Die 1989 in Chapel Hill, North Carolina gegründeten SUPERCHUNK haben ihr 13. Album „Wild Loneliness“ als erstes in ihrer Bandgeschichte komplett zu Hause eingespielt. Nicht ganz freiwillig, versteht sich. Frontmann Mac McCaughan erklärt, wie es dazu kam, und spannt dabei den musikalischen Bogen zu teilweise weit zurückliegenden SUPERCHUNK-Aufnahmen.
Aufnahmetechnisch musstet ihr dieses Mal ganz andere Wege gehen, als ihr es gewohnt seid. Wie genau ist das gelaufen?
Ich hatte Ende 2019, Anfang 2020 damit begonnen, an neuen Songs zu arbeiten, und ursprünglich wollten wir ganz normal im Studio aufnehmen. Dann kam erst mal der Lockdown. Wir hatten danach für April/Mai ein Studio angemietet, aber selbst da erschien es noch nicht sicher genug, in Innenräumen lange mit vielen Menschen zu arbeiten, und niemand wusste wirklich, wie lange das noch so weitergehen würde. Ein paar Songs hatten wir schon geschrieben und in meinem Proberaum zu Hause aufgenommen, anschließend hat sich jeder die Demos angehört und Jon Wurster kam zu mir und hat seine Schlagzeugparts eingespielt. Er saß drei Meter entfernt und wir haben beide Masken aufgehabt, haha. Und so haben wir das nach und nach alles gemacht, Jim Wilbur kam auch vorbei und hat seine Gitarrenparts eingespielt, nur unsere Bassistin Laura Ballance hat ihre Parts bei sich zu Hause eingespielt, weil ihr Ehemann Toningenieur ist und sie das problemlos dort aufnehmen konnte. So ist am Ende die ganze Platte entstanden. Wir wollten aber auf gar keinen Fall, dass sich das nach Homerecording anhört, also haben wir es woanders abmischen lassen. Das mache ich sowieso grundsätzlich so, ganz unabhängig davon, wo ich aufgenommen habe, gemischt wird es an einem anderen Ort. Wir haben es an Wally Gagel nach Los Angeles geschickt und er hat es in seinem Studio abgemischt. Mit ihm hatten wir schon mal 1995 bei „Here’s Where The Strings Come In“ zusammengearbeitet. Das ist noch immer eines unserer am besten klingenden Alben, deswegen haben wir Wally zugetraut, auch unsere Homerecordings gut klingen zu lassen. Und das hat er dann auch, keine Ahnung, was genau er gemacht hat. Wir haben Mixe hin und her geschickt und unsere klanglichen Wünsche an ihn weitergegeben. Wenn du so arbeitest, dauert das natürlich alles viel länger als sonst, wenn du gemeinsam in einem Raum sitzt und einfach sagen kannst, dreh das doch mal auf oder dreh das ein bisschen runter. Wenn du das alles ständig per Mail schicken, es dir anhören und Notizen machen musst, kann das schon ein ziemlich frustrierender Prozess sein. Aber im Endeffekt sind wir sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Ob das in der Form vor ein paar Jahren möglich gewesen wäre?
Hm, gute Frage. Mein Aufnahme-Equipment war ein komplett anderes, nicht so gut wie das jetzt. Dann war es auch längst nicht so einfach, große Dateien auszutauschen. Also es wäre zumindest sehr viel schwieriger gewesen.
Ihr konntet jetzt auch nicht touren und die Songs live austesten.
Ja, das war auf jeden Fall die längste Tour-Pause, die ich bislang mit SUPERCHUNK hatte. Songs live auszuprobieren, ist natürlich immer der Königsweg, du lernst einfach unglaublich viel über ein Stück, wenn du es vor Publikum spielst. Das konnten wir in diesem Fall tatsächlich nicht. Ein paar Songs habe ich noch vor der Pandemie auf einem Solo-Akustik-Konzert spielen können, aber als Band konnten wir sie leider noch nicht live spielen. Wir haben sie noch nicht mal alle zusammen gespielt, haha. Das ist schon ziemlich verrückt, jetzt müssen wir unsere eigenen Songs erst lernen, bevor wir 2022 auf Tour gehen.
Wie habt ihr die Zwangspause sonst in musikalischer Hinsicht genutzt?
Als es losging, habe ich gerade an einem Soundtrack für den Netflix-Film „Moxie“ unter der Regie von Amy Poehler gearbeitet. Das hat mir in den ersten Monaten, in denen man ja auch wirklich fast gar nichts machen konnte und quasi nirgendwo hinkam, eine sinnvolle Aufgabe im Studio gegeben. SUPERCHUNK pausierten solange, weil wir auch noch keine Ahnung hatten, wie es weitergehen würde, ob wir vielleicht doch noch zusammen für das Album ins Studio können. Dann habe ich einige Zeit ein Live-Konzert, das ich mit Mary Lattimore gespielt habe, editiert. Mary spielt Harfe und wir haben ein paar improvisierte Duette aufgenommen. Ich habe eines dieser Konzerte zu einer Platte mit dem Titel „AVL“ verarbeitet, die ich dann selbst herausgebracht habe. Die Idee, dass wir „Wild Loneliness“ überhaupt komplett zu Hause aufnehmen können, stammt von einem anderen Projekt. Organisiert hat das ein lokaler Club hier in North Carolina namens Cat’s Cradle, die einen Sampler zusammenstellten, um ihre Verluste während des Shutdowns auszugleichen und die Menschen bezahlen zu können, die dort arbeiten. Wir haben dafür ein Cover des THE GO-GO’S-Songs „Can’t stop the world“ beigesteuert und jeder hat seine Parts zu Hause aufgenommen. In Jons und Jims Fall war es tatsächlich in erster Linie nur mit einem Mikrofon, das irgendwie mit dem Laptop verbunden wurde, das war also alles andere als Hightech. Und als das im Ergebnis okay war, wurde uns bewusst, dass das mit dem Album auch auf diesem Weg funktionieren könnte. Ansonsten habe ich, wenn ich nicht gerade im Studio gearbeitet habe, viel Zeit mit meiner Familie verbracht, Filme geschaut, wir haben uns Dinge zum Mittagessen ausgedacht, die wir nicht schon mindestens fünfzigmal gegessen haben, haha, und ich bin mit meinen Hunden im Wald spazieren gegangen – all das, was manchmal vielleicht auch einfach zu kurz kommt und mich nebenbei auch davon abhält, total durchzudrehen.
War das für SUPERCHUNK im Endeffekt eine gute Sache?
Es ist ja schon lange nicht mehr so wie in den Neunzigern, als wir sechs Monate im Jahr getourt sind. Es hat jedenfalls definitiv zu einem interessanten Album geführt, sowohl klanglich als auch aufnahmetechnisch. Eine Tour-Pause hätten wir allerdings nicht wirklich gebraucht, ich bin gespannt, wie wir da in Zukunft wieder den Anschluss finden werden.
Ist so vielleicht auch zumindest zeitweise eine Art neues Gemeinschaftsgefühl entstanden?
Ein Weg, mit der Pandemie klarzukommen, war in irgendeiner Form in Kontakt mit anderen zu bleiben. Viele haben Zoom entdeckt, Dinge ihres Alltags mit anderen über verschiedene Plattformen geteilt. Für mich und uns als Band ergeben sich auf diese Weise Möglichkeiten, mit Personen zusammenzuarbeiten, mit denen wir noch nie gemeinsam in einem Raum waren, und trotzdem hat man das Gefühl, gemeinsam etwas entstehen zu lassen. Das gilt sowohl für mein jüngstes Solo- als auch für das neue SUPERCHUNK-Album.
Die Assoziation „Hoffnung“ drängt sich beim Anhören des Albums auf, das Wort wird aber eigentlich nie explizit ausgesprochen.
Ich habe bewusst versucht, das Wort „Hoffnung“ aus dem Album herauszuhalten, es erschien mir einfach zu offensichtlich, wenn es um den Umgang mit der Zukunft geht. Das ist weit komplexer als Hoffnung.
Würdest du da eher „Abenteuer“ ins Spiel bringen?
Das war jedenfalls etwas, das uns allen im Lockdown sehr gefehlt hat. Selbst wenn es nur darum ging, irgendwie drei Stunden im Auto zu fahren, um an den Strand zu gehen oder so. Diese spontanen Dinge braucht mein Hirn einfach und das hat mir in dieser Zeit unglaublich gefehlt. Mich frei bewegen zu können. Musikalisch habe ich mich dafür als Ausgleich ein wenig austoben können, indem ich ein paar Dinge ausgetestet habe.
Du spielst auf dem Album hauptsächlich Akustikgitarre, was dem Ganzen einen leichten, luftigen Touch gibt. Wie kam es dazu?
Die Idee hatte ich eigentlich schon, bevor wir mit den Aufnahmen zu dem Album begonnen haben. Ausschlaggebend dafür war „AF (Acoustic Foolish)“ von 2019, die akustische Version unseres „Foolish“-Albums von 1994, die wir anlässlich des dreißigjährigen Band- und Merge Records-Jubiläums 2017 unmittelbar nach dem sehr lauten „What A Time To Be Alive“ eingespielt hatten. Wir haben es hauptsächlich live im Studio mit akustischen Gitarren aufgenommen, Laura hat dabei wie üblich E-Bass gespielt und Jon ganz normal Schlagzeug. Ich fand es eine gute Idee, einer recht lärmigen und punkigen Platte ein verhalteneres, akustisches Album folgen zu lassen. Also habe ich die Songs hauptsächlich auf der akustischen Gitarre geschrieben und das wurde letztlich die Ausgangsbasis für das komplette Album. Als wir dann auch noch mehr oder weniger eingesperrt waren, ergab das in meinen Augen noch viel mehr Sinn. Wenn ich in diesem kleinen Raum zu Hause bin, kann ich zwar auch laute Gitarren aufnehmen, aber es macht es unglaublich schwierig, die Energie einer lauten Rockband einzufangen, so allein zu Hause, haha. Für mich hat Akustiksound da einfach besser gepasst, Jim spielt E-Gitarre und ich vielleicht ein-, zweimal auch bei einem Solo oder so, aber in meinen Augen haben wir da eine gute Balance gefunden. Als wir angefangen haben, an dem Album zu arbeiten, habe ich eine Playlist für den Rest der Band zusammengestellt, damit alle eine Ahnung davon bekommen, in welche Richtung ich dabei denke. Einige meiner Lieblings-Pop- und -Rock-Alben, die auch viel mit Akustikgitarren arbeiten. GO-BETWEENS, EVERYTHING BUT THE GIRL oder REPLACEMENTS zum Beispiel, sogar ein paar RAMONES-Songs oder Robyn Hitchcock. Wir werden uns natürlich nie wie diese Bands anhören, aber es half dabei, der Sache ein paar andere Texturen zu geben.
Das ist gelungen. Auch das Artwork von „Wild Loneliness“ ist recht ungewohnt ausgefallen.
Jede Möglichkeit, über Farah Al Qasimi zu sprechen, nehme ich gerne an, haha. Sie ist die Fotografin, die das Coverfoto von der Ziege im Plastikspielhaus aufgenommen hat. Auf der Suche nach einem Covermotiv fielen mir ihre Bilder ein, weil ich eine ihrer Ausstellungen recht früh in der Pandemie online entdeckt hatte. Vor Ort konnte ich leider nicht sein, weil sie in New York ausgestellt hat. Ich hatte mir damals auch gleich einen Bildband mit ihren Fotos gekauft, der ist wirklich großartig. Ich bin irgendwie immer wieder zurück zu diesem Foto mit der Ziege gekommen, der Hintergrund dazu war mir zu dem Zeitpunkt gar nicht bekannt, es war einfach so markant. Als wir dann die Platte fertig und uns für einen Namen entschieden hatten, war dieses Foto mit dem im Haus eingesperrten Tier einfach seltsam passend. Wir haben uns viele Fotos angeschaut, die wir ziemlich cool fanden, die aber entweder zu speziell oder zu kalauernd oder zu offensichtlich waren. Dieses Foto hingegen spricht mich an und ist gleichzeitig ein wenig kryptisch. Es ist nicht zu 100% eindeutig. Farah Al Qasimi hat mir später erzählt, worum es ihr bei diesem Bild eigentlich ging: Es erzählt von dem Aufwachsen in den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem kindlichen Bedürfnis danach, sich selbst interessante Welten zu erzeugen, sich eine Art Fluchtmöglichkeit zu schaffen. Das hat für uns sogar noch mehr Sinn ergeben, obwohl wir es erst erfahren haben, nachdem wir uns schon für das Foto entschieden hatten.
Im Endeffekt muss sich ja auch jeder seinen eigenen Reim darauf machen.
Ja, ich bin wirklich gespannt darauf, wie die Leute auf das Album reagieren werden. Hoffentlich wird da nichts falsch verstanden. „City of the dead“ war zum Beispiel einer der Songs, die ich noch vor dem Lockdown geschrieben habe, und ich war ein wenig besorgt, dass ein Song mit diesem Titel, nachdem so viele Menschen gestorben sind, ein wenig zu düster sein könnte. Aber um die Pandemie geht es darin eigentlich nicht, er ist ja noch davor entstanden. Drei oder vier Songs gab es schon, der Rest wurde dann später zu Hause geschrieben. Im ersten Lockdown war ich tatsächlich glücklich, an dem „Moxie“-Soundtrack arbeiten zu können, weil ich in dieser Zeit einfach überhaupt keinen einzigen Song zu Papier bringen konnte. Ich habe es versucht, es aber etwa sechs Monate lang nicht geschafft. Ich denke, viele Menschen haben ähnliche Erfahrungen gemacht, es ist, als würde sich dein Gehirn einfach weigern. Ich bin echt erleichtert, dass ich dann irgendwann wieder neue Songs schreiben konnte, haha. Und ich freue mich, dass die Leute da draußen sie sich in Kürze anhören können. Hoffentlich können wir auch bald wieder Konzerte geben, wir haben schon Termine angesetzt, die werden hoffentlich auch stattfinden. Das ist ja alles gerade schwer vorherzusehen. Falls das wieder nicht funktionieren sollte, müsste man sich vielleicht ein paar Gedanken über Online-Events machen.
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