RENDERINGS

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Ey, Alemão, alles gut!

THE RENDERINGS aus Tübingen dürften dem einen oder anderen Ox-Leser bereits ein Begriff sein, nachdem sie es regelmäßig schaffen, mit neuen, sensationell guten Veröffentlichungen und regen Live-Aktivitäten auf sich aufmerksam zu machen. Ihr Punkrock Jahrgang 77, der teils stark an die alten Helden COCK SPARRER, RAMONES und SEX PISTOLS erinnert, wirkt als zuverlässig zündende Partygranate. Nach Touren und Konzerten hierzulande haben Chris (Gesang), Fabe (Gitarre), Ronni (Bass) und Benny (Schlagzeug) im März und April den Sprung über den großen Teich für eine zweiwöchige Tour durch Brasilien, Uruguay und Argentinien gewagt. Möglich wurde das unter anderem durch die Freundschaft zu den ARGIES, mit denen die RENDERINGS bereits zahlreiche Konzerte in Deutschland gespielt haben. Hier ein Auszug aus dem RENDERINGS-Tourtagebuch.

26.03.09, São Paulo: Zwölfeinhalb Stunden Flug sind überstanden. Sehr kurzweilig durch individuelle Multimediaprogrammgestaltung und Gratis-Alkohol. Ja, der Trinkspaß setzt sich auch hier fort. Trotzdem sind wir froh, endlich angekommen zu sein. Am Ausgang erwartet uns Edu von den NITROMINDS, der uns mit seinem Sprinter zu einem Hostel im Zentrum von São Paulo fährt. Auf der Fahrt müssen der Kater und die Müdigkeit den vielen neuen Eindrücken weichen. São Paulo, wir sind hier! Mit einem gut gekühlten Bierchen finden wir im Hostel zunächst unsere Ruhe. Abends dann, gut eine Stunde später als ausgemacht (an solche Verspätungen werden wir uns noch gewöhnen), werden wir von unserem brasilianischen Booker Renato zum Soundcheck in der Vegas Bar abgeholt. Eine Art Rock’n’Roll-Disco für die etwas gehobene Punk-Gesellschaft São Paulos. Ziemlich nobel alles – nicht direkt das, was wir erwartet haben. Bass- und Gitarrenamp sowie die Drums sind schon liebevoll für uns aufgebaut. Somit müssen wir nur noch die Gitarrenkabel einstecken und soundchecken – herrlich. Im benachbarten Punkrock-Restaurant gibt es dann leckeres Essen zu guter Musik. Um etwa zwei Uhr ist Showtime. Wir sind die einzige Band. Der Laden voll, etwa 450 Besucher, erwartungsvolle Gäste und Hardcore-Stagediver, super! Trotzdem fällt es uns schwer, so richtig warm zu werden. Der Flug, die Sauferei und der Jetlag stecken uns noch ziemlich in den Knochen. Auch eine ungewohnt hohe Nervosität können wir nicht verleugnen. Den meisten Besuchern fiel das wohl aber nicht auf.

28.03.09, São Paulo: Nach einem ersten Day-Off mit viel Schlaf sind wir heute gut ausgeruht. Vor dem Gig heute Abend in der „CB Bar“ geht’s aber erst mal ab ins Stadion. Stadt-Derby: São Paulo FC gegen Palmeiras. Abends dann der Auftritt in der CB Bar. Wieder ein recht großer Laden, aber nicht so schick wie der Vegas Club. Fassungsvermögen: gut 600 Leute. Später werden wir überrascht sein, dass der Club auch tatsächlich voll ist. Während wir im Backstage-Bereich auf unseren Auftritt warten, gibt es eine Überraschung, die unseren Puls nach oben schnellen lässt. Focka, ein weiterer guter Freund von Renato, der sich auch sehr nett um uns gekümmert hat, hat die kompletten ADICTS mitgebracht. Ja, die ADICTS! Die Jungs haben früher am Abend in São Paulo gespielt und Focka hat seine Beziehungen spielen lassen und die Band überredet, mit in die CB Bar zu kommen. Wieder sind wir die einzige Band. Das „Vorprogramm“ besteht aus einer vollbusigen Vintage-Stripperin. Obwohl wir wegen der vielen Leute und der großen Prominenz im Publikum wieder tierisch aufgeregt sind, geben wir eine deutlich bessere Show als vor zwei Tagen. Als wir „Take ’em all“ von COCK SPARRER spielen, bitten wir Monkey von den ADICTS auf die Bühne. Renato hat ihn zuvor gefragt, ob er den Song mit uns singen will. Sternhagelvoll klettert Monkey auf die Bühne. Nachdem er das Introriff erkannt hat, lallt er ins Mikro „No, I won’t sing COCK SPARRER“ und geht wieder. Schade, dass er jetzt den Rockstar raushängen muss. Er hatte eigentlich begeistert zugesagt. Aber egal, die Leute gehen trotzdem voll ab. Kid Dee, der Drummer der ADICTS, der uns nach der Show im Backstage beglückwünscht – „You’re the fucking best punkrock band from Germany“ – hat auch keine Erklärung für das Verhalten seines Sängers („You know, Monkey is just crazy sometimes“). Auch Kid Dee steht unter dem Einfluss diverser Rauschmittel und erzählt uns gut gelaunt private Geschichten aus dem Tourleben der ADICTS.

29.03.09, Curitiba: Um zwölf Uhr mittags geht es mit dem Reisebus weiter nach Curitiba. Irgendwie tut es gut, aus dem Betonmoloch São Paulo rauszukommen und mal richtig tropisches Grün zu sehen. Nach gefühlten zwanzig Stunden Fahrt treffen wir endlich in Curitiba ein. Irgendwie können wir den zwei Taxifahrern klar machen, wo wir hin wollen, und kommen endlich im Club 92 Degrees an – einem eher kleiner Laden, der uns an die Größendimensionen zu Hause erinnert. Auch dass wir als einzige Band am Abend spielen, ist ab jetzt vorbei. Es ist der dritte und letzte Tag eines Underground-Festivals, auf dem insgesamt rund vierzig Bands gespielt haben. Der Ablauf der Auftritte der verschiedenen Bands ist sehr gut und straff durchorganisiert. Um 23:30 Uhr stehen wir auf der Bühne. Der Bühnensound ist miserabel. Egal, los geht’s! Vom ersten Song an ist die Meute dabei und am Abgehen. Es kommen Zurufe wie „Ey, Alemão, alles gut!“ Nach der Show geben wir ein Interview für ein Online-Fanzine. Der Interviewer ist nett, wirkt aber ziemlich nervös. Entweder weil er Englisch sprechen muss oder weil er uns für berühmt hält. Glücklicherweise hat der Veranstalter ein Hotel für uns gebucht. Also ab dorthin und Füße hoch.

01.04.09, Jaraguá do Sul: Nach zwei Off-Tagen in einem kleinen Kaff namens Caiobá am Meer fahren wir morgens um acht Uhr weiter nach Jaraquá do Sul. Die restlichen Stunden bis zum Konzert schlagen wir dann mit Bier und Billard tot. Die Show ist eine von denen, die man schnell abhakt. Der Sound ist ziemlich mies und sehr laut in dem kleinen Laden. Es ist unter Woche, deswegen hält sich auch die Besucherzahl mit vierzig bis fünfzig Leuten stark in Grenzen. Diesmal gibt es kein Hotel, sondern man quartiert uns in das Eingangszimmer einer WG ein. Mit Whiskey und anderen Getränken schießen wir uns angenehm ab und unterhalten uns mit Händen und Füßen bis in die frühen Morgenstunden mit den Bewohnern der WG. Sehr nette Gastgeber!

02.04.09, Montevideo: Auf der sechsstündigen Busfahrt nach Curitiba, von wo wir weiter nach Montevideo fliegen werden, holen alle den versäumten Schlaf nach. Mit einem Großraumtaxi fahren wir vom Flughafen Montevideo direkt zum Club Lindolfo. Bei der Ankunft gibt es eine große Wiedersehensfreude mit den Jungs von HABLAN POR LA ESPALDA. Die Band war vor Jahren mit Fabes Ex-Band TIDAL schon einmal in Deutschland unterwegs. Mit ihnen werden wir heute Abend zusammenspielen. Das Lindolfo ist wieder ein etwas noblerer Schuppen. Entsprechend gut ist die Anlage und deshalb haben wir endlich wieder einen ausgezeichneten Sound. Wir spielen zuerst und liefern ein solides Anheizerset von etwa 25 Minuten. Die Hablan-Jungs wollen nach ihrer Show noch ordentlich mit uns feiern, aber wir sind zu erschöpft und wollen nur noch schlafen. Für die zwei Tage in Montevideo kommen wir bei Victor unter, dem Bassisten von HABLAN POR LA ESPALDA.

03.04.09, Montevideo: Tagsüber nehmen wir uns etwas Zeit für die Stadt. Auffällig ist hier die fast fanatische Verehrung der RAMONES. Ob auf Gedenksteinen für einen General, öffentlichen Statuen oder Skulpturen – neben Parolen liest man immer wieder die Buchstaben R-A-M-O-N-E-S. Am Abend spielen wir dann im Club Decibelios. Eher wieder ein Schuppen, der „mehr Punkrock“ ist. Im Erdgeschoß ist die Bar und unten im Gewölbekeller der Konzertraum. Der Veranstalter ist sehr darum bemüht, dass wir alles haben, was wir brauchen. Heute müssen wir allerdings ewig warten. Aus den ursprünglich angekündigten drei Vorbands werden im Laufe des Abends sieben! Es scheint hier so üblich zu sein, dass jede Band, die gerade in der Nähe ist, doch noch eben „kurz mal“ auf die Bühne darf. Um drei Uhr morgens ist es dann endlich auch für uns so weit. Erstaunlicherweise haben die Leute auch nach sechs Stunden Dauerbeschallung immer noch nicht genug. Der Laden ist jetzt sogar noch voller und die Stimmung am Höhepunkt. Was für Verrückte! Um den bis jetzt sehr schlecht laufenden Verkauf unserer CDs und T-Shirts anzukurbeln, machen wir es nach dem Konzert wie früher – Bauchladen! Die Besucher sind verdutzt, doch die Taktik geht auf. „Das hat hier noch keiner gesehen, dass eine Band selbst durch das Publikum geht und ihre CDs verkauft!“, sagt der Veranstalter, während er sich keineswegs darum kümmert, wie er den mittlerweile durchsickernden Regen stoppen oder die Pfützen wegputzen lassen kann. That’s Uruguay!

Sa., 4.4.09, Buenos Aires (Tortuguitas): Adios Montevideo! Es geht weiter mit dem Bus und dann mit dem Schiff über den Rio Plata nach Buenos Aires. Hier ist alles top organisiert von unseren lieben Freunden David und Ale von den ARGIES. Hotel und Tourbus mit Fahrer sind bereits gebucht und warten auf uns. Nachts um zwölf werden wir vom Hotel abgeholt und nach Tortuguitas, das etwa eine Stunde außerhalb des Zentrums liegt, in den Club Mr. Jones gefahren. Kaum raus aus dem Zentrum, wird’s hier echt dunkel, kriminell und unheimlich. Und mitten drin der Schuppen voll mit Psychos, abgedrehten Typen und Iros. Der Gig um vier Uhr morgens entwickelt sich zum Desaster: Ständig knallen die betrunkenen Pogotänzer auf die Bühne, die Monitoranlage fällt immerzu aus und das Schlagzeug auseinander. Zu guter Letzt reißt auch noch das Bassdrumfell, das dann notdürftig mit Gaffa geflickt wird. Den Leuten scheint es egal zu sein. Die gehen ab ohne Ende. Spätestens bei unserer Coverversion eines Songs der einheimischen ATTAQUE 77 drehen dann alle endgültig ab. Nach dem Gig können wir uns kaum vor Komplimenten und Fotos retten.

05.04.09, Buenos Aires (San Justo): Vor dem Gig im Stadtteil San Justo gehen wir mit den ARGIES zusammen essen und können endlich in Ruhe das Wiedersehen feiern und miteinander quatschen. Anschließend geht’s dann gleich zum Club El Faro. Eine schöne Rockkneipe mit Konzertsaal im ersten Stock. Wir fühlen uns wohl. Leider etwas wenig Leute heute, vielleicht dreißig Zahlende. Auch hier scheint der Sonntagabend nicht besonders gut für Konzerte geeignet zu sein. Ungewohnt früh, um 23 Uhr, stehen auch schon die ARGIES auf der Bühne und geben wie immer ihr Bestes, doch der Funke will einfach nicht auf das kleine Publikum überspringen. Jetzt liegt es an uns. Wir lösen das Problem mit einem weiteren ATTAQUE 77-Cover und schon versammeln sich alle Zuschauer vor der Bühne und feiern mit uns das restliche Programm ab. Schade, dass wir offenbar immer erst ein Cover von den argentinischen Ikonen spielen müssen, um die Leute richtig zu packen.

09.04.09, Parana: Nach drei freien Tagen, an denen außer individueller Freizeitgestaltung und einem Interview bei einem Untergrundradiosender nicht viel passiert, geht es sehr früh zum Busbahnhof. Ein Gig in Parana, nördlich von Buenos Aires, steht an: acht Stunden Busfahrt! Von den Veranstaltern werden wir nach der Ankunft zur „Bandunterkunft“ gebracht. Die Garage eines der drei Veranstalter muss dafür herhalten. Heute dürfen wir also zum ersten Mal auf der Tour auf dem Fußboden schlafen. Nach einer Bier- und Mate-Tee-Stärkung macht die komplette Meute, bestehend aus den ARGIES, den Veranstaltern und uns, einen Promenadenbummel am Flussufer. Gegen 23 Uhr machen wir uns auf zum Veranstaltungsort Club Talleres. Die Mensa einer Schule wurde dafür entsprechend eingerichtet. Aber der Steinfliesenboden und die großen Fenster ohne Dämmung sorgen dafür, dass der Sound unerträglich laut und hallig ist. Es wird wieder vier Uhr, bis wir dran sind, aber inzwischen haben wir raus, wie wir uns bei Laune halten, ohne bei Auftrittsbeginn schon jenseits von Gut und Böse zu sein. Diesmal sind die Leute von Anfang voll dabei. Bei den ATTAQUE 77-Coversongs explodieren sie aber förmlich. Alle wollen auf die Bühne und mitsingen, Mikroständer fallen um, Leute torkeln in den Gitarrenverstärker und in die Drums. Verletzte gibt es dabei zum Glück nicht. Anschließend genehmigen wir uns drei Stunden Schlaf auf dem Steinboden, dann geht’s zurück nach Buenos Aires. Buenas noches!

10.04.09, Buenos Aires (Burzaco): Nach achtstündiger Busfahrt sind wir wieder zurück im „Hauptquartier“ in Buenos Aires. Heute Abend spielen wir im Cluster im Vorort Burzaco. Das Cluster ist eigentlich mehr eine Kneipe als ein Club. Keine Bühne – überall stehen Tische und Stühle herum, also kein Platz zum Pogen. Heute scheint es wohl ein Sitzkonzert zu geben! Gegen ein Uhr füllt sich der Laden auf einmal recht schnell. Die erste von diesmal „nur“ zwei Vorbands fängt dann auch schon an. In der Zwischenzeit sitzen wir draußen im „Biergarten“ und bekämpfen unsere Müdigkeit mit „Speed con Vodka“ („Speed“ ist hier der Name von einem Energy-Drink!). Um drei Uhr sind wir dran. Das Cluster ist inzwischen voll, und die Leute haben anscheinend richtig Bock auf uns! „Vamos los RENDERINGS!“, wird uns während dem Aufbau zugerufen. Bei den ersten Songs läuft noch alles recht gediegen ab: Einige sitzen, einige wippen im Takt. Als wir aber wieder „Angeles caidos“ von ATTAQUE 77 auspacken, bricht plötzlich die Hölle los. Die Tische, die zwischen uns und dem Publikum stehen, werden weggeräumt. Jeder will an ein Mikro kommen und mitgrölen. Es wird gepogt, von den Tischen gesprungen und unser Sänger Chris bekommt die Zunge von einer süßen Argentinierin in den Hals geschoben. Diese Wahnsinnsstimmung bleibt bis zum Ende erhalten. Die Besitzerin des Clubs muss froh gewesen sein, dass die Meute nur Tische und Stühle beiseite geräumt und nicht gleich den ganzen Laden auseinander genommen hat!

11.04.09, Buenos Aires (Zentrum): Letztes Konzert der Tour. Schon? Sehr schade, denn trotz aller Anstrengungen könnten wir noch ein paar Wochen so weitermachen. Zum Abschluss spielen wir direkt im Zentrum von Buenos Aires, im Speedking. Ein gediegener Konzertschuppen mit großer Bühne, guter Anlage und einem Fassungsvermögen von gut 600 bis 700 Leuten. Heute fangen wir mal wieder früher an – schon um zwölf Uhr. Die ARGIES haben die Leute gut angeheizt. Wir geben noch mal alles und spielen uns den Arsch ab. Die Menge geht mit – perfekt. Einziger Wermutstropfen ist, dass der Schuppen nur ungefähr halb voll ist. Nach der Show werden wir aus dem Club regelrecht „rausgekehrt“. Wir feiern den letzten Gig in einer kleinen, gemütlichen Punkrock-Bar um die Ecke bis in die hellen Morgenstunden.

Um die Erlebnisse der letzten beiden Wochen zu verarbeiten, genehmigen wir uns noch einen ausgiebigen Urlaub. Die Band trennt sich in zwei Gruppen und bereist Argentinien und Uruguay, bis es dann wieder nach Deutschland geht. Diese Tour war für uns einfach unglaublich, der absolute Wahnsinn. Und wir sind uns ganz sicher: wir kommen wieder!

(Überarbeitung von Hannes Baral)