NEW BOMB TURKS

Die NEW BOMB TURKS sind die beste Punkband der Welt - meint Norbert. Nun kann ich mit meinem ehrenwerten Ox-Kollegen zwar sehr gut über gute und schlechte Musik streiten und darüber, was guter Geschmack ist und was nicht, doch in diesem Falle stimme ich ihm absolut zu. Was die NEW BOMB TURKS über die Jahre an Platten aufgenommen haben ist zu 100% grossartig, und wo andere Bands sich entweder aufgelöst oder nach dem dritten oder vierten Album ihre beste Zeit doch merklich hinter sich haben, steigern sich die TURKS eigentlich immer noch - und das, obwohl seinerzeit nach dem Wechsel von Crypt zu Epitaph Garagepunk-Puristen schon die schlimmsten Befürchtungen hatten. "Nightmare Scenario" heisst das neueste Werk, ist beinahe noch eine Steigerung zu "At Rope´s End", und so war Norbert und mir klar, dass Jahre nach dem ersten NEW BOMB TURKS-Interview fürs Ox eine erneute Befragung angebracht wäre. Diese nahmen wir vor der Show in der Essener Zeche Carl im dortigen Biergarten vor, mit allen vier Turks, als da wären Eric (Gesang), Sam (Drums), Jim (Gitarre) und Matt (Bass).

So, hier ist das aktuelle Ox.


Matt: "Cool - lass mal sehen... Ah, ein Poster von den LOKALMATADOREN - eine grossartige Band. Ich habe zwei Platten von denen."

Woher kennst du die denn?


Matt: "Freunde von uns aus Boston, die in einer Band namens SHOWCASE SHOWDOWN spielen, sammeln so ziemlich alles an Oi! und Punk, und die haben mir die LOKALMATADORE vorgespielt. Und soweit ich sie verstehen kann, sind die Texte auch ganz witzig, hehe."

Was gibt´s Neues bei den NEW BOMB TURKS?

Jim: "Wir haben seit einem Jahr einen neuen Drummer, Sam, und das bedeutete viel proben, um ihm einerseits die alten Songs beizubringen und andererseits auch neue zu schreiben. Und nachdem wir dann das Album aufgenommen hatten, ist das hier unsere erste richtige Tour in der neuen Besetzung. Und es läuft gut."

Ihr habt das neue Album mit Jim Diamond in Detroit im Ghetto Recorders-Studio aufgenommen.

Jim: "Richtig, wir haben das Album in Detroit aufgenommen und dann einen Teil in Columbus, unserer Heimatstadt, nochmal mit Jeff Graham abgemischt. Uns gefiel das DIRTYS-Album und auch, was Jim Diamond mit den RED AUNTS und Andre Williams gemacht hat. Er wollte schon immer mal was mit uns machen, und als wir dann vor ein paar Jahren bei einer Party in seinem Studio waren, hat sich der erste Kontakt ergeben. Dort aufzunehmen war für mich eine der besten Studioerfahrungen bislang."

Inwiefern?

Jim: "Es war einfach alles so einfach und inspirierend. Wenn du mit einer neuen Idee ankamst, war es nur eine Sache von Minuten, das Equipment umzustellen und du konntest loslegen. Manchmal kann es einem ziemlich auf den Geist gehen, wenn du erst den Gesang machst, dann die Instrumente, dann die Overdubs und so weiter, und bei ihm war es kein Thema, zwischendrin mal was anders zu machen - es klappte völlig reibungslos. Es war sicher nicht das am besten ausgerüstete Studio, in dem wir bislang gearbeitet haben, aber vom Gefühl und vom Sound her auf jeden Fall. Allein die Sache mit dem Drumcheck: Sowas hat bislang immer vier Stunden gedauert, das geht auf die Nerven. Doch jetzt war in nicht mal einer Stunde alles gelaufen."

Die Sachen, die das Aufnehmen nervig machen, waren also auf ein Minimum reduziert.

Jim: "Exakt. Und vor allem hatten wir gleich nach dem Einspielen schon eine gute Vorstellung davon, wie das Album später klingen würde, was nicht selbstverständlich ist: Wir wussten gleich, dass es gut klingen würde."

Und es war kein Problem, mit Sam, früher bei GAUNT,s als neuem Drummer klar zu kommen?

Matt: "Es war einfacher als früher. Ich meine, ich kam mit Bill gut klar, aber er hat einfach nicht darauf geachtet, was ich spiele. Bei Sam klappt das viel besser, wir wissen vom anderen immer genau, was er macht."

Das alte Album hiess "At Rope´s End", das neue trägt den Titel "Nightmare Scenario", Songtitel lauten "Point A to Point Blank" und "Wine & depression" und die Texte sind entsprechend ausgefallen - das klingt nicht gerade positiv, oder?

Eric: "Meine Texte waren schon immer eher düster, und das ist bewusst so. Wir spielen Musik, die ziemlich up-beat, schnell und spassig ist, und da sind die Texte eine gute Gelegenheit, noch etwas Ernsthaftigkeit einzubringen. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass ein Text zu deprimierend wird, baue ich immer noch eine witzige Zeile ein. Ausserdem ist man eben nicht immer nur gut drauf. Ausserdem ist in den letzten Jahren auch viel Seltsames passiert, gute Bekannte sind gestorben, und so hatte ich eben eher solche Sachen beim Texteschreiben im Kopf."

Bei vielen Bands sind die Texte eher schmückendes Beiwerk ohne tiefere Bedeutung, bei euch dagegen merkt man schon immer, dass da jemand mit Köpfchen dahinter steckt. Woher hast du die Ideen, wo kommen Titel wie "End of the great credibility race" her?

Eric: "Das ist alles nur geklaut, hehe. Nein, ich nehme mir einfach Zeit für die Texte und schreibe nicht nur, wenn wir mal wieder aufnehmen. Ich schreibe eigentlich immer, und wenn dann der Song steht, feile ich noch etwas daran, baue vielleicht noch ein kleines Gedicht ein oder Teile von anderen Texten, die ich dann doch nicht verwendet habe. Mir ist bei den NEW BOMB TURKS auch wichtig, dass wir uns in kleinen, aber entscheidenden Details von all den durchschnittlichen Garage-Punkbands unterscheiden. Dabei ist das mit den Texten nie eine bewusste Entscheidung gewesen, das war einfach von Anfang an so."

Die Sache ist ja auch die, dass viele dieser Garage- und Rock´n´Roll-Punkbands Texte haben, die ausser Klischees und Platitüden nichts zu bieten haben.

Eric: "Jaja, diese ganzen Texte mit "Wir stehen auf aufgemotzte Autos und heisse Rock´n´Roll-Girls"-Klischees."

Matt:
"Ich weiss, was du meinst - diese Texte, die nur da sind, weil man irgendwas singen muss."

Eric: "Ich denke, das ist bei uns schon deshalb anders, weil ich eben "nur" singe. Wenn ich noch Gitarre spielen würde, hätte ich vielleicht auch mehr auf das Instrument geachtet und weniger darauf, was ich singe - aber da gibt´s ja als Gegenbeispiel die DIDJITS und Rick Simms, die immer gute, originelle, witzige Texte hatten. Naja, letztendlich ist das eben bei jeder Band anders, und wenn manche Bands es als ihren Stil ansehen, über solche Rock´n´Roll-Klischees zu singen, dann ist das ihre Sache."

Matt: "Ja, aber es unterscheidet die Bands einfach. Nimm das neue SUPERSUCKERS-Album, das ist textlich grossartig, und ich meine das nicht nur, weil ich Eddie kenne. Bei denen ist es die Mischung aus eher persönlichen und scheinbar klischeehaften Texten."

Wenn ich euch, die SUPERSUCKERS oder die GAZA STRIPPERS höre, merkt man einfach, dass da mehr dahintersteckt als nur Leute, die auf verzerrte Gitarren stehen und schnellen Rock´n´Roll spielen.

Jim: "Ich denke, das ist eine Sache der Erfahrung. Viele neue, junge Bands haben einfach nicht so den Background, um schon ihren ganz eigenen Stil zu finden. Sowas muss mit den Jahren kommen - oder auch nicht. Und es gibt schlimmeres als Kids, die ihre Verstärker auf 10 stellen und losrocken: mit etwas Glück lernen sie über die Jahre dazu."

Eric: "Als wir damals anfingen, war Punk entweder dieser ganze Spätachtziger-Hardcore oder eine verschwommene Erinnerung an englische Punkbands mit Iros. Mit Garage-Punk konnte damals keiner was anfangen."

Themenwechsel: Ihr wart vor nicht all zu langer Zeit in Australien mit den ONYAS auf Tour. Irgendwelche Stories, die´s dazu zu erzählen gibt?

Jim: "Oh ja... Die waren für das Booking verantwortlich. Aber was soll ich sagen, das sind eben Australier, die leben einfach so in den Tag hinein."

Matt: "Nur so viel: Wir fahren gerade in Sydney los mit dem Bandbus, den die ONYAS für uns organisiert haben, und mitten auf dieser grossen Brücke, die aus der Stadt hinausführt, geht uns der Sprit aus. Und so standen wir dann eine Stunde am Strassenrand, bis jemand Sprit geholt hatte. Die ONYAS sahen das ganz locker, die regten sich kein Stück auf. Die Australier sind vom Typ her wie diese kalifornischen Surfer-Typen, aber ohne deren negativen Beigeschmack."

Eric: "Allein John ist ein Phänomen: der kifft und säuft unglaublich und ist ständig auf Tour, aber im Sommer ist er immer perfekt in Form und gewinnt seine Schwimm-Wettkämpfe. Und Anwalt ist er auch noch. Deshalb werden sie als Band in nächster Zeit wohl auch etwas kürzer treten."

Welche Länder werden von euch unter Touraspekten noch favorisiert? Spanien, wie "Spanish fly by night" suggeriert?


Eric: "Spanien ist grossartig, so ziemlich jede US-Band, die dort war, ist begeistert. Das ist dort eine völlig andere Kultur, völlig anders als der Rest von Europa."

Matt: "Ich könnte mir aber nicht vorstellen, dort zu leben - zumindest nicht, ohne kokainabhängig zu sein... Die ganzen Rock´n´Roller dort leben von Kokain, echt, das ist völlig krass. Nach einer Weile ist das ziemlich beängstigend. Und klar, dass es den ganzen Amerikanern dort gefällt..."

Eric: "Frankreich ist aber auch nicht übel, es wird sogar mit jeder Tour besser: bessere Clubs, bessere Vorbands."

Und wie ist Deutschland? Die Stimmung bei den Konzerten, die ich hier von euch in der Vergangenheit gesehen habe - das war in Münster und in Köln - war jedesmal unglaublich.

Jim: "Münster und Köln sind immer grossartig, das stimmt. Nee, also Deutschland war schon immer ein gutes Pflaster für uns."

Hier kommt ja doch eher ein älteres, äh, Fachpublikum zu euren Shows. Wie ist das in den USA?

Jim: "Das Publikum hier in Deutschland ist dem in den USA recht ähnlich, obwohl die Konzertgänger hier wie in Europa generell etwas informierter sind als in den USA. Aber wir haben hier wie dort auch Leute, die nur zum Saufen und Spass haben kommen, und auch Kids in NOFX-Shirts, genau wie alte Punks und so weiter. Eigentlich ist es ziemlich gemischt. Abgesehen davon sind die Amerikaner einfach trendorientierter. Wenn du keine gerade angesagte Band bist, wird es zunehmend schwieriger. Und du verdienst bei ´nem Konzert kaum was. Wenn wir in den USA spielen, kostet ´ne Show selten mehr als $5 bis $7."

Wie läuft es denn generell so für euch?

Jim: "Es geht. Unser "Problem" ist, dass wir mit der ersten Platte ziemlich grossen Erfolg hatten, und es ist dann natürlich immer schwierig, daran anzuknüpfen. Und klar, manchmal stellst du dir auch die Frage, warum du das mit der Band immer noch machst. Andererseits macht es immer noch Spass, und wir sind immer noch genauso bekannt wie vor ein paar Jahren. Das Ding ist einfach, dass die musikalischen Trends sich geändert haben, und Punk ist heute eben nicht mehr so populär wie noch vor sieben oder acht Jahren. Zur Zeit unseres ersten und des zweiten Albums lief gerade dieser GREEN DAY-Hype, und da kamen immer auch Leute zu den Shows, die deshalb kamen, weil Punk gerade angesagt war. Die blieben danach wieder weg, weil es neue Trends gab, denen sie nachrannten, und die echten Fans sind geblieben."

Ich muss ja sagen, dass ich so gewisse Befürchtungen hatte, es würde mit den NEW BOMB TURKS laufen wie mit so vielen Bands: die ersten zwei, drei Platten sind grossartig, danach flauen sie ab. Mit dem neuen Album habt ihr das Gegeneil bewiesen.


Jim: "Ein Grund, weshalb wir über die Jahre eine feste Fanbasis behalten haben, ist, dass wir nie etwas zu blödes gemacht haben, dass die Leute gegen uns aufgebracht hätte. Ich denke, die Leute wissen das zu schätzen."

Die Leute haben euch sogar verziehen, dass ihr auf Epitaph seid. Denn vor vier, fünf Jahren, als ihr zu Epitaph gewechselt seid, entsprachen die doch ziemlich dem Klischee, immer nur den gleichen kalifornischen Punk-Sound zu veröffentlichen. Mit euch änderte sich das Labelprogramm, und heute hat Epitaph ein sehr gutes Programm. Und ich erinnere mich auch noch, wie ihr damals im Interview über Epitaph bzw. BAD RELIGION gelästert habt...

Jim: "Jaja, ich erinnere mich... Wir waren damals noch ziemlich von dieser "Crypt-Attitüde" infiziert. Tim Warren von Crypt ist eben jemand, der über fast alles meckert und damit wurden auch wir identifiziert. Der sass damals in seinem Laden in Hamburg und wir gingen auf Tour, tauchten in einem Club auf und mussten uns für seine Statements rechtfertigen. Das war schon etwas seltsam. Was BAD RELIGION anbelangt: ich hatte nie persönlich was gegen die, es war nur etwas seltsam, wenn bei einem Konzert nur Kids mit BAD RELIGION-Shirts vor dir stehen - mit denen haben wir nichts gemeinsam, ausser dass wir auch schnelle Musik spielen. Aber jedem das seine."

Ihr lebt immer noch in Columbus, Ohio. Wie ist es da, was macht ihr so?

Jim: "Ach, ich arbeite in einem Plattenladen und das macht es natürlich etwas einfacher für mich, die Trends kommen und gehen zu sehen. Aber der Mittlere Westen ist eben immer noch etwas isolierter als die Westcoast oder die Eastcoast, und wenn ein Trend Columbus erreicht, ist es eigentlich schon keiner mehr."

Du arbeitest in einem Plattenladen - das bedeutet ja wohl, dass ihr von der Band nicht leben könnt.

Jim: "Nein, das klappt nicht mehr. Damals, als wir noch auf Crypt waren, tourten wir ständig, einfach weil wir das Geld für die Miete brauchten, und da klappte das halbwegs - keine Kunst, wenn du sechs oder acht Monate im Jahr unterwegs bist. Da kam es auch nicht in Frage, zuhause noch einen Job zu haben. In den letzten Jahren haben wir das Touren etwas zurückgefahren und uns lieber zuhause Jobs gesucht."

Was macht ihr?

Jim: "Ich arbeite in ´nem Plattenladen, wie gesagt. Sam liefert Pizzas aus, Matt arbeitet in einem Buchladen und Eric schreibt für ein Stadtmagazin und arbeitet noch in einem schwulen Kramladen. Das sind alles Jobs, bei denen wir auch mal für ein paar Wochen fehlen und danach wieder problemlos anfangen können. Wie gesagt, wir könnten auch heute noch von der Band leben, aber das ständige Touren ist einfach nicht mehr unser Ding - ich bin mittlerweile auch schon 31 und man will seine Beziehung ja auch ein bisschen pflegen."

Eric: "Ich bin auch gerne zuhause, denn soviel Spass das Touren auch macht, so kommst du dir doch vor wie in einer Zeitmaschine."

Matt: "Ausserdem klappt das mit dem Songwriting auch nur zuhause so richtig, dazu brauchst du einfach festen Boden unter den Füssen. Andererseits ist das schönste daran, nach Columbus zurückzukehren, zu wissen, dass man bald wieder von dort wegkommt. Nachdem wir unseren alten Drummer verloren hatten, dauerte es beinahe ein Jahr, bis wir Sam fanden, und in diesem Jahr lief fast gar nichts mit der Band, keine Tour, nichts, und das machte mich schon etwas verrückt. Columbus ist okay, wenn du höchstens zwei Monate am Stück dort lebst. Und wenn ich nicht in der Band wäre, würde ich nicht mehr dort wohnen."

Hilft es unter kreativen Aspekten, nicht in einer hippen Szenestadt wie New York, LA oder San Francisco zu wohnen?

Jim: "Jaja, das Prinzip "Big fishes, small pond". Aber ich weiss einfach, dass wenn wir in New York leben würden, wir die beste Band New Yorks wären."

Sam: "Ausserdem ist Columbus auch nicht so hinterher: es ist eine Millionenstadt und hat eine sehr grosse Uni, die jedes Jahr tausende neuer Kids in die Stadt spült, die heiss sind auf Neues."

Die NEW BOMB TURKS sind eine Band, die immer wieder als Vergleich herhalten muss. Habt ihr das auch schon mal festgestellt?

Matt: "Ja, schon des öfteren, aber ich werde nicht sagen, wer das war. Meist ist es so, dass es nur ein Song ist, der mich total an uns erinnert, während der andere dann wie die SUPERSUCKERS oder die DWARVES klingt. Und Eddie Spaghetti hat auch schon ganz offen zugegeben, uns ein paar mal kopiert zu haben, das sind also nicht nur neue, sondern auch alte Bands, die das machen. Genau wie bei uns: wir lassen uns nicht nur von alten, sondern auch von aktuellen Bands beeinflussen, denn wir sammeln alte und neue Platten. Aber es ist mir nie passiert, dass ich eine Band als 100%ige NEW BOMB TURKS-Kopie wahrgenommen hätte."

Danke für´s Interview!