Aus der Asche der Schleswig-Holsteiner Crust’n’Roller BONEHOUSE und 2ND ENGINE erhob sich vor kurzem VLADIMIR HARKONNEN um durch melodischen Hardcore mit brutalem Ohrwurmcharakter die Weltherrschaft an sich zu reißen. Anlässlich des Vorhabens sprach ich stellvertretend mit dem Sänger und Kieler Szeneoriginal Philipp, dessen Weg sich mit meinem seit gut 20 Jahren immer wieder kreuzt.
Du singst jetzt bei VLADIMIR HARKONNEN, die großartigen rockigen Melodycore machen. Ist diese Entwicklung der Einfluss deiner neuen Mitstreiter oder ist das eine bewusste Entscheidung zu mehr Eingängigkeit? Anders gefragt: Wirst du alt?
Quatsch, alle anderen werden älter, ich aber werde stetig jünger. Das ist eine seltene Krankheit, da gibt es gerade auch einen Hollywood-Schmachtfetzen über das Thema. Tatsächlich ist die Mucke hauptsächlich unserem Gitarristen Zarc zu verdanken, der Fucker ist unser Hauptsongwriter und ich kann über sein Zeug noch so fies grölen, da bleibt immer so ein nerviger Rest an Melodie. Der Arbeitsprozess bei uns ist für mich recht neu, es ist so, dass Zarc den Song mit Gesangslinien bis in die Details fertig hat, wobei natürlich auch hier noch Änderungen durch gemeinsamen Input einfließen. Auch an der Phrasierung und Einbindung der gesungenen Wörter wird geübt, bis ich fast wahnsinnig werde.
Vladimir Harkonnen ist ja ein Schurke aus „Der Wüstenplanet“. Hat einer von euch das alles gelesen?
Ja, mehrere sogar! Ich habe neben dem „Dune“-Zyklus auch die gesamten Bücher von Herberts Sohn Brian und Kevin J. Anderson gelesen – ebenfalls empfehlenswert, allerdings mit weniger philosophischem Tiefgang. Witzigerweise kam gerade der Vorschlag für den Bandnamen von Nils, der die Bücher gar nicht kennt. Irgendwer warf „Harkonnen“ in den Raum und Nils sagte eher höhnisch: „Ja, genau, warum nicht gleich VLADIMIR HARKONNEN?“. Und wir anderen haben zu Nils Entsetzen sofort begeistert „Das isses!“ gebrüllt.
Frank Herbert hat ja in den Achtzigern IRON MAIDEN, die einen Song „Dune“ nennen wollten, eine Unterlassungsklage angehängt, weil er Rockmusik hasst. Habt ihr keine Sorgen, dass seine Söhne ähnlich reagieren?
Das war schon ein Klassiker, Herbert soll über seinen Verlag der Band mitgeteilt haben, dass er Rockmusik hasse, speziell Heavy Metal und ganz speziell IRON MAIDEN. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, ob das bei einem Eigennamen rechtlich möglich wäre, uns den verbieten zu lassen. Warten wir es ab, ob die das überhaupt mitbekommen und ob die das stört. Vielleicht gibt es einen großen Medienskandal und wir werden berühmt! Und dann ändern wir einfach die Schreibweise in VLADYMYR HARKÖNNEN.
Imre Kertész hat als Literaturnobelpreisträger den Namen zu eurer Scheibe beigetragen, wo ist der Zusammenhang zwischen seinem Essay und eurer Musik?
Es ist so, dass ich Kertész’ „Roman eines Schicksallosen“ gelesen hatte, was ich als provokative und anregende Lektüre empfand. Ich habe mich dann etwas mit Kertész beschäftigt und finde es faszinierend, wie dieser Mensch den deutschen Faschismus und später den Stalinismus in Ungarn erleben musste und sich in seinen Texten gegen beide ekelhaften Systeme wendet. Als Plattentitel fanden wir das passend, da klischeefrei. Fritte hat dazu mehrere Coverentwürfe gemacht, die seine Interpretation des Titels und die Essenz von Kertész‘ Aussagen darstellen. Man kann da einiges interpretieren, was wir geiler finden, als irgendein einfach schickes Cover ohne Aussage. Textlich haben wir kein Stück, welches sich direkt auf Kertész bezieht, aber mit totalitären Systemen befasse ich mich nicht nur aus beruflichen Gründen recht viel, was seinen Niederschlag auch noch deutlicher in den Texten finden wird.
Die Hardcore-Szene ist ja erwachsen geworden. Du bist Lehrer, wie verbindet sich denn dein linkes Weltbild und unangepasstes Aussehen mit dem doch eher konservativen Beruf?
Ja, ich habe im Grunde bereits vor der Gründung von BONEHOUSE auf Lehramt studiert und dieses Ziel nach ungefähr 15 Jahren schließlich erreicht. Ich bin in der Tat jetzt verbeamteter Pauker in den Fächern Geschichte und Deutsch am Gymnasium. Ich war sehr gespannt, ob ich irgendwann aufgrund meiner Aktivitäten mit meinen Bands Probleme bekomme, vor allem, weil ich mich nie in irgendwelchen Aussagen zurückgehalten habe hinsichtlich systemkritischer Inhalte. Und was soll ich sagen? Der Job macht viel Spaß! Erstaunlicherweise habe ich bisher nie Probleme bekommen. Das stimmt einen natürlich auch nachdenklich: letztlich scheint es in diversen Kollegien liberaler zuzugehen, als es alte Feindbilder gerne wahrhaben wollen. Zumindest in meinem Kollegium herrscht eine angenehme offene Atmosphäre. Es gibt sicherlich Berufe, die langweiliger sind und die auch in Sachen Klamotten deutlich mehr Konformität erwarten, auch wenn es natürlich nervige Seiten gibt und uns eine zunehmende Bürokratisierung und praxisferne „Reformen“ aufgedrückt werden. Ich will, das muss ich ganz klar sagen, aber niemanden indoktrinieren, provoziere natürlich in Oberstufenkursen gerne mal, aber mit starren ideologischen Dogmen habe ich nichts am Hut.
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