Eine der wohl stimmungsvollsten Platten dieses Sommers stammt von einem Berliner Musiker- und Künstlerkollektiv, das auf Make My Day Records mit „Fogdiver“ ein rein instrumentales Album vorgelegt hat, obwohl sich THE OCEAN nicht als reine Instrumentalband verstehen. Aufgrund des mehr als interessanten Konzepts dieser grandiosen Formation lag es nahe, Hauptkomponist und Gitarrist Robin Staps deswegen zu befragen.
Robin, du bist nach Berlin gezogen, um deine Vorstellung von THE OCEAN zu verwirklichen. Ist Berlin der perfekte Platz für Künstler und Musiker?
Es gibt nach wie vor jede Menge Verrückte in dieser Stadt, doch leider kaum Verrückte, die bereit wären, aus dem Nichts heraus etwas aufzubauen und eine Menge Zeit und Energie in ein Mammutprojekt wie THE OCEAN zu stecken, ohne die Gewissheit, dass es einmal Früchte tragen wird. Vor diesem Hintergrund gestaltete es sich auch äußerst schwierig, die richtigen Leute für die Band zusammen zu bekommen. Die Vorstellung, die ich von dieser Stadt hatte, als ich herzog – ein Schmelztiegel der Kulturen, überkochend vor Kreativität und künstlerischer Aktivität, voll von Aussteigern und Musikern, die der alltäglichen Langeweile den Kampf angesagt haben – entsprach nicht der Realität. Was ich vorfand, war eine kreative Einöde, zumindest in musikalischer Hinsicht, ein Konglomerat von Feierabend-Muckern und Alt-Rockern, die ihre Visionen verloren hatten. Die ‚glorreiche‘ Zeit dieser Stadt habe ich hier nicht erlebt, aber ich bin ja auch erst seit vier Jahren hier.
Interessant finde ich euer eigenes kleines „Oceanland“. Erzähl doch bitte, was es genau damit auf sich hat.
Oceanland ist ein Komplex aus Probe-, Studio- und Schlafräumen, den wir im Keller einer ehemaligen Aluminiumfabrik geschaffen haben. Vorletzten Winter haben wir zwei Monate lang daran gearbeitet, die Räume, die seit 1950 niemand betreten hatte, begehbar zu machen und uns dort einzurichten. Niemand lebt dauerhaft im Oceanland – außer unser Drummer, wenn er kein Geld für Miete hat –, wir verbringen bloß während unserer intensiven Aufnahmesessions die eine oder andere Nacht da, wenn keine Bahn mehr fährt oder wenn wir gleich am nächsten Morgen weitermachen wollen. Der Hauptzweck ist die Probe- und Aufnahmefunktion. Wir haben uns dort ein komplettes Tonstudio eingerichtet, aber es fehlt noch einiges an Equipment, was wir uns bei Bedarf borgen müssen. Wir werden es aber auch in Zukunft darauf anlegen, unsere Aufnahmen selber zu machen. Das hat den Vorteil, dass man nicht nur größtmögliche Kontrolle über das Endresultat hat, sondern auch unbegrenzt Zeit, um sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen und an unseren musikalischen Ideen solange zu arbeiten, bis wir restlos zufrieden mit ihnen sind, ohne Rücksicht auf die tickende Uhr.
Bleibt bei euch überhaupt noch Zeit für Improvisationen?
Überhaupt nicht. Unsere Musik ist von A-Z durchkomponiert, unsere gelegentlichen Gastmusiker spielen nach Noten, es gibt keine Zufälle, keine Improvisation. Man ist immer an seine eigenen Vorgaben gebunden. Ich begreife das aber nicht wirklich als Nachteil, denn es gibt kaum moderne Rockbands, bei denen Improvisation eine tragende Rolle spielt. Die fehlende Spontanität wird auf der anderen Seite durch die technische Möglichkeit kompensiert, musikalische Ideen zu verwirklichen, die jenseits des Machbaren einer ‚normalen‘ Rockband liegen. Es wäre schon aus logistischen Gründen kaum möglich, ein ganzes Blasorchester auf die Bühne zu bringen.
Ihr musstet ja laut eurem Label Make My Day bei eurem Debüt auf eure zwei Sänger verzichten. Konnten sich eure Sänger mit dieser Entscheidung abfinden?
Sie waren natürlich nicht gerade begeistert, konnten sich dann aber mit der Idee anfreunden. Der Gesang kommt bei THE OCEAN ohnehin nur sehr sparsam zum Einsatz. Wir wollen weg von diesem Standardkonzept moderner Rockmusik, wo alles mit dem Gesang steht und fällt. Sänger werden heutzutage völlig überbewertet und das ist auch kein Wunder, da bei den meisten modernen Produktionen der Gesang derart brutal in den Vordergrund gemischt ist, dass die Musik eigentlich nur eine Begleiterscheinung ist. Genau das wollen wir bei uns vermeiden. Wir wollen, dass man sich auf unsere Musik konzentriert und dann freudig überrascht ist, wenn der Gesang gelegentlich noch einen draufsetzt. Für ‚Fogdiver‘ haben wir uns dann von vorneherein entschieden, keine Vocals aufzunehmen. Wir wollten schon immer eine Instrumentalplatte machen, und jetzt hatten wir die richtige Plattform und das richtige Material dazu.
Was für einen Stellenwert hat bei euch die visuelle Umsetzung der Musik?
Das ist ein wichtiger Teil unserer Show, wir versuchen, den Hörer auf mehreren Ebenen zu greifen: akustisch, optisch und physisch, wenn möglich. Unsere Light-Show ist eigentlich eher eine ‚No-Light-Show‘, oft befinden sich unsere Gesichter im Dunkeln, wenn Licht da ist, dann kalte Farben, auch viele Schwarzblenden. Als Kontrast dazu unsere weiße Kleidung, welche die kalten Farben verstärkt. Wir wollen, dass die Leute es mit der Angst zu tun bekommen, wenn sie uns sehen. Allerdings sind es nicht wir, die sie ängstigen, sondern sie selbst. Wir wollen als Katalysator für einen Prozess des Hochspülens von Irrationalem wirken, von Furcht und Schmerz und anderen großen Gefühlen aus den Tiefen unseres verquasten Selbst.
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