Einer der besten Menschen, die ich kenne, ist der Beat-Man. Der heißt eigentlich Beat Zeller und hat das große Glück, dass in der Schweiz eine männliche Version des Namens Beate gängig ist. Beat, das ist noch besser als Punk oder Rock zu heißen, und irgendwann wurde aus Beee-aaat dann eben der Beat-Man. Der ist der unfassbar charismatische Frontmann von THE MONSTERS, war als Lightning Beat-Man Rock’n’Roll-Wrestler, predigt als Rev. Beat-Man den Rock’n’Roll und betreibt in der Schweizer Hauptstadt Bern den Plattenladen und das unglaublich coole Label Voodoo Rhythm. Ich nahm den 30. Geburtstag der MONSTERS zum Anlass, Beat(-Man) mal wieder zu interviewen.
Was hat dir die katholische Kirche getan, dass du dir für euren Jubiläums-Tribute-Sampler so ein lästerliches Cover mit fickenden Nonnen aussuchen musstest?
Das ist doch schön! Nonnen wollen eben auch Spaß haben. Nuns just wanna have fun! Wir hatten das Motiv – das Cover eines dänischen 8mm-Pornos namens „The Sexy Nuns“ – bereits 1995 als Tourposter verwendet, als wir in Deutschland und der Ostschweiz unterwegs waren. In der Ostschweiz hat das damals noch richtig für Aufregung gesorgt, das ist eine ultrakatholische Region. Wir wurden angespuckt, bei einem Konzert kam der Bürgermeister des Ortes auf die Bühne und hat die Show abgebrochen, andere wurden im Vorfeld abgesagt. Das war damals alles noch viel konservativer als heute. Deshalb dachte ich, es ist eine gute Idee, das Artwork für die Tribute-Compilation erneut zu verwenden, um zu sehen, wie heute die Leute darauf reagieren. Ich habe allerdings nicht viel Hoffnung ...
Willst du heute immer noch provozieren – und womit kann man das heute noch?
Provozieren will ich heute nicht mehr, ich will mehr motivieren und Gedanken anstoßen. Die Leute dazu bewegen, nicht nur zu Hause vor dem Fernseher zu hocken, sondern irgendwas zu machen im Leben, sich weiterzuentwickeln. Das treibt mich an. Eine Provokation kann natürlich sehr hilfreich sein, aber plumpe Provokationen finde ich nicht gut. Und um damit auf das Cover zurückzukommen: es ist einfach ein witziges Bild.
Eine Provokation kann also auch etwas Positives sein – so wie es der englische Ausdruck „thought-provoking“ im Sinne von „zum Nachdenken anregend“ beschreibt?
Genau so sehe ich das, und so verhält es sich auch mit der Musik der MONSTERS. Wir haben unsere Texte auf das absolute Minimum reduziert, um den Leuten die Freiheit zu lassen, sich selbst ihren Teil zu denken. Jeder kann in die Musik und die Texte interpretieren, was er will, deshalb ist alles so einfach gehalten. Da kannst du dir eigentlich noch ein ganzes Symphonie-Orchester dazudenken, wenn du genügend Fantasie dazu hast. Das ist eine große Aufgabe, die wir uns mit der Band und ich mir mit dem Label da vorgenommen haben. Aufstehen, denken, machen, nicht nur mit dem Handy auf „Like“ klicken. Nicht nur blöd finden, dass es immer weniger Konzerte gibt, sondern selbst Konzerte organisieren. Dass man sein Leben in die eigene Hand nimmt und nicht nur konsumiert – all das wollen wir mit unserer Musik bewegen.
D.I.Y., den Arsch hochkriegen, sein Leben selbst gestalten – warum ist dir dieses alte Anliegen der Punk-Bewegung so wichtig?
Wir beide stammen ja beide aus der gleichen Generation, und Do-it-yourself war für uns in den Achtzigern ja völlig normal, wir sind damit aufgewachsen. Aber wenn ich das heute Menschen erzähle, die so alt sind wie wir damals – ich habe einen Plattenladen, da begegne ich denen jeden Tag –, dann ist da nur großes Erstaunen. Wenn ich auf Tour gehe, nehme ich meine Platten mit und tausche mit den Bands, mit denen ich spiele, und dann verkaufe ich die in meinem Laden. Wir helfen uns gegenseitig. Wenn ich das erzähle, haben meine jungen Kunden ein riesiges Fragezeichen im Gesicht. Für uns ist das selbstverständlich, für eine neue Generation nicht, also muss man das immer wieder erklären. Untergrundmusik bleibt Untergrundmusik, und die kann nur funktionieren, wenn wir alle zusammenarbeiten. Immerhin gibt es in Bern, in meiner Stadt, dieser Tage eine ganz neue Hausbesetzerszene, die sich Häuser unter den Nagel reißt, Konzerte und Partys veranstaltet. Die Polizei ist allerdings heute sehr viel strikter als damals in den Achtzigern, als die völlig überrumpelt war von dieser neuen Bewegung. Die heutige Jugend hat es enorm schwer, sich Freiräume zu schaffen, weil jeder Freiraum, den wir in den Achtzigern geschaffen haben, heute völlig durchstrukturiert ist. Die entsprechenden Räumlichkeiten wurden meist von der Stadt oder dem Kanton übernommen und werden subventioniert, was die Freiheit einschränkt. Neue Freiräume muss sich die Jugend erkämpfen, und das ist heute eine enorm schwierige Aufgabe.
Ist das in der Schweiz schwieriger als anderswo?
Nein, im Gegenteil, es ist hier im Grunde sogar einfacher. Die Steuern sind hier einfach nicht so hoch, und gerade als junger Unternehmer wird man enorm unterstützt, etwa wenn man einen Club aufmachen will. Wenn man dann aber größer wird, wird es sehr kompliziert und komplex. Als ich mit dem Label damals angefangen habe, war das hier in der Schweiz paradiesisch, da hat mir keiner reingeredet und die Steuerprüfung interessierte sich auch nicht für mich. Die lassen dich wirklich ein Geschäft aufbauen und florieren. Doch wenn es dann größer wird und wenn man Mitarbeiter hat, wird es immer schwieriger.
Vor fünf Jahren haben wir über deinen Zwist mit der SUISA, der Schweizer GEMA, gesprochen, der dich fast ruiniert hätte, weil die horrende Nachforderungen stellten.
Die wollten 64.000 Franken von mir, und da habe ich fast aufgegeben, sah keinen Sinn mehr in allem. Als ich das dann aber kundgetan hatte, war die Resonanz aus alles Welt umwerfend, es gab Benefizkonzerte und all so was. Da merkte ich, ich mache mit dem Label etwas, das nicht nur mich als Person etwas angeht, sondern das viele Leute erreicht, motiviert und anspricht. Mir wurde klar, dass das Label nicht nur meine tägliche Arbeit ist, sondern dass ich für viele andere Menschen etwas schaffe. Ich verstand, dass ich nicht aufhören darf, sondern weitermachen muss. In der Folge wurde das Label professionalisiert – und die Buchhaltung und all das ist sehr kompliziert geworden. Mittlerweile ist mir die ganze Bürokratie echt zu viel.
Raubt diese Art der Professionalisierung einem den Spaß und die Spontaneität?
Mein Vorteil ist, dass ich ein extremer Arbeitertyp bin. Ich kann extrem viel arbeiten, von daher ist das okay, aber das große Problem ist die schiere Menge an anfallender Arbeit und dass ich so praktisch zu nichts anderem mehr komme. Glücklicherweise habe ich aber noch die Band, die MONSTERS, kann als Rev. Beat-Man solo auf Tour gehen, und wenn es mir zu viel wird, ziehe ich los und das lüftet dann mein Hirn durch. Wenn wir mit den MONSTERS auf Tour gehen, brauchen wir immer zwei, drei Shows, um warm zu werden, doch dann läuft es und die Musik geht komplett frei ab – das führt dann auch mal zu zehnminütigen Gitarrensoli. Das sind pure Noise-Attacken, das muss einfach raus.
Ihr werdet immer in der Garage-, Sixties- und Psychobilly-Szene verortet, doch dieses Publikum ist manchmal etwas konservativ und goutiert solche Solo-Einlagen, wie zuletzt in Köln, nicht immer.
So war das schon immer, auch früher, als wir stark in der Psychobilly-Szene unterwegs waren. Für mich ist es ganz klar, dass wir Rock’n’Roll machen. Garage-Punk ist Rock’n’Roll, Psychobilly ist Rock’n’Roll. Wenn du den Rock’n’Roll mal wirklich zelebrierst, die Sau rauslässt, stößt man eben auch Leute vor den Kopf. In ganz extremer Form hat das damals GG Allin gemacht, so weit gehen wir nicht. Aber man muss schon hinterfragen, was Rock’n’Roll sein soll – etwas fürs Museum? Oder eine Lebenseinstellung? Mit unserer Einstellung, das weiß ich, werden wir etwa von einem Mod-Publikum immer mit gemischten Gefühlen wahrgenommen, obwohl die uns eigentlich gut finden müssten, denn wir haben ja genau den Hintergrund. Na ja, für Puristen sind unsere Noise-Attacken eben kein Garage-Punk mehr, haha. Es ist auf jeden Fall immer lustig zu sehen, wie leicht man Menschen vor den Kopf stoßen kann.
Hauptsache, man kann aus den Leuten eine Reaktion herauskitzeln, oder?
Ja. Das ist mir sehr wichtig, und dieses Reaktion war speziell in meiner Zeit als Lightning Beat-Man, als ich als Wrestler unterwegs war, das A und O meiner Show. Die Leute provozieren, sie aufwecken, umdrehen, zum Nachdenken bringen!
Welche Versionen von Beat-Man gibt es denn derzeit? Man kann da über die Jahre schon mal den Überblick verlieren ...
Aktuell sind die MONSTERS aktiv und Rev. Beat-Man. Und da gibt es noch DIE ZORROS, eine Art Striptease-Kapelle, zusammen mit Oliver M. Guz von den AERONAUTEN, der spielt da Orgel, und eine „Balkanband“ habe ich auch noch, die heißt DRÜ. Mit der machen wir so eine Art Dada-Balkan-Beat, alles ist frei improvisiert. Ich glaube, das ist momentan alles.
Vor ein paar Jahren hattest du deinen Sohn mit auf Australientour genommen. Wie hat sich das Vater-Sohn-Verhältnis in Bezug auf Musik verändert?
Der grenzt sich heute komplett ab von dem, was ich mache, und das ist auch okay so. Der steht auf N.W.A, auf Rap, auf komische elektronische Sachen, auch auf Hitparadenzeug. Der ist jetzt 16 und sehr musikinteressiert, und sagt mir deutlich, dass er meine Musik scheiße findet, dass das nicht seins ist. Wenn ich ihn dann aber mal zu einem meiner Konzert mitnehme, dreht der fast durch und ist enorm stolz auf mich. Meine Tochter auch, die ist elf, die hat großen Spaß bei meinen Konzerten – irgendwie erkennen die sofort, worum es geht: Darum, bei der Musik alles rauszulassen, sich zu zelebrieren, Spaß zu haben.
Mit 16 ging ich unerlaubt auf Konzerte und in Discos. Dein Sohn auch?
Ja, das fängt jetzt an ... Ich bin ein typischer Vater, erkläre ihm, dass er mit den Drogen aufpassen muss, und all so was, hahaha. Aufklärung ist wichtig. Ich war in dem Alter eher ein scheuer Typ, stand in der Ecke und habe auf meine Schuhspitzen gestarrt. Ich ging auf Friedhöfe, habe Gräber ausgehoben, war schwarz gekleidet, hatte umgedrehte Kreuze umhängen und habe Satan angebetet, hahaha. Ich war ein stiller Querulant. Ich sehe jetzt an meinem Sohn, was für eine schwere Phase man als Teenager durchmacht: Man weiß nicht, wer man ist, wer man wird, wohin man geht. Ich finde, da kann man die Kids auch nicht so verurteilen, wenn die sich mal extrem austoben, egal, welcher Gruppe sie sich anschließen. Jugendliche wollen provozieren, wollen irgendwas machen, wissen nicht, wohin es geht mit ihnen. Unsere Aufgabe ist es, die beim Ausprobieren zu begleiten und ihnen vorzuleben, wie man gut miteinander auskommt.
Apropos Extreme: Wie in Deutschland tobt auch in der Schweiz der Streit um die Zuwanderung, mit einer rechtspopulistischen Partei und einem Volksabstimmungsvotum für mehr Abschottung. Wie ist die Stimmung?
Na ja, eine Volksabstimmung ist das eine, und wie das dann umgesetzt wird das andere. Ich lebe in einer rot-grün regierten Stadt, die Stimmung hier ist eine andere als in der konservativen Ostschweiz. Die Menschen hier in Bern sind sehr hilfsbereit, nehmen Flüchtlinge auf, bekochen sie, versuchen sie zu integrieren. Der Alltag ist anders als das, was man über die Medien mitbekommt. Es gibt enorm viele Leute, die helfen, doch das Böse, die Vollidioten, die sieht man in den Nachrichten.
THE MONSTERS feiern sich mit gleich zwei neuen Alben: einerseits dem „richtigen“ neuen Album „M“, andererseits lasst ihr euch mit einem Tribut-Sampler von befreundeten Bands huldigen.
Vor einem halben Jahr waren wir auf Tour und da legte unser Mischer Pumi plötzlich eine CD ein, sagte, er habe da was für uns. Und er spielte uns dann ein paar Coverversionen vor, also wo befreundete Bands Lieder der MONSTERS spielen. Er wollte uns damit ein Geschenk machen und wir fanden’s geil. Das waren sechs Songs, zu wenig für ein Album, also habe ich dann noch ein paar andere gefragt, zum Beispiel Marco Repetto, einst GRAUZONE, inzwischen unter dem Namen BIGENERIC aktiv, oder THE SENILES, eine alte Punkband aus Zürich. Alles Leute, mit denen wir schon ewig zu tun haben und die mit Begeisterung in den Übungsraum gegangen sind, um was aufzunehmen. Das Endresultat ist super, da wird nicht nur gecovert, sondern die Bands machen ihre eigene Musik, nur mit unseren Songs, und auch die stilistische Bandbreite ist groß, von Ambient-Elektro über Cumbia bis zu Punk. Ich bin schon ein bisschen stolz, wenn ich dieses Album so höre. Es ist schön zu sehen, dass wir auch Leute motivieren, die nicht nur so sind wie wir, sondern in einem komplett anderen Film.
Was steckt hinter dem Rolando Bruno-Titel „Nena mi droga sos“?
„Baby, you are my drug“ vom neuen Album. Das ist spanisch, und Rolando kommt aus Argentinien. Den haben wir 2005 dort auf Tour kennen gelernt. Der hat auch eine Band namens LOS PEYOTES, und ich wollte immer eine Platte mit denen machen, aber Dirty Water Records war mir zuvorgekommen. Er erzählte mir dann von seiner Cumbia-One-Man-Band, und die habe ich dann veröffentlicht. Und so wurden wir Freunde. Sowieso liebe ich die argentinische Cumbia-Musik, und um die zu hören, muss ich nicht weit fahren, denn ich lebe hier in Bern in einem Viertel, in dem fast nur Südamerikaner leben. Diese Musik packt mich einfach, der Rhythmus, sie ist sehr lebensfroh, sie hat den Blues. Die südamerikanische Volksmusik, das sind oft Klagelieder, oft auch politisch, mit viel Sehnsucht und von enormer Dringlichkeit, textlich wie musikalisch – das gefällt mir extrem.
Gibt es im deutschen Sprachraum ähnliche Musik?
Diese Frage beschäftig mich gerade. Also warum kann ich mich nicht auf meine eigene Volksmusik zurückbesinnen? Ich finde diese Trauer da einfach nicht. Okay, im ganz sphärischen Jodeln vielleicht, wenn es ganz depressiv wird. Und es gibt da im Appenzeller Land eine Form der Volksmusik, die wohl irgendwie aus dem Balkan in die Schweiz kam, die viel mit Klarinette arbeitet. Das ist auch cool, aber die ganz coolen Sachen habe ich in der Schweiz noch nicht gefunden. Da haben es mir die afrikanischen und südamerikanischen Rhythmen mehr angetan.
Dreißig Jahre THE MONSTERS, das ist ein Anlass zum Feiern. Gilt der Prophet im eigenen Lande was oder wirst du in der Heimat ignoriert?
Meistens sind es musikinteressierte Journalisten, die etwas über uns schreiben, in der Schweiz wie im Ausland. Von den großen Medien nimmt niemand Notiz von uns, höchstens wenn mal irgendwo ein Fan von uns sitzt. Vor Jahren wurde ich mal für den Schweizer Musikpreis nominiert, den Berner Musikpreis habe ich mal gewonnen, aber das kam beides nur durch die Initiative einer Person zustande, die mich da reingedrückt hat. Meine Musik kann man 99% der Schweizer nicht antun, das hat man mir auch so gesagt. Allein die Nominierung für diese beiden Preise war für die, die das angestoßen haben, schon ein enormer Akt. Was ich mache, das gehört sich nicht, haha. Und bei diesem Jubiläum jetzt ist das genauso. Ich finde das auch okay, denn ich bin Underground und will Underground bleiben.
Und jener Underground wurde in den letzten Jahren durch die beiden unglaublich umfangreichen und detailgenauen Swisspunk-Bücher von Lurker Grand bis ins Detail dokumentiert.
Das ist alles wahnsinnig gut gemacht, doch ich habe auch gemischte Gefühle bei so was: Wenn man eine Jugendkultur archiviert, ins Museum steckt, dann stirbt sie, dann ist sie tot. Und dann muss man sie neu erfinden. Und dafür sind Leute wie ich da. Hahahahaha!
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