Der Sage nach dauerte es nur wenige Monate, bis sich die Gründungsmitglieder von NARZISS auf eine einzige Person dezimiert hatten: Lediglich mein Gesprächspartner Gitarrist Johannes Müller blieb von der Originalbesetzung übrig. Seit dem Live-Debüt der Band aus Jena sind inzwischen zehn Jahre vergangen und bei diesem Auftakt grenzt es beinahe an ein Wunder, dass man seit damals vier Alben und etliche Kleinformate veröffentlicht hat. Natürlich stabilisierten sich die Zustände wieder und „Echo“, das vierte Album des Quintetts, welches auf dem erfolgreichen Vorgänger „Solang das Herz schlägt“ aufbaut, wurde mit Spannung erwartet. Innovation zeigt der neue Longplayer durch Experimente mit Filmmusik und eine kontinuierliche Weiterentwicklung der deutschen Texte. NARZISS haben inzwischen zu Recht einen beachtlichen Ruf und ihr Auftritt beim Wacken Open Air 2007 machte deutlich, dass sie keinerlei Berührungsängste haben.
Was mich an „Echo“ am meisten fasziniert, ist die Kohärenz. Ist der Titel für dich symptomatisch?
Schön, dass dir das auffällt, dann haben wir ein Teilziel erreicht. Tatsächlich war es uns sehr wichtig, dass alles zueinander passt. In letzter Zeit habe ich mich viel mit Musik im Film beschäftigt. Mich fasziniert die Wirkung, welche Musik mit Bildern entfalten kann. So haben wir mit unseren beschränkten Mitteln versucht, alle uns zur Verfügung stehenden Botschaftsträger in Einklang zu bringen. Jedes Einzelteil, also Musik, Text und Artwork, bedingen einander, so dass ich sie gar nicht mehr richtig trennen kann. Wenn ich bestimmte Lieder mit ihrem Text höre, habe ich auch das entsprechende Bild dazu im Kopf. Der Titel war wohl neben dem langen Schaffensprozess einer der schwierigeren Parts. Auch „Echo“ musste zunächst einigen Prüfungen standhalten, ehe uns die Zeit zur Entscheidung zwang. Der Titel gibt in einem Wort vieles wieder, über das wir unsere Texte geschrieben haben. Bildlich gesprochen ruft man etwas aus, das Echo gibt dann gleich einer Art Metakognition die Möglichkeit, das Gerufene zu reflektieren. Und um Reflexion geht es auf „Echo“. „Echo“ ist ein Blick auf das Leben, der zeigt, dass vieles nicht so verläuft, wie man es sich wünscht oder gewünscht hat. Zusätzlich kommt hinzu, dass Echo auch der Name der Quellnymphe ist, welche in Liebe zu Narziss entbrannte. Er wies sie ab und erzürnte damit ihren Vater, einen Flussgott, der Narziss darauf in die bekannte Blume verwandelte.
„Hoffnungslos“ und „Perfektion“ zeugen ja durchaus von literarischem Können. Wer sind eure Vorbilder und gibt es Pläne, mal ein Buch oder einen Poesieband zu veröffentlichen?
Die Texte schreiben unser Sänger Alex und ich. Die beiden genannten Texte stammen aus meiner Feder. Es hat eine Weile gedauert, bis wir so mit unseren Fähigkeiten zu „dichten“ zufrieden waren. Wir sprechen meist gemeinsam die Texte nach ihrer Entstehung durch und verbessern sie. Häufig entstehen sie unabhängig von der Musik als reine Lyrik, aber schon im Hinblick darauf, vertont zu werden. Mich interessiert vor allem das Zusammenleben von Menschen, sei es als Partner, Freunde oder im Großen gesehen, als Gesellschaft. Was steckt dahinter, welche Komplexe oder Psychosen entwickeln sich, und wie wirkt sich das aus? Als literarische Gestalten wähle ich mir dann Personen aus der näheren Umgebung, oder eben das lyrische Ich. Von einer Veröffentlichung als Lyrik habe ich schon einmal geträumt, auch in Verbindung mit den Bildern, die Paul Barsch dazu gemalt hat. Allerdings müsste sich dann jemand finden, der das verlegt. Interessant wäre das schon, zumal ich noch einen Haufen unveröffentlichter Sachen herumliegen habe.
Um das Layout hat sich erneut Paul Barsch gekümmert. Wie kam der Kontakt zustande und was musste in euren Augen künstlerisch umgesetzt werden?
Paul hatte ja schon das Artwork der „Hope Dies“-EP und das des letzten Albums, „Solang das Herz schlägt“, gemacht. Wir kennen uns schon lange, da Paul auch Gitarre in mehreren Bands spielt und auch bei uns schon bei einigen Konzerten ausgeholfen hat. Der Stil des Artworks ist dem des letzten Albums ähnlich. Das war unser Wunsch, da der Stil unheimlich gut zu unserer Musik passt und den Inhalt der Texte wunderbar aufnimmt. Hinzu kommt, dass es nicht eine x-beliebige Photoshop-Collage ist, sondern in meinen Augen von Hand geschaffene Kunst. Wichtig war wieder, den Zusammenhang der Songs herzustellen und damit eine weitere Interpretationsebene deutlich zu machen. Für mich ist schön, dass es nicht einfach nur eine Verpackung und eine Handreichung der Texte ist, sondern eben auch eine Anregung darstellt, Texte und Musik zu rezipieren. Ein weiterer Denkanstoß also.
Du arbeitest als Lehrer. Sorgt der Beruf bei den Jugendlichen, mit denen du zu tun hast, für eine Art Feindbild? Der Job ist ja immer etwas mit Forderung und Kontrolle verknüpft.
Ich glaube, bei nicht wenigen Lehrer-Schüler-Beziehungen beruht das auf Gegenseitigkeit. Feindbilder entstehen in der Regel dann, wenn man verletzt wird, man etwas nicht versteht oder nachvollziehen kann. Ich habe festgestellt, dass Zeit und Hinwendung so etwas überhaupt nicht aufkommen lassen. Wenn ich als Lehrer meinen Beruf nicht mag, mich überfordert fühle und nur den Lehrplan im Kopf habe, werde ich wohl wenig Chancen haben, positive Resonanz, auch für mein Bildungsanliegen, zu finden. Aber genauso scheitern Ja-Sager, also Lehrer, die sich permanent anbiedern oder inkonsequent sind. Ich bin bis jetzt nur mit wenigen Schülern nicht zurechtgekommen. Das ist wohl normal, wenn man die Situation bedenkt, dass wir uns einander nicht aussuchen können. Wo ich merke, dass so etwas passiert, muss ich eben denjenigen einfach in Ruhe lassen. Fordern sollte meines Erachtens in Fördern gewandelt werden, denn das hat mehr den zu Fördernden im Blick. Wenn ich mit dem Ziel unterrichte, meine Schüler fit für die Wirtschaft zu machen, dann nehme ich sie aus meinem Blickfeld weit heraus, weil ich nur die Forderungen einer Clique der Gesellschaft im Blick habe. Ziel sollte es doch sein, die Schüler zu befähigen, unsere Gesellschaft zu gestalten, aktiv zu sein. Das muss ich fördern und kann es nicht fordern. Bei diesem Ziel nützt mir Kontrolle wenig, denn das bedeutet, dass es immer eine Instanz gibt, die sagt, „das war gut“, oder „das war schlecht“. Dabei ist es doch notwendig, genau das selber zu lernen. Verantwortung übernehmen, erst für sich selber, später für andere. Da passt Kontrolle im negativen Sinn nicht hinein. Wenn Kinder und Jugendliche merken, dass jemand ihnen sein Vertrauen schenkt, kann das zwar auf der einen Seite belasten, aber in der Regel stärkt das eher. Wenn das funktioniert, ist für das „Feindbild Lehrer“ kein Platz mehr.
In „Ita est“ verarbeitet ihr neben vielen melodischen Passagen auch Filmscore-Elemente. Wie kam es zu dieser Idee und der Zusammenarbeit mit Komponisten?
Der Wunsch nach Zusammenarbeit mit Patrick M. Schmitz bestand so ziemlich von Beginn der Arbeit am neuen Album an. Der Kontakt zu Patrick kam über einige Umwege zustande und es war für mich schnell klar, hier jemanden zu haben, von dem ich etwas lernen konnte. Damit war eine Zusammenarbeit unumgänglich. Unklar war zunächst, wie sich die Arbeit gestalten sollte. Bei „Maskerade“ ergab es sich schnell, dass hier das normale Band-Instrumentarium lange nicht die gewünschte Tiefe erzeugen würde. Die harmonische Grundstruktur und der Ablauf wurden von uns festgelegt, erste Skizzen für das Intro angefertigt und dann Patrick zugesandt. Dann wanderten die Sounddateien durch die Leitungen der Republik, bis wir mit allem zufrieden waren. Bei „Ita est“ war es anders. Während der Entstehung des Songs entwickelte sich in meinem inneren Ohr eine Art Orchestration des Mittelteils, der ja auf einem musiktheoretischen Kniff beruht. Zu Hause schrieb ich ein grobes Arrangement. Dann fuhr ich zu Patrick nach München, um mit ihm in einer Nacht das Arrangement zu richten und zu produzieren.
Das künstlerische Moment wird seit jeher feinsäuberlich getrennt vom pragmatischen Teil des Musikgeschäfts, dem Verkauf. Gute Geschäftsmänner gelten schnell mal als Abzocker. Kurzum, was ist dran am Klischee vom weltfremden Musiker, der seine Verkaufszahlen nicht kennt, den sie nicht interessieren?
Einiges: Es ist klar, dass die Arbeit eines Labels, des Managements oder einer Booking-Agentur auch von den Musikern selbst getan werden könnte, vorausgesetzt, sie haben die Zeit, das Verkaufstalent und, am wichtigsten, die Kontakte. Eine Stange Geld wäre auch noch gut. Häufig findet sich das nicht auf einem Haufen. Es gibt Bands, die das inzwischen selber machen. Tatsächlich ist meine eigene Erfahrung mit Circulation Records, dass einem als Label schnell vorgeworfen wird, die Musiker auszunutzen und dass es sich nur um Geld dreht. Und wirklich, es dreht sich vorwiegend um Geld, weil man sich damit sein Essen kauft. Wenn es gut läuft, ist man in der Regel mit Essen allein nicht mehr zufrieden, und man kauft sich ein Auto. Und an diesem Punkt setzt das Unverständnis vieler Szenepolizisten ein, die sich ja quasi außerhalb der Szene ernähren, und deswegen schimpfen können. Wenn sich die Band dann auch noch ein Auto kaufen kann, dann macht sie massentaugliche Musik und ist auch nicht mehr „aufrichtig“. Ich denke, dass hat etwas mit Neid zu tun, und mit Identität. Tatsächlich ist aber zu hinterfragen, welcher Teil der Arbeit wie belohnt wird. Ist nicht die Musik der Ausgangspunkt, der das Geldverdienen erst möglich macht? Steht damit dem Musiker nicht der größte Anteil zu? Allerdings gehört der größte Anteil in der Regel dem, der das Geld gibt und das Risiko auf sich nimmt. Und das wiederum sehen viele Konsumenten nicht. Aber das Ganze wird sich ja in Zukunft lösen, da Verkaufszahlen immer weniger eine Rolle spielen, dank der Demokratisierung des Musikmarkts durch das Internet. Somit wird sich der Schwerpunkt auf eine gute Live-Performance und volle Konzerthäuser verlegen, die Stunde der Selbstdarsteller.
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