OCEAN

Foto© by QuintenQuist.Com

Unermüdlich

Nach einem Jahr, in dem THE OCEAN unfassbar viel auf Tour waren, steht der Release des neuen Albums „Holocene“ an. Nach über 150 Konzerten innerhalb von zwölf Monaten erzählt der Berliner Gitarrist Robin Staps im Interview, warum das Konzept, das man von ihnen kannte, nun auserzählt ist und was das für die weitere Zukunft der Band bedeutet.

2022 war ein extrem intensives Jahr für uns“, so Robin. „Am Anfang waren wir alle mega aufgeregt, weil wir ja davor drei Jahre fast nur zu Hause saßen und endlich war es wieder möglich zu touren. Das ist auch, was wir alle in dieser Band extrem zu schätzen wissen, dass wir reisen können und Konzerte spielen. Erst als man uns das weggenommen hat, haben wir gemerkt, wie wichtig das für uns eigentlich ist.“

Eine gute Entscheidung
Als „Phanerozoic“ im September 2020 veröffentlicht wurde, herrschte noch immer die Pandemie und damit verbunden eine gewisse Unsicherheit innerhalb des Musikbusiness, wie sich Robin erinnert. „Wir haben auch lange kontrovers diskutiert, ob wir das überhaupt jetzt veröffentlichen sollen oder ob wir warten sollen. Aber am Ende haben wir uns entschieden, das jetzt zu machen. Zum einen, weil es fertig war und es sich für Musiker immer komisch anfühlt, wenn man etwas fertig hat und nicht veröffentlichen darf.“

Getrieben von dem Gefühl, dass September 2020 vielleicht genau der richtige Zeitpunkt ist, ein neues Album zu veröffentlichen, gibt es kein Bereuen. „Auch wenn wir nicht wie sonst weitermachen und Touren konnten, war es im Prinzip ein guter Moment, um neue Musik zu veröffentlichen, weil die Leute alle zu Hause waren und viel Zeit hatten. Es wurde nicht viel Geld für Festivals und Kneipenabende ausgegeben, sondern vielleicht in Platten gesteckt.“
Dass diese Überlegungen sich bewahrheiteten, spiegelte sich in Platz 19 der deutschen Albencharts und dem Erfolg der Albumkampagne wider. Von dem Gedanken, direkt nach der Veröffentlichung eines Albums auf Tour zu gehen, hat man sich mit diesen Erfahrungen bei THE OCEAN auch vorerst verabschiedet. Auf den Release im Mai folgt erst mal keine Tour, erst im Herbst plant man, sich damit auf Reisen zu begeben.
„Auch weil wir das Gefühl hatten, dass es ganz gut funktioniert hat, das Album erst mal wirken zu lassen und den Leuten die Chance geben sich damit auseinanderzusetzen. Wenn man gleich auf Tour geht, sobald das Album rauskommt, dann kennen die Leute das Material noch nicht richtig und man hat das Gefühl, sie wollen lieber alte Sachen hören.“ Auch aus dem Gefühl heraus, dass neue Songs den Leuten noch nicht so vertraut sind, zogen THE OCEAN diese Lehre und spielen die Tracks von „Holocene“ erst ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung des Albums live.

Deshalb gab es auf den letzten Touren trotz aktueller Single-Veröffentlichungen keine neuen Songs zu hören. Die Hauptgründe dahinter waren logischer, sowie praktischer Natur: „Wir wollten auf diesen Touren den Fokus auf ‚Phanerozoic II‘ richten, weil wir 2022 überhaupt erst angefangen haben, diese Stücke live zu spielen. Also waren sie zu diesem Zeitpunkt für uns und für die Menschen, die zu den Konzerten kamen, auch noch relativ neu, da sie die noch nie live gesehen haben.“ Aber auch dass man konstant auf Tour war und nur wenige Pausen hatte, wurde einfacher, wenn man sich nicht noch mit neuem Material und weiteren Proben befassen musste.

Ängste und Erwartungen
Mit einer erfolgreichen Tour als Support für KARNIVOOL im Rücken hat sich in Bezug auf die Erwartungshaltung des Albums etwas verändert. „Ich glaube, jedes Album bringt seine eigenen Anforderungen mit und das ist ja auch immer so ein fluider Prozess. Also ein Album beeinflusst das nächste und viele andere Dinge, die so im Leben um einen herum passieren, tun das natürlich auch. Insofern fängt man nie mit dem neuen Album am selben Ausgangspunkt an wie bei dem davor. Man ist ein anderer Mensch, man ist älter, vieles ist passiert und auch musikalisch hat man sich entwickelt und künstlerisch hat man vielleicht auch neue Ausdrucksformen gefunden oder gewisse Sachen sind langweilig geworden.“

Existieren Ängste, dass man sein Level irgendwann nicht mehr halten kann? „Ich kann diesen Gedankengang total nachvollziehen und ich habe großen Respekt für Musiker, die rechtzeitig den Absprung finden, wie zum Beispiel THE DILLINGER ESCAPE PLAN. Wenn man sich mit Mitte vierzig schon drei Mal den Arm bei Shows gebrochen hat, dann fragt man sich vielleicht wirklich, wie lange man das noch machen soll. Auf der anderen Seite gibt es viele Beispiele von Musikern, die hervorragend gealtert sind. Ich denke, das muss jeder für sich selbst wissen.“
Angst davor, „kreativ ausgelutscht“ zu sein und „irgendwann immer nur noch dasselbe Riff zu spielen“, existiert für Robin nicht. „Ich habe immer schon viel mehr Ideen gehabt, als ich umsetzen konnte.“ Das Songwriting jedenfalls gehörte immer zu den schnellsten Tasks bei THE OCEAN, während das Mixing, Mastering, Artwork und das ganze Drumherum den Hauptteil der Zeit in Anspruch nimmt.

Das Ende des Konzepts?
„Das Konzept ist jetzt definitiv abgeschlossen. Das ‚Holocene‘-Album war eigentlich gar nicht geplant. ‚Phanerozoic II‘ sollte das letzte werden, aber es hat sich gewissermaßen so ergeben. Peter hat angefangen, mir Ideen zu schicken, die ich total inspirierend fand. Ich wusste erst gar nicht, was das werden soll, aber am Ende wurde ein Album draus, das da ansetzt, wo ‚Phanerozoic II‘ aufgehört hat.“

Das Ende des zweiten „Phanerozoic“ Albums führte THE OCEAN bereits in eine düstere, elektronische Richtung, die auf „Holocene“ weitergeführt wird, das als Appendix zu betrachten ist. „Aber nun reicht es und jetzt wird definitiv auch das Album, das danach kommen wird, etwas ganz anderes sein.“ Dabei haben sie in derselben Zeit wie „Holocene“ bereits ein zweites Album geschrieben, das jedoch noch nicht aufgenommen ist, wie Robin anfügt. „Es ist im Prinzip fertig und wird bereits ein komplett neues Thema haben.“

Das Thema und der Umfang eines möglichen Kosmos haben allerdings noch keinen konzeptionellen Rahmen, den es auch nicht zwingend zu suchen gilt. „Ich habe immer gerne einen solchen Rahmen gehabt, weil es ein gewisses Gerüst ist oder eben ein roter Faden, an dem ich mich auch selbst entlanghangeln kann. Nicht weil ich unbedingt Konzeptalben schreiben wollte, sondern weil ich einfach immer gerne tief auf ein Thema eingelassen habe und dann gab es meistens mehr zu sagen, als man innerhalb eines Songs umsetzen konnte. Deswegen hat sich das so ergeben, dass es ein Thema für jedes Album gab.“

Gewissermaßen sieht er „Holocene“ bereits als ersten Schritt der Loslösung von einem ganz strengen Konzept. „Im Prinzip hat jeder Song sein eigenes Thema und ist für sich allein gestellt und nicht auf die anderen Stücke angewiesen, um zu funktionieren. Sie sind jedoch alle eingebettet in den Kontext der kritischen Betrachtung der Moderne.“

Neue Sphären
Auch musikalisch entwickeln sich THE OCEAN auf „Holocene“ weiter, was auch den Einfluss von Keyboarder Peter immer mehr zuließ. „Peter hat auf jeden Fall viel Neues eingebracht, seit er 2018 als festes Mitglied zur Band gestoßen ist.“ Vorher war Peter als Lichttechniker mit THE OCEAN unterwegs, seit den „Phanerozoic“-Alben als Bandmitglied, das auf dem zweiten Akt bereits einen starken Fingerprint hinterlassen hat. „Beim ersten ‚Phanerozoic‘-Album waren die Synths das, was den Gitarrensound noch etwas angefettet und gefärbt hat, ohne dass man sie zu dominant wahrnimmt. Auf dem zweiten ‚Phanerozoic‘-Album haben sie sich quasi völlig von den Gitarren emanzipiert und eine komplett eigene Sphäre mit eingebracht.“

Vielleicht ist das Konzept abgeschlossen, der Sound, den THE OCEAN in Feinarbeit von Album zu Album weiter ausarbeiten, jedoch hat noch viele Facetten, die es zu erforschen gibt. „Bedingt dadurch, dass wir das Gefühl hatten, dass wir mit unserer Sprache und den Mitteln, die wir verwendet haben, vielleicht noch nicht alles erzählt haben“, ist es die Suche nach neuen Ausdrucksformen, die die Band antreibt. Auch die Liebe für die Kraft eines Riffs, das an einigen Stellen stark im Fokus steht, sind Beweis dafür, dass THE OCEAN sich trotz der Synth-Einflüsse noch als harte Band verstehen. „Aber es ist bei weitem nicht mehr das Einzige, was den Sound dieser Band ausmacht“, so Robin. So wird das zweite Album, das zeitgleich zu „Holocene“ entstand, „viel rockiger“ klingen und ist nicht zwingend durch den synthetisierenden Sound der Band vorgeprägt.

Wie Robin abschließend hinzufügt, zählt die folgende Devise:„Im Prinzip war jedes Album gewissermaßen ein Neuanfang und hatte eine kritische Distanz zum Vorgängeralbum eingenommen. Das ist, denke ich, ein normaler Entwicklungsprozess. Nicht immer dieselbe Formel zu wiederholen und sieben Mal dasselbe Album zu schreiben, sondern immer zu suchen und nicht zu finden, ist eminent wichtig für das kreative Schaffen.“