Still wütend
Seit über dreißig Jahren begleiten mich die SPERMBIRDS – gefühlt amerikanischer, authentischer war für mich nie eine andere deutsche Hardcore-Band. Ihre Klassiker sind die Platten aus den Achtzigern, aber über die Jahre blieben sie konsequent dabei, die Auszeit von Frontmann Lee, den es einst als US-Soldat nach Kaiserslautern verschlug, war nur kurz und ist längst vergessen. Live sind die SPERMBIRDS immer präsent gewesen, allein die Abstände zwischen ihre Alben werden länger. Nach „A Columbus Feeling“ (2010) erscheint nun im September „Go To Hell And Then Turn Left“ auf Rookie Records, und so fanden sich an einem heißen Sommerabend Lee und Beppo im Garten des Ox-HQ ein. Begleitet von der einen oder anderen Flasche Bier entstand dieses Interview.
Eines der ersten Konzerte, das ich mit veranstaltete, war ca. 1989 mit den SPERMBIRDS in Heidenheim. Und ich weiß noch, wie beeindruckt ich war von eurer Professionalität, mit Tourmanagerin und so. Die große Band kam in die kleine Stadt.
Beppo: Echt? Ich empfand uns immer als eher unprofessionell. Matzi als Tourmanagerin hat um uns herum aufgeräumt und dafür gesorgt, dass wir rechtzeitig irgendwo ankommen. Da fand ich die US-Bands, mit denen wir spielten, viel professioneller, manche von denen sahen Sachen wie den Soundcheck sehr streng, das empfand ich fast schon als negativ professionell.
Lee: Ich habe mich auch nie als professionell angesehen.
Zu jener Zeit waren die SPERMBIRDS aber schon ziemlich angesagt, eine der großen Bands jener Jahre. Hattet ihr da Ambitionen?
Beppo: Das war die Zeit, in der wir darüber nachgedacht haben, von der Musik zu leben. Ob man das kann, ob man das will. Wir hatten schon das Gefühl, wir sind sehr erfolgreich, und wir waren sehr viel auf Tour. Einmal war ich erst zwei Wochen mit WALTER ELF unterwegs, dann drei Tage zu Hause, und dann sechs Wochen mit den SPERMBIRDS auf Tour, in Europa – nicht mit einem Nightliner, sondern in einem VW-Bus. In allen möglichen Ländern sind hunderte Menschen gekommen, um einen zu sehen, die Platten und T-Shirts haben sich gut verkauft, und da hat man sich schon überlegt, ob das nicht mal das Leben finanzieren kann. Bei mir hat es zumindest ausgereicht, mein Studium zu finanzieren, ohne Nebenjob. Ich wusste aber auch nicht, ob ich will, dass meine Existenz von der Musik abhängt – dass man Angst bekommt, wenn mal ein paar Leute weniger auf ein Konzert kommen, wenn sich die nächste Platte nicht so gut verkauft.
Lee: Was Beppo sagt, ist korrekt. Ich wollte damals einfach nur in einer Punkband singen. That’s all I ever wanted and I got it much to early and now I don’t know what to do with myself!
Heute scheint das anders zu sein, da scheinen Bands mit Anfang, Mitte zwanzig ihre Karriere bisweilen sehr überlegt anzugehen. Früher „passierte“ so was eher, als dass ein ausgearbeiteter Marketingplan existierte. War das früher etwas „unschuldiger“?
Lee: Ja. Ich hatte nie auch nur den geringsten Plan. Vor allem nicht einen Businessplan für eine Punkband. Ich, wir waren einfach nur glücklich, dass jemand zu unseren Konzerten kam.
Beppo: Das ist wirklich einfach so passiert, denn es gab damals, Ende der Achtziger, ja keine Medien, in denen man das hätte promoten können. Es gab ja nur Fanzines wie Ox, Trust und Zap!. Wie hätte man da einen Businessplan machen sollen? Bands heute haben über die sozialen Medien ganz andere Möglichkeiten und Kanäle, du kannst für jede Musikrichtung einen Verbreitungsweg finden. Da ergibt es für heute junge Bands Sinn, sich über so was Gedanken zu machen, ich sehe das nicht negativ. Warum sollte man solche Möglichkeiten nicht nutzen, wenn man dadurch mehr Leute erreichen kann? Wir hatten diese Möglichkeiten nicht, also mussten wir uns keine Gedanken darüber machen. Was aber ganz angenehm war: Du machst einfach deine Musik und dann passiert was – oder auch nicht. Zum Glück passierte bei uns was. Wir haben uns nur um unsere Musik gekümmert, im Proberaum neue Lieder geschrieben.
Punk oder Hardcore? Meiner Erinnerung nach war das damals durchaus ein Thema – Punks waren Ende der Achtziger die kaputten Trinker in der Fußgängerzone, Hardcore jene, die kreativ was geregelt bekommen haben, voller Energie. Punk, Hardcore, beides, was waren die SPERMBIRDS?
Lee: Ich sage Punk.
Beppo: Beides. Wir wollten uns nicht entscheiden, also haben wir beides gemacht. Wir waren ja zwei Bands, parallel zu SPERMBIRDS gab es noch DIE WALTER ELF und mit denen haben wir die bedient, die gerne Bier saufen und herumgrölen, das war auch ein nettes Publikum. Und dann haben wir mit den SPERMBIRDS eben noch eine Hardcore-Band gehabt für die Straight-Edge-Typen. Die schlauen Nerds und die besoffenen Prolls, wir haben beide bedient. Und das habe ich nie bereut. Da mag vielleicht auch eine gewisse Landei-Naivität eine Rolle gespielt haben, hehe, warum nicht auf zwei Hochzeiten tanzen? Und mit DIE WALTER ELF habe ich keine schlechteren Konzernerfahrungen gemacht als mit SPERMBIRDS. Das erste Mal verprügelt wurden wir bei einem SPERMBIRDS-Konzert. In Tübingen war das, von irgendwelchen Typen aus Günzburg. Unser Bassist Markus sowie ein paar Freunde wurden von denen schrecklich vermöbelt – das Konzert hat er trotzdem gespielt mit seinem blaugehauenen Gesicht.
Gab es damals mehr Gewalt auf Konzerten? Heute ist das eigentlich gar kein Thema mehr.
Lee: Es war uns damals schon klar, dass es zwei Arten von Skinheads gibt, aber so wirklich wahrgenommen haben wir das nicht.
Beppo: Meine Lieblingsgeschichte aus einem Buch von Lee ist die Story von dem WALTER ELF-Konzert zusammen mit ANTI-NOWHERE LEAGUE. Die ist gut geschrieben und witzig, aber da war echt eine Menge Gewalt im Spiel und das hätte schlimm ausgehen können. Die Frankfurter Skinhead-Szene stand da vor der Bühne und hat uns bedroht.
Lee: Ich wusste das nicht ...
Beppo: Nee, Lee hat die auch noch provoziert und am Schluss gab es eine Straßenschlacht mit Flaschenwürfen – nebenan war ein Getränkelager. In Kaiserslautern, wo wir herkamen, gab es damals auch echt ein Skinhead-Problem. Wenn man da aus der Kneipe kam, hat man immer erst rechts und links geschaut, ob die Luft rein ist. Manche Menschen wurden echt schlimm verletzt, ein Bekannter wurde beim Trampen verletzt: Da hielt ein Kleinbus mit Skinheads neben ihm und von drinnen schoss ihm einer mit einer Gaspistole ins Gesicht, der verlor ein Auge. Auf Konzerten dort gab es auch immer wieder Gewalt. Die Tatsache, dass das heute viel weniger passiert, begründet sich darin, dass Konzerte heute fast immer in Clubs mit strikten Auflagen stattfinden, da ist überall Security. Wenn da zwei so dicke Typen am Eingang stehen, überlegen sich die Leute zweimal, ob sie eine Schlägerei anfangen und lebenslanges Hausverbot bekommen. Früher waren die Konzerte in Jugendzentren, wurden veranstaltet von Leuten wie uns, und da machte sich niemand Gedanken über Security. Wenn es da zu Gewalt kam, konnte die oft einfach so geschehen, nicht immer wurde eingegriffen. Ich kann mich aber noch erinnern, dass Sunny von SKEEZICKS die Typen aus Günzburg damals aus dem Epple-Haus in Tübingen rausgeschmissen hat. Der warf die die Treppe runter, Sunny war so ein breiter Typ. Es gab damals eben viel weniger Auflagen für Konzerte.
Lee: Und ich rechne jetzt mal mit all den jungen Punkbands in Deutschland ab: Die singen doch alle nur noch darüber, wie traurig sie sind. Wut hat im modernen Punkrock keinen Platz mehr! I’m fucking sick of it!
Dafür gibt es ja dich.
Lee: Es geht doch um Aggression, Aggression ist wichtig. Kontrollierte Aggression ist besser, aber Aggression ist ein wichtiger Teil des Lebens, egal, wie alt man ist.
Beppo: Wut ist aber etwas anderes als Aggression. Wut ist wichtig.
Lee: Wut, Aggression, egal. Hahaha.
War Lee schon immer so, Beppo?
Beppo: Er ist etwas zynischer geworden. Früher war er noch etwas unschuldiger. Alterszynismus würde ich das nennen.
Lee: Ich bin nicht zynisch, verdammt! Aber man kann sich doch nicht die Welt anschauen und nicht zynisch werden! Nein, ich bin weder zynisch noch verbittert, sondern einfach nur angepisst.
Zynismus hat keinen guten Ruf, da wird man als jemand angesehen, der negative Energie verbreitet.
Lee: Ironie ist etwas ganz anderes. Wir können uns jetzt gerne über Sprache unterhalten. Du hast schon recht, Zynismus geht so: Erzähl mir was Schönes, aber ich glaube es sowieso nicht. Selbst wenn es schön ist. Darin kann man sich verlieren, dann wird man zu einer tragischen Gestalt.
Beppo: Zynismus ist der böse kleine Halbbruder der Ironie.
Was hat dazu geführt, dass ihr nach über dreißig Jahren immer noch eine Band seid?
Lee: Das sind meine ältesten Freunde, ich habe keine älteren. Der einzige Mensch, den ich länger kenne als diese Jungs, ist meine Mutter. Das macht mindestens 75% davon aus, warum es diese Band noch gibt. Und es ist mir wichtig, Zeit mit ihnen zu verbringen. Und dass wir zusammen Musik machen können, ist noch viel besser, denn das wird nie alt oder langweilig. Der Freundschaftsteil an dieser Band ist aber, so pathetisch das klingen mag, das wichtigste. Außerdem ... sind wir gut!
Beppo: Wahrscheinlich würden wir die SPERMBIRDS auch nur aus dem Grund machen, damit wir uns mal wieder treffen. Wir leben ja fast alle in verschiedenen Städten und würden uns ohne die Band nur sehr selten sehen – wahrscheinlich bei der ersten Beerdigung ... und davor der fünfzigste und der sechzigste Geburtstag. Durch die Musik treffen wir uns aber ständig. Mir macht es Spaß, Lieder zu schreiben und zu sehen, wie die dann in der Band Formen annehmen. Für mich ist immer das Schönste, wenn aus einer Idee dann im Proberaum ein Lied wird. Ich brauche die Band, um meine musikalischen Ideen zu verwirklichen. Das ist neben der Freundschaft der zweite Grund, und der dritte ist, dass es natürlich Spaß macht, wenn immer noch Leute kommen.
Lee: Stimmt, live zu spielen macht komischerweise immer noch Spaß. It still doesn’t suck!
Eigentlich ist es schon ziemlich seltsam, so was wie diese Band in seinem Leben zu haben. Ihr habt teilweise Familie, ein ganz normales Leben, und zieht doch einige Wochenenden im Jahr mit der Band los wie einst mit zwanzig. Da sitzt dann die Band als komisches Harvey-Monster hinter der Tür.
Beppo: Ich bin ja ein ganz normaler Familienvater mit 40-Stunden-Woche, arbeite schon seit 1997 fest. Da kommt man dann wieder zu der Frage, ob man von seiner Musik leben können sollte – muss man nicht. Ich habe einen Job, der mir nicht auf den Sack geht, und nebenher noch die Band – zwei Bands sogar, KICK JONESES gibt es ja auch noch. Auch das sind ja alte Freunde, zudem spielt da Jürgen mit, der Rookie Records macht, unser Label. Ich finde, ich habe das Beste aus beiden Welten: Familienleben hier, das Punk-Leben dort, auch wenn letzteres weniger geworden ist. Aber es gibt es noch und es passiert noch was. Das ist fantastisch für mich.
Lee: Ich habe auch zwei Bands, neben den SPERMBIRDS noch STEAKKNIFE, und meine Lesungen. Und mein Leben ist nicht normal. Ich bin kein Familienvater und weiß auch nicht, was ich da verpasse, vielleicht etwas Wundervolles. Aber ich bin mir ganz sicher: Ich will das mit dieser Band hier immer noch. SPERMBIRDS und STEAKKNIFE sind mir wichtig. Ich könnte ohne sie leben, wenn ich müsste, aber ich will das nicht.
Ihr seid Künstler, und Künstler brauchen die Möglichkeit zum künstlerischen Ausdruck, um glücklich zu sein.
Beppo: Genau so ist das bei mir.
Lee: Ich weiß nicht, was und wo ich wäre ohne Punkrock und ohne diese Bands. Wahrscheinlich wäre ich ein Killer. Ein Auftragsmörder. Ich mache, was ich immer schon machen wollte, und das werde ich für nichts und niemanden aufgeben. Nie. Bis wir alle tot sind.
Beppo, du bist Journalist, Lee Barkeeper. Was machen die anderen?
Beppo: Frank, der ja seit ein paar Jahren schon nicht mehr dabei ist, ist Tischler in einem sozialen Projekt in Frankfurt. Roger lebt auch in Köln und ist mittlerweile Busfahrer, nachdem er lange als Journalist gearbeitet hat, er hat Familie. Markus macht Messebau und so was und lebt in Berlin, und Steve ist der Einzige von uns, der ganz auf die Karte Musik setzt.
Lee: Der ist auch in Berlin und hat sein eigenes Studio.
Beppo: Da wurde die Platte gemischt, aufgenommen haben wir sie auch in Berlin im schönen Paul-Lincke-Studio. Ein gemütliches Studio.
Habt ihr mit einem Produzenten aufgenommen oder macht ihr so was im Alleingang?
Lee: Alex Ott vom Studio hat uns aufgenommen, den Gesang hat Steve mit mir aufgenommen. Die letzte STEAKKNIFE-LP entstand auch dort.
Keine eingetretene Tür diesmal? Ich erinnere mich an eine Tür mit Loch im legendären BluNoise-Studio von Guido Lucas, für die du verantwortlich warst.
Lee: Ich habe lange schon keine Tür mehr eingetreten, aber du bringst mich da auf eine Idee ...
Beppo: Ich habe Lee noch nie so entspannt gesehen wie bei diesen Aufnahmen. Vielleicht waren wir einfach gut vorbereitet, auf jeden Fall war er sehr relaxt. Oder er hatte gute Drogen genommen, haha.
Lee: Klar, es war eine Kombination aus diesen Einflüssen. Und ich komme aus Alabama ... Nein, ich mag das Studio, ich fühlte mich da wohl. Bei „Columbus Feeling“ war das anders, da konnte das Studio nichts dafür, ich hatte massive Probleme mit meiner Stimme, ich musste die Aufnahmen abbrechen und heulte. Das Studio war verflucht, glaube ich.
Beppo: Produziert haben wir das Album selbst, vor allem Steve. Und wenn man schon einen in der Band hat, der sich dafür interessiert und der das kann, dann sollte man das nutzen. Einen richtigen Produzenten gab es bei uns aber auch noch nie. Selbst die beiden Platten mit Olaf Opal hat der nicht wirklich produziert, wir waren immer mit dabei. Das wäre auch komisch bei uns, wenn es jemanden gäbe, der uns vorschreibt, was wir machen sollen.
Hat euch das nie gereizt? Ihr seid ja alle große Musikfans, und viele Bands erzählen mir, dass sie die Arbeit mit einem Produzenten weitergebracht habe.
Lee: Wenn mir ein Studiomann oder ein Produzent vorschlagen würde, etwas doch mal so oder so zu singen, würde ich den Ratschlag annehmen, aber so was kam bislang extrem selten vor. Ich glaube, die haben alle Angst vor mir.
Beppo: Das ergibt bei anderen Bands sicher Sinn. Und je mehr du darauf angewiesen bist, viele Platten zu verkaufen, desto mehr Sinn ergibt das vielleicht, einen Produzenten zu haben, der weiß, wie man einen bestimmten Sound hinbekommt, der sich gut verkauft. Nur bei uns ist das eben anders. Wir sind alle zudem nicht die Top-Musiker. Unsere Stärken waren schon immer mehr das Songwriting und Lees Gesang, nicht so sehr unsere musikalischen Fähigkeiten. Ein Produzent würde schon deshalb an uns verzweifeln, weil wir manches fünfmal aufnehmen müssen, bis es passt. Wahrscheinlich hätte der wenig Spaß an der Arbeit mit uns.
13 Songs sind auf dem Album – sind das alle oder habt ihr noch mehr aufgenommen?
Beppo: Wir hatten viel mehr Lieder zu Beginn, haben dann viele rausgeschmissen und den Rest haben wir aufgenommen. Ja, es gibt noch drei mehr als die 13. Eines kommt mit einem Gedicht von Lee auf eine Tour-Single. Was wir mit den beiden anderen machen, werden wir sehen. Früher hat man so was Leuten gegeben, die Tapesampler veröffentlicht haben.
Lee: Außerdem fand ich „Columbus Feeling“ etwas lang, das waren 18 oder 19 Songs. Keep it short, das war diesmal meine Devise.
Beppo: Da waren wir uns einig, die Platte soll nicht lang sein, sie darf nicht nerven. Und die Lieder sind ziemlich kurz.
Es gibt ja Bands, die sich weiterentwickeln, die heute ganz anders klingen als vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren, wo es die Frühphase gibt, die mittlere, die späte. Von dieser seltsamen Phase Mitte der Neunziger mal abgesehen sind die SPERMBIRDS bis heute immer die SPERMBIRDS geblieben.
Lee: Danke, das hört sich gut an. Geschwindigkeit war immer unser Ding. Aber nicht nur, und ja, es gab auch komische musikalische Ausflüge in den Neunzigern.
Beppo: Auf „Common Thread“ hatten wir die musikalische Langsamkeit entdeckt, aber das hatten vorher auch schon BAD BRAINS und METALLICA. Das hatte uns beeinflusst, man kann ja auch langsam und hart sein. Da wurde das musikalische Spektrum erweitert. Und dann gab es ja die Phase in den Neunzigern ohne Lee, mit Ken Haus als Sänger, da sind wir ziemlich anders, sehr von diesem Crossover-Kram beeinflusst. Es gibt viele, die das ganz furchtbar finden ...
Ja. „Shit For Sale“ – so hieß das ’94er Album.
Beppo: Uns hat das Album damals Spaß gemacht, auch der Nachfolger „Family Values“. Aber seit „Set An Example“ von 2004 sind die SPERMBIRDS wieder so, wie sie vor „Common Thread“ waren.
Lee: Wir haben immer wieder versucht, musikalisch etwas anderes zu machen, aber ... it’s really difficult to be something you’re not. Es ist viel einfacher, man selbst zu sein, auch wenn ich manchmal ein Arschloch sein kann.
Beppo: SPERMBIRDS waren aber auch nie so eng aufgestellt, schon auf der ersten Platte sind Songs drauf wie „Try again“ oder „Get on the stage“. Ein bisschen Melodie, ein bisschen Punkrock war immer dabei, nicht immer nur Geballer. Wir waren nie nur auf Hardcore festgelegt. Und entsprechend ist die neue Platte auch recht vielfältig.
Nun gibt es Bands, bei denen man den Ausgangspunkt und die heutige Band kaum noch verbunden bekommt, so anders klingt das – etwa GANG OF FOUR. Bei euch hingegen fällt das leicht.
Beppo: Eine Band wie GANG OF FOUR hat ja auch diesen Künstleranspruch. Die fühlen sich als schlechte Künstler, wenn sie etwas reproduzieren, haben also das Gefühl, sie müssen ständig was Neues machen, damit sie weiterhin Künstler sind. So kann man denken, aber Punkrocker denken eben nicht so. Die wollen einen guten Song schreiben, aber eben immer mit den gleichen Mitteln. GANG OF FOUR wollten nie die gleiche Platte noch mal machen – wir auch nicht, aber dabei bewegen wir uns immer innerhalb unserer musikalischen Grenzen.
Lee: „Innerhalb unserer musikalischen Grenzen“ – das trifft es! Und ich bin ja sowieso kein Musiker.
Beppo: Wir haben und kennen unsere Grenzen und sind auch nicht die Typen, für die das wichtig ist. Mein Sohn spielt auch Schlagzeug, der hört viel Metal, und der schaut sich ständig bei YouTube Videos von irgendwelchen Metal-Drummern an, wo genau gezeigt wird, was die Füße machen, die anderen Kameras sind von oben, von der Seite, und die sind so unglaublich gut, da bekommt man selbst Minderwertigkeitskomplexe. Das sind unglaublich präzise Maschinen. Aber die üben auch jeden Tag stundenlang, was wir nie gemacht haben, weshalb wir uns technisch innerhalb gewisser Grenzen bewegen. Ansonsten würden wir jetzt vielleicht Musik wie DREAM THEATRE machen, wer weiß. Zum Glück ist mein Sohn höflich und hat noch nie was Negatives über meine Schlagzeugkünste gesagt, obwohl er längst besser spielt als ich. Und wenn ich mal sterbe ...
Lee: Keiner von uns stirbt. Aber gib mir mal seine Nummer.
Gute Frage: Wäre die Band vorbei, wenn einer von euch stirbt?
Beppo: Wenn Lee stirbt, holen wir uns einen anderen Sänger, aber ansonsten ... Haben wir ja schon mal gemacht, hahaha. Ohne Roger wäre natürlich sofort alles vorbei.
Lee: Ich wollte immer, dass wir alle Originalmitglieder sind. Always the same motherfuckers wie damals. Das ging nicht 100% auf, aber Steve, der für Frank kam, ist ... okay, hahaha.
Beppo: Der Einzige, der nicht ersetzbar ist, ist Lee. So wie die DEAD KENNEDYS ohne Jello Biafra nichts sind. Mit Ken Haus hat das zwar auch irgendwie funktioniert, es lief für uns damals gut, aber die echten SPERMBIRDS-Fans, die nicht nächstes Jahr schon wieder zu einer anderen Band rennen, die haben Ken nie akzeptiert. Seitdem wissen wir, dass wenn Lee morgen vor ein Auto laufen sollte, die Band Geschichte wäre.
Lee: Stop talking about my death!
Dann sprechen wir über die Jugend. Hören die alle nur noch Deutsch-Rap oder kommen auch Menschen unter 25 zu euren Konzerten?
Lee: Also in den letzten zwei Jahren habe ich bei unseren Konzerten oft mit jungen Menschen gesprochen, die ich vorher noch nie gesehen habe bei einer Show und denen gefiel, was sie zu sehen und hören bekamen. Es gibt zudem eine ganze Generation junger, deutschsprachiger Punkbands – allein in Saarbrücken fallen mir fünf ein. Gitarrenmusik lebt! Aber die sollten alle mal aufhören, immer so traurig zu sein, haha!
Beppo: Ich habe das Gefühl, dass es weniger Underground-Bands gibt als früher. HipHop ist Mainstream, ist die Jugendkultur. Abgesehen davon gehr mit HipHop unglaublich auf den Sack, mehr als Grandmaster Flash ertrage ich nicht.
Lee: ... und NWA!
Beppo: Natürlich. Mich frustrieren diese Angeber-Videos mit dicken Autos, das ist das Gegenteil von allem, was mich an Musik und Kultur interessiert. Da frage ich mich schon, ob ich nicht einfach nur ein grantiger alter Punkknacker bin ...
Lee: Ja.
Beppo: ... der sich keine Mühe gibt, die Jugendkultur zu verstehen – oder habe ich einfach recht? In letzter Zeit verstärkt sich der Eindruck, dass ich recht habe. Das ist einfach eine frauenverachtende Fette-Goldketten-Kultur, die mich ankotzt. Und vor allem, dass das für viele Jugendliche eine Leitkultur geworden ist.
Ich mag diese ganzen Aspekte auch nicht, aber LOKALMATADORE, DIE KASSIERER oder DAILY TERROR oder auch NOFX, das waren ja auch nicht gerade Hochkultur-Bands, da war auch eine Menge pubertärer Scheiß dabei. Es waren aber unsere Bands, deshalb sieht man das sicher anders. Und die ironischen Anspielungen sind oft nur für die eigenen Leute erkennbar.
Beppo: Hm, ich denke da mal drüber nach.
Lee: Selbstironie ist auf jeden Fall sehr wichtig.
Beppo:[/b] Auch Punkbands wollten immer schon Sex haben, nur wenn die darüber singen, ist das eher aus einer Nerd-Perspektive. Aber bei HipHop ...? Vielleicht gibt es ja auch HipHop aus der Nerd-Perspektive, aber wenn, ist das nicht der Mainstream, und ich kenne den auch nicht. Und zwischen den alten DESCENDENTS und alten NOFX liegen ja auch Welten, was die Subtilität der Texte betrifft.
Was hat es mit dem Cover auf sich?
Beppo: Das geht zurück auf unsere Australientour 2009. Da hatte uns einer ein Plakatmotiv gezeichnet, da waren so Totenkopfvögel zu sehen, die in Richtung einer brennenden Erde fliegen. Das hat uns damals gut gefallen, und das fiel uns jetzt wieder ein, als wir uns Gedanken über das Cover machten. Der heißt Glenn Smith. Der hat das Plakatmotiv dann „umgebastelt“ für das Cover. Mir als comicaffinem Menschen gefällt das. Das Bandlogo stammt übrigens im Original von Lee, sieht aus wie hingewichst, haha. Lee war bei der US Army ja als Grafiker angestellt. Das Ur-Logo wurde später immer wieder überarbeitet. Das klassische Schweine-Bild hatten wir damals einfach genommen, ohne den Künstler zu fragen. Das ist Cerebus the Aardvark vom kanadischen Comiczeichner Dave Sim, mit dem wir uns später geeinigt haben – der bekommt immer wieder mal Geld von uns. Wäre das ein fieser Kerl, hätte der uns richtig verklagen können.
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