Für den vierten Teil kehren wir zu einem Label zurück, das gleich in mehreren Kategorien für Coververbrechen antreten oder aber mehrere Folgen füllen könnte. Die Rede ist selbstverständlich von Mülleimer Records, aka A.M., aka Snake, aka Googlesdochselber. Das Label von Thomas Ziegler ist nicht nur Erfinder des Ultra-Hardcore-Siegels, der aufgedruckten Sparaufkleber, die wirklich jedes Artwork pimpten, weil man sie nicht abknibbeln konnte, es gehört auch zu den Spitzenreitern unter den Top-Recyclern und belegt für immer einen der Medaillenränge in der Kategorie „Was billig ist, soll auch ruhig billig aussehen“, denn auch die hatte er irgendwie mitkreiert.
Wer damals zu Gast in Böblingen und später in Holzgerlingen war, bekam unmissverständlich vor Augen geführt, dass man mit einem gewissen Stolz auf das Coverartwork seiner Veröffentlichungen blickte, denn sie zierten unübersehbar die Wände der Büroräume. Nun muss man allerdings zugeben, dass darunter auch einige echte Coverikonen schlummern, wie die INFERNO-LP, das ikonische „Schlachtrufe“-Design oder der NORMAHL-Adler, der aus der Feder des „Donald Punk“-Schöpfers stammte, aber darum geht es hier ja nicht. Wir picken uns lieber die fauligen Rosinen, die gammeligen Kirschen und die schimmligen Erdnüsse aus dem Glasschüsselchen heraus, weil das einfach viel mehr Spaß macht.
Zum Verständnis: Vieles aus dem A.M.-Repertoire (A.M. steht immer noch für Aktueller Mülleimer, klingt aber seriöser) hat einen bierseligen Ursprung und entstand wohl auch in einer Kneipe. Normalerweise ist man am nächsten Tag wieder nüchtern, hat die Hälfte bereits vergessen oder findet die Idee bei klarer Sicht dann doch nicht mehr so prickelnd. Gute Gründe, warum manch töfte Idee nie verwirklicht wird. Kein Hindernis für andere, die dort auch schon mal Songtexte für ihre Bands verfassen und schlüssige Erklärung für die eine oder andere „Schnapsidee“, die zur Verpackung von Tonträgern diente. Die „Stuttgart über alles“-7“ von NORMAHL ist wahrscheinlich eines der dreistesten aller Coverartwork-Rip-Offs der Punkgeschichte. Wir nehmen das farbige Cover einer unbekannten amerikanischen Band, überkleben für uns irrelevante Stellen mit eigenen Platzhaltern, malen „Stuttgart“ in ähnlicher Schrift über „California“ und lassen den Rest so, wie er ist. Wird schon niemand merken. Wenn doch, nennen wir es einfach „Hommage“. Der wahrscheinlich größte Verdienst von A.M. wird aber die Integration schmissiger Aufkleber als fester Bestandteil von Covern bleiben. Da hat der alte Sparfuchs doch glatt in die alte SSV-Trickkiste gegriffen und das, was andere mühsam als peppige Sticker auf vorhandene LPs für den Ramschverkauf kleben mussten, gleich mit dem eigentlichen Cover drucken lassen. Sieht immer noch beschissen billig aus und hält ewig. So zieren bei nicht wenigen Platten aus dem A.M.-Katalog knallgelbe Preislimits und Hinweise wie „LP zum Preis einer Maxi“ als Scheinsticker das Artwork, das ohne sie oft besser aussehen würde. Zum Glück besitze ich viele dieser Platten nicht oder nicht mehr. Manchmal muss man Platten einfach verleihen und sich dann mit der Person heillos verkrachen, damit man das Zeug irgendwie los wird.
HERBÄRDS „Eu! Se Bois“ (1984)
Nachdem sie schon in der letzten Folge dabei waren, bitte nicht mehr anrufen. Ein unglückliches Coverartwork, das über viele Jahre für unendliche Diskussionen gesorgt hat. Unnötige dazu, wenn man die Leute kannte, die auf dem Rückcover ausschließlich mit Nietenpunks zu sehen sind und zu 50% auch gar keine Stoppelfrisur tragen. Die in der beiliegenden zehnten Ausgabe von Der aktuelle Mülleimer abgedruckten Texte belegen, was man sich mit entsprechendem Vorwissen längst zusammenaddiert hatte. Tek, der vorher bei TRIEBTÄTER aus Stuttgart getrommelt hatte, war, ist und bleibt ein Guter. Damals die erste Oi!-LP hierzulande, die mit „Slips & Mieder“ einen Hit hat, der natürlich von den ADICTS geklaut oder adaptiert wurde. Warum das Cover so ausgefallen ist, lässt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf eine dieser grandiosen Ideen zurückführen, die man hat, wenn morgens um halb drei mit zwei Promille im Schädel ein Kuli auf einen Bierdeckel trifft. Irgendjemand hat einen Geistesblitz, alle nicken und vergessen den Quatsch, bis das fertiggedruckte Cover schließlich auf dem Tisch liegt. Das Backcover zeigt dann auch eindeutig in Richtung der Vorbilder, die ihre ersten Platten auch immer mit Fotocollagen auf der Rückseite gestaltet haben, nur dass die COCKNEY REJECTS mehr Bilder hatten und sich ein Vollfarbcover leisten konnten. Die Rejects konnten sich auch in ein deutlich besseres Studio einmieten als das No.1 in Pforzheim, in dem viele der frühen Mülleimer-Platten ihren charakteristischen Transparentsound erhielten. Die LP hing einträchtig neben der TIN CAN ARMY an der Bürowand, und ich habe den Verdacht, dass es eine Idee vom Chef höchstselbst war, ein paar Mark für die Sonderfarbe Gold locker zu machen.
V.A. „Ultra Hardcore-Power“ (1983)
Ein Prachtstück in der Sammlung, das mit einem dreisten Etikettenschwindel beginnt, denn so „Ultra Hardcore“ ist der Sampler gar nicht, auch die Power ging bei einigen Aufnahmen irgendwo im günstigen Studio verloren. INFERNO, BLUTTAT und CHAOS Z taugen immerhin für den Begriff Hardcore, der Rest aber keineswegs. Die Neigung zu abstrusen Zusammenstellungen ohne roten Faden zieht sich aber nahezu durch das komplette Labelprogramm und sollte daher niemanden wirklich wundern. Die Affinität von Thomas Ziegler für Comics beschert uns hier eine wunderbare Ansammlung aller Feinbildklischees, die Punk bis heute nicht mehr loslassen sollten. Stocksteif tanzende Bonzen, Pfaffen und Pogonazis bis hin zum Knüppelbullen und Totenkopfcop, der einem Punk das Hirn rausbläst. Mit 10.- bis 11.-Klasse-Stützkurs Kunst bekommt man so was problemlos hin. Durchpausen ist auch erlaubt, wie man am Pferd links unten zweifelsfrei erkennen kann, Pferde sind nämlich schwer! Für den zweiten Teil, der dann nicht mehr so ultra ausfiel, wurde wenigstens bei Bernie Wrightsons Comicadaption von George A. Romeros und Stephen Kings Film „Creepshow“ geklaut, weil der eindeutig besser zeichnen konnte als der Urheber dieses Artworks. Da wir damals aber nix hatten und uns die Bands wichtiger waren als die Plattenhülle, hat sich das Ding verkauft wie Bolle. Auf dem CD-Reissue übrigens mit einem dieser beliebten Bonus-Aufdrucksticker, die A.M. über viele Jahre ebenso kultiviert hat wie die nicht immer schlüssigen Extras, die hier aus einem Teil der CHAOS Z-LP bestehen.
V.A. „We Don’t Need Nuclear Force“ (1986)
Ein tatsächlich hochkarätiger Sampler, bei dem es angeblich sogar ein Coverkonzept von G. Horn gab. Dieses Science-Fiction-Motiv gibt allerdings Rätsel auf, denn was Steinzeitmenschen und Dinosaurier vor einem explodierenden Asteroiden oder Planeten mit dem Samplertitel zu tun haben sollen, erschließt sich wahrscheinlich einmal mehr nur mit viel Alkohol. „Bestimmt ist es der Weltuntergang.“ „Aber warum dann Steinzeitmenschen, die nachweislich die Ausrottung der Dinosaurier ein paar Millionen Jahre zuvor überlebt haben?“ „Du und deine Logik, nimm erst mal drei Bier und zwei Schnaps, dann diskutieren wir weiter.“ Eigentlich ein guter Sampler, mit einigen Bands aus dem Starving Missile-Roster, der schon alleine durch dieses außergewöhnliche Artwork und die Billigschriftart heraussticht. Nur echt mit der Bonus-7“ und dem Sticker in Frakturschrift.
PUNK AID „Punk Rock Party“ (1991)
Eine Maxisingle mit genau zwei Songs, auf der sich zugunsten der deutschen AIDS-Hilfe zahlreiche Vokalisten gegenseitig das Mikro vor die Kehle drücken. Für die musikalische Untermalung sorgen die HANNEN ALKS und für die Schülerzeitungszeichnung mit Farbstift und Kreide ein gewisser Marcus Zysk. Im direkten Vergleich sieht jede Platte von ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN glatt nach echter Malerei aus. Witzige Sprüche, Punker mit Werner-Nasen, alles, was man auf einer Platte irgendwie braucht, vor allem wenn es um so ein ernstes Thema wie AIDS geht. Der obligatorische Sticker ist wieder aufgedruckt und die auf der Rückseite abgedruckten Texte aus der Hochphase deutscher Sauf- und Feierlyrik strotzen nur so vor Fehlern. Hier kommt zusammen, was zusammengehört.
Auch schlimm, aber zum Glück nicht vorliegend: V.A. „Kampftrinker Stimmungshits Vol. 1“ bis Vol. ..., AUSBRUCH „Harte Zeiten“-Reissue auf CD (wunderbar), CHAOS Z „Die gnadenlosen Jahre 80-83“ mit dem Artworker, der auch die BUMS-Platten verbrochen hat, V.A. „Haste mal ’ne Mark?“, für das sich wahrscheinlich sogar Rock-O-Rama zu schade gewesen wäre.
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