Willkommen zu einer weiteren Reihe mit ungewissem Ende. Denken wir an Coverartwork, fallen uns sofort zig ikonische Plattencover ein, die so markant sind, dass sich über vierzig Jahre später noch immer T-Shirts, Tassen, Mützen, Topflappen und Aufnäher damit verscherbeln lassen. Es gibt etliche großformatige Bildbände mit nichts anderem als der Reproduktion dieser Artworks und sehr, sehr wenig Text. In den meisten Fällen schaut man sie sich genau einmal an, um sie dann repräsentativ im Regal zu versenken, schließlich kennt man die meisten der für uns relevanten Cover ja sowieso auswendig. Die Botschaft der meisten Punk-Coverkunst: Mit wenig ist sehr viel machbar, umgekehrt leider aber auch. Deswegen widmen wir uns fortan den Kellerkindern im Punk-Plattenartwork.
Es geht um die Cover, über die man nach vielen Jahren immer noch ungerne spricht und für die sich so manche ein eigenes gebastelt haben, weil das Original auf Dauer blind macht. Im Gegensatz zur Zigarettenindustrie ist leider noch niemand auf die Idee neutraler Umschläge gekommen, aber vielleicht fühlt sich ja jemand berufen. Inzwischen gibt es einige Internetgruppen, die sich bei Facebook und sonst wo im dunkelsten Darknet rund um dieses prekäre Thema zusammengerottet haben. Leider sind diese Gruppen keineswegs Punk-affin und haben eine Schlagzahl, bei der man schon lesend nur mithalten kann, wenn man keinerlei Broterwerb nachgehen muss. Wer sich einmal auf eine solche Gruppe eingelassen hat, weiß auch, dass der Reiz sehr schnell verloren geht, weil einige „Klassiker“ aus der untersten Schublade gefühlt jeden zweiten Tag neu gepostet werden und die Schwemme an Fake-Bildern, ob dank Photoshop oder KI (für die Minderbegabten), verdammt hoch ist. Statt die echten Probleme der Welt zu lösen, wird KI heute in erster Linie dazu benutzt, lustige Wunschbilder generieren zu lassen, was für sich genommen gar keine so schlechte Sache ist, denn so kommen sie immerhin nicht auf andere, noch dümmere Gedanken.
Warum lieben wir verdammt noch mal Vinyl so sehr? Weil nur dort das Coverartwork so richtig zur Geltung kommt und man ganz ohne Brille Augenkrebs bekommen kann. Ein furchtbares Cover hat übrigens noch keine wirklich gute Platte daran gehindert, sich tausendfach zu verkaufen. Ich möchte hier nur kurz die AMIGOS erwähnen, die einen wirklich auf jeder ihrer Scheiben mit versteinertem Lächeln (und der später obligatorischen Gitarre, die den verschollenen dritten Amigo ersetzt hat) anstarren, als wären sie gerade an der Autobahnraststätte ausgesetzt worden. Trotzdem verkauft sich ihr Zeug wie runtergesetztes Brot vom Vortag. Umgekehrt sagt natürlich auch das aufwändigste und künstlerisch wertvollste Artwork mit Spezialverpackung herzlich wenig über den künstlerischen Inhalt und seine Chartchancen aus, die Geschichte ist voll von Flops, bei denen wirklich an jede noch so winzige Kleinigkeit gedacht wurde, nur nicht an gute Musik.
V.A. Zivilcourage (LP, Schrägton, 1986)
Wir starten mit zwei Klassikern aus der unteren Schublade in der Bückwarenetagerie. Der erste ist so offensichtlich und verhasst, dass er bei der Frage nach den schlimmsten Covern nahezu unweigerlich fällt, sofern man die Platte kennt. So eine Trefferquote bekommt man in der Tat nur bei Dingen, die man kollektiv furchtbar findet. Die Rede ist vom „Zivilcourage“-Sampler von 1986, der mit einigen großen Bandnamen aufwarten kann, in Sachen Verpackung aber leider nicht überzeugt. Gezeichnete Cover haben im Punk eine lange Tradition, denn sie sind vergleichsweise billig. Natürlich denkt man sofort an die Begabteren unter den Pinsel- und Stiftschwingern, wie Pushead, Vince Rancid, Raymond Pettibon, Mad Marc Rude und andere, die es draufhaben, aber wir sind ja hier nicht in der Kunstgalerie, sondern im dritten Untergeschoss. Wenn alles Geld für das teure Studio draufgegangen ist, nehmen wir eben eine Zeichnung von einem Kumpel, der ein bisschen mehr Talent hat als man selbst, fertig ist das Elend. Es braucht keinen Fotografen, kein Setup, keine aufwändigen Repros für die Farbseparierung und manchmal auch niemanden, der so richtig zeichnen kann. Am Ende gibt es nur eine einzige, alternativlose Entscheidungsvorlage, ab geht’s in die Druckerei. Der Sampler sah damals schon so furchtbar aus, dass ich mir ein eigenes Cover gebastelt habe. Der Trick dabei ist, dass man das Original nicht wegwerfen sollte, um es später, wenn es einem egal geworden ist, wieder austauschen zu können. Ich finde meine in einer halben Stunde gebastelte Alternative heute immer noch besser, auch weil sie ganze zwei Farben hat. Musikalisch gibt es an der LP nichts zu mäkeln. EA80 liefern das grandiose „Kriegs 4-Pack“ ab, ÄNI(X)VÄX waren nie besser als hier, SCHLIESSMUSKEL, TARNFARBE und DIE WUT begeistern ebenfalls mit guten Songs, nur hinten und vorne sieht es aus wie in einem Schulheft der vierten Klasse. Was soll uns der Zensurmann mit der Halbglatze im Übungsraum sagen, der von einem Plattenspieler beschallt wird und sich einen Mittelfinger von einem Gitarristen mit drei Saiten abholt? Immerhin ist der Titelschriftzug ein leiser Vorgeschmack auf kommende Word-Art-Layouts, die uns in den Folgejahren noch häufiger begegnen sollten. Ich vermute stark, dass vieles dem Umstand geschuldet ist, dass es sich um die allererste Platte des Schrägton-Labels handelt (der noch zwei weitere folgen sollten) und man nach der Veröffentlichung sehr häufig „Ja, aber ...“ zu hören bekam. Bedenkenlos hätte ich seinerzeit jeweils fünf Mark gegeben, um die Gesichter der Bandmitglieder zu sehen, als sie die Belegexemplare das erste Mal aus dem Karton zogen. Ich weiß in etwa, wie perplex ich damals war, als ich die zehn LPs für meinen kleinen Vertrieb erhielt. Es dauerte sehr lang und kostete eine Menge Überzeugungsarbeit, um die letzten Exemplare loszuwerden, denn das Auge isst bei all den großen Namen trotzdem mit.
V.A. Wie lange noch ... (LP, Double A, 1985)
Nicht weniger schlimm, aber ein Jahr älter ist der „Wie lange noch ...“-Sampler auf Double A Records von Reiner Mettner, der das wirklich großartige A&P-Fanzine herausgab, das ein ordentliches Layout besaß und dank Offsetdruck auch zumindest Semiprofessionalität vermittelte. Die Heftcover waren prägnant und meist appetitanregend gestaltet, was man vom Cover des Labeldebüts nicht wirklich behaupten kann. Fangen wir hinten an: Auf dem Backcover gibt es ein sauberes handschriftliches Layout, so wie man es aus dem A&P-Fanzine und von Reiners Briefen kannte. Übersichtlich, klare Struktur, gut lesbar, viele altertümliche Emojis, das hätte ein wunderbares Frontcover im Stile der POP GROUP abgegeben. Aber nein, denn vorne ist die andere Seite. Dort sammelt ein krude gezeichnetes Kapitalistenstereotyp (stets mit Hut, Zigarre und Krawatte) aus einem Hamsterrad generiertes Papier- und Münzgeld wie Sterntaler ein. Die Zeichnung geht als hastig hingeworfenes Scribble durch, ist aber optisch so verkaufsfördernd wie ein schimmeliges Brötchen in der Auslage beim Bäcker. Die Strichführung wirkt, als ob jemand ganz schnell fertig werden wollte, weil die Wirkung von irgendwas rapide nachließ. Schnell noch die leere Fläche schraffiert, ab dafür. „Kann ich jetzt endlich fernsehen?“ Beim Durchblättern in einer Plattenkiste ist man an dieser Scheußlichkeit schneller vorbei als an einer Spinne, die im Keller über der Türe wohnt, ohne sich die Mühe gemacht zu haben, auf den tatsächlichen Inhalt zu schauen, bei dem mit TIN CAN ARMY, DIE WUT (vielleicht ziehen die das ja an, schließlich sind sie auf beiden Samplern vertreten) und PANDEMONIUM schon ein paar Zugpferde vertreten sind. Dazu gibt es ENOLA GAY, A.N.A.L., und das Steckenpferd von Reiner, nämlich VERDUN aus Frankreich, sowie andere, die einiges zu bieten haben. Jede Platte einzeln rausziehen, um sich sorgfältig das Backcover anzusehen? So was machen nur sehr wenige Menschen, und die haben meistens noch weniger Freunde, dafür aber viele Feinde, die hinter ihnen stehen, um an dieselbe Kiste zu kommen. Am Ende rettet auch das fette Beiheft nichts, denn das entdeckt man erst, wenn man die Platte bereits gekauft hat.
Zwei gute Beispiele, und derer gibt es gerade bei Compilations einige, für gezeichnete Cover, die zu gerne ein nichtssagendes, unscharfes Foto geworden wären. Vielleicht finden wir ja im Laufe der Zeit noch einige Geschwister, deren noch größerer Verbreitung einzig und alleine ihr Aussehen im Wege stand. Ich für meinen Teil weiß nur den Weg für die ersten vier bis fünf Folgen dieser Reihe, der Rest ergibt sich bei der Durchforstung meiner Plattenansammlung, die in den nächsten Monaten eine längst überfällige Ausdünnung erfahren wird, was zwangsläufig dazu führt, dass ich jedes einzelne Stück mindestens einmal in die Hand nehmen werde, manches davon mit Entsetzen. Also, auch wenn es jetzt einigen auf der Zunge brennt: nicht vorsagen!
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Grob lässt sich schlimmes Coverartwork
in vier Kategorien unterteilen:
1. Das Cover passt zum ebenso schrecklichen
Inhalt.
2. Der Inhalt steht konträr zur Verpackung.
3. Wäre das Artwork noch schlimmer
ausgefallen, würde es wieder passen.
4. Wenigstens kann man sich über die
Verpackung aufregen, die Musik ist egal.