Wie wichtig es ist, mit lauter Stimme gegen Rassisten, Kapitalisten und ignorante Idioten zu kämpfen, zeigen die Münsteraner SHORELINE auf ihrem neuen Album „Growth“. Über Klimakrise, kritischen Konsum und sehr persönlichen anti-asiatischen Rassismus ist noch lange nicht alles gesagt. Vor allem, wenn diese Probleme nach wie vor unser Leben bestimmen. In bester MENZINGERS-Manier bringt die Band um Sänger Hansol via End Hits zwölf neue Songs raus, die zeigen, dass diese Generation von Punkrockern erst dann schweigen wird, wenn sich wirklich etwas ändert. Warum das allerdings noch lange dauern wird, versuchen wir mit ihm zu klären.
In jedem Song auf „Growth“ steckt eine Menge Wut und Ärger. Egal, ob Kapitalismuskritik in „I grew up on easy street“, Rassismus in „Konichiwa“ oder Veganismus in „Meat free youth“ – es gibt einiges, über das wir uns unterhalten müssen. Womit sollen wir anfangen?
Da „I grew up on easy street“ der Opener der Platte ist, können wir gerne direkt mit dem Thema beginnen, das der Song behandelt. Wobei ich auch sagen möchte, dass wir auf dem Album Dinge ansprechen wollten, die ja eigentlich niemanden mehr schockieren dürften. Oder die neu oder ungewöhnlich für eine Punkrock-Band wären. Es ist ja nicht besonders innovativ, wenn eine Band wie wir über Veganismus spricht oder dass Kapitalismuskritik Inhalt von Songs ist. Wir wollten das Ganze aber aus einer differenzierten und reflektierten Perspektive betrachten. Uns ist klargeworden, dass wir, wie wahrscheinlich auch die Ox-Leser:innen, in relativem Wohlstand aufgewachsen sind – vielleicht sogar in absolutem Wohlstand. Wir haben ein Hobby, in das wir viel Zeit stecken können, ohne uns um unsere Grundbedürfnisse Sorgen machen zu müssen. Vielleicht sind wir ja sogar Teil des Problems? In dem Song geht es darum, warum wir es als ideal betrachten, dass wir so viel arbeiten müssen, um Ziele zu erreichen, die wir vielleicht gar nicht erreichen wollen. Warum finden wir Menschen wie Elon Musk oder Jeff Bezos so interessant? Warum fühlt sich ein Mensch, der oder die im Jahr 30.000 Euro verdient, viel näher bei solchen Typen als bei denen in der gleichen „sozialen Schicht“, mit der man sich ja eigentlich solidarisieren sollte? Ich habe mir vor ein paar Jahren überlegt, warum es eigentlich kein geiles Ziel ist, Milliardär zu werden, obwohl das doch von allen Seiten suggeriert wird.
Kannst du dich an den Moment erinnern, als du gemerkt hast, dass du andere Vorstellungen von deinem Leben hast als Reichtum und Macht?
Ich denke, dass ist wie bei vielen aus meiner gesellschaftlichen Bubble über die Musik gekommen. Meine politische Meinung ist sehr durch Punk beeinflusst worden. Wobei ich gestehen muss, dass ich das Zeug am Anfang eigentlich nur spannend fand, weil es laut und wild war. Irgendwann habe ich dann angefangen, mich mit den Ideen dahinter zu beschäftigen, und bin bei Bands wie STRIKE ANYWHERE, ANTI-FLAG und PROPAGANDHI hängengeblieben. Ich bin irgendwie so aufgewachsen, dass man es sowieso als etwas Gutes betrachtet, anderen Menschen helfen zu wollen oder sich in andere einfühlen zu können.
Lass uns direkt über ein weiteres wichtiges Thema sprechen, zu dem ihr auch eine Kampagne gestartet habt: Veganismus und euer Song „Meat free youth“. Wie kam es dazu, dass ihr dem Platz auf „Growth“ eingeräumt habt?
Das würde ich gerne auf unterschiedlichen Ebenen beantworten: Zum einen, weil sich immer noch nicht genug Menschen wegen ihrer Lebensumstände vegan ernähren können, obwohl das ja theoretisch in Deutschland mittlerweile recht einfach geworden ist. Das liegt daran, dass sie vielleicht gar nicht die Kapazitäten haben, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. Es kann sein, dass es ihr einziges Ziel ist, trotz wenig Geld eine Familie zu ernähren, und dass denen immer wieder gesagt wird, dass ihr Verhalten schlecht sei. Zum anderen wird Veganismus stellenweise immer noch als eine radikale Idee aufgefasst, wenn man sagt, dass man aus ethischen Gründen kein Fleisch ist oder weil einem das Tierwohl am Herzen liegt. Der Song entstand aus der Frustration darüber, dass sich die Diskussionen mit älteren Generationen, zum Beispiel meinen Eltern, nicht wirklich verändern. Ich muss gestehen, dass ich müde geworden bin, jedes Mal auf der Arbeit, am Esstisch oder wo auch immer missionierend über Veganismus zu sprechen. Die Relevanz hat überhaupt nicht abgenommen und wir haben gedacht, dass wir dem Ganzen vielleicht noch eine neue Facette hinzufügen könnten. Ich würde mich auch total darüber freuen, wenn sich auf Grundlage des Songs kritische Gespräche entwickeln würden. Übrigens schlägt auch „Racoon City“ relativ am Ende der Platte in die gleiche Kerbe.
Veganismus und das Konsumverhalten von Menschen sind Themen, die sich in die Kapitalismuskritik auf der Platte einreihen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Produkt „Fleisch“ in Deutschland nicht so schnell verschwinden wird. Dafür steckt dahinter eine viel zu große Industrie, die uns über zwanzig, dreißig Jahre Traditionen und Werte eingeimpft hat, die erst mal in langwierigen Diskussionen aufgearbeitet werden müssen. Viele Menschen sind auch einfach zu bequem. Das Tierleid wird so abstrakt gehalten und in der Werbung und Vermarktung so anders verkauft, dass die Leute nicht von sich aus anfangen werden zu reflektieren, was da eigentlich vor sich geht und dass da ein Lebewesen auf ihrem Teller liegt. Nur wenige machen auf einmal eine so krasse Lebensveränderung durch. Letztendlich denke ich, dass da auch eine politische Entscheidung gefällt werden muss. Aber kannst du dich daran erinnern, was es für einen Aufschrei gab, als in den Mensen der Unis nicht mehr fünf, sondern nur noch drei Fleischgerichte angeboten werden sollten? Dann diskutierst du auf einmal auf dem Niveau, auf dem Leute jetzt übers Impfen oder damals über die Einführung des Sicherheitsgurtes streiten oder gestritten haben.
Ein weiteres großes Thema auf „Growth“ ist Rassismus. Im Song „Konichiwa“ arbeitest du deine Erfahrung mit anti-asiatischen Beschimpfungen auf. Ich finde die Zeile „Shout ‚Konichiwa‘ one more time and I will lose my shit and fuck you up“ sehr treffend.
Der Song ist daraus entstanden, dass mich jemand auf der Straße rassistisch beleidigt hat und seine Augen so spitz hochgezogen hat, als würde er einen Asiaten imitieren wollen. „Konichiwa“ ist quasi die absolut emotionale Antwort darauf. Vor allem weil ich in der Situation nichts gesagt habe. Die eloquenten Reaktionen auf so was fallen einem ja sowieso immer hinterher ein. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mir geschworen habe, sollte mir noch mal einer so bescheuert kommen, dass ich auf jeden Fall direkt ausrasten werde. Andererseits habe ich aber auch irgendwie den Wunsch verspürt, mich mit der Person hinzusetzen und ihm klarzumachen, dass das überhaupt nicht cool ist. Koji, der Feature-Gast in dem Song hat mir aber gesagt, dass das gar nicht meine Aufgabe sei. Es geht nicht immer darum, einen produktiven Umgang mit solchen Situationen zu finden. Es darf auch destruktiv und emotional sein.
Würdest du sagen, dass auf der Platte trotz dieser schwierigen Themen noch so was wie Hoffnung mitschwingt?
Wir haben den Albumtitel aus zweierlei Gründen gewählt. Zum einen bezieht er sich auf die Kapitalismuskritik, über die wir ja schon gesprochen haben, und darauf, dass in allem immer ein stetiges Wachstum angestrebt wird. Wir wollen immer mehr Gewinne, immer mehr produzieren, was definitiv den negativen Aspekt darstellt. Gleichzeitig ist uns aber auch klargeworden, dass wir an diesen Themen wachsen, dass wir immer mehr dazulernen, schlauer werden und dass wir irgendwie als reifere Person aus der Auseinandersetzung hervorgehen können. Wir bilden uns nicht ein, dass wir als Punkband die Welt mit einer Platte besser machen. Oder dass, nur weil wir einen Song über Veganismus veröffentlichen, alle Menschen, die diesen hören, vegan werden. Wir hoffen aber, dass die Leute, die in ihrer Blase ja sowieso schon Zugang zu diesen Themen haben, einen Raum für Gespräche bekommen. Dass man nicht aufhört, auch mit Freundinnen und Freunden, die vielleicht schon auf der gleichen Wellenlänge unterwegs sind, darüber zu sprechen, und sich in einer Welt einen Raum teilt, in der viele komplett anderer Meinung sind.
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