UNARTWORK

Foto© by Karl Heinz Stille

Beurteile eine Platte nie nach ihrem Cover - Pt. 3

„Der Siggi hat jetzt einen Luftpinsel, der soll unser Cover machen!“ – „Du meinst Airbrush?“ – „Ja, genau!“ – „Kann denn der Siggi damit schon umgehen, weil so richtig gut zeichnen ging ja vorher auch nicht.“ – „Klar doch, kann er, ist ja eine ganz andere Technik.“ So oder so ähnlich liefen damals die Gespräche ab, wenn es um die Gestaltung eines Artworks mittels der revolutionären neuen Technik mit Sprühpistole und brummendem Kleinkompressor ging. Dieselben Gespräche wiederholten sich, als der Siggi oder die Ulla später ihr Tattoostudio eröffneten, was ganz neue Möglichkeiten für scheußliche Plattencover eröffnete, denn irgendwo muss das mangelnde Talent ja hin. Wäre dies hier ein Metal-Heft ließen sich alleine mit Airbrush-Covern aus der Legasthenikerzeichenhölle etliche Seiten füllen, allerdings wüsste ich dann nicht, wo ich anfangen sollte. Bleiben wir also lieber bei unserem Leisten, denn auch hier ist die Auswahl schon erheblich. Allen gemein ist, dass der Airbrush-Meister HR Giger bei den folgenden Beispielen im Grab rotieren würde.

DR. KNOW „Wreckage In Flesh“ (1988)
Die Platte wäre auch für eine Metal-Folge geeignet, denn auf der 1988er LP waren die Haare der Oxnard-Band schon deutlich länger und der Sound längst im Hardcore-Thrash angekommen, der gut aufgenommen ist und gar nicht mal so schlecht ausfällt. Klar machten das andere zu der Zeit schon deutlich besser, aber schlimm ist wirklich anders. Das Cover hingegen ist ein echtes Juwel an Hässlichkeit, das eine sehr seltene Gabe besitzt: Es wird schlimmer, je länger man es betrachtet, denn die Details machen den Unterschied zwischen gewöhnlich und extra schrecklich. Die Hexe mit den Knochenfingern, die einer Wasserhose entsteigt, in der einen Hand das Bandlogozepter, aus der anderen Hand Blitze und Plasma auf einen dreiköpfigen Höllenhund schleudernd, ist nicht nur knapp mit schwarzem Leder und Strapsen bekleidet, sie sieht auch so realistisch aus, wie eben es aussieht, wenn man beim Airbrush-VHS-Kurs nach den ersten beiden Stunden abgebrochen hat. Die Blitze zitieren sehr wahrscheinlich die zweite Platte, und die Frau entspricht dem Bandmaskottchen, das vier Jahre zuvor in perfekt gezeichnet auf der LP-Rückseite zu sehen war, so als ob sie ein farbenblinder Augenzeuge mit 5,5 Dioptrien beschreiben musste, der seine Brille verlegt hatte. Selbst das Bandlogo inklusive Spinne sieht dem Original so ähnlich, als hätte man alles bei Wish bestellt. Perfekt wird das Ganze aber erst durch die versinkenden McDonald’s Logos, die Atommeiler, die Mischung aus versinkenden Hochhäusern, die gleichzeitig auch irgendwie verbrannt werden wie das Gesicht rechts unten in der Ecke, und natürlich die herrliche Farbgebung. Also was nun? Fegefeuer oder Sintflut? Sieht ähnlich scheiße aus wie die ersten Mopedtanks, die von irgendwelchen autodidaktischen Ex-Knackis in den 1980er Jahren besprüht wurden. Bei dem Rocker auf dem Bike mit der Kinderzeichnung hat sich damals nur keiner getraut, was zu sagen.

V.A. „Hart aber herzlich“ (2002)
Meine persönliche Referenzscheibe, wenn es um Airbrush-Artwork geht, das vielleicht doch sehr gerne lieber nie gezeichnet worden wäre, damit es sich nicht schämen muss. Das Label korrekt-records stammt aus dem direkten Umfeld von AKTIVE NOTWEHR, wo auch deren erste Mini-LP erschienen ist, und wagt mit diesem Sampler etwas, das eigentlich nie so richtig gut geht, nämlich eine Mischung aus Punkbands auf der A- und wavigen bis poppigeren Tönen auf der B-Seite. Immerhin liefern die BOIKOTTZ und THE CROWDS sehr gut ab, wenn da nur nicht der Augenkrebs wäre. Immerhin lässt sich problemlos nachvollziehen, dass Airbrush auf Klebefolientechnik basiert, mit der man das abklebt, was man nicht besprühen will. Schön wird es dann, wenn man das mit dem Schneiden nicht so sehr sieht und runde Ecken auch rund sind und nicht eckig. Hat hier leider nur nicht geklappt. Dass aus einem Samplertitel wie diesem ein rosa-blaues Herz mit herausgebrochenen Stücken entsteht, ist irgendwie so naheliegend, dass man problemlos auch selber hätte draufkommen können. Die gesetzten Highlights auf dem leicht eckigen Herz entsprechen exakt dem, was man sieht, wenn man volle Möhre gegen einen Türrahmen gelaufen ist, also hochrealistisch. Ich kenne Sparkassen-Sampler, die ein ähnliches Artwork hatten, weil der Sohn des Filialleiters sich ein paar Mark dazuverdienen musste. Rund wird die Sache durch das erotische Räkelfoto von Covergirl Simone, deren Telefonnummer als einzige nicht auf dem beiliegenden Poster mit den Kontaktdaten aller vertretenen Bands abgedruckt ist. Wie gut, dass auf dem Frontcover vermerkt ist, dass es sich um einen LP-Sampler handelt, kommt schon keiner auf die Idee, dass er sich gerade eine 7“ kauft, die dann verdammt lange läuft.

SS DECONTROL „Break It Up“ (1985)
Zweifelsohne die zweitschlechteste Platte von SSD, was mit dem Coverartwork immerhin ein Rundum-glücklich-Paket ergibt. Musikalisch nicht ganz so schrecklich wie die „How We Rock“-LP, aber auf dem besten Weg dahin, mit außerordentlich viel Gegniedel. 0% Hardcore, 100% Hardrock, bei dem jemand ganz viel Gitarre geübt hat, um sich bei jeder Gelegenheit darauf einen von der Palme zu wedeln. Manche Songs haben sogar zwei Soloparts, schrecklich. Aber hier geht es ja weniger um Inhalte, sondern um die Verpackung, und die kann sich sehen lassen. Abrissbirne mit Spikes, die an einem Gitarrenhals hängt, zertrümmert Hochhaus. So weit, so gut und trivial passend zum Titel. Die Blitze, die aus der Abrissbirne schießen, stammen sehr wahrscheinlich von elektrostatischer Ladung, die bei Reibung an einem Gebäude eben entsteht. Hättest du mal in Physik aufgepasst, statt aus dem Fenster zu starren. Da das Gebäude eigentlich intakt aussieht, fragt man sich, ob der Abriss so seine Richtigkeit hat oder ob nicht die Bruchbude nebenan (nicht im Bild) gemeint war. Die herrlichen Lichtreflexionen in den Scheiben, die nicht so ganz zum bewölkten Himmel passen, setzen sich zum Glück auch in der Bruchstelle fort, weil das ganze Gebäude von innen leuchtet. Durch das geschickte Umschiffen von Mensch und/oder Monster kann man auch nicht über ungelenke Gestalten mit abnormer Muskulatur meckern, clever!

HERBÄRDS „Wakos“ (1986)
So hätte die erste LP aufgenommen werden müssen, aber wir hatten ja damals nix, schon gar keine Studios ohne Hippies mit mehr als acht Spuren. Zwei Jahre nach „Eu! Se Bois“ klingen die HERBÄRDS deutlich gereifter und eben ordentlich produziert. Wäre da nicht das Cover, das so aussieht, als hätte es das gratis zu einem anderen dazu gegeben, nämlich zum Artwork von ANGEL DUST und deren „Into The Dark Past“, die zufällig im selben Jahr auf A.M. erschienen ist. Ja genau, das Label, das mit Peter Ehrenfelds Rat Records eng verbandelt war. Die Parallelen sind einfach zu groß, um sie zu übersehen. Beide Artworks haben inhaltlich nicht wirklich etwas mit den Platten zu tun, gab es aber wohl als fertige Arbeiten, Bandname und Titel drauf, fertig. Mich würde brennend interessieren, wie die rote Vampirzora und das anatomische Kriegerwunder damals der Band als verkaufsförderndes Artwork aufgeschwatzt wurde. Auch hier erkennt man wunderbar die Klebekanten der Folie, quasi Kunst zum Nachvollziehen. Die künstlerischen Freiheiten im Bezug auf den praktischen Schildschmuck (ein Hirschgeweih, wie cool, bestimmt sehr praktisch im Nahkampf) und die Oberkörpergestaltung, bei der der Kopf ganz ohne Hals irgendwie auf der linken Schulter sitzt, sind irgendwie auch ein ziemlicher Eyecatcher, wenn man es genau nimmt. Hat man es einmal bemerkt, lässt es einen nie wieder los, dass da irgendetwas so nicht stimmen kann. Sehr schön finde ich hingegen die versteckte Botschaft, dass auch Linkshänder:innen fiese Kämpfer sein können, und setze daher meine ganze Kohle auf die Amazone.

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Grob lässt sich schlimmes Coverartwork in vier Kategorien unterteilen:
1. Das Cover passt zum ebenso schrecklichen
Inhalt.
2. Der Inhalt steht konträr zur Verpackung.
3. Wäre das Artwork noch schlimmer
ausgefallen, würde es wieder passen.
4. Wenigstens kann man sich über die
Verpackung aufregen, die Musik ist egal.