© by Karo Schäfer

Positiv negativ

Die Kalifornier bieten auf ihrem siebten Longplayer giftigen, hemmungslosen Deathcore. Dieser transportiert gleichzeitig eine lockere Attitüde und eine positive Aussage. Anders formuliert: SUICIDE SILENCE trumpfen mit „Remember ... You Must Die“ abermals groß auf und belegen neuerlich ihre Relevanz.

„Wir haben die Band in sehr jungen Jahren gegründet und seither so viel erlebt“, holt Gitarrist Mark Heylmun aus, um sich dem thematischen Kern des neuen Albums anzunähern. „Am Anfang war alles wild und aufregend. Inzwischen sind Gedanken zur Zeit an sich und zur Sterblichkeit der größte Einfluss auf das, was wir tun. Es ist ein Fakt, dass wir alle irgendwann sterben werden. Den konkreten Zeitpunkt kennen wir allerdings nicht. Entsprechend wissen wir nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt. Man lebt ja nur einmal. Schon als Mitch noch Teil der Band war, haben wir nicht an morgen gedacht. Wenn ich heute darauf zurückblicke, wundert es mich fast, dass wir noch am Leben sind – mit Ausnahme von Mitch natürlich. Unsere Mentalität war schon immer darauf ausgerichtet, das Beste aus dem Hier und Jetzt zu machen. Das bestimmt unsere Musik und Aktivitäten als Band. Gefühlt gilt das für neunzig Prozent aller Kunst, denn Fragen nach Leben und Tod sind nun mal allgegenwärtig. Wir sind da keine Ausnahme. Im Metal liegt das aufgrund all der Aggression und Brutalität ohnehin nahe.“

Der tragische Unfalltod des früheren Frontmanns Mitch Lucker jährte sich im November 2022 zum zehnten Mal: „Ich bin erst zwei Jahre nach Mitch zur Band gestoßen“, erklärt Mark rückblickend. „Bis zu seinem Tod waren wir dann sieben Jahre zusammen bei SUICIDE SILENCE. Das liegt inzwischen lange zurück. Vielen ist es nicht bewusst, doch unsere Band existiert inzwischen schon länger ohne als einst mit Mitch. Das relativiert nicht, was wir gemeinsam mit ihm geleistet haben, ist aber dennoch Fakt. Heute sind wir eine andere Band, die nicht in der Vergangenheit verharrt – auch wenn uns die Erinnerung an ihn begleitet.“ Der Titel des siebten Albums ist hinsichtlich seiner Stoßrichtung dann auch positiv und bestärkend auszulegen: „Es kommt natürlich darauf an, wie man selbst gepolt ist und wo man steht“, sagt der Gitarrist. „Wer etwas Angepisstes und Extremes sucht, weil er weiß, dass er ohnehin sterben wird, ist bei uns richtig. ‚Remember ... You Must Die‘ lässt sich aber auch auf andere Art und Weise interpretieren. Viele Menschen beschäftigen sich erst dann mit dem Tod, wenn ihnen nahestehende Menschen sterben oder sie von einer unheilbaren Krankheit erfahren. Die einen werden sich ihrer Sterblichkeit bewusst und erstarren. Die anderen freuen sich darüber, dass sie noch nicht an der Reihe sind, und kosten ihr Leben fortan aus. Abhängig davon, welchen Zugang man findet, lässt sich ‚Remember ... You Must Die‘ in Richtung dieser Pole auslegen. Dabei darf man nicht vergessen, dass SUICIDE SILENCE schon immer positiv negativ waren. Wir wollen Songs mit positiver Energie veröffentlichen, aber natürlich bedarf es in unserem Fall vieler negativer Zutaten, damit wir diese in etwas Positives verwandeln können. Wir nehmen all das Schlechte und verkehren es in sein Gegenteil. Darum geht es doch im Leben. Wir alle sind am Arsch und müssen das Beste daraus machen.“
Das tun die kalifornischen Musiker auf ihrer neuen Platte, indem sie gleichsam bissige wie unterhaltsame Songs vorlegen. Immer wieder tritt dabei auch ein Nu-Metal-Einschlag zutage: „Der Nu-Metal-Vibe begleitet unsere gesamte Karriere. Er ist mal mehr, mal weniger offensichtlich“, kontert Mark. „Chris Garza, unser anderer Gitarrist, ist ein riesiger Nu-Metal-Fan, was sich unweigerlich auf sein Songwriting auswirkt. Warum auch nicht? Wichtig ist, dass man seine Leidenschaft auslebt und ehrlich bleibt. Es geht nicht darum, Musik schreiben zu wollen, sondern darum, Musik schreiben zu müssen. Nur wenn das der Fall ist, werden Songs richtig gut. Dann kann es auch passieren, dass der Vibe von KORN, SLIPKNOT oder COAL CHAMBER mit einfließt, ohne dass die Songs offensichtlich nach ihnen klingen. Ihr Vibe funktioniert auch in einem anderen, unserem Bedeutungszusammenhang. Für den Bereich des klassischen Metal gilt übrigens dasselbe. Ich selbst feiere AC/DC, BLACK SABBATH, Ozzy und METALLICA ab und auch ihr Einfluss ist in unseren Tracks zu spüren, wenn man genau hinhört. Unser neues Album weist für mich sogar einen sehr deutlichen Einschlag des klassischen Metal auf. Beides ist Teil unserer DNA.“

SUICIDE SILENCE sind eine Gruppe, die diverse Einflüsse miteinander verbindet, ihr eigenes Ding durchzieht und nicht mehr zum Glücklichsein braucht: „Es ist nicht so, dass ich auf einer einsamen Insel ohne Verbindung zur Außenwelt lebe, aber in vielfacher Hinsicht verhält es sich fast so“, erzählt der Gitarrist lachend. „Jenseits unserer Touren gehe ich kaum mehr zu Shows und bin insgesamt nicht mehr so involviert wie früher. Aus kreativer Perspektive bin ich nach wie vor stark an unserer Szene interessiert, denn ich will weiter viele neue Songs schreiben. Doch ich muss nicht mehr jede neue Veröffentlichung hören oder wissen, was gerade vor sich geht. Es spielt für mich auch keine Rolle, wie unsere Band gerade angesehen ist und ob wir hoch oder niedrig im Kurs stehen. Diesbezüglich spielt sicherlich die Reife des Alters eine Rolle. Früher war mir so etwas noch wichtig. Doch mal ehrlich: die Songs schreibe ich so oder so. Was spielt es also für eine Rolle, ob ich bezüglich des Umfelds und der Deathcore-Szene auf dem Laufenden bin oder nicht? Für uns gibt es eingespielte Routinen. Wir wissen, wie wir die Dinge angehen wollen. Alles, was wir tun, muss authentisch und pur sein, denn wir wollen hinter dem, was wir tun, auch stehen können und uns nicht verstellen. Unser neues Album ist Deathcore, keine Frage, doch kennst du noch jemanden, der so klingt wie wir auf ‚Remember ... You Must Die‘? Darum geht es. Wir wollen nach SUICIDE SILENCE klingen und als wir erkannt werden. Das ist unser Weg und zeichnet unsere Band aus.“