PUBLIC IMAGE LTD.

Ein Leben in Erinnerungen

John Lydon zu interviewen ist so angenehm wie kompliziert. Im Gegensatz dazu, was über den SEX PISTOLS-Sänger und PiL-Gründer oft gesagt und geschrieben wird, habe ich ihn bei mittlerweile drei Interviews als angenehmen, offenen Gesprächspartner erlebt – aber auch als einen, der eigene Wege geht, der gerne und viel erzählt, aber nicht immer das, was man fragen möchte. Das ist herausfordernd, aber wenn man sich auf diese Gesprächssituation einlässt, auch lohnenswert. Anlass des erneuten Interviews ist zum einen das neue PUBLIC IMAGE LIMITED-Album, zum anderen Lydons jüngst auf Deutsch erschienene zweite Autobiografie „Anger Is An Energy“.

Heute ist einer der heißesten Tage in Deutschland, über 35 Grad. Du lebst seit Jahren in Los Angeles, ich schätze, für dich wäre das nichts Besonderes.


Nein, das stimmt so nicht. Hier an der Küste hat es eigentlich nie über 27, 28 Grad. Die Entscheidung, hierher zu ziehen, war eine der besten in meinem Leben. Als ich jung war, war ich ständig krank. Ich hatte die ganzen Kinderkrankheiten und auch Bronchitis, habe zig Lungenentzündungen hinter mehr – ich habe nicht ein paar Narben auf der Lunge, sondern noch etwas Lunge zwischen den Narben, haha.

Man wundert sich, wie Menschen in einer Stadt wie London überhaupt überleben können ...

Nun, es gibt schlimmere Städte – zum Beispiel Manchester, wo es wirklich permanent regnet. Man kann es sich eben nicht aussuchen, wo man geboren wird, wo man aufwächst, und so ist das Wetter für uns Menschen eben ein ständiges Aufregerthema. Wir scheinen uns mit der Natur nicht arrangieren zu können. Ich bin durch meine Bands und die Touren so privilegiert, dass ich viele Länder und Städte kennen lernen konnte und so eine Vorstellung davon bekam, wo ich mir zu leben vorstellen könnte und wo nicht.

Und warum Los Angeles?

Ich lebe jetzt rund 25 Jahre hier, und der Grund ist wirklich das völlig langweilige Wetter, das sich nie ändert. Für mich ist das ein Vorteil, ich muss mich nicht damit beschäftigen. Den Blick gen Himmel kann ich mir sparen. Wenn es hier regnet, sind alle schockiert. Dafür hat man es hier freilich mit durchaus gravierenden Problemen wie Erdbeben und Feuer zu tun. Man kann Kalifornien zwar als den Himmel auf Erden bezeichnen, aber etwas Hölle gehört dazu. So ganz freiwillig war der Weggang aus Großbritannien allerdings nicht, denn damals bekamen wir dort mit PiL einfach keine Konzerte mehr, und in Europa auch nicht. Also zogen wir nach New York, und von da aus immer weiter gen Westen. Als ich am Meer angekommen war, ging es nicht mehr weiter und das Reisen hatte ein Ende.

Deine Frau Nora stammt aus Deutschland – stand das als Wohnort nie zur Debatte?

Schon, aber wir beide verkraften solche harten Winter einfach nicht. Frauen ist es ja immer kalt, egal wo sie sind, haha. Also stellte sich die Frage, warum wir uns Schnee und Kälte aussetzen sollten. Und dann war da eben noch der Gesundheitsaspekt: Mein Immunsystem ist seit meiner Kindheit schwach, ich fange mir sehr schnell eine Erkrankung der Atemwege ein, also ... besser da leben, wo es warm ist. Ich muss einfach immer sehr vorsichtig sein mit meiner Gesundheit, was auch schade ist, denn so kann ich nicht den professionelle Trinker geben, der ich gerne wäre. Das ist schon verdammt schade, hehehe.

Dein Arzt dürfte so aber eher mit dir zufrieden sein.

Ich habe keinen Hausarzt. Zum Arzt gehe ich immer nur, wenn eine Tour ansteht, dann muss ich. Die Versicherung besteht darauf, dass ich mich untersuchen lasse, um zu beweisen, dass ich gesund bin. Ohne eine entsprechende Ausfallversicherung würden sich die Veranstalter weigern, mich zu buchen. Mir eilt ein gewisser Ruf voraus, hahaha.

Auf Tour zu gehen, klingt für jemanden wie dich, der sich leicht erkältet, wie eine gewaltige Herausforderung. Ein ständiges Rein und Raus aus klimatisierten Räumen, überall zieht es ...

Deshalb verbringe ich so wenig Zeit wie möglich backstage, und im Tourbus sitze ich immer hinten, wo ich ein Fenster öffnen kann und nicht der Klimaanlage ausgesetzt bin. Und ich steige grundsätzlich nur in Hotels ab, wo man im Zimmer das Fenster öffnen kann. Von der Klimaanlagenluft bekomme ich sehr schnell eine Erkältung. Abgesehen davon ... liebe ich das Touren. Ich bin zwar immer nervös und ängstlich, bevor ich auf die Bühne gehe, doch stehe ich mal da oben, ist es das Beste auf der Welt! Es ist immer wieder eine großartige Gelegenheit, sich mit tausenden Menschen offen und ehrlich auszutauschen.

Im Oktober wirst du das erste Mal seit 28 Jahren mit PiL wieder nach Deutschland kommen. Warum erst jetzt?

Irgendwie war es immer sehr schwer, in Deutschland an Konzerte zu kommen, aber diesmal hat es geklappt – und jetzt heißt es Daumen drücken, dass der Veranstalter nicht wieder in letzter Sekunde einen Rückzieher macht wie beim letzten Mal. Und vor allem: ich kann das Oktoberfest besuchen! Was könnte es Schöneres geben? Ich war mal bei einem „Oktoberfest“ in Berlin und ein alter Mann fing an, mich zu beschimpfen, weil er der Überzeugung war, ich sei Deutscher und würde den englischen Akzent nur nachmachen, hahaha. Der hat mich nicht erkannt.

John, ich habe gerade dein Buch gelesen und bin beeindruckt, wie offen und ehrlich, aber auch versöhnlich du dich da äußerst. Warum dieses Buch, nachdem du doch 1993 mit „Rotten: No Irish, No Blacks, No Dogs“ bereits eine Autobiografie geschrieben hattest?

Weil ich mich zuvor nie mit meiner Kindheit befasst habe. Trotzdem gibt es da draußen immer noch Journalisten, die so tun, als hätten sie schon immer alles über mich gewusst. Nein, das tun sie nicht. Dabei sind es meine frühen Jahre, die meine Persönlichkeit geprägt haben. Ich hielt es für wichtig und relevant, dazu was zu erklären, gerade auch zu der Hirnhautentzündung, wegen der ich fast vier Monate im Koma lag und an der ich beinahe gestorben wäre. Danach brauchte ich vier Jahre, um mein Erinnerungsvermögen wiederherzustellen und meine Eltern wiederzuerkennen. Das waren harte Jahre, und die wollte ich niederschreiben. Ich bin ein Überlebender, und das Buch ist als „How to do it yourself“-Handbuch gedacht: „Wie schafft man es zu überleben?“ Und wie schafft man es nach so viel Schmerz, sein Leben zu genießen? Wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe, dann dass jeder von uns irgendwann solche schmerzhaften Erlebnisse durchstehen muss. Ich finde, wir sollten uns mehr über solche Erlebnisse und Erfahrungen austauschen. Ich habe das viele Jahre verdrängt, und dachte mir, wenn ich das so öffentlich erzähle, hält man mich nur für selbstmitleidig. Ich gehe in diesem Buch sehr selbstkritisch mit mir zu Gericht, es war schwer, das alles in Worte zu fassen, denn viele der beschriebenen Situationen waren sehr traurig und hart durchzustehen. Aber sie haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Letztlich muss ich der Meningitis ja sogar dankbar sein, denn nur durch diese Krankheit wurde ich zu der Person, die ich heute bin. Wegen dieser Erfahrung liebe ich mein Leben und alle Menschen, deshalb halte ich nichts von Gewalt. Und auch wenn ich nicht so ganz genau weiß, was ein Atheist ist, bin ich wohl einer von denen. Ich will mein Leben genießen, und ich habe Spaß an Humor. Weißt du, woher ich viel von meinem Wissen über die Welt habe? Von Comedians!

Deine Eltern waren Einwanderer aus Irland, und den Iren wird ja ein ganz eigener Humor nachgesagt.

Ja, das ist seltsam mit den Iren: da wird bei Hochzeiten geweint und bei Beerdigungen gelacht. Ich halte das für ein wirklich kluges Konzept, mit dem Leben klarzukommen: stell einfach alles auf den Kopf und betrachte alles mal aus einer anderen Richtung. Das ist so grundlegend wie die Frage, ob man ein Glas für halb voll oder halb leer hält. Ich denke, das hat was mit der grundsätzlich widersprüchlichen Art der Iren zu tun. Ich komme mit dieser Sicht auf das Leben jedenfalls sehr gut klar. So schwer es für mich im Einzelfall war, so versuche ich doch meinen Lesern zu vermitteln, dass man über seine Schwierigkeiten hinwegkommt und später sogar feststellt, dass sie positive Auswirkungen hatten. Aber wenn ich mit einer Sache nicht klarkomme, dann mit Menschen, die versuchen sich umzubringen. Die verschwenden das einzig wirklich bedeutende Geschenk ihres Lebens – ihr Leben!

Hatte das Schreiben des Buches eine Art therapeutische Wirkung auf dich?

Ja, so könnte man es nennen. So ein Projekt reinigt die Seele – und man fegt ein paar Spinnweben in einigen Winkeln seines Kopfes weg. Man kramt Erinnerungen aus, die sonst bis in alle Ewigkeiten dort verrottet wären oder einem sogar noch Ängste und Phobien bereitet hätten. Ich fühle mich gerade wegen des Schreibens dieses Buches geistig gesund. Ich freue mich, dass ich all diese Gedanken mit anderen teilen kann. Ich habe bewusst nicht über Ruhm und Ehre geschrieben und wie es im Rockstargeschäft so läuft. Und manchmal zahlt es sich eben aus, wenn man in der Lage ist, über sich selbst zu reden, und ja, das ist wie eine Therapie. Ich bin mir bewusst, dass ich großes Glück hatte. Ich bin alles, nur nicht arrogant.

Wie hast du es überhaupt geschafft, diese Erinnerungen aus deinem Hirn zu kramen? Ich muss sagen, mir würde es schwerfallen, mich an so viele Details meines Lebens zu erinnern.

Mir sind meine Erinnerungen fast alle präsent. Das hat etwas damit zu tun, dass ich all meine Erinnerungen einmal verloren hatte, als ich aus dem Koma erwachte. Vier Jahre brauchte ich, um mich wieder zu erinnern. Und seit diesem Tag, als ich aus dem Koma erwachte, behalte ich alles im Gedächtnis, was irgendwie von Belang ist. Ich klammere mich an Erinnerungen, sammle sie wie besessen, fülle meinen Kopf damit, verändere nichts an ihnen, und sie sind immer präsent. Daraus besteht mein Leben, und ich bin dankbar für jeden Augenblick, den ich erlebt habe.

Und wie kommst du mit den negativen Momenten klar? Man hat ja nicht nur schöne Erinnerungen.

Auch diese Erinnerung muss man ertragen, denn sie sind besser als nichts. Und ich weiß, wie es sich anfühlt, keinerlei Erinnerungen zu haben. Keine Erinnerungen zu haben, das war der schmerzvollste Moment meines Lebens. Dieses Gefühl will ich niemals wieder erleben müssen. Alles im Leben, auch Tragödien und Enttäuschungen, verdienen es erinnert zu werden.

Auf der ersten Seite des Buches schreibst du: „Ich widme dieses Buch der Integrität.“ Warum?

Ich hoffe, Integrität ist mein guter Freund. Meine Eltern haben mir beigebracht, wie wichtig es ist, integer zu sein. Nicht selbstmitleidig zu sein. Andere nicht hängenzulassen. Nicht zu lügen. Immer so offen und ehrlich zu anderen zu sein wie nur möglich. Ich stehle nicht. Ich respektiere jeden Menschen. Ich dränge mich niemandem auf. Ich bin nicht gewalttätig. All das zusammen nenne ich Integrität.

„Anger Is An Energy“, „Wut ist Energie“, ist ein wundervoller Titel, und es ist eine Textzeile aus dem grandiosen PiL-Song „Rise“. Nun benutzt du Wut in einem positiven Kontext, wohingegen andere das eher als einen negativem Begriff, ein negatives Gefühl ansehen.

Für mich ist Wut ein positives Gefühl, auch wenn viele Menschen das wahrscheinlich anders sehen. Als ich damals ohne Erinnerung im Krankenhaus lag, sagten die Ärzte meinen Eltern, der beste Weg, mein Erinnerungsvermögen anzuregen, damit ich mich erhole, sei mich wütend zu machen. Sie sollten mir nicht erlauben, es zu genießen, mich nicht erinnern zu können, wer ich bin. Und so kam ich den „Genuss“ von vier Jahren Wut und Quälerei. Und das half, dass ich die Kurve kriegte. Deshalb ist Wut für mich etwas Gutes. Wut hat dafür gesorgt, dass ich wieder ich selbst wurde. Seitdem glaube ich an diese Methode. Wer schlussfolgert, dass Wut nur zu Gewalt und Hass führt, hat einfach nicht wirklich darüber nachgedacht. Wer so denkt, ist ein Narr.

Du erwähntest vorhin, dass du Atheist bist. Da muss es dir doch große Freude bereitet haben, dass man dich letztes Jahr für die Rolle des König Herodes im Musical „Jesus Christ Superstar“ vorgesehen hatte. Leider wurde die Produktion dann eingestellt.

Ja, das war eine geniale Sache, und ich habe gerne die Gelegenheit ergriffen, mal etwas zu machen, was so weit weg ist von meinen normalen Aktivitäten. Es war eine echte Herausforderung und ich habe meine Sache gut gemacht. Leider hat der Veranstalter des Ganzen die Sache noch vor der Premiere abgeblasen und ich war echt sauer, dass ich ein Jahr meiner Zeit in ein Projekt investiert habe, für das ich mich wirklich angestrengt hatte, denn ich wollte meine Sache gut machen. Dass man mir mal eine Rolle in einem Musical über Jesus anbieten würde, damit hatte ich ja nie gerechnet. Wer mich kennt, der weiß, wie wenig diese Rolle meiner wirklichen Persönlichkeit entspricht, aber andererseits heißt es ja immer, dass sich Gegensätze anziehen. Das war so seltsam, es fühlte sich schon beinahe an wie eine bipolare Störung. Letztlich habe ich aber trotz der Absage des Stückes doch etwas gelernt: Ich hatte immer Vorbehalte gegen diese Theaterleute, doch die erwiesen sich als gegenstandslos. Die waren alle sehr nett und fürsorglich, die kümmerten sich umeinander wie in einer Familie. Das war sehr anrührend, mit Menschen so eng zusammenzuarbeiten. Da musst du dein Ego an der Tür ablegen, sonst kannst du das nicht machen. Du musst bereit sein, ganz albern zu sein, Spaß zu haben. Ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit. Doch, ich kann jedem nur empfehlen, mal an einer Musical-Produktion mitzuarbeiten. Das Ganze erinnerte mich an die Theatergruppe in meiner Schule, da wollte ich auch immer an Weihnachten beim Krippenspiel mitmachen. Aber ich wurde nie für eine Rolle ausgewählt, und das hat mich verletzt. Diese Musical-Erfahrung brachte diese Kindheitserinnerungen zurück, an den Wunsch, jemand zu sein – und von anderen dafür nicht als würdig genug erachtet zu werden. Und jetzt, nach all den Jahren, die Befriedigung, dass Johnny Rotten für würdig genug empfunden wird, im „Jesus Christ Superstar“-Musical mitzuspielen.

Durftest du dir eine Rolle aussuchen?

Nein, die Rolle des Herodes war für mich vorgesehen. Wie viel die Figur mit dem historischen Vorbild zu tun hat, keine Ahnung – es ist eben ein Musical. Immerhin, ich lernte bei der ganzen Sache sogar ein paar Tanzschritte – und ganz ehrlich, ich hätte Geld dafür bezahlt, Johnny Rotten in so einer Rolle auf der Bühne zu sehen, hahaha. Es war war wirklich lustig – pure Anarchie.

„What The World Needs Now ...“ ist der Titel des neuen PiL-Albums. Also frage ich dich: Was braucht die Welt?

Es ist ein offenes Statement, ein unbeendeter Satz – jeder Hörer muss die Antwort basierend auf seiner Lebenserfahrung selbst geben. Ich denke, die Welt braucht einmal mehr ein „Fuck off!“!

Einer der Songs trägt den Titel „Betty Page“ und bezieht sich offensichtlich auf das Fetisch-Model gleichen Namens. Warum hast du sie in einem Song verewigt?

Betty Page schaffte es in den Fünfzigern, das Strippen als Performance-Kunst zu etablieren. Sie stieß auf starke Vorbehalte und Widerstände, da war viel amerikanischer Puritanismus im Spiel. Ich halte sie für eine sehr mutige Frau und bewundere sie sehr, und deshalb habe ich ihr zu Ehren diesen Song geschrieben.

Gab es für das Album ein bestimmtes Konzept, oder wie habt ihr gearbeitet?

Nein, unsere Platten entstehen nach und nach, ganz natürlich und instinktiv. Wenn wir auf Tour sind, unterhalten wir uns sehr viel. Mit diesen Diskussionen und Gesprächen bereiten wir uns auf die Zeit im Studio vor, und wenn wir dann im Studio sind, explodieren all die Ideen einfach und es werden Songs daraus. Es ist fantastisch, wie wir arbeiten – und es hat fast 35 Jahre gebraucht, bis wir diese Ebene erreicht haben. Ich dachte ja früher, in einer Band zu sein, das sei automatisch mit Gefühlen wie Hass, Verachtung, Streit und Uneinigkeit verbunden. Aber das stimmt ja gar nicht, wie ich später feststellen musste, ich hatte zu Beginn einfach nur das Pech, dass die Menschen um mich herum, nun, sagen wir „netter“ waren als ich. Und das führt dann zu einer ganzen Reihe von Problemen. Mit PiL ist das anders, wir sind Freunde, wir kümmern uns umeinander, und ich denke, das merkt man der Musik an. Oh, Moment, ich muss eben meinen Tee aufgießen.

Ich wunderte mich gerade schon über das Pfeifen ...

Ich koche ständig Tee. Ich trinke locker vierzig Tassen am Tag. Eine sehr britische Angewohnheit, die ich auch in den USA nicht aufgegeben habe. Obwohl sie Tee hier nicht mögen, trotz der „Boston Tea Party“, an die ich bei dieser Gelegenheit immer gerne erinnere. Zum Glück gibt es PG Tips-Tee mittlerweile in jedem Supermarkt, früher war es schwieriger, den zu bekommen. Und zum Glück gibt es auch überall Heinz Baked Beans, das brauche ich zum Überleben. Mit etwas Chilisauce darüber sind die einfach köstlich. Fleisch esse ich kaum noch, da sind hier zu viele Steroide drin und es schmeckt nach nichts. Vegetarier bin ich nicht wirklich, also nicht absichtlich, aber man wird ja eigentlich dazu getrieben, wenn das Fleisch nach nichts schmeckt. Wenn etwas nichts taugt, vermeide ich so ein Produkt. Mit Eiern ist das genauso, da vermisse ich mittlerweile den Geschmack, den ich aus meiner Kindheit kenne. Oder Milch – ich kann die Erinnerung daran, wie Milch mal schmeckte, wirklich aus meinem Gehirn abrufen. Bei den heutigen Produkten erkenne ich den nicht mehr, also konsumiere ich sie nicht mehr.

Legst du generell Wert auf gutes Essen?

Durchaus, und vor allem ist es mir wichtig zu wissen, was ich da esse. Ich sehe nicht, was Maisstärke in irgendwelchen Produkten verloren hat, oder Fructose-Glucose-Sirup. Das Zeug ist tödlich, wozu soll das gut sein? Das ist ein Abfallprodukt der Industrie, und es ist billiger, das so zu verwenden, als es auf Deponien zu kippen.

Und auf Tour, ist dir da gutes Essen wichtig?

Vor Auftritten kann ich nichts essen, da bin ich viel zu nervös und angespannt. Nein, vorher was zu essen, ist völlig ausgeschlossen. Wichtig ist mir deshalb, dass ich nach dem Auftritt noch was zu essen bekomme, aber da ist das Essen dann meist kalt oder zerkocht oder vertrocknet. Aber da komme ich drüber hinweg – wichtiger ist, dass ich genug Kissen im Bett habe und sich das Fenster im Hotelzimmer öffnen lässt. So einfach kann es sein, zufrieden zu sein. Man braucht nicht viel im Leben. Vor allem brauche ich kein Luxusauto oder sonst irgendwelchen teuren Müll. Nora und ich sind in der Hinsicht sehr vernünftig, fahren unseren zuverlässigen alten Volvo, und ich glaube, der wird uns bis zu unserem Tod begleiten und bis dahin immer wieder in Erstauen versetzen. Der ist von 1994, gelb, eine wirklich absurde Karre. Der ist gebaut wie ein Panzer – zum Glück! Vor zwei Monaten erst hatte Nora eine Begegnung mit einem Zementlaster, und dank des stabilen Rahmens des Volvo ist ihr nichts passiert. Und der Wagen läuft sogar wieder, der ist echt unzerstörbar! Wir nennen ihn „The flying dustbin“, hahaha. Wir haben den noch nie gewaschen. Ha, vielleicht sollte ich mich mal um einen Sponsoring-Deal mit Volvo kümmern! Obwohl, seit die Amerikaner die Firma Ende der Neunziger übernommen haben, bauen die auch nur noch Müll, es ist eine Schande ...

Gibt es irgendwas, wofür du Geld ausgibst – außer für Spiele auf dem iPad?

Jajaja, ich habe das damals etwas übertrieben ... Zum Glück haben vernünftige Menschen um mich herum das bemerkt und einfach meine Kreditkarte sperren lassen, haha. Abgesehen davon ist das Einzige, was ich besitze und das einen gewissen Wert hat, meine Stereoanlage. Und ich kaufe ständig Platten, überall, wo ich hinkommen. Ich liebe es, in Plattenläden zu gehen, so richtig altmodische. Was immer Menschen auf Vinyl pressen, spricht mich als Sammler an. Gelegentlich kaufe ich zwar auch CDs, aber hauptsächlich Vinyl. Vor allem aber höre ich nie Musik als mp3s. Ich ertrage den Mangel an Klangqualität einfach nicht. Stilistisch schränke ich mich nicht ein, ich bin sehr offen. Wobei ich gestehen muss, dass ich in den letzten Monaten bedingt durch die Arbeit an Buch und Album gar keine Musik gehört habe außer meiner eigenen. Und jetzt steht bald die Tour an, bis dahin will ich mein Gehirn nicht mit der Musik anderer „verunreinigen“. Unbewusst lässt man sich eben beeinflussen, und das will ich nicht. Mir ist es in der Vergangenheit schon passiert, dass ich mitten in einem Song plötzlich den Text von einem fremden Stück anstimmte.

Es gibt Musiker, die sich nach der Aufnahme ihre eigene Musik nie wieder anhören.

Zu denen gehöre ich nicht, ich höre mir unsere Platten sehr genau an. Und ich kann es aktuell kaum abwarten, die Songs endlich live aufzuführen. Jedes Mal, wenn ich einen Song spiele, kommen mir neue Ideen in den Sinn, wie man den live noch besser rüberbringen kann. Ich sehe das so: Man nimmt eine Platte auf, und live versucht man dann, es noch besser zu machen. Außerdem wollen wir nicht unsere eigenen Platten imitieren – nein, es soll besser sein als auf Platte. Außerdem verhindern wir so, dass wir uns langweilen. Übrigens werden wir live nicht die ganze Platte spielen, es wird ein Mix von Stücken sein – mal sehen, welche es sein werden. Außerdem improvisieren wir auch viel auf der Bühne, aber das hängt von der Atmosphäre in der Halle ab. Vor allem aber gilt: Keine Songwünsche bitte! Ich mag es überhaupt nicht, wenn mir Menschen Songtitel entgegenbrüllen, mir sagen, was ich singen soll. Da komme ich mir vor wie so ein Seehund im Zirkus, dem man einen Ball zuwirft, damit der den auf der Nase balanciert: Arf, arf, arf! Ja, wir werden auch ein paar alte Songs berücksichtigen, aber ich verstehe nicht, warum manche Bands Konzerte geben, bei denen sie nur eine alte Platte spielen.

 


PUBLIC IMAGE LTD.

Im Dezember 1978 veröffentlichen PiL/PUBLIC IMAGE LTD. ihr Debüt „Public Image – First Issue“, dem bereits die erfolgreiche Single „Public Image“ vorausgegangen war. Das Line-up besteht aus John Lydon (aka Johnny Rotten, Jahrgang 1956, der im Sommer 1978 die SEX PISTOLS verlassen hatte), dem Gitarristen Keith Levene, Jah Wobble am Bass und Drummer Jim Walker. Diese Konstellation soll aber nicht lange bestehen, denn bereits bevor 1979 das zweite Album erscheint, verlässt Jim Walker die Band und wird in Folge von einer Reihe neuer Schlagzeuger ersetzt, die sich jedoch selten länger als ein paar Wochen in der Band halten können.

„Metal Box“ wird schließlich 1979 auf drei 12“s in einer Metallbox veröffentlicht. Ein Jahr später verlässt Jah Wobble die Band, die die nächsten zwei Jahre ohne Bassist weitermacht. Das Live-Album, „Paris Au Printemps“, das im Januar 1980 aufgenommen wird, erscheint Ende 1980. „Metal Box“ wird außerdem unter dem Namen „Second Edition“ als Doppel-LP noch einmal veröffentlicht.

1981 folgt das dritte Studioalbum „Flowers Of Romance“. Kurz darauf stoßen Drummer Martin Atkins und Bassist Pete Jones wieder zur Band, letzterer verlässt PiL aber 1983 zeitgleich mit Gründungsmitglied Keith Levene. Zusammen mit einigen Sessionmusikern gehen Lydon und Atkins auf Japantour, in deren Folge das Live-Album „Live In Tokyo“ erscheint. Im gleichen Jahr veröffentlichen PiL mit „This is not a love song“ ihren größten Charterfolg.

1984 erscheint das nächste Album „This Is What You Want ... This Is What You Get“. Während der Aufnahmen zum 1986 erschienenen Album „Album“ (je nach Format auch „Compact Disc“ oder „Cassette“) arbeitet Lydon lediglich mit Sessionmusikern zusammen und ist somit das einzige feste Mitglied von PiL. Für die anstehende Tour stellt er allerdings wieder ein festes Line-up auf, bestehend aus John McGeoch (ex-MAGAZINE) an der Gitarre, Allan Dias am Bass, Keyboarder und Gitarrist Lu Edmonds und Bruce Smith am Schlagzeug. In dieser Konstellation wird auch das 1987 veröffentlichte sechste Studioalbum „Happy?“ aufgenommen. Ein Jahr später muss Lu Edmonds die Band aus gesundheitlichen Gründen verlassen.

1989 folgt mit „9“ das neunte Album von PiL, die beiden Live-Alben mitgerechnet. Kurz darauf verlässt Bruce Smith die Band. Das Best-Of-Album „The Greatest Hits So Far“ erscheint 1990. Neben den Remixes von alten Songs enthält es auch die neue Single „Don’t ask me“, die wie „Rise“ von „Album“ ein kommerzieller Erfolg wird. PiL, mittlerweile nur noch aus John Lydon, John McGeoch und Allan Dias bestehend, nehmen 1992 zusammen mit Sessionmusikern „That What Is Not“ auf, das für die nächsten zwanzig Jahre das letzte Studioalbum der Band bleiben soll. Lydon will sich nach der Veröffentlichung mehr auf seine Solokarriere konzentrieren, 1997 erscheint sein Album „Psycho’s Path“.

Nach einigen Rereleases und Best-Ofs finden PiL 2009 in der Besetzung John Lydon, Lu Edmonds, Bruce Smith und Scott Firth wieder zusammen und veröffentlichen im Mai 2012 ihr neuntes Studioalbum „This Is PiL“. In dieser Besetzung wurde auch das aktuelle PiL-Album „What The World Needs Now ...“ eingespielt, das am 04.09. erscheint und in dessen Folge PiL erstmals wieder in Deutschland live zu sehen sein werden – die 2010 geplante Tour wurde damals kurzfristig abgesagt ...