Die Geschichte von OMA HANS beginnt für mich mit ANGESCHISSEN, einer legendären HH-Punkband aus den 80ern. In der damaligen Endzeitzeitstimmung – besetzte Häuser, Hafenstraße, Barrikaden – haben Jens Rachut und Co. auf ihrem gleichnamigen Debütalbum für mich ein passendes Stimmungsbarometer gezimmert. Zwanzig Jahre später singt Rachut noch immer über Krankheiten und malt in seinen Songs düstere Bilder. Dass beim Hören dieser Scheibe natürlich Erinnerungen an die WIPERS aufkommen, ist unausweichlich und durchaus erwünscht – das ergab jedenfalls ein vorweihnachtliches Gespräch mit Jens Rachut anlässlich des neuen OMA HANS-Albums.
Zur OMA HANS-Besatzung gehören neben Jens Rachut (Gesang), Peta Devlin (Bass und Gesang, ex-DIE BRAUT HAUT INS AUGE, jetzt COW), Andreas Ness (Gitarre, ex-BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE, DACKELBLUT) und Armin (Schlagzeug, daneben noch bei KURT aktiv). Auf dem neuen Album „Peggy“ spielt übrigens aushilfsweise Stephan Mahler (u.a. ex-TORPEDO MOSKAU, SLIME) Schlagzeug, denn der amtliche OMA HANS-Schlagzeuger Armin hätte fast einen Finger verloren und konnte nicht mit ins Studio.
„Ach, der ist besoffen auf der Reeperbahn über einen Zaun geknallt und wollte sein Astra retten. Dabei hat er sich den Ringfinger abgerissen. Stephan hat die Stücke in drei Tagen eingeübt. Das war unvorstellbar, denn er kannte nichts davon. Bis zum Erbrechen haben wir geübt.“
Jens Rachut war bereits vor ANGESCHISSEN (1984-1988) aktiv: „Die Band hieß PERMANENT FROZEN, auch mit Mahler und Zabel von RAMONEZ 77, RAZORS oder BRONX BOYS am Bass. Dabei ging es nicht darum, jetzt irgendwas zu erreichen. Und wenn dich dabei nicht richtig interessiert, was du von einer Platte verkaufst, außer dass das Label damit keine Miese machen soll – besser geht es doch nicht.“
Nach ANGESCHISSEN folgten weitere Bands: Anfang der 90er BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE, aus denen dann 1994 DACKELBLUT wurden. Angeblich, weil Jens keinen Bock mehr darauf hatte, immer nur vor besoffenen Typen zu spielen: „Das hat sich mittlerweile zum Glück gelegt. Es sind doch gute Leute im Publikum. In Köln hatten wir 500, in Marburg 150 Besucher. Aber generell ist mir die Qualität der Leute wichtiger. Lieber spiele ich in einem Laden vor 200 guten Leuten, als vor 300 Spacken.“
Nach DACKELBLUT startete Jens noch das Projekt KOMMANDO SONNE-NMILCH. Mit dem Einsatz von elektronischen Mitteln und Sprach-Samples wurde hier musikalisches Neuland betreten. Aufgenommen wurde das Ganze 1998 in Norwegen. Als Abkehr von Punkrock? Wohl kaum, schließlich folgten im Ende 2001 mit „Bremen-Zürich-Karlsruhe“ und „Trapperfieber“ (2002) die ersten OMA HANS-Tonträger, und jetzt mit „Peggy“ das dritte Album. Die Musik liegt irgendwo zwischen LEATHERFACE und WIPERS. Die Texte ziehen einen ziemlich runter, denn Rachut singt über das Alleinsein und Beziehungskisten: „... mit Vollgas in die nächste Scheiße rein ... muss man immer gleich zusammen ziehen ...“.
„Das ist meine Meinung. Ich frage mich oft, warum müssen Leute, die frisch verknallt sind, gleich zusammen in einen Bude ziehen und sich dann wundern, wenn nach zwei Jahren der Leerlauf da ist? Gut, es muss nicht so sein, aber ich kenne diese Seite mehr als die andere. Also, man will sich doch auch mal besuchen, will sich anrufen, und das fällt dann doch alles weg. Wenn du die dann bei Ikea rumlaufen siehst, wie sie ihre Bude einrichten wollen, mit Schlaf- und Wohnzimmer und so, ich meine, da kann einem doch schlecht werden oder? Die haben doch verloren! Und wer erzählt denn überhaupt, dass das so sein muss?“
Auch wenn Textstellen wie „depressive Anekdoten“ kein Motto darstellen, sondern nur auf ein Stück gemünzt sind, bleibt für mich stark die dunkle Seite der Texte stehen. In Verbindung dazu wirkt natürlich auch die WIPERS-mäßige Musik entsprechend.
„WIPERS ist doch das Paradebeispiel. Die sind quasi nur im Dunkeln. Aber die Musik ist dennoch zuversichtlich, die haben eine unglaubliche Energie, die einen auch nach vorne bringt. WIPERS, was für eine große Band. Ein Trio! Die zweite, diese schwarze, die haben sie mit acht Spuren aufgenommen, und trotzdem ist das ein geiler Sound. Die ist zeitlos. Es gibt wenige Platten, die so zeitlos sind. Oder kennst du noch welche? ‚Mush‘ von LEATHERFACE vielleicht noch, die ist unglaublich. Aber die WIPERS, das ist 26 Jahre her, aber das hörst du nicht, die könnte auch jetzt aufgenommen worden sein.“
Im Folgenden stieß das Gespräch – immerhin war es das zweite Interview mit Jens Rachut in gut fünfzehn Jahren – über OMA HANS, Rachuts Texte, LEATHERFACE und WIPERS schnell an seine Grenzen: „Ich finde, das ist echt alles zu viel mit den ganzen Interviews. Es ist alles das Gleiche. Immer dieselben Fragen! Wie ist das Label? Wie ist die Platte entstanden? Wie bist du auf den Text gekommen? Das kann man sich doch alles selber beantworten. Wahrscheinlich sogar noch fantasievoller als der Interviewte. 90 Prozent aller Interviews laufen doch nach dem üblichen Muster – auch im Ox.“
Und mehr als ein kurzer Blick in seine Privatsphäre wird auch einem nicht gewährt: „Ich bin 52 Jahre alt. Ich habe einen Freund, Frank Stubbs, der auch meine Schwester ist. Aber, das ist doch scheißegal. Komm Alter, ich weiß ja nicht, was du da schreibst ... Hast du nur solche Fragen, jetzt gib dir mal Mühe, oder wollen wir lieber einen Schnaps trinken?“
Ich frage also nicht weiter nach dem Cover, sondern bleibe beim Bier. Wie ist das denn mit dem Saufen? Legt Jens Rachut Wert auf eine gesunde Ernährung? Ein gesundes Leben?
„Geht so. Ich sehe zu, dass ich, bevor ich anfange zu Saufen, etwas anständiges in den Magen bekomme. Und dass ich zwischendurch immer viel Wasser trinke. Aber das kommt auch erst, wenn man ein bisschen älter wird. Das war vorher immer egal. Früher war Wassertrinken nie angesagt. Nachts, da hast du vielleicht mal Fanta getrunken, um den Brand zu löschen, was natürlich total falsch ist. Und jetzt: morgens schön Alka Selzer rein, nicht rauchen – und viel Wasser trinken, auch schon abends. Und wenn es geht, diese Tiefschlafphase mitnehmen, das habe ich jetzt auch gemerkt. Wenn ich saufe, dann versuche ich immer ganz spießig möglichst früh anzufangen, so um sechs. Bis elf, und dann um zwölf Uhr pennen. Das ist viel angenehmer, als wenn du erst um zwei oder drei ins Bett gehst, weil du so diese Tiefschlafphase mitnimmst. Sonst gehe ich eher selten weg, das ist zuviel, das hatte ich auch alles schon. Und das hat man bei den Touren auch nicht nötig. Ich hatte das Glück, da ich schon älter bin, dass ich auch die ganze Punk-Zeit live miterlebt habe, und dann noch die 80er mit WIPERS, NOMEANSNO und FUGAZI. Ich habe zwei Hochzeiten der Musik miterlebt. Irgendwann geht es nicht mehr, etwas Neues kann nicht mehr kommen. Es gibt ja Typen, die spielen einen Ton und das ist genial, aber es kommt auch drauf an, wer das jetzt spielt, wie die drauf sind und so.“
Eine Zeit lang fungierte Jens Rachut auch als Programm-Macher für die Fabrik in Hamburg und organisierte Konzerte: „Ja, einige, auch die ganzen FUGAZI-Konzerte. Ich habe FUGAZI mal nachmittags gemacht – das war das Beste –, ‚Forget the night‘ war das Motto. Das war alles so friedlich, nicht aggressiv. SICK OF IT ALL auch mal. Das war viel cooler, die Leute waren ausgeschlafener und noch nicht so voll.“
Jens Rachut wohnt und arbeitet zur Zeit allerdings in Zürich: „Die Leute sind wahnsinnig nett in der Schweiz. Anders als hier. Und die essen auch gesünder. Das ist schon gut, aber es ist arschteuer da. Aber sonst würde ich da schon gerne wohnen.“
Es gibt also neben Punkrock noch etwas anderes?
„Na klar, ich mache da Theater. ‚Die Schneekönigin‘, das ist ein Wintermärchen von Hans Christian Andersen. Das wird morgens um zehn und nachmittags um zwei gespielt. Ich spiele darin ein Rentier, dann spiele ich eine Krähe und einen Räuberhauptmann. Du gehst morgens um neun aus dem Haus und spielst um zehn, das geht bis zwölf. Dann bist du um halb zwei wieder in der Maske, weil du um zwei noch einmal spielst. Und dann bist du um fünf wieder Hause. Zwischendrin liest du kurz ein bisschen Zeitung, denn du bist ja nicht immer dran. Mit drei Rollen ist aber eigentlich immer Action – du hast eine eigene Garderobenfrau, die dann da schon mit dem Rentierkostüm steht, in das du dann innerhalb von zwei Minuten reinschlüpfen musst. Dann geht es so gebückt, den Arsch vom Vordermann vor dir, auf die Bühne – das ist wahnsinnig anstrengend. Zehn Vorstellungen lang hatte ich einen amtlichen Hexenschuss, da war ich dann der Eisbär. Manchmal musste ich auch leicht verkatert, vor 200, 300 grölenden Kindern spielen. Das ist echt hart. Und zehnjährigen Mädchen, die dann mit der Mutter ankommen und sagen ‚Guck mal, der Räuber ist gar nicht so böse‘, Autogramme geben und so einen Scheiß. Aber was soll’s, teilweise bringt das richtig Spaß, du spielst mit richtigen Schauspielern und Tänzern. Das Ganze ist ein wahnsinniges Spektakel. Eine riesige Bühne, wechselnde Bühnenbilder. Schorsch Kamerun von den GOLDENEN ZITRONEN macht das. Das läuft alles über ihn, er inszeniert diese Stücke.“
Zum Schluss gibt es noch das klassische Thema: Vinyl vs. CD. Denn die neue OMA HANS kommt erstmalig auch auf CD raus.
„ Das Label wollte das so, was soll’s, selber schuld, wenn die keinen Plattenspieler mehr haben. Ich meine, so eine CD bringt’s einfach nicht. Die Textblätter musst du teilweise mit der Lupe lesen. Ich habe die gestern mal parallel gehört – immer im Wechsel CD und Vinyl. Vinyl klingt echt wärmer. Aber eigentlich habe ich fast nur noch Kassetten. Ich habe festgestellt, die halten einfach am längsten. Du kannst sogar die kleinen Filzteile ersetzen. Und es macht solchen Spaß, eine C-90 aufzunehmen. Das dauert vier Stunden und dann hörst du die ab und dann knallt das. Du nimmst da deine Lieblingslieder auf, und wenn du die dann noch mal am Stück hörst, ist das toll. Auch wenn du heute mit einem mp3-Player 3.000 Titel speichern kannst, wofür soll das gut sein? Das ist vielleicht ganz praktisch, wenn du in den Urlaub fährst, aber selbst da nehme ich, stumpf wie ich bin, lieber zehn Kassetten mit. Das reicht. Ich habe mir heute eine Kassettenanlage für das Auto gekauft, in dem Geschäft gab es 50 Anlagen, davon nur noch zwei mit Kassette.“
Anschließend unterhalten wir uns über Norwegen und den FC Barcelona, aber das gehört nicht mehr hierher. Bei der Verabschiedung meint Jens dann noch: „Ey, und schreib keinen Scheiß!“
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