NO FUN AT ALL

Foto© by Jens Nordstroem

Elektro-Punk

Mit „Seventh Wave“ haben NO FUN AT ALL gerade via Sbäm Records ihr siebtes Album veröffentlicht. Die Band gründete sich einst 1991 in der schwedischen Provinz, und mit Zeitgenossen wie MILLENCOLIN, SATANIC SURFERS und 59 TIMES THE PAIN wurde ihr Sound Mitte der Neunziger als so was wie der skandinavische Ableger der Skatepunk- und „Melodycore“-Welle, losgetreten von US-Labels wie Epitaph und Fat Wreck, zu einer echten Marke. Nach zwei kleinen Pausen von 2001 bis 2004 und 2012/13 sind NO FUN AT ALL seit 2017 wieder richtig aktiv. Beim Sound of Suburbia-Festival in Mönchengladbach ergriff ich die Chance, mich vor ihrem Auftritt mit Sänger Ingemar zu unterhalten. Wir begannen das Interview mit der Entscheidung, uns nicht auf die Bordsteinkante zu setzen ...

Ingemar, hast du Angst, nicht wieder hochzukommen? Mit deinen ... wie viel Jahren?

58.

Mal ehrlich, agierst du heute auf der Bühne etwas vorsichtiger als früher, etwa was Sprünge betrifft?
Wenn ich auf der Bühne stehe, vergesse ich alles um mich herum. Aber ich springe nicht mehr so viel herum wie früher, weil ich weiß, dass ich mir den Fuß brechen könnte. Ich denke heute wohl mehr über Konsequenzen nach, das ist der Punkt. Und ich denke, das solltest du auch tun, wenn du älter wirst. Und das mit Stolz. Tu nicht so, als ob du ein Kid wärst, wenn du keines mehr bist. Der 58-jährige Ingemar ist also schon mal mehr gesprungen.

Für Fotograf:innen sind solche Luftsprünge aber immer toll.
Wir hatten mal eine Live-7“ mit einem brillanten Foto, wo wir alle in der Luft hängen, aber das ist lange her.

Lass uns mal zurückzublicken auf deine Anfänge und dieses kleine schwedische Örtchen namens Skinnskatteberg. Wie war dein Leben dort als Punk in den Achtziger Jahren?
Skinnskatteberg ist eine wirklich kleine Industriestadt in der Mitte des, ich würde sagen, schwedischen Ruhrgebiets. In der Gegend, aus der ich komme, gab es früher tausende Bergwerke. Es gibt eine Menge Löcher im Wald. Ich bin in dieser Umgebung aufgewachsen, mit etwas, das wir im Schwedischen als „Bruksmentalitet“ bezeichnen. Das hat was mit dem Denken der Menschen zu tun in kleinen Städten, die oft nur einen großen Arbeitgeber haben. Weißt du, da wird viel getrunken. Skinnskatteberg ist ja nicht einmal eine Stadt. Der einzige Ort, wo du ein Bier trinken konntest damals, war die Pizzeria, und die Leute da waren die ganze Zeit sturzbesoffen. Es gab in dieser Umgebung rein gar nichts, was dein Hirn im Geringsten hätte stimulieren können. Die Leute haben gesoffen, gingen nach Hause, legten sich schlafen und wachten am nächsten Tag auf, um zu arbeiten. Freitag und Samstag hast du dich besoffen. Ausnahmsweise bist du mal in die nächste Stadt gefahren. Dort gab es eine Kneipe und eine Art Disco. Und wenn du Glück hattest, bist du nüchtern genug geblieben, um ein Taxi zu erwischen zurück nach Hause. Ich wuchs also in den Achtzigern auf, ich war schon immer älter als die anderen Jungs in der Band. Als ich alt genug war, bin ich regelmäßig nach London gefahren. Ich sparte all mein Geld, ging dort auf Konzerte und kaufte Platten. Damals war es ziemlich billig, mit der Fähre von Göteborg nach England zu fahren. Es war also recht einfach, nach London zu kommen. Ich habe dort THE BIRTHDAY PARTY gesehen und SPIZZ ENERGY, oder TALKING HEADS mit TOM TOM CLUB als Vorband. Und du konntest in die Secondhand-Plattenläden gehen und die frühen THE CURE-Singles oder was auch immer kaufen für ein Pfund. Die schwedischen Krone war damals sehr stark, also war das für uns echt billig.

Woher hattest du das Geld für diese Ausflüge?
Ich habe mein ganzes Geld gespart. Ich habe kein anderes Hobby gehabt als die Musik. Alles, was ich hatte, ging damals für Konzertbesuche und Plattenkäufe drauf und vielleicht für eine billige Flasche Wein. Und ich hatte Ferienjobs, habe gespart. Vielleicht zweimal im Jahr nahm ich dann die Fähre.

Was für ein Punk-Typ warst du? Mit Iro und Lederjacke?
Nein, nein, ich war eher der New-Wave-Typ, habe XTC gehört, MAGAZINE, THE CRAMPS, KILLING JOKE und solche Sachen. Post-Punk hauptsächlich. Und DEAD KENNEDYS natürlich. Ich habe nicht so viel europäischen Punk gehört zu dieser Zeit. Ich mochte eher, was an dessen Peripherie passierte. Ich mochte SPIZZ ENERGY sehr, und sie waren damals irgendwie keine Punks, aber heutzutage würde man sie als Punkband bezeichnen, weil sie die Musikgeschichte neu geschrieben haben. XTC würde man heute nicht als Punkband bezeichnen. Damals war es aber nicht weit weg vom Punk.

Und die schwedische Punk-Szene in den frühen Achtzigern? Wie standest du zu der?
Ich hatte damals keinen echten Bezug dazu. Beim NO FUN AT ALL-Gitarristen Micke war das ganz anders, der ist sechs Jahre jünger als ich. Er hat mich damals auch mit BAD RELIGION bekannt gemacht, und ich dachte mir: Fuck, die sind ja besser als STIFF LITTLE FINGERS! Aber die Crustpunk-Szene ... das war nie meine Musik. Das war mir einfach zu viel Lärm. Ich brauche Melodien in den Liedern.

Und was ist mit ASTA KASK, mit Trallpunk?
Das war bei mir eher die noch frühere schwedische Punk-Szene mit Bands wie EBBA GRÖN und KSMB. ASTA KASK habe ich erst später entdeckt, wir sind auch schon lange befreundet, wir spielen zusammen Konzerte. Das sind wirklich gute Jungs und sie kommen wie wir aus einer kleinen Scheißstadt.

Sich Landkarten anzuschauen ist immer spannend, denn es hilft, Kontexte zu begreifen. Dein Heimatort ist nicht weit entfernt von Fagersta ...
Ja, es sind nur 25 Kilometer.

Von da kommt Peter Ahlqvist, der später in den Neunzigern Burning Heart Records gründete, aber schon in den Achtzigern in der Punk-Szene sehr aktiv war.
In Fagersta ging ich zur Schule. Ich kenne Peter schon seit der Highschool. Er ist ein Jahr jünger als ich. Da lief dieser große Kerl bei mir an der Schule herum und der hörte noch seltsamere Musik als ich. So lernten wir uns kennen. Es gab damals recht viele Punks auf meiner Schule, ein paar kamen aus Fagersta, viele aus den Orten drumherum. Die haben mich sofort „adoptiert“, als ich an die Schule kam. Ich war halt dieser Typ in einer Lederjacke. Und ich hatte Bock, mit denen abzuhängen. Wir wurden richtig gute Freunde. Damals war das mit den Genres noch nicht so wichtig, weißt du. Wenn du spannende neue Musik hörtest, warst du okay. Ich stand auch auf diese Synthesizer-Bands wie ULTRAVOX – sowieso halte ich ULTRAVOX für eine der besten Bands überhaupt. Vielleicht waren sie nicht mehr so gut nach dem Ausstieg von John Foxx, aber sie waren immer noch ziemlich gut. Und Gary Numan, wow! TUBEWAY ARMY! „Down in the park“, das ist einer der schönsten Songs, die je geschrieben wurden. Und THE SISTERS OF MERCY auch, die habe ich 1984 sogar live gesehen.

Was hast du nach der Schule gemacht? Studiert?
Nein, ich bin gelernter Elektriker. Ich habe meine eigene Firma. Ich führe die Firma meiner Familie in einem Dorf außerhalb von Skinnskatteberg, wo ich auch wohne. Mein Großvater gründete den Betrieb 1917, den hat mein Vater in den Sechzigern übernommen, und Anfang der Zweitausender übernahm ich sie dann. Mein Vater hatte etwa zehn Angestellte und er hat quasi die ganze Gegend elektrifiziert. Wenn ein neues Haus gebaut wurde, machte immer unsere Firma die Elektroinstallation. Ich habe das Geschäft dann verkleinert, heute gibt es nur noch mich und meinen Bruder.

Hast du eine Lehre bei deinem Vater gemacht oder wie hast du das Handwerk gelernt?
Ich habe in allen Sommer- und Winterferien für meinen Vater gearbeitet. Ich habe also auf die harte Tour gelernt, der Sohn des Chefs zu sein. Ich musste für seine Angestellten arbeiten und die haben mich hart rangenommen. Ich habe schließlich eine Lehre gemacht, ging vier Jahre auf die Berufsschule in Fagersta. Da wo ich die ganzen Punks kennen lernte.

Ich kenne einen alten Handwerker, der macht alle Arten von Arbeiten, legt auch mal ein Kabel. Der dreht nie eine Sicherung raus, wenn er was anschließt. Du bist als Profi da sicher ganz anders, oder ...?
Äh, na ja ... Wenn der Sicherungskasten weit weg ist und man da ständig laufen muss ... Man findet da immer einen Weg. Aber ja, ich habe auch schon mal unter Strom stehende Kabel angeschlossen. Und es ist echt schon einige Jahre her, seit ich einen Stromschlag bekommen habe, also muss ich es wohl gut machen. Aber normalerweise drehe ich schon die Sicherung raus, keine Sorge.

In Deutschland gibt es einen großen Fachkräftemangel im Handwerk, unter anderem weil junge Menschen lieber studieren statt eine Ausbildung zu machen. Wie ist die Situation in Schweden?
Es ist nicht ganz so schlimm. Vor zehn Jahren gab es einen echten Mangel an Klempnern, Elektrikern und Zimmerleuten. Heute sind die Handwerker ja eher Typen, die haben Tattoos auf dem Arm und sehen „cool“ aus. Aber sie sind keine Punks und hören richtig schlechte Musik, haha. Die sehen nur so aus, als hätten sie zwanzig Jahre im Gefängnis gesessen oder so.

Hast du ein Tattoo?
Ja, das Bandlogo von XTC.

Wie und wann trat NO FUN AT ALL in dein Leben?
Das war nur ein Zufall. Ich war ja nicht von Anfang an in der Band. Irgendwann habe ich dann mal mit ein paar Leuten ein Festival organisiert. Wir hatten finanzielle Unterstützung von der Stadtverwaltung in Skinnskatteberg, aber damit wir die bekamen, mussten wir einen Verein gründen. Und so kam eines zum anderen, wir organisierten Proberäume und es gründeten sich Bands. Darunter war dann eine namens NO FUN AT ALL, die ich sehr unterstützt habe. Ich habe unseren Kopierer in der Firma benutzt, um Cover für die Demos zu machen, und so weiter. Aber die „Vision“-EP war 1993 gerade veröffentlicht, da stieg der Schlagzeuger aus, Jimmy, der zugleich der Sänger war. Und da hat Micke mich gefragt, mehrmals, und ich habe mehrmals nein gesagt. Sie probierten ein paar andere Leute aus, aber es hat nichts geklappt. Und dann sagte er: „Komm schon, du musst es tun. Denn ich weiß, dass du schon Ende der Siebziger in Bands gesungen hast.“ Ich dachte mir irgendwann: Ach, was soll’s? Ein paar Abende pro Woche in einem Proberaum, das macht vielleicht Spaß. Ich war damals 29 und glaubte, meine Rock’n’Roll-Zeit wäre langsam vorbei, und dann, bäm!, waren wir auf Welttournee.

Was war da los in Schweden Mitte der Neunziger? NO FUN AT ALL, MILLENCOLIN, SATANIC SURFERS, 59 TIMES THE PAIN, BOMBSHELL ROCKS, REFUSED ... die Bands sprossen wie Pilze aus dem Boden.
Haha, wer weiß, vielleicht war da ja was im Boden und wir waren nur die Früchte. Es gab damals eine Menge Bands aus der Ecke um Fagersta, unter anderem uns, 59 TIMES THE PAIN, THE HIVES ... Und aus Örebro kamen MILLENCOLIN und THE PEEPSHOWS. SATANIC SURFERS sind aber aus der Nähe von Malmö. Das Ganze hatte wohl was mit einem Schneeballeffekt zu tun. Schweden ist so klein, also lernte man sich schnell kennen, wenn man irgendwie aktiv war. Bad Taste Records aus Malmö war wie Burning Heart damals sehr wichtig. Es war fantastisch. Wir spielten 1994 in Fagersta auf einem Festival, das Peter von Burning Heart organisierte, NOFX und GREEN DAY spielten da. Wir bekamen eine Menge Support von anderen Bands, auch aus den USA, etwa PENNYWISE und NOFX. Es war wirklich cool.

Wie ging es euch mit diesem Erfolg?
Ich glaube, wir haben erst gemerkt, was passiert war, als wir 2001 aufgehört haben. Bis dahin hatte uns der Sturm der Ereignisse einfach mitgerissen. Ich habe irgendwie gar nicht gemerkt, dass wir das waren, die nach Brasilien und Australien und Kanada und in die USA und nach Deutschland auf Tour gingen. Deutschland ... wir haben da so oft gespielt, es gab so endlos viele Orte da, wo man Konzerte spielen konnte. „Oh, eine neue Stadt, ich habe noch nie von der gehört, aber wir können hier eine Show für 300 Leute spielen“ ... Also los! Von der kompletten geschäftlichen Seite bekamen wir kaum etwas mit, wir hatten einen Booking-Agenten in Schweden, der hatte die Kontakte nach Deutschland, Spanien und so weiter. Ich wünschte, ich hätte da größeren Einblick gehabt. Hätten wir uns damals selbst mehr gekümmert, hätten wir viel mehr Geld verdient. Jeder Mittelsmann nimmt sich eben seine 15% der Gesamtsumme. Wenn es hieß, wir bekämen 3.000 Mark für ein Konzert, landeten am Schluss nur 1.000 DM bei uns. Und davon gingen dann noch die Steuern ab. Ja, da ist eine Menge Geld verschwunden.

Hast du damals noch als Elektriker gearbeitet oder war mehr oder weniger die Musik dein Job?
Von 1995 bis 2001 waren wir Berufsmusiker. Dann haben wir drei Jahre lang aufgehört. Das war gut. Ich glaube, wenn wir das nicht getan hätten, wäre mit der Band nicht wieder was passiert. Durch die Pause kam der Spaß zurück. Bis 2017 existierte so etwas wie die „Hobbyversion“ der Band, bis wir beschlossen, es wieder zu versuchen. Zwei von den Jungs wollten dabei nicht mitmachen, also gingen sie. Wir blieben jedoch gute Freunde. Und Stefan und Fredrik, die „Neuen“ an Bass und Gitarre, sind fantastische Musiker. Von Anfang an waren wir bei NFAA vor allem fünf Jungs, die gut miteinander klarkamen. Jetzt sind wir fünf Jungs, die gut klarkommen, aber wir haben zudem zwei wirklich gute Musiker dabei.

Wie kommt es, dass sich deine ewigen Lieblingsbands, von denen du vorhin erzählt hast, nie wirklich in der Musik von NFAA widergespiegelt haben?
Na ja, hier und da ist schon vorgekommen, aber ja, NFAA wurde immer schon nachgesagt, dass wir etwas nach BAD RELIGION klingen. Meiner Meinung nach hängt das damit zusammen, dass die für dieses ganze Genre eine so große Rolle gespielt haben. Würden wir ihnen nicht etwas ähneln, wäre das schon fast seltsam. Die haben so viele unglaubliche Songs geschrieben, sie sind eine fantastische Band. Und richtig, wir klingen nicht nach NOFX.

So oder so, ihr seid mit ein paar der vorhin erwähnten Zeitgenossen die Erfinder dieses speziellen schwedischen Skate- und Melodypunk-Sounds. Woher kommt der bei euch also?
Mick ist so ziemlich alleine verantwortlich für die ganze Musik. Er ist wie eine Maschine, die Sounds und Songs ausspuckt. Und dann gibt er sie mir und sagt: „Schreib einen Text dazu.“ Und ich versuche, die Worte so hinzupuzzlen, dass sie passen. Mit Kjell haben wir einen fantastischen Drummer. Micke bringt seine Songs dann mit in den Proberaum, aber erst da „passieren“ sie. Wir arrangieren sie neu, fügen weitere Parts hinzu und das ist extrem anstrengend, aber am Ende ist es das wert.

Jetzt sind wir sicher an dem Punkt, an dem du wie jede Band sagen wirst, dass euer neues Album „Seventh Wave“ euer bislang bestes ist.
Es ist wirklich schwer zu sagen. Für mich fühlt es sich so an, als würden wir mit jedem Album, das wir machen, wirklich wachsen. Bei „Grit“ von 2018 und jetzt „Seventh Wave“ habe ich das Gefühl, dass wir uns wieder in Richtung „State Of Flow“ von 2000 bewegt haben. Ich denke, so wie das neue Album hätte „State Of Flow“ eigentlich sein sollen. Ich will die Scheibe nicht runtermachen, weil ich es für ein wirklich gutes Album halte und wir so viel Arbeit da reingesteckt hatten. Aber wir haben uns weiterentwickelt, ich kann es spüren, sowohl musikalisch als auch textlich. Ich habe einfach das Gefühl, dass wir beim neuen Album alles genau so gemacht haben, dass es uns Spaß macht.

Es hört sich so an, als hättest du wirklich den Drang, mit dieser Band weiter Musik zu machen – nicht weil du in deiner Freizeit nichts Besseres zu tun hast.
Oh nein. Ich lebe auf einem Bauernhof mit einem Stall, einer großen Scheune, zwei Wohnhäusern, 4.000 Quadratmetern Wiese – da ist viel Gras zu mähen. Dann habe ich noch meinen Elektrobetrieb. Ich habe also eigentlich gar keine Zeit für NO FUN AT ALL, wenn ich mal logisch darüber nachdenke. Trotzdem bin ich hier.

Hilft es dir also, mal von Kabeln und Gras wegzukommen?
Ja, absolut. Das tut gut. Weil der Drang zu reisen und Musik zu spielen in mir immer noch vorhanden ist. Wenn du erst mal diese Art von Bandleben mit weltweiten Touren kennen gelernt hast, wirst du irgendwann Kosmopolit. Ich mache das schon seit dreißig Jahren, das ist mehr als die Hälfte meines Lebens. Ich war in Berlin, Tokio, São Paulo und Melbourne. Wenn ich nicht unterwegs sein kann, komme ich richtig schlecht drauf. Ich genieße das Reisen total. Mit unserer Art des Reisens bekomme ich Dinge in einem Land zu sehen, von denen ich als Tourist nicht mal ahnen würde, dass es sie gibt. Das macht mir an der ganzen Sache am meisten Spaß. Auch wenn ich von den Städten eher die Auftrittsorte als die Touristen-Hotspots kenne. Schon allein über die Autobahn zu fahren, macht mir Spaß. Echt! Das erste Mal, als wir mit dem Van von Dänemark nach Deutschland kamen, dachte ich: Oh, verdammt, da sind ja blaue Lichter an der Tankstelle! So was hatte ich noch nie gesehen. Und dann gehst du da rein und siehst all diese komischen Chips und Bifis und so, haha. Mittlerweile finde ich es nicht mehr so aufregend, aber beim ersten Mal war es der Hammer. Und an jedem neuen Ort, wo du hinkommst, gibt es eine andere Limonade.

Es soll ja Leute geben, die im Urlaub als Erstes ausgiebig in einen Supermarkt gehen ...
Als ich das erste Mal in Japan war, bin ich nur durch die Supermärkte gelaufen und dachte: Wow! Damals, 1996, konnte man in Schweden noch kein Sushi einfach im Laden kaufen. Ja, ich genieße das.

Wir müssen zum Schluss noch den „Vorfall“ erwähnen beim Brakrock Festival in Belgien diesen Sommer [siehe Screenshot auf dieser Seite]. Also deine Auseinandersetzung mit einem Crew-Mitglied von SICK OF IT ALL. Es gab sehr krasse Statements bei Facebook, gerade aus dem SOIA-Lager, mit massiver Gewaltandrohung gegenüber deiner Person. Steigt da direkt dein Puls, wenn ich das erwähne?
Mein Tinnitus wird gerade lauter und lauter. Und mein Blutdruck steigt auch gleich. Ich will nicht über Einzelheiten sprechen. Ich habe einen Fehler gemacht und muss dafür einen recht hohen Preis zahlen. Die Sache ist die: Ich mag es nicht, nicht gemocht zu werden. Ich fühle mich einfach schlecht, wenn ich weiß, dass Menschen nicht gut von mir denken oder mich nicht leiden können. Ich habe mich daher bemüht, die Kommentare in den sozialen Medien nicht zu sehr zu verfolgen, aber es war schon verrückt, was da abging. Mittlerweile bin ich jedoch wirklich gut darin, Dinge unter den Teppich zu kehren und zu versuchen, sie zu ignorieren. Ich möchte also lieber nicht über den Vorfall reden.

Es gibt ein, wie ich finde, gutes, ausgewogenes Statement des Festivals.
Ja, da steht alles drin. Die Liebe und die Unterstützung, die ich von Fans und Musikerkollegen bekommen habe, war überwältigend. Das hat mich für die Gefühle entschädigt, die ich davor hatte. Ich bin ausgeflippt, weil irgendwelche Leute mich hassen, aber ich dann habe ich so viel Liebe bekommen. Ich saß anfangs zu Hause und weinte. Ich habe die sozialen Medien zunächst nicht verfolgt, weil ich es nicht konnte. Aber dann haben Leute, die ich von früher kannte, mir auf Instagram geschrieben, mir Nachrichten geschickt und mich angerufen. Und das war fantastisch. Das hat mir geholfen, die Situation zu überstehen. Ich war schon fast so weit, alles hinzuschmeißen.

Ihr hattet in der Folge einige Shows abgesagt und das Label hat die Albumveröffentlichung verschoben.
Weil wir unter Schock standen. Wir dachten nur: Was zum Teufel ist mit unserer Band passiert? Jeder in der Band stand wirklich unter Schock. Eines Abends fing ich einfach an, eine Nachricht an die anderen in der Band zu formulieren. Daraus wurde ein Statement, durch das mir wieder klar wurde, dass NO FUN AT ALL, dass diese Band mein Leben ist. Ja, unser Elektrobetrieb ist auch mein Leben, aber die Band ist noch mehr mein Leben. Auf der Bühne stehen und Feedback von Leuten bekommen, die meine Musik wirklich mögen. Und so habe ich beschlossen, dass ich nicht damit aufhören will, und schrieb diese lange Nachricht an die anderen und sagte, lasst uns weitermachen. Es ... ist schwer zu erklären. Meine Überlegung war zunächst wirklich, vielleicht sollte ich mich einfach verstecken und mein Elektriker-Ding machen. Aber die Lokalzeitung hatte ja auch einen Artikel darüber geschrieben. Was mache ich, wenn ich jetzt in den Lebensmittelladen hier im Ort gehe? Die Leute kennen mich ja alle. Und ja, ich bin ein guter Kerl. Ja! Es gibt nur sehr, sehr wenige Leute, die mich nicht mögen! Weil ich immer nett bin. Ich bin hier der örtliche Elektriker, und natürlich wissen sie, dass ich auch Punkrock-Sänger bin. Aber letztlich ist es bei uns im Ort wirklich gut gelaufen. Ein paar Tage musste ich viel reden, wenn ich einkaufen war.

War es ein ausgewogener Artikel, der in der Zeitung war?
Ich habe ihn nicht gelesen. Ich habe die Zeitung zwei Wochen lang nicht gelesen. Aber klar, sie hätten es ja auch nicht nicht veröffentlichen können, es war schließlich eine Story.

Wie viele Shows habt ihr seitdem gespielt?
Das ist die erste. Ja, die erste. Ich denke, ich bin okay. Es war aber noch ein bisschen wackelig, als wir gestern in Stockholm geprobt haben.

Letztendlich habt ihr die Entscheidung getroffen, dass das Album herauskommen wird und ihr wieder Shows spielen werdet.
Ja. Das haben wir. Inklusive Australien im Oktober und November. Wir denken einfach, dass wir das tun müssen. Wir können ja auch die Veranstalter nicht im Stich lassen. Aber die Auftritte direkt danach mussten wir absagen, weil alles andere wäre komisch und seltsam gewesen. Auch wegen der Morddrohungen.