Die junge Band kommt aus Münster und hat damit wahrscheinlich ziemliches Glück. Kunst und Kultur gibt es überall, DIY-Spirit gibt es überall, Inspiration gibt es überall – aber in Münster irgendwie sehr viel. Welche Bedingungen brauchen eine Szene und eine Band, um sich entwickeln zu können und zu wachsen? Ein Gespräch mit SHORELINE-Frontmann Hansol.
Ihr kommt aus Münster, einer relativ kleinen Stadt, die aber eine sehr bekannte Musikszene hat. Hast du eine Theorie, warum die Stadt so viel hervorbringt, was gerade für den Punkrock in Deutschland relativ wichtig ist?
Das stimmt, das ist schon auffällig. Es sitzen echt verhältnismäßig viele Leute in Münster, die für die deutsche Musikindustrie wichtig sind. Umgekehrt sind aber auch richtig viele DIY-Sachen in Münster. Clubs, Musiker:innen und so ... Zur Zeit habe ich aber das Gefühl, dass der DIY-Spirit eher weniger wird. So 2017, 2018 gab es echt viele kleine Bands, die die Szene sehr belebt haben. Erst als ich gemerkt habe, dass sich einige auflösen, ist mir aufgefallen, wie viele wir vorher hier hatten, haha. Münster hat halt auch eine gute Größe, um eine richtige Szene-Zusammengehörigkeit herzustellen. Man sieht immer die gleichen Leute auf allen Konzerten und es gab zeitlang ein sehr gutes Angebot, und sehr viele Menschen, die sich da regelmäßig getroffen haben. Das bedingt sich vermutlich gegenseitig, aber die Stadt und ihre Szene, wir auch, haben davon profitieren können.
Ein interessanter Punkt, dass eine Stadt nicht zu groß sein darf, um gute Bedingungen für eine Szene zu schaffen.
Ja, oder es muss wirklich eine extreme „Nische“ sein. Ich war vor ein paar Jahren in Seoul, der Hauptstadt von Süd-Korea, auf einer Punk-Show. Und obwohl die Stadt riesig ist, gibt es da ja trotzdem nur einen ganz kleinen Kreis von Leuten, die sich für Punk interessieren und auf Konzerte gehen. Die wachsen dann wahrscheinlich auch zusammen.
Wie war das dort so? Waren die Leute offen?
Es war eine lokale Band, eher so Oi!-Punk, der Laden sah auch sehr danach aus, haha. Der Name war „Skank“, also „Punk“ und „Ska“ zusammen. Das war damals das erste Mal, dass ich alleine abends unterwegs war und ein ganz neues Viertel entdeckt habe, ohne meine Großeltern und Verwandten, die noch dort leben ... und es war auch ein Viertel, in das sie wahrscheinlich nicht gegangen wären, eben weil es so punkig dort war. Ich habe nicht gleich Leute gefunden, mit denen ich abhängen konnte, und die Stadt und das Konzert eher alleine erlebt. Aber ich denke, das ist bei uns in Deutschland ganz ähnlich. Es kann sein, dass meine Erinnerung mich trügt, weil es schon eine Weile her ist, aber es war eine ziemlich aufregende Erfahrung für mich mit 17 und ich denke gern daran zurück. Was ich aber total spannend finde, ist der Einfluss der Wehrpflicht auf die dortige Szene, der anscheinend ähnlich ist wie in Israel – zumindest wie ich das aus Blogs und dem Internet herauslesen kann. Dadurch, dass jeder von der Wehrpflicht betroffen ist, entsteht die Szene immer wieder neu und wird dann nach ein paar Jahren immer wieder auseinandergerissen. Sie kann sich so auch nicht richtig entwickeln und bleibt insgesamt einfach klein.
Das neue Album heißt „Growth“ – ihr meint das aber gar nicht so positiv, wenn ich speziell den Schlusstrack richtig deute, oder?
Es gibt immer zwei Seiten, in jedem Song auf dem Album. Es geht viel um die Folgen des Wunsches nach ewigem Wachstum, insbesondere im Kontext von Kapitalismuskritik und den Gefahren, die aus dem System entstehen, wie dem Klimawandel. Es gibt aber auch den persönlichen Zugang, in dem wir unser eigenes Wachstum selbst reflektieren, in dem man auch etwas Positives sehen kann. Wir wollten kein Album voll von heftigen Fingerzeigen auf alles, was uns nervt und wütend macht, auch wenn es vieles gibt, das nervt und uns aufregt.
Gibt’s schöne Geschichten zu den Features und Kooperationen? Habt ihr euch damit Träume erfüllt und wie kamen die zustande?
Punk/Hardcore ist auch ein Genre, das dazu neigt, sehr alt und konservativ zu sein – in anderen Genres ist es total normal, mit mehreren Künstler:innen an einem Track zu arbeiten, im Punk macht man das eher selten. Vor ein paar Jahren hätte ich das selbst wahrscheinlich auch noch total scheiße gefunden. Aber heute versuche ich, nicht so alt zu sein wie die Musik, die ich machen möchte. Koji, der bei dem Song „Konichiwa“ dabei ist, habe ich zum Beispiel vor einigen Jahren auf Tour kennen gelernt und es war eine der wundervollsten und inspirierendsten Begegnungen, die ich je hatte. Wir haben uns als SHORELINE vorgenommen, mehr mit Leuten aus unserem Umfeld zu arbeiten, die wir kennen und bewundern – daher wollte ich gerne Koji dabei haben. Und auch bei dem Thema, das der Song behandelt, nämlich eine persönliche Sicht auf antiasiatischen Rassismus, war es das einzig passende Feature.
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