NIKKI SUDDEN

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English Rock’n’Roll

Kurz gesagt macht Nikki Sudden – geboren als Nicholas Godfrey – Rock & Roll englischer Prägung. Schon seit frühester Jugend nimmt Sudden Musik auf und gründete irgendwann Anfang der 70er zusammen mit seinem im November 1997 verstorbenen Bruder Epic Soundtrack THE SWELL MAPS, die, ebenso wie ALTERNATIVE TV oder THE DESPERATE BICYCLES, einfach ihrer Intuition folgten, als es darum ging, in der Punkszene des Jahres 1977 originell zu wirken. Seitdem hat Sudden über die Jahre mit jeder Menge innovativer Musiker zusammengearbeitet, ohne dabei seine persönlichen Visionen und seine Leidenschaft für Musik aus den Augen zu verlieren. Sein musikalischer Output ist gewaltig und kennt keine Grenzen und er schreibt auch viel – lest mal seine ganzen Artikel, Essays und Besprechungen. Für mich ist Nikki Sudden immer extrem wichtig gewesen, und er ist vor allem einfach sehr authentisch. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, ihn bei ein paar Bier in Berlin etwas zu befragen.

Du hast ein neues Album namens „Treasure Island“ am Start, das kurz vor der Veröffentlichung steht und wo einige alte Bekannte dabei sind. Kannst du mir etwas darüber erzählen?


Das ist mein erstes Album seit fünf Jahren – ich würde gerne jedes Jahr eines machen, aber das klappt nicht immer. Ich war allerdings in dieser Zeit weiterhin auf Tour – ich versuche im Jahr hundert Shows zu spielen. Aber dieses Album – das sagt natürlich jeder Musiker – ist eines meiner besten. Normalerweise schreibe ich, wenn ich etwas neues aufnehmen will, 80 bis 100 Songs und wähle dann die besten aus. Als ich an ‚Texas‘ arbeitete, hatte ich 30 oder 40 Songs, die in die engere Wahl kamen. So arbeite ich in der Regel, aber diesmal war es anders. Dieses Mal habe ich eine Woche, bevor ich ins Studio ging, einen Haufen neuer Songs geschrieben und verwarf die meisten wieder, die ich vorher geschrieben hatte. Manchmal entstehen Songs einfach ganz spontan, und wenn man da nicht zugreift, sind sie für immer verloren. Terry Miles spielte mir einmal im Studio eine Piano-Melodie vor und ich meinte: ‚Was ist das? Dafür muss ich einen Text schreiben.‘ Also ging ich in den Nebenraum und schrieb den Text für ’10.000 Years Ago’. Das passiert einfach so. Mit dabei waren diesmal BJ Cole, ebenso wie der frühere STONES-Gitarrist Mick Taylor und Ian McLagan von den SMALL FACES. Wer noch?! Unter anderem Darrell Bath von DOGS D’AMOUR und CRYBABYS, Dave Kusworth und Terry Miles. Für mich war es, mit Mick Taylor und Ian McLagan zu spielen, als ob ich mit Chuck Berry oder Jerry Lee gespielt hätte. Die STONES hatten letzten Sommer einen nicht angekündigten Gig in Toronto und Leute fragten mich, ob ich eine Karte hätte oder hingehen würde. ‚Nein, viel besser‘, sagte ich, ‚ich nehme mit einem von den STONES Songs auf.‘ Ich bin ein Fan, musst du wissen, und es bedeutet mir sehr viel, solche Leute auf der Platte zu haben. Ich wollte eigentlich noch, dass Mickey Finn von T. REX Congas auf einigen Tracks von ‚Treasure Island‘ spielt. Ich hatte seine Telefonnummer, aber er verstarb kurz bevor ich ihn anrufen konnte. Das einzige Originalmitglied von T. REX, das ich mal persönlich getroffen hatte.

Du hast ja zusammen mit deinem Bruder die SWELL MAPS gegründet. Wie kam es dazu und wann hast du konkret angefangen Musik zu machen?

Ich habe 1972 angefangen Gitarre zu spielen. Zusammen mit David Barrington nahmen mein Bruder und ich jeden Samstag Songs auf. Jowe Head kam erst ein Jahr später hinzu. Unsere erste Platte nahmen wir 1977 auf, 1980 trennten wir uns. Vor den SWELL MAPS gab es einige andere Bands. Epic und John Cockrill hatten eine Jazz-Fusion-Band namens CIVIL SERVICE, Dave und ich waren SACRED MUSHROOM, und er und Epic spielten in ODYSSEY. Von 1972-76 gab es ständig wechselnde Band-Konstellationen, nur um zu lernen, wie man überhaupt Songs schreibt. Die ersten richtigen Songs, die ich schrieb, waren ‚Princeling‘ und ‚Armadillo‘, die auf dem Doppel-Album ‚Whatever Happens Next‘ drauf waren. Früher klangen die Songs gut, keine Ahnung, ob das immer noch so ist. An einem Tag konnte ich bestimmte Akkorde nicht spielen, am nächsten ging es – fast wie ein richtiger Gitarrist. Jeden Tag fand man neue Sachen heraus. Damals war mein Gesang auch ziemlich neben der Spur. Es wurde zwar jedes Jahr besser, aber damals war es schrecklich. Wir haben die Platten nur auf Kassette gemacht und unterschiedliche Versionen der Songs aufgenommen, bevor die richtige dabei war. Alle Platten hatten Titel, die irgendwas mit Tolkien zu tun hatten. Die lagern noch alle im Haus meiner Eltern.

Bei euch kann man ja nicht von konventionellen Rocksongs sprechen. All diese komischen Instrumente und Soundcollagen, wie seid ihr darauf gekommen?

Na ja, CAN waren Epics Lieblingsband und meine T. REX. Epic und ich sahen die SWELL MAPS als eine Kreuzung aus T. REX und CAN an. Und das sehe ich immer noch so ...

Was ist eigentlich eine „Swell Map“?

Das stammt aus ‚Stingray‘, eine halbstündige, wöchentliche TV-Serie von Gerry Anderson. Er war auch Autor und Produzent bei ‚Thunderbirds‘ oder ‚Captain Scarlet‘, allesamt brillante Serien, und ein großer Einfluss auf die SWELL MAPS. Es gibt da noch andere Referenzen. Eines der Probleme bei den MAPS war, dass es bei uns tonnenweise In-Jokes gab, die kaum einer verstanden hat. Bei unserem zweiten Gig überhaupt spielten wir zu Beginn auch die ‚Thunderbirds‘-Titelmelodie.

Die SWELL MAPS lösten sich ja 1980 auf. Wie kam es dazu?

Wir waren zu dieser Zeit auf Italien-Tour und Epic war ziemlich von SCRITTI POLITTI und ähnlichen Bands beeinflusst, aus welchem Grund auch immer. Als wir im Studio waren, wollte er nicht die Songs aufnehmen, die ich geschrieben hatte, sondern irgendwas anderes, so wie es auch SCRITTI POLITTI taten. Das war schon in Ordnung, schließlich war auch die Hälfte von ‚Jane From Occupied Europe‘ improvisiert, aber die andere Hälfte bestand aus meinen Songs. Ich wollte nicht, dass wir eindimensional werden, indem wir nur eine reine Improvisationsband sind. Wie auch immer, uns gab es schließlich acht Jahre. Und wie es Epic in den Liner Notes zu ‚Collision Time Revisited‘ schrieb: ‚We grew up, we grew apart.‘ Damals fand ich es allerdings schade, dass wir uns auflösten, da die Band soviel Potential besaß.

Dann hast du solo weitergemacht ...

Ja, wie Epic sagte: ‚Nikki wollte Rock‘n’Roll machen und wir wollten experimenteller werden.’ Ich beschloss, eine Solo-Single aufzunehmen, das war ‚Back To The Start‘. Ich wollte einen anderen Sound machen. Interessant war, dass ich, wenn ich ‚Back To The Coast‘ genommen hätte – das sollte die fünfte SWELL MAPS-Singles werden –, wahrscheinlich die ganzen alten Fans mitgezogen hätte, aber so verlor ich sie über Nacht, weil es ein komplett anderer Sound war. Scheiß drauf, wenn sie sich nicht auf das einlassen wollten, was mich bewegte. Rückblickend war es vielleicht keine besonders weise Entscheidung. Denn die Platten der SWELL MAPS verkauften zwischen 30.000 und 40.000 Exemplare, von meinem Soloalbum verkaufte ich 400 Stück oder so im ersten Jahr. Aber es war gut, eine Kreuzung aus dem, was ich schon immer mit den SWELL MAPS gemacht hatte und meinen Bemühungen auch Balladen einfließen zu lassen.

Und wann kam Dave Kusworth ins Spiel?

Er war bei drei oder vier Songs von ‚The Bible Belt‘ dabei und schrieb den Song ‚English Girls‘ mit. Er ist ein toller Gitarrist und wir sind gute Freunde. Die JACOBITES, das sind Dave Kusworth und ich, und das wird immer so bleiben – bis wir beide tot sind ...

Und wie kam es bei ‚Kissed You Kidnapped Charabanc‘ zur Zusammenarbeit mit Rowland S. Howard?


Ich traf Rowland, als mein Bruder Mitglied von CRIME & THE CITY SOLUTION war. Ich glaube, ich hatte vor, eine persönliche Version von ‚Beggars Banquet‘ zu schreiben und Rowland gefiel die Idee. Das taten wir natürlich nicht, und am Ende kam dabei ‚Kiss You Kidnapped Charabanc‘ heraus. Ich glaube, das ist mein spezielles Folk-Blues-Album. Der amerikanische Rockjournalist Robert Palmer schrieb, dass ‚Crossroads‘ für ihn der beste Deltablues-Song seit Robert Johnson sei. Wir nahmen das Album zur selben Zeit auf wie ‚Dead Men Tell No Tales‘ und das Solo-Album ‚I Knew Buffalo Bill‘ von Jeremy Gluck, auf dem ich, Roland, Epic und Jeffrey Lee Pierce mitspielten. Roland hatte aber auch schon bei ‚Texas‘ mitgespielt.

Du hast ja auch mal mit Peter Buck von R.E.M. zusammengearbeitet, wie kam es dazu?

Peter Buck traf ich in den späten 80ern in Deutschland. Er und die anderen R.E.M.-Mitglieder, ebenso wie die Jungs von DRIVIN’ N’ CRYIN’, halfen mir bei den Aufnahmen zu ‚Jewel Thief‘. Ein tolles Album, meine Country-Platte. Ich blieb drei Monate in Peters Haus und las Bücher von Flannery O’Connor, und Bücher über Gram Parsons, während ich mich durch Peters Plattensammlung arbeitete und mich mit einem Mädchen aus Waycross, Georgia traf. Das war schon ziemlich cool, es war eine tolle Zeit. Und danach streben wir englischen Rock’n’roller doch – mit Koksdealern in Redneckbars herumhängen ...

Du warst ja wirklich schon auf unzähligen unterschiedlichen Labels. Wie sieht das heute aus?


Es war nicht meine Entscheidung, so oft das Label zu wechseln. Es wäre sicher besser, alle Platten auf meinem eigenen Label zu haben. Aber ich weiß, dass es immer irgendwo auf der Welt ein Label gibt, das mir das Geld für eine neue Platte gibt. Ich denke immer, dass es Sinn machen würde, ‚Treasure Island‘ auf meinem eigenen Label zu veröffentlichen, dann wäre ich derjenige, den man verantwortlich machen müsste, wenn etwas falsch läuft.

Ich habe ein paar Artikel von dir über Johnny Thunders gelesen. Habt ihr eigentlich mal zusammen gespielt oder etwas zusammen aufgenommen?

Ich habe Johnny das erste Mal während einer HEARTBREAKERS-Show im Rebecca’s in Birmingham getroffen – ich wollte eigentlich nur mein DOLLS-Album signiert haben. Wir haben uns dann 1980 in New York wieder getroffen. Ich hing fünf Tage mit ihm ab, während ich an einem Interview für Zigzag arbeitete und konsumierte Unmengen an Drogen. Er hatte bisher nichts von meiner Musik gekannt, aber wir trafen uns über die Jahre immer wieder und er lernte mich und meine Musik besser kennen. Ich habe mal gehört, dass er sein Album ‚Hurt Me‘ eigentlich ‚Hurt Me More‘ nennen wollte, was er aber nicht tat, als er herausfand, dass es von mir einen Song mit diesem Titel gab. Aber wir haben nie zusammen gespielt, wir sprachen zwar immer darüber, aber es kam nie zustande.

Und wie war dein Verhältnis zu Marc Bolan? Du hattest ihn vorhin ja schon mal erwähnt ...

Marc und ich wurden gute Freunde, kurz bevor er starb. Wir trafen uns das erste Mal 1975 vor dem T. REX-Büro in der New Bond Street in London und lernten uns immer besser kennen. Ich habe T. REX 22-mal live gesehen und auf ihrer letzten Tour war ich jede Nacht backstage. Irgendwann im August 1977 erzählte ich Marc, dass die SWELL MAPS ins Studio gehen würden, um die erste Single aufzunehmen. Er sagte, ich solle ihn anrufen und ihm mal die Aufnahmen bringen, er würde alles tun, um mir irgendwie zu helfen. Wir nahmen die Single am 14. September 1977 auf und er verstarb zwei Tage später ... Er hat mir mal ein Gedicht geschrieben, das habe ich irgendwo hier in Berlin, ein echtes, unveröffentlichtes Gedicht von Marc Bolan.

Foto: Joachim Hiller