Heutzutage ist es nicht mehr leicht, eine Band wie THE UNSEEN zu finden. Die Bostoner zählen zu den wenigen Bands, die sich im Zeitalter von chartkonformen Emo- und Screamo-Bands sowie bei H&M leicht zu habender Punkrock-Mode noch immer auf das besinnen, was Punkmusik und die zu ihr gehörende Bewegung im Kern ausmachen: ungehobelter Streetpunk, der ehrliche Wut und nicht gespielte Frustration derjenigen ausdrückt, welche die Gesellschaft in der Tat hinter sich gelassen haben und ein Außenseiterdasein nicht nur vorgaukeln. Dabei sind THE UNSEEN keine, die früher alles besser fanden. Sondern solche, die eine klare, dennoch durchaus differenzierte Meinung zu den Veränderungen in der Szene haben. Das waren aber nicht meine einzigen Gründe, um mit der Band Kontakt aufzunehmen. Auch das neue Album, "Internal Salvation", das im Juli auf Hellcat Records erschien, bietet allen Grund zur Freude. Mit mehr Melodiegefühl als zuvor rotzt die Band dem Hörer in 14 packenden Songs ihren Alltagsfrust um die Ohren. Sie klagt an und reflektiert über sich selbst und schafft es, bei nahezu jedem Song einen für jeden Hörer nachvollziehbaren Alltagsbezug herzustellen. Sänger Mark nahm sich meiner Fragen per E-Mail an und beantwortete sie ausführlich.
Mark, du befindest dich im Moment auf der Warped Tour, die, wie Tourgründer Kevin Lyman schon Anfang des Jahres ankündigte, dieses Mal anders ist als zuvor. Bisher spielten ja im Wesentlichen Punkrock-Bands auf der Tour, während in diesem Jahr erstmals allerlei Metalcore-, Screamo- und Emo-Bands dabei sind, etwa KILLSWITCH ENGAGE, AS I LAY DYING und THROWDOWN. Wie fühlt ihr euch dazwischen als - im weitesten Sinne - echte Punkband?
Richtig, wir sind gerade auf der Warped Tour. Genauer gesagt, in Florida und ich sage dir, während ich hier vor dem Rechner hänge, schmelze ich, diese Gegend ist die verdammt noch mal heißeste in den USA! Wie dem auch sei, ja, in der Tat unterscheidet sich die Tour in diesem Jahr ein wenig von den vorherigen Touren, denn es sind sehr viel mehr Bands dabei, die diesen trendigen Screamo-Sound spielen, was mir persönlich aber völlig gleich ist. Die Warped Tour hat ja schon immer ein sehr vielseitiges Line-up gehabt, deswegen stoße ich mich auch nicht daran, dass dieses Jahr sehr viele dieser Bands dabei sind. Außerdem haben wir so die Möglichkeit, vor Menschen zu spielen, die THE UNSEEN noch nicht kennen. Und sollte jemand unsere Show mögen, der eigentlich wegen einer Screamo-Band zur Tour gekommen ist, dann haben wir sicherlich nichts dagegen. Von daher fühlen wir uns zwischen diesen Bands alles andere als schlecht, sondern machen unser Ding.
Denkst du, dass die Warped Tour für euch eine Chance ist, den Leuten eine Alternative zu bieten, ihnen durch euren Sound und eure Show die Ursprünge von Punk zu zeigen?
Ja, ich denke, dass es so ist. Wir nutzen größere Shows wie auf der Warped Tour, um den Kids zu zeigen, dass es mehr gibt, als diese ganzen Bullshit-Bands da draußen, die letztlich nur die Marionetten ihrer Labels sind und kreiert wurden, um Geld zu machen, und die Punk verharmlosen. Zwar haben auch wir ein gewisses Image, das gebe ich gerne zu. Aber wir haben es niemals bewusst geschaffen. Hinter THE UNSEEN steckt kein Konzept, kein Marketingplan, dessen oberstes Ziel der Profit ist. Unser Aussehen, unsere Kleidung und unsere Attitüde haben wir seit jeher und schon immer machen wir dadurch deutlich, dass wir kein Teil der Gesellschaft sein wollen. Derzeit gibt es aber zu viele Bands da draußen, die ihr Aussehen nur zum Geldverdienen nutzen, die nicht echt sind und nur vorgeben, kein Teil dieser Gesellschaft zu sein, es in Wirklichkeit aber sind. Bei uns bekommst du, was du siehst: raw, energetic music.
Du sprachst eine gewisse Verharmlosung von Punk an. Wie schätzt du generell die gegenwärtige Situation der Szene ein?
Verharmlosung ist genau das richtige Wort, um die Vorgänge der vergangenen Jahre zu beschreiben. In meinen Augen - und das ist im Wesentlichen meine Einschätzung der heutigen Szene - hat sich der Schockwert von Punk verflüchtigt. Ich meine, Sid hat Nazisymbole getragen und GG Allin hat seine Fans mit Scheiße beworfen. Das waren aus Sicht der Gesellschaft zwar schockierende Dinge, für Punk bedeuteten sie aber, dass genau diese Dinge schon ausprobiert worden waren und somit bei der Wiederholung durch andere Menschen keinerlei Schockwirkung mehr entfalten konnten. Zwar sind Sid und GG Allin extreme Beispiele, in ähnlicher Weise hat es sich aber mit vielen andern Dingen verhalten, zum Beispiel dem Färben von Haaren und den Tätowierungen. All dies schockt heute doch niemanden mehr. Früher habe ich mir immer gebrauchte Klamotten geholt und meine Haare mit Lebensmittelfarbe gefärbt. Heute gehst du ins Einkaufszentrum und holst dir die neuesten Punk-Klamotten und noch den passenden Haarschnitt dazu - das sind wesentliche Merkmale der Verharmlosung von Punk.
Wie bewertest du diese Verharmlosung?
Schwer zu sagen. Ich denke, dass echter Punkrock und die Punkbewegung immer noch relevant sind und es auch bleiben werden. Beides wird auch durch die Kommerzialisierung der Musik nicht abgetötet. Man muss aber zugeben, dass es heute sehr viel leichter ist als früher, ein Punk zu sein.
Mag sein, dass es leicht ist, heute Punk zu sein. Aber ist es auch leicht, von einer Punkband zu leben?
Es ist wirklich nicht leicht, von THE UNSEEN zu leben und mit den Trends, über die wir sprachen, ist es noch schwerer geworden. Von unserem erstes Album für Hellcat, "State Of Discontent", wurden zwischen 35.000 und 40.000 verkauft und von jeder Einheit bekommen wir in etwa einen Dollar achtzig. Okay, das klingt zunächst nach einer Menge Geld. Aber jetzt verteil das mal auf zwei Jahre und fünf Personen. Das macht weniger als 12.000 Dollar pro Jahr als Einnahmen aus Albumverkäufen. Sicherlich machen wir auch ein wenig Geld mit Tourneen und dem Merchandise. Aber du kannst das immer noch nicht mit dem geregelten Einkommen eines Nine-to-five-Jobs vergleichen. Klar, nach manchen Touren komme ich mit viel Geld nach Hause, aber nach anderen habe ich gar nichts, oder wir müssen sogar draufzahlen. Aber ein Leben mit THE UNSEEN ist mir definitiv lieber, als ein Leben mit einem normalen Job. Auch wenn das Leben nicht leicht ist, so ist es doch immer schöner, dein eigener Boss zu sein, als jeden Tag einen Job machen zu müssen, den du hasst.
Nun zeichnet sich ja immer deutlicher ab, dass der Verkauf physischer Tonträger verstärkt durch digitale Songdateien ersetzt wird. Wie habt ihr euch darauf eingestellt?
Du meinst, ob wir gemeinsam mit Hellcat eine Strategie entwickelt haben, wie unsere Musik durch die Download-Stores vertrieben wird und wie wir THE UNSEEN auf den ganzen neuen Websites wie MySpace, YouTube und so weiter bewerben können? So etwas haben wir nicht gemacht. Zwar kann man "Internal Salvation" auf vielen legalen Downloadsites kaufen, aber ich denke, dass sich das Gros unserer Fans physische Tonträger kauft und in legalen Downloads nicht wirklich eine Alternative zu einer LP oder CD sieht. Es bleiben jedoch diejenigen, die sich Musik illegal herunter laden und die sind der Grund, warum Tonträgerverkäufe den Bach runter gehen.
Wie siehst du also das Internet, ist es eine Chance oder eine Bedrohung?
Beides. Denn man kann das Internet weder als gänzlich positiv noch als gänzlich negativ betrachten. Sicher ist es mir lieber, wenn sich jemand unser Album kauft, als wenn er es sich illegal herunter lädt. Gleichzeitig sind aber Alben und Downloads nicht der einzige Weg, wie jemand eine Band wie THE UNSEEN entdecken kann. Ich meine, was ist, wenn sich ein Kid halblegal oder gar illegal unser Album zieht, uns mag, zur Show kommt und sich ein Shirt kauft? Dann hat er oder sie unsere Live-Musik unterstützt und uns auf diesem Wege unter die Arme gegriffen. Du siehst, es fällt mir schwer, hier ein finales Urteil zu fällen. Außer Frage steht aber, dass beispielsweise MySpace und YouTube eine großartige Möglichkeit sind, um Bands wie uns zu promoten.
Auf MySpace hast du ja kürzlich auch bekannt gegeben, dass du eine neue, zweite Band neben THE UNSEEN gegründet hast. Kannst du dazu etwas sagen?
Meine neue Band heißt ASHERS und ist ein Projekt, das ich zum Spaß gegründet habe, dennoch aber ernst nehme. Denn wenn ich im Herbst und Winter ein wenig Freizeit habe, werden wir ein Album schreiben, an dem schon drei Labels interessiert sind. Musikalisch wird es etwas härter werden als THE UNSEEN. Ich würde sagen, dass ASHERS wie eine Mischung aus MOTÖRHEAD und "filth sound" klingen.
Lass uns noch über das neue THE UNSEEN-Album "Internal Salvation" sprechen. Es ist weit verbreitet, euch als Mischung aus den CASUALTIES und ANTI-FLAG zu beschreiben. Wie siehst du das?
Wenn ich eines nicht mehr hören kann, dann diesen Vergleich! Mit beiden Bands sind wir wirklich sehr gut befreundet. Aber musikalisch sehe ich bei uns weder eine allzu deutliche Nähe zu den CASUALTIES noch zu ANTI-FLAG, denn textlich sind wir ganz anders als die CASUALTIES. Und textlich und musikalisch sind wir sehr viel härter und ungehobelter als ANTI-FLAG. Wir machen eben unser eigenes Ding und sind weder eine explizit politische Band wie ANTI-FLAG noch eine so krasse Punkband wie die CASUALTIES.
Welche Rolle spielt Depression für "Internal Salvation", ist es ein zentrales Thema des Albums?
Nein, eigentlich nicht. Dennoch kommt das Thema auf "Internal Salvation" stärker zum Ausdruck als auf unseren vorherigen Alben. Während wir die Platte geschrieben haben, steckten wir alle in mehr oder weniger beschissenen Situationen. Einige waren völlig pleite, andere durchlitten Beziehungsprobleme. Alle diese Dinge sind auf die eine oder andere Weise in die Texte eingeflossen, wodurch Teile des Albums sehr persönlich oder meinetwegen auch depressiv geworden sind. Davon abgesehen, hat sich aber textlich nur wenig verändert. Nach wie vor haben wir politische Songs auf dem Album, etwa "Left for dead" oder "Right before your eyes". Andere Stücke wie "Such tragedy" oder "At point break" beschreiben - wie auch einige Songs auf "State Of Discontent" - die Art, wie ich auf die Menschheit blicke, und dann erkenne, dass sie ganz schön im Arsch ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #50 März/April/Mai 2003 und Olli Willms
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #52 September/Oktober/November 2003 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #73 August/September 2007 und Lars Koch
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Selma Teksoy
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #44 September/Oktober/November 2001 und Jörkk Mechenbier