TURBO A.C.'S

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Alle töten!

Seit Ende der Neunziger begleiten mich die TURBO A.C.’s aus New York City bereits, ihre Mischung aus Punk, Rock’n’Roll und Surf begeisterte mich mit jedem Album aufs Neue, und live erwies sich die Band um Kevin „KC“ Cole immer als Garant für mitreißende Auftritte – und die Bandmitglieder als supernette Menschen. 1996 erschien ihr erstes Album „Damnation Overdrive“, seitdem kam alle zwei, drei Jahre ein neues hinzu – und dann war es seit 2006 und „Live To Win“ still geworden um die New Yorker. Ich wusste, dass KC sich mit Jesse Malin von D-GENERATION als Partner in NYC den Traum von einer Punkrock-Pizzeria erfüllt hatte, da musste die Band schon mal hintenanstehen, dennoch ... Aber Entwarnung, im Frühjahr kündigt ihr neues Label Concrete Jungle ein neues Album an, „Kill Everyone“, das siebte, und das nahm ich zum Anlass, Kevin zu interviewen – es ist das siebte Interview für’s Ox ... Der sitzt zum Zeitpunkt unseres Telefonats in Portland, OR im Hotel, die Band ist mitten in einer fünfwöchigen Tour durch die USA und Kanada. Die TURBO A.C.’s sind auf dem Album wie bei dem zuvor Kevin Cole (git, voc), Tim Lozada (bs, voc), Jer Duckworth (git, voc) und Kevin Prunty (dr), wobei letzterer live berufsbedingt eine Auszeit nehmen muss.

„Kill Everyone“ fordert der Titel eures mit einem blutrünstigen Cover geschmückten neuen Albums. Ich dachte, du wärest älter, ruhiger und weniger wütend geworden ... Was ist geschehen?

Hm, ich weiß auch nicht ... Ich glaube, ich bin einfach etwas wütend. Und ich wollte diesmal ganz direkt sein. In den letzten Jahren ist eine Menge passiert in unseren Leben, da kann sich jeder mit so einem Titel, so einem Album-Thema identifizieren. Ich hatte ursprünglich die Idee, zwei Alben zu machen, eines mit langsamen, eines mit schnellen Songs, doch dann arbeitete ich an dem Song „Kill everyone“ und mir kam die Erleuchtung, das zum Thema des Albums zu machen. Je mehr ich mich mit dem Konzept beschäftigte, desto mehr Ideen kamen mir.

Ein schönes Thema: Bring alle um.

Nun ja, das ist ja nicht wörtlich zu nehmen. Jeder von uns muss in seinem Leben eine Menge Scheiße ertragen, und die Wut darüber ist es, die manchen in Richtung Punkrock treibt. Anstatt durchzudrehen und mit einer automatischen Waffe die nächste McDonald’s-Filiale zu stürmen und das Feuer auf zufällig dort Anwesende zu eröffnen, schreiben wir eben ein Album über das Thema. Und die Leute kommen zu unseren Konzerten, wir haben Spaß und merken, dass wir in dieser manchmal beschissenen Welt nicht ganz alleine sind mit unserer Wut. Mit der gleichen Attitüde schaut man sich doch auch irgendwelche Gangsterfilme an – was übrigens auch wieder passt, denn die TURBO A.C.’s haben schon immer Referenzen zu Filmen gehabt, in der Musik, im Artwork, im Coverartwork. Und wer weiß, vielleicht machen wir ja auch eines Tages einen Film-Soundtrack.

Wie kommt es, dass dich von jeher eher die dunkle Seite des Lebens inspiriert und das die Themen der Band bestimmt? Andere Bands schreiben Songs übers Verliebtsein oder rufen zur Rettung der Wale auf.

Mal ehrlich, könntest du dir solche Songs bei uns vorstellen? Könntest du dir vorstellen, dass wir uns nach fünf Jahren mit einem total poppigen Album zurückmelden, produziert von einem angesagten Produzenten, der uns am Ende auch noch gesagt hätte, dass wir auf dem Album keine Ausdrücke wie „fuck“ und „shit“ verwenden sollen? Unmöglich! Nein, unsere Freunde haben lange auf dieses Album gewartet, und da war klar, dass es die TURBO A.C.’s in ihrer pursten Form zu Gehör bringen muss – ohne Bullshit, ohne Poserscheiße, ohne Sellout. Sellout, das Wort hat viel von seiner Bedeutung verloren in den letzten Jahren, aber genau darum geht es: Du machst als Band etwas, worauf du keine Lust hast, wovon du aber denkst, dass es dich weiterbringt, dann verkaufst du dich. Wir hatten mal mit dem Mainstream geflirtet, 2003 mit „Automatic“. Da arbeiteten wir mit Blag Dahlia von den DWARVES – ein echt netter, guter Kerl – und nahmen in Hollywood auf, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das alles nicht unsere Welt ist. Blag gab uns eine Menge Tips der Art „Wenn ihr wirklich Erfolg haben wollt, solltet ihr das so und so machen“, aber ich merkte, dass mir das widerstrebt. Ich mache doch Kunst, um uns darzustellen, wie wir sind. Produzenten sind dann gut, wenn sie die Qualität deiner Arbeit steigern, aber nicht, wenn sie die Funktion eines Zensors ausüben.

Damit kannst du nicht Blag meinen. Der erste Song des neuen DWARVES-Albums hat den Refrain „Let’s get high and fuck some sluts!“.

Haha, nein, Blag ist ein Guter. Ich spielte ihm unser neues Album vor und er meinte, das klänge wie T.REX auf Pillen. Ich habe das als Kompliment aufgefasst.

Euer letztes Album „Live To Win“ erschien 2006. Was hast du die letzten fünf Jahre gemacht?

Tja, was habe ich gemacht ... „Live To Win“ kam raus, und dann habe ich irgendwie den Faden verloren. Nachdem das Album erschienen war, eröffnete ich zusammen mit Jesse Malin von D-GENERATION in New York eine Pizzeria. Jesse hat schon lange eine Bar in New York, und als die Pizzeria nebenan schloss, hatte er die Idee, da selber eine zu eröffnen. Seinen Geschäftspartner aus der Bar kannte ich auch, beide waren gute Freunde von mir, und sie fragten mich, ob ich den Laden nicht führen wolle. Die Idee gefiel mir, so was wollte ich immer schon mal machen, aber ich hätte alleine nie das Geld dafür gehabt. Mit den beiden Jungs als Partnern aber schien das möglich. Das Problem, wie sich bald herausstellte, war die wirklich hohe Miete von 11.000 Dollar. Wir wussten, dass es nicht einfach werden würde, aber wir waren der Meinung, es schaffen zu können. Dass ich dabei nicht reich werden würde, war mir auch klar, aber es klang nach einer coolen Idee, um in der Zeit, in der ich nicht toure, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wir hatten viele coole Ideen, ließen uns die Pizzakartons von Arturo Vega und Bob Gruen designen, es lief den ganzen Tag gute Musik, es sollte ja eine Punkrock-Pizzeria sein. Na ja, da fing das Problem dann auch an, denn meine Geschäftspartner fanden das nicht so gut, und auch nicht die Idee, als Personal vor allem Punkrocker einzustellen, um dem Laden ein entsprechendes Rock’n’Roll-Ambiente zu verpassen, damit er nicht aussieht wie jede andere langweilige Pizzeria in Manhattan auch. Anfangs schien es so, als könne das funktionieren, doch dann schafften wir es nicht, eine Ausschankgenehmigung zu bekommen, und ohne Alkoholverkauf stimmt die Kalkulation einfach nicht, und der Wettbewerb ist hart geworden in New York. Klar kann man sagen, ich hätte mich ja auch etwas verbiegen können, auf den Punkrock-Faktor verzichten, vielleicht wäre dann der Laden erfolgreicher gewesen, aber das konnte ich nicht. Nach zwei Jahren war der Laden dann am Ende, ich bin ausgestiegen, das war echt frustrierend, und zugleich war ich total ausgepowert. Ich war richtig im Arsch, deprimiert, und Drogen nahm ich in der Folge von all dem auch noch, so dass ich es kaum schaffte, morgens aus dem Bett zu kommen.

Das klingt nach einer ganz ordentlichen Lebenskrise.

Ich brauchte eine ganze Weile, um wieder klarzukommen und die Dinge wieder ans Laufen zu bringen, auch mit der Band. Und diese ganze Erfahrung spiegelt sich natürlich in den Songs von „Kill Everyone“ wider. Immerhin bin ich aus der ganzen Restaurant-Aktion nicht mit immensen Schulden rausgegangen, habe nur meine Investition verloren. Es war eine Erfahrung, die ich nicht missen will, und wir haben in der Nachbarschaft dort auch einen guten Eindruck hinterlassen. Das East Village von New York war mal eine Künstlergegend, jetzt dringen da mehr und mehr große Firmen und Ketten ein, das verändert das ganze Viertel. Es gibt in New York heute kaum noch Läden, die vom Inhaber geführt werden. Und mit der Band ist es ganz ähnlich: Wir wollen unser Ding machen, ohne uns von jemand anderem beeinflussen zu lassen. Ich will nichts machen, woran ich nicht zu 100% glaube – daran hat sich bei mir mit dem Alter nichts geändert. Und ich denke, dass das viele unserer Fans genauso sehen, weshalb wir auch heute noch ein Publikum haben – und das ist schön.

Stand die Band in der Zeit, da du anderweitig ausgelastet warst, jemals zur Debatte?

Nein, der Gedanke kam mir nie in den Sinn. Es war eher so, dass ich mir sagte „Nächste Woche habe ich sicher Zeit, um mal wieder ins Studio zu gehen“, doch irgendwas kam immer dazwischen – und irgendwann waren zwei Jahre meines Lebens wie im Schnelldurchlauf vergangen. Ich stürzte mich dann zusammen mit meinem Bassisten Tim in die Arbeit am neuen Album, wir schrieben zig Songs, und suchten dann die besten aus. Mit 15 Songs ist es für unsere Verhältnisse auch ein recht langes Album. Das Schöne war, dass wir ohne jeden Druck am Album arbeiten konnten, es gab keinen Termin, zu dem wir das abliefern mussten. Ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden damit.

Ein fertiges Album – und kein Label? Euer altes deutsches Label Bitzcore existiert nicht mehr – wie seid ihr an Concrete Jungle gekommen, wer macht die Platte in den USA?

Wir waren Ende 2010 in Europa auf Tour, ohne Album, ohne Label, ohne Promotion, doch wir zogen das durch, um zu zeigen, dass es uns noch gibt. Matze von Concrete Jungle sah uns in Berlin, wir unterhielten uns, er erzählte, dass er die TURBO A.C.’s seit 1998 auf jeder Tour gesehen hat – und dass er gerne das neue Album rausbringen würde. Ich hörte nur Gutes über sein Label, wir klärten die Details, und alles war klar. In Nordamerika kommt unser Album über Stomp Records aus Montreal, Kanada. Letzteres hat den Vorteil, dass wir jetzt erstmals auch in Kanada wahrgenommen werden, und außerdem hat Stomp einen guten Vertriebsdeal mit Warner, so dass man unsere Platte überall bekommt. Letztlich hat sich also alles zum Guten gewendet.

Sprechen wir über das Artwork des Albums: Auf dem Cover sieht man eine Frau mit TURBO A.C.’s-Tattoo am leicht geöffneten Kofferraum eines alten Cadillacs stehen. Sie hat einen blutigen Schraubenschlüssel in der Hand, aus dem Kofferraum ragt eine blutige Hand, das Heck des Autos ist blutverschmiert. Im Booklet dann finden sich Fotos, die jedes Bandmitglied mit reichlich Blut als Mordopfer darstellen. Das alles erinnert mich an die legendären Splatter-Cover der New Yorker Noiserocker UNSANE, und der Name von deren Chris Spencer taucht auch in der Thankslist auf. Doch Überraschung: „Photos by Kevin Cole“ steht im Kleingedruckten.

Also die Sache mit Chris Spencer und seinen Einfluss kann ich aufklären: Chris und ich wohnen zusammen, entsprechend habe ich UNSANE-Plattencover- und -Artwork zu Hause immer vor Augen. Die Foto-Sessions an sich sind dann eine ganz andere Geschichte. Ich wollte die ursprünglich nicht selbst machen. Geplant war eine Session mit dem Model, das auch auf dem Cover von „Avenue X“ zu sehen ist – meine Ex-Freundin. Aber dann war es aus zwischen uns, und damit war auch die Coveridee erledigt. Bald darauf spielten wir beim Las Vegas Shakedown-Festival, und dort kam ich mit einem Pin-up-Model namens Lorraine ins Gespräch, die sich als langjähriger TURBO A.C.’s-Fan outete. Sie sagte, sie kenne den perfekten Fotografen für dieses Projekt, Andy Hartmark, einen angesagten Pin-up-Fotografen. Die Idee gefiel mir, auch wenn das stilistisch sicher anders werden würde, als ich mir das eigentlich vorgestellt hatte. Ein alter Freund bei Lucky 13 Clothing versprach mir, ein Auto für die Session zu besorgen – den gleichen Cadillac, der im Film „Meine liebe Rabenmutter“ verwendet wurde. Das klang großartig, ich flog zum Shooting nach Kalifornien, alles lief gut – und dann rückte der Fotograf die Fotos nicht raus, weil das Model sich mehr für mich als für ihn interessiert habe ... Tja, das war’s dann, und ich war total angepisst.

Und was hast du dann gemacht?

Ich habe ein paar Freunde in New York angerufen, mir einen Cadillac besorgt und wir machten das Fotoshooting direkt bei mir um die Ecke, in Chinatown, mit der Manhattan Bridge im Hintergrund. Und ich fotografierte. Diese schmale Gasse hatte ich von Anfang an beim Coverkonzept im Sinn gehabt. Die Mordszenen im Booklet habe auch ich fotografiert. Ich fragte meine Bandkollegen, wie sie am liebsten umgebracht werden würden, und diese Szene inszenierten wir dann.

Und wie entstand das Foto von dir in einer Blutpfütze?

Per Selbstauslöser. Ich bin ja kein Profifotograf, aber wenn man eine Vision hat und eine Idee, wenn man weiß, was man will, dann bekommt man das auch umgesetzt. Mit Musik, mit jeder Art von Kunst, ist es doch so, dass perfekte handwerkliche Fähigkeiten gar nichts bringen, wenn man keine Vision von dem hat, was da entstehen soll. Und an Ideen und Visionen mangelt es mir nicht, weshalb ich auch denke, dass es noch ein paar TURBO A.C.’s-Alben geben wird. Und ich bin dankbar, dass wir als Band so viele Unterstützer haben, Leute, die an uns glauben, uns helfen – unsere Fans. KISS hatten die Kiss Army, TURBONEGRO die Turbojugend – und wir haben die TURBO A.C.’s Mafia, hahaha.

Der heute von dir kultivierte Look und Style wurde dir aber nicht, nun ja, in die Wiege gelegt, denn in jungen Jahren warst du Skinhead.

Ich bin mit 14 von zu Hause abgehauen, lebte als Punkrocker auf der Straße. Das war Mitte der Achtziger, als Punks und Skins noch miteinander klarkamen. Ich interessierte mich dann immer mehr für Oi!-Musik, und mit 15 spielte ich bei den ANTI-HEROES Schlagzeug. Ich rasierte mir den Schädel, lebte den Skinhead-Kult, doch heute sind mir meine Haare auf dem Kopf ganz recht, denn ich habe echt keinen schönen Schädel. Als Teenager war die Skinhead-Szene meine Familie, doch später dann wurde es immer unschöner in der Skinhead-Szene in den USA, der ganze Rassismus-Scheiß kam dazu, es artete immer mehr zu einem Bandenkrieg zwischen Nazi-Skins und antirassistischen Skins aus – da war nichts mehr mit „united“ und Familie. Und so beendete ich diese Phase meines Lebens, wobei ich die Musik von damals immer noch schätze – das alles ist eben Teil meiner Jugend. Mich zog am Skin-Sein an, dass es eine elitäre, exklusive Sache war, dort dazuzugehören. Und die Musik war im Grunde simpler Rock’n’Roll, der auf Chuck Berry zurückgeht.

Lars Frederiksen von RANCID hat in jüngerer Vergangenheit mit den OLD FIRM CASUALS Oi! für sich entdeckt – die entgegengesetzte Entwicklung.

Lars kenne ich gut, der kam in New York immer zu mir zum Pizza essen, wenn er dort seinen Sohn besuchte. Lustig, dass der jetzt diese Entwicklung durchmacht – ich jedenfalls werde meine Haare behalten.

Und was steht für die nächste Zeit an?

Mal schauen ... Im Oktober und November kommen wir wieder nach Europa, und irgendwie reizt mich der Gedanke, eine Punkrock-Pizzeria in Hamburg St. Pauli zu eröffnen ...