PEARS kommen aus New Orleans, der Stadt des Jazz und der Brass-Bands, und sie spielen mitunter den wundervollsten Punkrock, den man sich vorstellen kann. Ihre Songs stecken voller rasiermesserscharfer Riffs und sind mit Texten ausgestattet, die Sarkasmus, Ironie und das Verständnis von Popkultur auf eine neue Stufe heben. Jetzt haben sie auf Fat Wreck ihr neues, selbstbetiteltes Album herausgebracht. Gitarrist Brian Pretus erklärt uns, was daran so besonders ist.
Brian, euer drittes Album ist das erste selbstbetitelte. Wollte euch nichts Vernünftiges einfallen, wurde die Zeit knapp – oder gibt es einen anderen Grund?
Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, weil wir dieses Album und diese Phase, in der es erscheint, als die Quintessenz, den Kern dessen betrachten, was unsere Band ausmacht. Dieses Album ist der Höhepunkt der Entwicklung der vergangenen sechs Jahre. Der Höhepunkt der Arbeit, die wir in diese Band gesteckt haben. Es repräsentiert perfekt, wer wir sind.
Und es gibt darauf wieder einmal einige Anspielungen auf andere Bands und Künstler. Ich habe PINK FLOYD, CHUMBAWAMBA, Lou Bega und – rein musikalisch – gar SYSTEM OF A DOWN registriert. Wie groß ist deine Plattensammlung?
Wenn du mit Plattensammlung das Internet meinst, dann ist sie riesig, haha. Wenn du damit aber tatsächlich Vinyl-Schallplatten meinst, dann würde ich sagen, sie ist mittelgroß.
Gehörst du auch zu jenen Nerds, die Musik hören und immer wieder Filme anschauen, bis sie jede Anspielung, jedes Easter Egg finden, das sich darin verbirgt?
Ehrlich gesagt bin ich für so etwas zu dumm. Ich muss mir Filme häufig zwei-, dreimal anschauen, um überhaupt die Handlung zu verstehen. Aber ein paar meiner Lieblingsfilme und einiges von meiner Lieblingsmusik gehören zu der Kategorie von Kunst, in der man jedes Mal, wenn man sich ihr widmet, immer wieder etwas Neues findet. Das ist meiner Meinung nach auch das wichtigste Merkmal großer Kunst.
Also ordnen wir „Pears“ ob all der Verweise, verborgenen Anspielungen und Schätze mal unter großer Kunst ein. Was habt ihr bei der Aufnahme dieses Albums anders, besser gemacht als bei den Platten zuvor?
In der Vergangenheit hatten wir immer, wenn wir ins Studio gegangen sind, zu diesem Zeitpunkt bereits alles vorbereitet. Jedes Detail der Songs war schon vollständig ausgearbeitet und abgeschlossen. Dieses Mal hingegen haben wir uns absichtlich viel weniger vorbereitet im Studio getroffen. Und genau das gab uns die Möglichkeit, dort wirklich gemeinsam konzentriert an den Arrangements und Ideen zu basteln. Etwas, das wir uns immer vorgenommen, aber bis dato eben nie umgesetzt hatten. Wir haben , während wir „Pears“ aufnahmen, einige Wochen quasi in den Black in Bluhm Studios gelebt. Das gab uns die Möglichkeit, wirklich rund um die Uhr in diese Platte einzutauchen. Wir waren viel kreativer und konzentrierter. Ein tolles Gefühl! All diese Dinge, die wir diesmal anders gemacht haben, bescherten uns eine viel positivere Erfahrung. Wir waren viel produktiver. Die Möglichkeit, noch im Studio Zeit zum Schreiben und Experimentieren zu haben, ist ein Geschenk des Himmels für eine Band wie uns. In der Vergangenheit mussten wir auf genau diese Zeit, diese Möglichkeit des Experimentierens immer verzichten. Mit der jetzigen Erfahrung kann ich sagen, wir wollen es nun immer auf diese Art machen.
Eure Texte erzählen von „Teenage angst“, Misanthropie, Depression – meist jedoch mit einem Augenzwinkern. Ist dieser Humor deiner Meinung nach der einzige und beste Weg, mit derlei Gefühlen umzugehen?
Ich spreche hier in gewisser Weise für Zach, der ja die Texte geschrieben hat, und ich denke, die Art und Weise, wie er das tut, ist unheimlich kathartisch. Oder besser ausgedrückt, therapeutisch. Und obwohl es ja viele Möglichkeiten gibt, solche Themen kreativ zu behandeln, denke ich, dass das nicht nur Teile von Zachs Charakter widerspiegelt, sondern dass dieser therapeutische Aspekt auch die Persönlichkeit der ganzen Band offenbart. Es ist uns allen wichtig, durch Humor, durch diesen Versuch, nicht alles zu ernst zu nehmen, das Schlechte und Schmerzvolle im Leben ein wenig zu lindern. Das mag nicht der einzige Weg sein, mit Depressionen und Ängsten umzugehen. Aber es ist definitiv der Weg, den wir alle bevorzugen.
Welches der neuen Lieder macht für dich den Kern, die Essenz dieses Albums aus?
Für mich gibt es ein paar Stücke, die infrage kommen. „Killing me“ etwa, der Eröffnungstitel. Denn er stammt teilweise von unserem neuen Bassisten Erich. Und es ist das erste Mal, dass jemand außer mir oder Zach etwas für PEARS geschrieben hat. Was nicht von ungefähr kommt: Als Erich in die Band kam, hauchte er ihr neues Leben ein. Und sein Eröffnungssong bildet die Grundlage für das gesamte Album – weil er die Band musikalisch und textlich eben so zeigt, wie sie gerade ist. Weil er diese Sache mit der Quintessenz, die hinter dem Eigennamen im Albumtitel steckt, rüberbringt. Wir sind alle eins. Ein Team. Alle tragen etwas zu PEARS bei. Ein anderer Song, von dem ich sagen würde, dass er ein Kernstück bildet, ist „Naptime“. Zuerst gab es ein Riff, das ich etwa ein Jahr lang im Kopf gehabt hatte, ohne wirklich zu wissen, was ich damit anfangen sollte. Und an dem Abend, bevor wir mit dem Aufnehmen der ersten Schlagzeugspuren für „Pears“ begannen, saß ich einfach auf der Couch im Studio, dachte an dieses Riff – und auf einmal fiel mir der Rest des Liedes einfach ein. So, als ob der Song schon die ganze Zeit in meinem Kopf gewesen und eigentlich längst fertig sei – nur dass mir das zuvor nicht bewusst war. Und der Song wäre ohne diese perfekte Situation im Studio, ohne diese Zeit zum Nachdenken und Ausprobieren auch nie aufgenommen worden. Hätten wir nicht die Möglichkeit gehabt, im Studio herumzuspielen, würden wohl weder dieses Lied, das einen Schub bewirkte, noch die Platte existieren.
Lass uns über eure Herkunft sprechen: New Orleans wird mit Jazz, mit Brass und dem Mardi Gras Festival in Verbindung gebracht. Ihr aber spielt Punk im Westcoast-Stil. Wie tief seid ihr dennoch mit diesem klischeehaften „Vibe“ eurer Heimat verbunden?
Ganz klar, New Orleans und seine Kultur stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Ich würde zwar nicht sagen, dass wir wie eine Westküsten-Band klingen, aber dass wir als Gruppe ein musikalischer Schmelztiegel und dadurch genau wie New Orleans sind.
Besonders in Deutschland mögen viele Leute, die aus der Punk-Szene kommen, den Karneval nicht. Sie sagen, er sei eine verordnete Freude, ein Fake-Spaß, der das wahre Leben ausblendet. Wie ist das mit dem Mardi Gras bei euch, der ja durchaus karnevalistische Züge trägt?
Ganz klar: Der Mardi Gras ist eine der erstaunlichsten und einzigartigsten Erfahrungen weltweit! Ich liebe ihn, seit ich klein war und gehe immer zu so vielen Paraden und Umzügen wie nur möglich. Und am meisten mag ich es, Freunden von außerhalb zeigen zu können, worum es dabei geht und was dabei in der Stadt los ist. Es gibt nichts Vergleichbares. Die Menge an Spaß, die man während des Karnevals haben kann, ob hier oder anderswo, geht weit über das Maß hinaus, das man zu jeder Zeit an jedem anderen Ort der Welt haben kann. Dieses ansteckende Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Liebe unter allen Menschen ist aber auch schwer zu erklären, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Ich kann nur sagen: Kommt zum Mardi Gras. Ihr werdet es nicht bereuen. Es sei denn, ihr trinkt zu viel.
Ihr seid eine typische Fat Wreck-Band. Jeder, der PEARS zum ersten Mal hört und sich ein wenig auskennt, erkennt das sofort. Die Musik ist wie ein Markenzeichen. Insofern seid ihr prädestiniert, uns zu erklären, was das Besondere an diesem Label ist, das manchmal ja sogar noch populärer ist als seine Bands.
Fat Wreck hat seit seiner Gründung nur erstklassige Musik herausgebracht und beschäftigt sich ausschließlich mit erstaunlichen Menschen und großartigen Bands wie uns, haha. Das Label unterstützt seine Bands und deren kreative Visionen in allerhöchstem Maße. Einige Plattenfirmen wollen, dass ihre Künstler ihren Sound an moderne Trends anpassen. Fat Wreck hingegen würde einer Band niemals sagen, was sie tun soll. Sie lassen dir die absolute Freiheit. Und sie besitzen dieses Händchen. Sie finden Killer-Bands und geben ihnen eine größere Plattform, um bekannt zu werden und das zu sein, was sie immer schon sein wollten. Ganz zu schweigen davon, dass dort schlichtweg die nettesten und aufrichtigsten Leute arbeiten, die ich kenne.
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