Die schlechte Nachricht zuerst: Die Tour Ende 2003 war wohl die letzte Europatour der NEW BOMB TURKS. Und jetzt die gute: Die Turks lösen sich nicht auf, wollen aber bedingt durch gewachsene Verantwortung für Familie und Job die Band in Zukunft etwas ruhiger angehen. Und einzelne Auftritte in Europa können sie sich durchaus vorstellen. Na, da ist der Tag doch gerettet. Und das ist er auch immer, wenn die Turks in deiner Stadt spielen, denn der Vierer aus Columbus, Ohio ist und bleibt eine der besten Livebands aller Zeiten. Und so war auch die Show im Gleis 22 zu Münster, wo man die Band auf so ziemlich jeder ihrer Touren erleben konnte, auch wieder eine schweißgetränkte Punkrock-Party der Extraklasse. Vor dem Konzert sprach ich mit Matt und Eric über den Stand der Dinge und ihre Pläne. Die aktuelle Besetzung: Eric Davidson (vox), Matt Reber (bass), Jim Weber (gt) und Sam Brown (drums).
Stimmt das Gerücht, dass ihr...
Alle: Yesssss!!!
Eric: Wir sind alle schwul!
Äh, na ja, die Frage war, ob das hier wirklich die letzte Europatour der NEW BOMB TURKS ist.
Eric: Ach dieses Gerücht meinst du.
Matt: Aber das ist kein Gerücht, das ist eine Tatsache. Und wir wurden in den letzten Wochen natürlich oft danach gefragt. Ja, wir haben uns entschlossen, nicht mehr zu touren, und so wird es auch sein. Das ist also unsere letzte Tour, aber wir werden als Band zusammen bleiben, hier und da ein paar Konzerte spielen. Wir sind ja immer noch Freunde, es gibt keinen Grund, nicht gelegentlich was zusammen zu machen.
Und warum die Reduzierung der Bandaktivitäten?
Eric: Jeder von uns hat auch noch ein Leben außerhalb der Band, das ihm wichtig ist. Derzeit haben wir noch richtig Spaß zusammen zu spielen, und da macht es Sinn, das Touren aufzugeben, solange das so ist, bevor man das in einer Phase tut, wo man sich annervt, Leute aussteigen, man jemand neues in die Band holen muss und all so was.
Was hat sich denn gegenüber der Situation vor zehn Jahren geändert?
Matt: Wenn du Anfang zwanzig bist, ist alles viel einfacher. Da gingen wir zehn Wochen am Stück auf Tour, das störte keinen. Wir sind jetzt einfach älter, da wird so was zunehmend schwieriger, aber ich denke, wir hatten unseren Spaß. Und finanziell gesehen haut es heute einfach nicht mehr hin, nur zwei oder drei Wochen im Jahr zu touren und den Rest der Zeit einen Aushilfsjob zu machen. Wenn man älter wird, wird man einfach etwas gesetzter, da kommt man mit Jobs zum Mindestlohn einfach nicht mehr hin, davon kannst du die Rechnungen nicht bezahlen.
Eric: Wir hatten all die Jahre immer solche schlecht bezahlten Jobs, weil wir die Flexibilität brauchten, jederzeit auf Tour gehen zu können. Flexibilität und okaye Bezahlung schließen sich aber leider aus, und so ziehen wir jetzt die Konsequenz. Außerdem ist die Situation für Bands in den letzten Jahren nicht unbedingt besser geworden: Du bekommst eher weniger Gage als früher, kannst nur in bestimmten Läden spielen und wenn du nicht ein richtig großes Label im Rücken hast ist es erst recht schwer. Aber im Vergleich zu anderen Bands können wir uns nicht beklagen.
Mit dem Epitaph-Deal damals hattet ihr euch, so höre ich es heraus, auch erhofft, mit der Band das entscheidende Stück weiter zu kommen.
Matt: Das war unser Plan, aber genau zu der Zeit, als sie uns gesignt hatten, verließ Brett Gurewitz für eine Weile das Label. Für die erste Platte haben sie sich richtig ins Zeug gelegt, doch als dann die zweite Platte kam, war Gurewitz weg, keiner kümmerte sich so recht um uns und da war die Sache schon beinahe gelaufen. Bei der Dritten hatten sie als Label schon eine andere Richtung eingeschlagen und kümmerten sich nur um die Bands, mit denen sie richtig Geld verdienen konnten, und das war’s dann für uns gewesen.
Eric: Damals dachte jeder, nur weil OFFSPRING und RANCID viele Platten verkauften, dass das bei jeder anderen Epitaph-Band auch so sein müsste. Ist es aber nicht, und andere Bands auf Epitaph haben sogar weniger Platten verkauft. Aber ganz so schlecht war das trotzdem nicht, denn so wurden durch die Punk-O-Rama-Sampler auf jeden Fall ein paar mehr Kids auf uns aufmerksam, und die Platten waren eigentlich in jedem Laden zu bekommen. Aber wir machen eben nicht den gleichen Sound wie NO X, und so konnte man nicht mehr erwarten, denke ich.
Nun gut, wie NOFX klingt ihr sicher nicht, aber den riesigen Unterschied zu den HIVES kann ich nicht erkennen. Die dürften euch zu ihren Vorbildern zählen, verkaufen aber – warum auch immer – hunderttausende Platten. Nur Hype?
Matt: Das hat schon was mit Hype zu tun, aber auch damit, dass die Musikjournalisten immer auf der Suche sind nach neuen Bands. Wir aber sind keine neue Band, und wir sind auch nicht jung und tragen keine schicken Klamotten. Wir sind einfach ein paar ältere Typen, die schon sechs Platten gemacht haben, sind eine relativ etablierte Band. Für die Hype-Maschinerie taugen wir eben überhaupt nicht. Und für die spielt es keine Rolle, ob eine jüngere Band jetzt besser oder schlechter ist als wir, ob sie einen neuen Sound macht oder nicht, ob sie es ‚verdient’ oder nicht.
Eric: Die Leute haben gerne das Gefühl, etwas Neues zu entdecken, denk nur an dieses ‚Rock’n’Roll is back’-Getue. Aber so ist das eben, und man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass das fünfte Album von Britney Spears sich auch nicht mehr besonders gut verkaufen wird.
Matt: Das mit den HIVES ist aber nochmal eine andere Geschichte. Die sind seit ’94 oder ’95 dabei, nur haben sie erst zwei Alben raus, und außerdem kam ihnen diese ganzen Schweden-Sache zur Hilfe, da hatte die Presse einen Ansatz, um drüber zu schreiben. Wir und ihr wussten natürlich, dass das nicht wirklich neu ist, aber es war eben eine gute Story.
Rational lassen sich über 300.000 Platten, die die HIVES allein in England verkauft haben, also nicht erklären.
Eric: Man würde sich wünschen, dass jede gute Platte sich so gut verkauft, aber so ist das eben nicht. Und zweifellos, die HIVES haben da eine Hit-Platte gemacht. Und wenn man die Platte mit unseren vergleicht, so sind die HIVES einfach poppiger. Ich mag die Platte, aber das ist schon eine kommerzielle Hit-Platte, das hört man sofort. Die klingt, als könne das im Radio laufen, und das war ja dann auch so.
Matt: Das allein reicht aber nicht aus: Das Timing muss stimmen, das Management auf Zack sein. Und keiner weiß, was bei der nächsten HIVES-Platte sein wird – da kann der Zug schon längst wieder abgefahren sein.
Hadert ihr mit eurem Schicksal, wenn ihr so was mitbekommt?
Matt: Nein, wirklich nicht. Ich habe vor einer Weile auf M2 ein Live-Special über die HIVES gesehen, und ich saß da und dachte mir, das ist schon seltsam. Wir kennen die HIVES, seit wir vor Jahren mit ihnen gespielt haben, und ich musste an die DEVIL DOGS denken. Der Sänger der HIVES erinnerte mich in seiner Art, wie er die Ansagen machte und so, an Andy Gortler von den DEVIL DOGS, die wiederum unsere Vorbilder waren. Und wenn ich uns mit den DEVIL DOGS vergleiche, die nie Erfolg hatten, haben wir eine Menge erreicht, konnten zig Touren machen, haben sechs Alben raus – worüber sollten wir uns also beklagen?
Eric: Wir hatten mehr Erfolg als all die Crypt-Bands vor uns, und auch mehr Erfolg als die DIDJITS und die LAZY COWGIRLS. Die spielen seit beinahe 25 Jahren und bekommen 150 Dollar am Abend, wenn sie in den USA spielen. Wir neiden also niemandem seinen Erfolg. Wir haben unser Bestes gegeben, und ja, wir hätten mit etwas Glück ein paar Platten mehr verkaufen können, wenn Brett Gurewitz nicht dieses Drogenproblem gehabt hätte, aber was soll’s. Das war einfach deren Problem damals. Die konnten uns in den USA einfach nicht gut promoten, während Epitaph Europe einen richtig guten Job gemacht hat. Richtig viel verkauft haben sie aber auch nicht. Aber weißt du, wir sind nicht ja nicht blöd, wir sehen, was in der Welt um uns herum vor sich geht, und da hast du eben all diese Bands mit Piercings im Gesicht und Tattoos am ganzen Körper. Na ja, und was meinst du wohl, was diese Typen machen, wenn ihre Band nicht durchstartet? Dann laufen sie so für den Rest ihres Lebens durch die Gegend. Wir dagegen können auch mal was anderes machen: andere Musik, andere Jobs. Wir sind nicht in der verzweifelten Situation, genau jetzt hundert Riesen machen zu müssen, oder das war’s. Andere Bands sind aber in genau dieser Situation: Die riskieren alles, und wenn’s nicht hinhaut, haben sie ein Problem. Und ich kenne solche Fälle: da werden alle Ersparnisse, zehntausende Dollar, in die Produktion eines Videos gesteckt – und das wird dann nicht mal gezeigt. Wir dagegen haben auch fast alles erreicht, was eine Punkband erreichen konnte: Wir waren auf Crypt, immer noch eines meiner Lieblingslabel, wir waren in Japan auf Tour, waren mehrmals in Europa, und damit hätte anfangs keiner von uns gerechnet.
Themenwechsel: Mit der neuen Platte seid ihr auf Gearhead gelandet. Wie kam’s dazu?
Matt: Ganz einfach: Wir haben angerufen, gefragt, sie haben Ja gesagt.
Eric: Mike LaVella ist seit unserem ersten Album ein Fan, der musste nicht wirklich überzeugt werden. Der Deal ist cool und simpel: Eine Platte, das ist es, und wenn wir noch eine machen wollen, auch okay. In den USA und Kanada sind die Platten überall zu bekommen, in Europa ist es auch okay, also passt alles.
Wie ist das Album entstanden?
Matt: Wir hatten noch keine Ahnung, wo die Platte erscheinen würde, als wir mit den Aufnahmen begannen.
Eric: Wir haben diesmal in einem Studio in Columbus aufgenommen, einfach weil es billiger und einfacher war und wir so nicht unsere Jobs kündigen mussten. Als wir fertig waren, stand der Deal mit Gearhead. Wir beschlossen dann, mit der Platte noch einmal auf Tour zu gehen. Erst sechs Wochen in den USA und Kanada, dann vier Wochen Europa.
Die Platte davor hattet ihr bei Jim Diamond aufgenommen.
Eric: Ja, wir waren bei ihm in Detroit im Studio. Das war damals noch bevor der ganze Hype mit den WHITE STRIPES und der Detroit-Szene losging. Und das ist eben auch so ein Epitaph-Ding: Die haben nie kapiert, was es mit diesen Bands da auf sich hat, und es interessiert die auch nicht. Die sitzen da drüben in Kalifornien in einer ganz anderen Welt. Eine Platte wie die letzte von den DETROIT COBRAS verstehen die einfach nicht: alles Cover-Songs, eine Sängerin, was soll das? Und das war auch unser Problem: Wir waren die erste Midwest-Band auf Epitaph, und wir haben einfach eine ganz andere Mentalität, und die haben auch nie kapiert, was wir für Fans haben, welche Fanzines für uns wichtig sind.
Für uns Europäer ist schwer nachvollziehbar, dass es innerhalb der USA so gewaltige Unterschiede gibt.
Eric: Ist Hamburg anders als London, ist London anders als Barcelona? So ist das mit Detroit und Los Angeles. Und das hat auch schwer was mit Musik zu tun: In L.A. habe ich DEVO-Platten für 10 Dollar gefunden, die bei uns als Rarität gehandelt werden. Und andersherum gab’s bei uns früher alte BAD RELIGION-Scheiben für 5 Dollar, die in L.A. nicht mehr zu kriegen waren. Bei uns gibt’s eben keine Surfer und Skateboarder, denn es ist die Hälfte des Jahres zu kalt. Und New York ist nochmal ganz anders, und Texas sowieso.
Matt, Eric, danke für das Interview, ich hoffe, wir sehen uns wieder.
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