den ganzen Tag im Bett, weil ich vom Vortag verkatert war, heute mag ich es rauszugehen, einfach durch die Stadt zu laufen und ganz viele Kleinigkeiten wahrzunehmen, die einem verborgen bleiben, wenn man zu viel getrunken hat.
Wie geht es dir, wenn du daran denkst, dass ihr heute eine Band seid, die andere inspiriert?
Es freut mich immer zu hören, wenn wir jemanden inspirieren. Wir haben im Januar ein paar Shows mit LOATHE gespielt, die sich zu einer wirklich starken Band entwickelt haben. Deren Sänger Kadeem France erzählte mir mal, dass er noch ein Foto mit mir hat, das er gemacht hatte, als er Teenager war. Das ist zehn oder sogar fünfzehn Jahre her. Und jetzt spielt er bei LOATHE, die einfach umwerfend sind. Das ist völlig abgefahren.
Wenn man sich euch so anschaut, fällt auf, dass sich auch optisch etwas verändert hat: der Style eurer Musikvideos, die Bühnenshows und auch eure Outfits, vor allem deine.
Ja, das hängt auch damit zusammen, dass wir glauben, jetzt mit der Stabilität, die die Band hat, mehr ausprobieren zu können. Für eine lange Zeit habe ich einfach T-Shirts mit abgeschnittenen Ärmeln getragen, hatte lange Haare und ein Bier in der Hand. Das war eben der Standard im Metalcore. Dabei habe ich mich eigentlich schon immer mehr für Mode interessiert, als ich gezeigt habe. Jetzt lebe ich es aus und habe viel Spaß dabei.
Wir haben über den Wandel bei WHILE SHE SLEEPS gesprochen. Gibt es auch Kernelemente, die ihr immer beibehalten werdet?
In musikalischer Hinsicht kann ich das gar nicht sagen. Aber der Community-Aspekt wird immer bleiben. Für mich gab es schon früher kein besseres Gefühl, als jemanden in einem SLIPKNOT-Hoodie zu sehen und diese Zugehörigkeit zu spüren. Darum ging es immer im Rock und Metal. Wir als Band haben diese Punkrock-Ethik, möchten immer authentisch und eine inklusive Angelegenheit für unsere Fanbase sein. Wir glauben, dass wir mit neunzig Prozent der Leute auf unseren Konzerten ein Bier trinken gehen könnten – und so soll es bleiben.
Ihr habt vor einigen Jahren „Sleeps Society“ gelauncht, letztendlich eine Patreon-Seite, über die ihr euch finanziert. Kannst du ein Zwischenfazit ziehen?
Das Modell funktioniert. Vor allem während der Pandemie, als wir keine Einkünfte durch Touren hatten, hat es uns und unserer Crew sehr geholfen. Auch das aktuelle Album wurde direkt durch unsere Supporter finanziert. Wir mussten nicht zu einem Majorlabel gehen, um einen Vorschuss zu erhalten. Die ganzen Rechnungen für Studiomiete und so weiter konnten wir direkt selbst bezahlen. Aber mit der Zeit wird es ein riesiger Workload, den du neben dem Albumprozess, Shows, dem Management drumherum stemmen musst. Du musst immer neuen Content produzieren, deinen Supportern neue Behind-the-Scenes-Einblicke geben, neue Tutorials drehen und, und, und. Zugleich ist es ein unbeschreiblich schönes Gefühl, dass es Leute gibt, denen unsere Band so viel bedeutet, dass sie uns auf diese Weise zusätzlich unterstützen.
Mit der Inflation wird aktuell alles teurer, habt ihr dahingehend eine Veränderung bei der Bereitschaft festgestellt, euch zu finanzieren?
Ja, schon, es ist ein Auf und Ab. Das verstehen wir aber auch und bieten deshalb die Möglichkeit, ein- und wieder auszusteigen. Man kann uns erst mal nur für einen Monat unterstützen, das ist keine große Verbindlichkeit und trotzdem hilft es uns beispielsweise dabei, die nächste Tour umzusetzen.
Und wohin soll die Reise mit WHILE SHE SLEEPS zukünftig gehen?
Wir spielen dieses Jahr auf einigen Festivals, unter anderem Rock am Ring / Rock im Park und Download. Perspektivisch wollen wir da die ganz großen Headliner-Slots – neben KISS oder so, haha! Ich glaube, „Self Hell“ hat ganz großes Potenzial, unsere Zielgruppe zu erweitern und Gutes für unsere Band zu bewirken.
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