UNSANE waren und sind ein Phänomen, Überlebende aus den frühen 90ern, die in dieser Zeit mit „Unsane“ (1991), „Total Destruction“ (1993) und „Scattered, Smothered & Covered“ ihre besten Alben veröffentlichten, Meisterwerke des düsteren, bösen Noiserocks, zelebriert von einem Trio, dessen einzige personelle Konstante Gründungsmitglied Chris Spencer (Gitarre, Gesang) ist. Nach einer längeren „kreativen Pause“ meldeten sich UNSANE letztes Jahr in der altbekannten Besetzung – Dave Curran am Bass und Vinnie Signorelli an den Drums – mit einem aus CD und DVD bestehenden Best Of-Album zurück. Nach fünf Jahren war man auch mal wieder auf Tour, und vor ihrer wirklich begeisternden, absolut mitreißenden und brachialen Show im Kölner „Underground“ trafen wir Chris und Dave in beinahe schon ausgelassener Stimmung zum Interview.
Eure letzte Tour ist ja eine halbe Ewigkeit her. Da kann man als Band schnell mal in Vergessenheit geraten.
Dave: „Stimmt, und zwischenzeitlich hatten wir uns ja auch aufgelöst, für drei, vier Jahre. Wir hatten nach all dem ständigen Touren einfach Lust, mal was anderes zu machen. Chris zog nach Kalifornien, hatte dort eine neue Band namens THE CUTTHROATS 9, ich hatte und habe noch eine andere Band namens THE J.J. PARADISE PLAYERS CLUB, Vinnie spielte bei FOETUS ...“
Chris: „Na ja, das mit der Band war nur eine Ausrede, eigentlich verfolgte ich eine Karriere im Porno-Biz. Das war ganz schön hart, ich fing mir ‘ne Menge mieser Krankheiten ein, haha.“
Dave: „Chris kam dann nach New York zurück, und dann gab‘s die Band auch wieder, das ist schon alles.“
Und, war das einfach?
Dave: „Ja, und wir hatten die Pause einfach gebraucht.“
Chris: „Das ist wie mit dem Fahrradfahren, das verlernt man auch nicht, wenn man‘s einmal kann.“
Und es konnte sich auch noch jemand an euch erinnern?
Chris: „Wir hatten schon immer ziemliche Hardcore-Fans, so auf einem Underground-Level, und die haben uns nicht vergessen. Und es hat uns natürlich auch geholfen, dass ich durch die ganzen Pornos sehr bekannt geworden bin.“
Dave: „Long John Silver ist dir doch ein Begriff, oder?“
Natürlich! Als ich euch – damals noch in der alten Besetzung – Anfang der 90er auf der ersten Europatour zusammen mit SURGERY sah, war das noch eine ganze Szene. Damals war Amphetamine Reptile ein richtig großes, angesagtes Label, dessen Markenzeichen sehr noisiger Rock war. Heute gibt‘s das Label nicht mal mehr.
Chris: „Ja, stimmt. Tom hatte irgendwann einfach keine Lust mehr, und als sich dann die letzte Band aufgelöst hatte oder anderweitig untergekommen war, hörte er auf. Heute kümmert sich noch irgendwer um den Backkatalog, aber mehr geht da nicht mehr. Er hat in Minneapolis Kneipen und Restaurants und eine Firma, die ‚Zippo‘-Merchandise verkauft, das ist alles, was ich weiß.“
Ihr wart damals Teil einer Szene mit Bands wie HELMET oder den COWS, habt diesen lärmigen, noisigen, neuen Rock-Sound geprägt. Damals war das Underground, heute ist es schon beinahe Mainstream.
Dave: „Klar, das läuft auf einem ganz anderen Level. Vergleiche nur mal AmRep damals, wo in den besten Zeiten fünf Leute gearbeitet haben, und Relapse, unser heutiges Label, wo über 30 Leute arbeiten.“
Chris: „Relapse ist auf jeden Fall ein gutes Label, auch wenn wir die Tour ohne Merchandise absolvieren müssen – das ist bis heute nicht angekommen ...“
Dave: „Ja, aber daran ist UPS schuld. Jetzt liegen die Shirts am Kölner Flughafen, und wir haben nicht die richtigen Papiere, um sie abzuholen. Na ja, es sind sowieso nur noch vier Shows, wir sind ja schon zweieinhalb Wochen unterwegs.“
Und wie lief es bisher?
Chris: „Wir fingen in England an, und es lief echt sehr gut, nicht nur in London. Paris war auch klasse, das Publikum war sehr gut. Deutschland war okay, nur Lindau war enttäuschend, kaum Leute, aber es war auch ein Montag. Wir sind da mittlerweile echt verwöhnt, nach lauter Shows mit drei- vierhundert Leuten, gerade auch in Italien. Wenn dann nur 60 Leute kommen, fängst du schon an, an dir zu zweifeln: ‚Sind wir so scheiße?‘.“
Wir haben gerade im Auto eure Best Of-CD „Lambhouse“ gehört, und angesichts eures massiven, wühlenden Sounds fiel uns nur der Vergleich ein, dass sich eure Musik anfühlt, als ob einem jemand den Bauch aufgeschlitzt hätte und nun mit beiden Händen in den Eingeweiden herumwühlt.
Chris: „Wow – aber das passt. Schau dir mal das hier an! (Steht auf, schiebt das T-Shirt hoch und zeigt uns seinen Bauch, den quer über den Bauchnabel eine sicher 30 cm lange Narbe ziert.) There you go!“
Wieso die Best Of-CD? Sind eure Alben nicht mehr erhältlich?
Dave: „Nein, die alten Sachen sind alle out of print, und unser Label meinte, wir sollten irgendwas zu verkaufen haben. Also haben wir uns in einer Kneipe zusammengesetzt und diskutiert, welche Songs von welcher Platte wir nehmen.“
Wie lautet heute die musikalische Maxime von UNSANE?
Chris: „Zieh neue Saiten auf, spiel‘ Gitarre und schrei dir die Seele aus dem Leib. Mag sein, dass es so scheint, als gebe es für uns so was wie ein Konzept, aber das ist nicht der Fall. Es ist einfach das Ergebnis der Art, wie wir Musik schreiben.“
Dave: „Wir sind zusammen im Proberaum, jeder kann seine Ideen loswerden, wir fummeln die Teile zusammen, und was uns gefällt, bleibt dabei, der Rest wandert in die Tonne – ganz einfach. Wichtig ist mir, dass wir uns nicht selbst kopieren, denn diese Gefahr besteht durchaus, wenn man sehr lange mit den gleichen Leuten Musik macht. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber es gibt eben reihenweise Bands, die auf jeder Platte zwei, drei Songs haben, die klingen, wie welche von der Platte davor. Wir haben so was auch schon mal ansatzweise bei uns festgestellt, und dann gegengesteuert.“
Chris: „Schlimm ist es auch, wenn Bands ganz offensichtlich ihren Lieblingsbands nacheifern. Unser Ding ist das nicht, denn, haha, wir haben ja weder Idole noch Freunde. Von John Holmes mal abgesehen, haha.“
Ein roter Faden, der sich durch all eure Releases zieht, ist das immer sehr blutige Cover-Artwork. Und dann war da die 7“ auf Pandemonium Records, wegen deren Cover in Deutschland die Staatsanwaltschaft ermittelte.
Chris: „Oh, das Ding von den verrückten Franzosen! Ja, wir hatten das Cover nicht gesehen, bevor die 7“ erschien, sondern nur gehört, dass der Künstler sonst für Jean Paul Gaultier arbeitet. Wir dachten, da seien schicke Models oder so zu sehen, stattdessen ging‘s da ums Leichenficken. Wir waren schon etwas erschrocken, als wir das sahen, haha. Nein, ehrlich, wir finden das Cover auch eher übel. Ich meine, wir haben immer reichlich Blut auf den Covern, aber nicht Bilder wie eine schwangere Leiche, die gefickt wird. Echt, bei Leichenschändung hört bei uns der Spaß auf.“
Mit euren anderen Covern gab es nie Ärger?
Chris: „Wir hatten mit unseren Labels immer den Deal, dass wir im Falle, dass es Ärger gibt, die Kosten dafür tragen, die CDs in braune Papiertüten zu packen. Das war aber nie der Fall. Alle Cover, die ich bisher gemacht habe, sind auf ihre Weise subtil, deuten zwar etwas an, aber sind nicht sehr explizit. Und das Cover von ‚Lambhouse‘ ist sogar das bislang anschaulichste: ein Körper liegt leblos auf einer Treppe, um ihn herum literweise Blut.“
Hat mal jemand eure Cover für echt gehalten?
Chris: „Oh, teilweise sind die Fotos ja echt. Das von der ersten Platte, mit dem abgetrennten Kopf, ist ein Polizeifoto, und das von ‚Scattered, Smothered & Covered‘ ist von so einem Mexikaner. Das war wohl eine Tötung auf Verlangen, wo eine Mutter die kranke Tochter umgebracht hat.“
Dave: „Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass niemand gezwungen ist, unsere Platten zu kaufen. Wenn dir die Cover nicht gefallen, kauf die Platten nicht. Ganz einfach.“
Chris: „Meine Mutter und meine Großmutter wissen, was ich mache, und ich kann mich immer noch zu Hause blicken lassen.“
Und was ist mit einem neuen Album?
Dave: „Wir sind dran. Nach der Tour werden wir uns verstärkt ums Songwriting kümmern, und die Platte soll dann so im Herbst raus sein.“
Chris: „Noch vor unserer Pause hatten Dave und ich neun Songs geschrieben. Ein paar verwendete ich für THE CUTTHROATS 9, mit den restlichen beschäftigen wir uns jetzt wieder, dazu kommen ein paar ganz neue. Wir sind ziemlich schnelle Songwriter. Im Sommer müssten wir dann mit den Aufnahmen fertig sein, so dass die Platte im September erscheinen kann. Wenn Relapse aber will, dass wir schneller fertig sind, dann können wir auch schon früher mit allem durch sein, wir sind da sehr unkompliziert.“
Lässt euch die Band heute noch Zeit für andere Aktivitäten?
Dave: „Ja, aber wir können nicht von der Band leben. Immerhin müssen wir bei dieser Europatour nicht draufzahlen: Wir sind drei Wochen zusammen unterwegs, haben Spaß, bekommen zu essen. Und wenn ich in New York zurück bin, arbeite ich eben wieder als Tontechniker und gehe mit J.J. PARADISE PLAYERS CLUB auf Tour, und eine neue Platte haben wir auch. Und Chris ist auch immer beschäftigt, das Porno-Geschäft, du verstehst schon ...“
Jungs, vielen Dank.
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