Fünfzehn Jahre sollte es dauern, bis ich endlich in diesem Jahr die STAGE BOTTLES live erleben konnte, während sich die Frankfurter längst über die europäischen und subkulturellen Grenzen der Punk- und Skinhead-Szene hinaus einen Namen gemacht haben. Als S.H.A.R.P.-Band ("Skinheads Against Racial Prejudice") 1993 gegründet, wurden bislang vier Alben sowie diverse (Split-)Singles und EPs auf den deutschen Labels Mad Butcher und Knockout in verschiedenen Besetzungen veröffentlicht. Im September ist nun das fünfte Studioalbum "Mr. Punch" auf Knockout erschienen. Grund genug, um mich mit dem dienstältesten Gitarristen Marcel und dem Sänger, Saxophonisten und Gründungsmitglied Olaf in seiner Frankfurter Wohngemeinschaft zu treffen, um Mr. Punch mal Klartext reden zu lassen.
Wie war die Resonanz auf die neue Platte bisher und wie lief die Tour?
Marcel: Durchweg positiv. Frankreich war genial. In Madrid hatten wir das beste Konzert.
Olaf: Sehr erfreut waren wir von den Zuschauerzahlen unter der Woche. Sehr bewegend war das Erinnerungskonzert in Bordeaux für den 18-jährigen Ken, der drei Monate vorher erstochen wurde. Seine Eltern haben daraufhin eine Stiftung gegen sinnlose Gewalt gegründet. Sie waren auf dem Konzert und teilten uns mit, dass ihr Sohn ein großer STAGE BOTTLES-Fan gewesen war. Da "Solidarity" auf der Beerdigungsfeier gespielt wurde, war das live dann so was wie ein positiver Zusammenbruch. Auf alle Fälle eine krasse Erfahrung.
Wie entstanden die Figur und das Plattencover-Konzept "Mr. Punch"?
Olaf: Beim Rumzappen stieß ich auf eine amerikanische Kasperletheatershow, im Englischen "The Punch and Judy show". Da wurde von Mr. Punch gesprochen und die Kinder riefen "Hey, hey, hey!" Großartig, dachte ich, die totale Verharmlosung, mit der man aggressiv umgehen kann.
Bekommt ihr als offen antifaschistische Band immer noch Drohungen von den Nazis?
Marcel: Die letzte große Geschichte war in Belgien, in Flandern, in der Nähe des Castellane. Das Castellane ist in der unpolitischen und rechtsextremen Skinhead-Szene eine sehr beliebte Kneipe. Der Betreiber ist bekennendes Blood & Honour-Mitglied. Von dort kamen gezielt Drohungen für das Konzert in der Lintfabriek.
Olaf: Einen Tag vor diesem Konzert hing ein Zettel an der Tür. Sollte das Konzert stattfinden, würde man den Laden abfackeln. Passiert ist nichts. Das zweite Mal in Belgien war ich als Sänger bei den PORTERS eingesprungen. Es waren ein paar Faschos im Publikum und ich konnte meinen Mund nicht halten. Später am Abend wurde ich von fünfzehn Leuten zusammengetreten. Im Internet gab es dann ein großes Hin und Her. Die Diskussion hat sich so hoch geschaukelt, dass es hieß, die STAGE BOTTLES würden nie mehr in Flandern auftreten. Wir sagten uns: Jetzt erst recht. Die Antifa aus Antwerpen hat uns später kontaktiert, weil ein generelles Problem dieser Art in Belgien existiert. Schließlich standen an diesem Abend 200 Leute rum, darunter auch Punks, die nicht einschritten. Es wurde ein Konzert veranstaltet, bei dem wir unter anderem mit BRIGADA FLORES MAGON spielten. Die brachten Leute aus Frankreich, wir aus Deutschland mit. Es passierte nichts. Es knistert immer wieder mal etwas.
Beschreibt mal eure musikalische Entwicklung über all die Jahre.
Olaf: Anfangs waren wir ein Haufen Kumpels. Außer mir - durch die BLAGGERS in England - hatte damals niemand Bühnenerfahrung. So gesehen war das erste Album erstaunlich gut. Mit der Zeit und den Wechseln wurden die Musiker auch konstanter. Auf der Bühne wurde es entspannter. Seit einigen Jahren setzen wir unsere Ideen viel besser um. Unsere Musik ist interessanter und vielschichtiger geworden.
Marcel: Nachdem Alex, Gründungsmitglied und Gitarrist, uns verlassen hat, kam Daniel dazu. Unser Gitarrenspiel ist ähnlicher und deshalb klingen die Songs melodischer. Genschi und unser heutiger Bassist Kimba bauen mit dem Schlagzeuger zusammen ein richtig gutes Fundament, auf dem sich gut Gitarre spielen lässt.
Olaf: Die STAGE BOTTLES hatten früher eine aggressivere Ausstrahlung. Früher haben wir die Sau rausgelassen und uns auf den eigenen Konzerten gekloppt. Manche Persönlichkeiten fehlen eben auf der Bühne. Früher war es anders - hatte auch was. Heute sind wir zwar aggressiv und kritisch, gleichzeitig aber auch Musiker.
Gab es nicht zuletzt durch all die Besetzungswechsel irgendwann einen Punkt, die Band hinzuschmeißen oder musikalisch etwas zu verändern?
Olaf: Musikalisch nie. Wir haben nie darüber nachgedacht, wonach wir klingen. Das kommt oder nicht. Es gab aber durchaus mal Momente, in denen ich dachte, dass es so nicht weitergeht.
Marcel: Es gab einen Schlüsselmoment bei einem Konzert in München, im Feierwerk, 2001.
Olaf: Da war die Harmonie in der Band alles andere als okay. Schlagzeuger und Bassist haben sich nicht verstanden. Die Band hatte sich aus einer Gang mit gemeinsamem Umfeld entwickelt, und diese Homogenität war nicht mehr da.
Marcel: Danach haben Frank und Genschi angefangen ...
Olaf: Leute, die wir empfohlen bekamen, uns gleich mit ihnen verstanden, zwar überhaupt nicht kannten, die weder Skinhead noch Punk waren, aber Bezug zur Musik und zur Band hatten. Jetzt sind wir wieder an einem Punkt, wie am Anfang, an dem wir alle gemeinsam am Album gearbeitet und auf Tour nie wirklich gestritten haben. Jeder hat einen gewissen Anspruch an sich selbst. Jeder macht mit, was auch nicht immer so gewesen ist. Jeder von uns bringt den nötigen Ehrgeiz und das Engagement mit. Jeder weiß, was er macht, auch wenn die Leute aus etwas anderen Szenen, wie Fußball, Punkrock oder Skinhead, kommen.
Was ist aus der S.H.A.R.P.-Bewegung geworden?
Olaf: Als das in Frankfurt und Berlin entstand, war die Notwendigkeit noch eine ganz andere. Die Auseinandersetzungen mit den Rechten verliefen viel aggressiver, weil diese damals noch ihre Freiräume hatten. S.H.A.R.P. hat uns damals bestärkt. Irgendwann relativierte sich das alles mit Ausnahme von Ostdeutschland, wo S.H.A.R.P. nie wirklich so verbreitet war wie in Westdeutschland auf Scooterruns, Ska-Konzerten, Soulnightern. Es dauerte ein paar Jahre, bis das Vertrauen vorhanden war und Bands wie COCK SPARRER sichergehen konnten, dass es bei ihren Konzerten keine Massenschlägereien zwischen den Leuten gab, da jetzt den Fascho-Glatzen klar war, dass nun auch jede Menge Skinheads da sein würden. Momentan macht sich eine Art Bequemlichkeit breit. Ich trage heute auch keine S.H.A.R.P.-Sachen mehr. Man wird älter und die Sache ist ja mittlerweile ausgefochten. In Frankfurt wird man als Glatze eh nicht dumm angeguckt. Ansonsten trägt man "Gegen Nazis"-Aufnäher.
Marcel: Ein bisschen hat es auch damit zu tun, dass R.A.S.H, Red And Anarchist Skinheads, größer geworden ist. Diejenigen, die sich früher als S.H.A.R.P. gezeigt haben, engagieren sich heute noch mehr politisch.
Meine Theorie ist, nachdem das Skinzine Skintonic/Skinup eingestellt wurde, ist es ganz schnell still um S.H.A.R.P. geworden.
Olaf: Interessanter Gedanke. Mit den anderen Faktoren kann das natürlich eine Rolle spielen. Das Skinup war großer Unterstützer dieser Szene.
Marcel: Nun gibt es ja noch das Moloko Plus, das relativ breit gefächert ist, aber nicht den Status wie das Skinup hat.
Warum bewegt sich die Skinhead-Szene eigentlich lieber in melancholischer Nostalgie von 1969 als im Heute?
Marcel: 1969 ist das Gründungsjahr der Skinhead-Bewegung. Skinhead-Reggae wurde nur zwischen 1968 und 1972 veröffentlicht. Das war die erste und ist für viele die echte Skinhead-Musik geblieben. Man kriegt sehr selten neue Sachen zu hören, wie jetzt die AGGROLITES. Nach so etwas wird gezielt gesucht. Außerdem ist es stilmäßig derzeit wieder extrem in Mode, all die Klamotten aus der Zeit auszugraben. Und Firmen wie Jump The Gun spezialisieren sich auf diesen Stil.
Olaf: 1969 ist der Wendepunkt und der Beweis, dass es damals neben weißen auch schwarze Skinheads gab. Die Bands bestanden meistens aus schwarzen Musikern. Man versucht nachzuvollziehen, wie das alles entstanden ist. Für mich als erklärten Linken klingt das Working Class-Gehabe absolut hohl, wenn das Leute in den Mund nehmen, die überhaupt nicht wissen, was sich dahinter verbirgt. Wer weiß denn schon, was die damalige Arbeiterklasse wirklich empfunden hat? Zudem steht es als Gegenstück zu den National Front-Skins in England, Ende der 60er Jahre. Und irgendwie ist es natürlich auch die Sehnsucht nach diesem intensiven Gefühl jedes Anfangs. Wir sind heute auch nicht mehr durch und durch Skinhead. Dafür sind wir zu alt und haben in der Zwischenzeit genug andere Erfahrungen gesammelt. Wir können ja nicht immer noch die Persönlichkeit wie vor zwanzig Jahren haben.
Hat der ANGELIC UPSTARTS-Klassiker "Solidarity", den ihr covert, heute noch, oder wieder, Bedeutung für eine "Working Class"?
Olaf: Wir reden von den Arbeitern im Allgemeinen. Natürlich existiert da eine gewisse Sozialromantik. Wenn ich dieses Stück auf Konzerten ansage, frage ich die Leute immer, ob sie genug für ihre Arbeit bekommen. Dafür steht der Begriff "Working Class". "Solidarity" ist nach wie vor aktuell. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Es bleiben immer mehr Leute auf der Strecke. Leider wird in unserer Gesellschaft etwas anderes vermittelt. Aber nur mit Solidarität ist das Problem lösbar, ob das nun gegenseitige Hilfe oder Widerstand gegen irgendetwas ist. Es gibt keine starken Gewerkschaften mehr, die unabhängig und nicht erpressbar sind. Eine Working Class ist in den Gewerkschaften nicht mehr vorhanden. Das Gemeinschaftsgefühl ist nicht mehr präsent.
In wie weit arrangiert ihr euch mit dem von euch viel besungenen Übel, dem Kapitalismus?
Marcel: Ich tanke nicht bei Shell, kaufe nicht bei Lidl oder Schlecker. Kurz bevor die Walmart-Kette in Deutschland zugemacht wurde, habe ich einer Kassiererin gratuliert, da sie ja jetzt bei einem anderen Arbeitgeber anfängt, über den man nicht so viel Negatives hört. Sie hat nur Veränderungen auf sich zukommen sehen und war um ihren Job besorgt.
Olaf: Extrem schwierig. Ich bekomme viel durch die Arbeit meiner Mutter bei Greenpeace mit. Aber ich unterstütze das System genauso wie die meisten andern. Weder bin ich ein Aussteiger, noch versuche ich autonom zu leben. Letztendlich geht es mir um die gesellschaftlichen Verhältnisse, um die Menschen. Ich persönlich mache einen Job, der kein Rädchen des Kapitalismus ist. Als Sozialarbeiter versuche ich bei meiner Arbeit mit Wohnsitzlosen Systemgeschädigten zu helfen. Ich bin auf der Bühne kein anderer als im Job. Bezahlt werde ich von der Stadt und durch Spenden von Leuten, die vielleicht ihr Gewissen erleichtern wollen. Diesen Kompromiss gehe ich ein. Wenn mir ein Nazi 10.000 Euro zustecken würde, würde ich das Geld auch für meine Arbeit einsetzen - gegen ihn!
Ihr habt mit so manchem Helden eurer Jugend auf der Bühne gestanden. Welche Höhepunkte und welche Enttäuschungen gab es?
Olaf: Wir hatten einige tolle Auftritte mit COCK SPARRER, ANGELIC UPSTARTS, THE OPPRESSED oder NEWTON NEUROTICS - Bands, auf die man jahrelang gewartet hat, und dann ist man selbst mit ihnen auf der Bühne. Wir hatten zwei Mal die Ehre, das letzte Konzert von THE OPPRESSED mitzuspielen, 1996 in London und 2005 in Frankfurt. Zu den meisten Bands bekommt man recht schnell Kontakt. Unangenehm sind die Bands, die ihren eigenen Backstagebereich haben und sich abkapseln wollen, wie die arroganten Bastarde von 999 oder Jimmy Pursey von SHAM 69. Charlie Harper von den U.K. SUBS hingegen läuft im Publikum rum. Viele alten Bands beweisen, dass man mit 45 oder 50 immer noch so sein kann wie 1977.
Was verbindet euch, mal abgesehen von den Splitsingles, mit den Bands LOS FASTIDIOS, NO RESPECT und SCRAPY?
Olaf: Eine richtig gute Freundschaft, die entstanden ist, weil eben alle Bands bei Michael auf Mad Butcher waren und wir gemeinsam auf Tour gingen. Oft haben wir mit NO RESPECT gespielt. Für die Leute auch eine logische Kombination. Mit SCRAPY haben wir uns auch sofort gut verstanden.
Marcel: LOS FASTIDIOS haben unsere erste Italientour organisiert. Konzerte mit SCRAPY sind weniger geworden, da die mittlerweile eher für Ska-Konzerte gebucht werden, wobei die Band doch immer punkrockiger geworden ist. Wir sind jetzt auf der Abschiedstour von NO RESPECT eingeladen. Mit Knockout-Bands spielen wir relativ selten.
Warum gab es eigentlich nie ein Split-Projekt mit den BLAGGERS?
Marcel: Was soll das für eine Splitsingle sein, wenn der Sänger auf beiden Seiten der gleiche ist!? Olaf und ich, wir haben beide schon mal gesagt, es wäre lustig, so etwas zu machen. Aber die meisten Songs stammten aus der Feder vom verstorbenen Matty Blag. Ein neuer Songschreiber kommt meist anders rüber. Aber wer weiß, vielleicht gibt es doch irgendwann mal eine Splitsingle mit den BLAGGERS und den STAGE BOTTLES.
Was hat euch dazu motiviert, ein Stück wie "You can't just change, without making a stand" zu schreiben?
Olaf: In Frankfurt haben wir viel Erfahrung mit Rechtsaussteigern, auch mit Leuten aus dem BÖHSE ONKELZ-Umfeld. Man merkt recht schnell, wenn die Leute keinen Bock mehr darauf haben und zu uns kommen, aber eigentlich mehr, um Spaß zu haben. Das ist problematisch, erwartet man doch etwas mehr. Die Leute bewegen sich in Kreisen, in denen mal das eine oder andere gesagt wird, was nicht jeder mitbekommen soll. Wenn man mit uns rumhängt, erwarte ich das nötige Herz und die Solidarität. Natürlich gibt es auch Schnittstellen, die manchmal auch vertrauenswürdig und sehr brauchbar sind. Das sind starke Persönlichkeiten. Aber viele kapieren überhaupt nicht, dass das was Tiefergehendes ist.
Was und wen genau sprecht ihr an mit dem Zitat eurer Homepage: "Es gibt eine grundlegende Lebenshaltung, die gewisse Subkulturen eint"?
Marcel: Der Satz steht im Zusammenhang mit den verschiedenen Jugendkulturen in Frankfurt, bestehend aus einem Mix aus Psychobillys, Punks, Skins, Mods, Leuten aus der Fußballszene. Das ist alles zusammengewachsen. Früher haben wir uns gegenseitig auf die Fresse gehauen. Wir waren in den gleichen Läden unterwegs. Ich bin zwar ein bisschen anders als du, will das auch zeigen und verbinde mit meiner Lebenseinstellung auch etwas Politik.
Olaf: Egal ob du in Schwulenbars, in Technoclubs eine Afterhour feiern gehst oder mit ausländischen Jugendlichen unterwegs bist, du erlebst überall eine gewisse Unabhängigkeit und Gesellschaftskritik. Es ist auch ein schönes Kompliment, wenn so viele verschiedene Leute auf unseren Konzerten sind, wo Äußerlichkeiten keine Rolle spielen.
Von welchem Fußballclub oder deren Fans würdet ihr euch nicht locken lassen, für deren Feierlichkeiten ein Konzert zu spielen?
Olaf: Selbst für Rot-Weiß Essen würden wir spielen, und sei es nur, um zu provozieren, weil wir wissen, dass so viele Arschlöcher unter den Fans sind. Letztlich liegt es an den Leuten, die uns einladen.
Marcel: Ich würde mit Unbehagen zu Mainz 05 gehen.
Und dabei ist es ja nur Fußball...
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