MONSTERS

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Trash vs. Klasse

Seit 1986, seit 35 Jahren also, machen THE MONSTERS aus Bern in der Schweiz Rock’n’Roll in seiner brachialsten, urtümlichsten Form. Gegründet im Spannungsfeld zwischen Punk, Garage und Psychobilly, hat das Trio – von dessen Ur-Besetzung nur Sänger und Gitarrist Beat „Beat-Man“ Zeller geblieben ist (im Detail im anderen Artikel nachzulesen) – sich zu einer weltweit tourenden und bekannten Größe des Garage-Trash-Punk entwickelt. Zudem hat Beat-Man in den letzten zwanzig Jahren sein Label Voodoo Rhythm zur Plattform für verschiedenste Bands und Genres etabliert, denen gemeinsam ist, dass sich alles denkbar weit von jedem Mainstream abspielt – und damit so punk ist wie nur denkbar. Ich rief Beat-Man im August zu früher Stunde an, um mit ihm (nicht nur) über das neue Album „You’re Class I’m Trash“ zu reden.

Bist du Frühaufsteher?

Leider nicht. Nur ab und zu, wenn ich muss. In der letzten Zeit gar nicht mehr. Früher stand ich immer so um halb acht, acht auf und ging dann ins Fitnessstudio, aber in den letzten Monaten habe ich das auch nicht mehr geschafft.

Ist das die Corona-Schlunzigkeit? Geht uns ja nicht anders.
Damit hat das tatsächlich was zu tun. Dabei ist man wie ich als Musiker und du als Heftchef es ja eigentlich gewohnt, sich selbst in den Hintern zu treten und aufzustehen. Aber in letzter Zeit fällt mir das immer schwerer ... Ist es das Wetter? Ich habe keine Ahnung.

Konntest du dich von jeher gut selbst motivieren? Zum Rock’n’Roll-Lifestyle – zumindest dem Klischee davon – gehört frühes Aufstehen ja nicht gerade.
Für mich als Querulant mit ganz eigenen Vorstellungen, der am liebsten in den Tag hinein lebt, ist so eine Disziplin, die man ja als Selbständiger braucht, immer noch ein Kampf. Also dass man die Zeiten anderer zu seinen eigenen machen muss. Ich versuche immer noch eine Struktur zu finden, um durch den Tag, ja durch das ganze Leben zu kommen. Vor allem als vor über zwanzig Jahren mein Sohn geboren wurde, war das hart. Da kam ich wieder in eine Gesellschaft rein, aus der ich davor lange raus war. Und in der musste ich irgendwie probieren zu funktionieren, also parallel zu meinen eigenen Vorstellungen. Es war und ist für mich immer noch riesig viel Arbeit, neben den Strukturen einer auf Perfektion bedachten Gesellschaft mein Ding zu machen.

Nun ist in meiner Vorstellung die Schweiz ein noch härteres Pflaster in dieser Hinsicht als Deutschland. „Den Deutschen“ unterstellt man ja schon den Hang zum Perfektionismus, aber „die Schweizer“ toppen das ja noch – bei euch sind ja sogar alle Züge pünktlich! Wie viel härter muss das also da für dich sein?
Klar, was etwa die Bahn betrifft, da stimmt das, aber in Corona-Zeiten haben wir gesehen, wie strikt die Deutschen sind verglichen mit den Schweizern, und wie viel lockerer die Schweizer mit den Vorschriften umgehen. Aber was die Pünktlichkeit betrifft, die man auch von den Bahnen kennt, die steckt schon in uns allen drin. Wir hatten uns für neun Uhr verabredet, und ich saß um fünf vor neun am Computer, haha. Pünktlichkeit ist Teil unserer Mentalität. Andererseits empfinde ich die Schweizer so im persönlichen Umgang als locker.

Letztlich kommen ja da auch viele Klischees in Spiel. Und wer hat denn gesagt, dass die Punkrock-Revolution unorganisiert sein muss? Vielleicht ist das ja alles eher so ein „Klischee-Ideal“. Kreativität funktioniert ja oft nur mit einem Maß an Selbstorganisiertheit, oder wie siehst du das?
Ich sehe das auch so. Wenn du mein Büro siehst, dann siehst du da ein Riesenchaos! Dabei ist das kein Chaos, es ist nur eine andere Art von Ordnung. Mein Kollege Lysander, der mit mir im Büro sitzt, der räumt manchmal auf, und dann finde ich nichts mehr. Wenn etwas aufgeräumt ist, dann ist der Schwung aus meiner Arbeit raus. Ich brauche mein Chaos, und so ist das auch bei den Punks. Manche von denen laufen rum wie die Asis, aber dabei sind die enorm sozial. Diesen Ausbruch aus der Norm fand ich bei Punk schon immer extrem gut: Ich breche aus dieser Gesellschaft aus und kreiere mein eigenes Individuum.

Wie weit warst du raus aus der Gesellschaft, wie sehr hat sie dich wieder „reingezogen“ mit der Verantwortung für deinen Sohn?
Ich habe das Glück, dass ich mit der Band so wie du mit deinem Heft eine „Parallelgesellschaft“ gründen konnte. Aber ich war natürlich auch mal im „normalen“ Leben, habe eine Lehre gemacht, von morgens bis abends gearbeitet, mich auf das Wochenende gefreut und die Ferien. Irgendwann sagte ich mir aber, dass das ja nicht alles sein kann: Die ganze Woche auf das Wochenende freuen, sich die Birne wegsaufen, und dann geht es wieder von vorne los. Also habe ich damals meinen Job hingeschmissen und die Wohnung gekündigt und bin mit meinem Kumpel Janosh zusammen auf einen Bauwagenplatz gezogen. So sind wir aus dieser Gesellschaft ausgebrochen und für mich war das ein Riesenglück. Als dann zehn, zwölf Jahre später mein Sohn gekommen ist, musste ich wieder irgendwie in diese Gesellschaft hineinfinden. Allein schon diese Elterngespräche im Kindergarten und dann in der Schule, wo dich die Leute komisch anschauen ... Und du musst dafür sorgen, dass dein Sohn pünktlich in der Schule ist und pünktlich abgeholt wird ... Und die Ferien ... Das war eine riesige Challenge, nachdem ich zuvor aus der Gesellschaft ausgebrochen war, nun parallel zu diese Gesellschaft zu funktionieren. Leichter gemacht wurde das durch Gleichgesinnte in der Musik- und Kulturszene.

Was für eine Ausbildung hast du denn gemacht?
Mein Bruder hatte einen grafischen Beruf erlernen können und ich wollte Comiczeichner werden, oder Filmemacher, oder Musiker. Aber da waren meine Eltern strikt dagegen, einer der Söhne müsse einen richtigen Beruf erlernen, und das war ich. Ich hatte dann die großartige Idee, den Beruf des Elektromonteurs zu erlernen, weil ich dachte, das hätte sicher was mit Elektrogitarre zu tun, tja, und so machte ich das dann. Leider war das doch ganz anders, haha. Aber es war eine großartige Erfahrung, so eine Lehre zu machen, und mein Boss war auch cool, der hatte irgendwie was mit dem Rotlichtmilieu zu tun, das war da also ziemlich lustig. Ich bin Jahrgang 1967, und mit 24, 25 bin ich dann mit Janosh ins Zaffaraya gezogen, dieses Berner Wagendorf. Schon während meiner Lehre haben wir beide zusammen Musik gemacht, die Konzerte wurden dann immer mehr, und so löste ich mich nach und nach aus dem anderen Leben.

Als die MONSTERS 1986 gegründet wurden, warst du also noch in der Lehre. Und ihr feiert dieses Jahr euren 35. Geburtstag. Sollte und wird das gefeiert werden oder sind dir solche Jahrestage eher egal?
Mein Promomann Matt aus Los Angeles sagte mir neulich, dass mein Label Voodoo Rhythm dreißig geworden sei, und erst heute morgen rechnete ich dann mal von 2021 auf 1986 zurück und stellte fest, dass es uns jetzt 35 Jahre gibt. Es ist natürlich schön, dass es solche Anlässe gibt, aber mir ist das eigentlich egal. Als wir loslegten, war mir aber schon klar, dass das ein Ding für immer ist. Klar, wenn wir sterben, ist es vorbei mit der Band, aber das ist so eine Freundschaft zwischen uns, das ist viel mehr als eine Band, diese Band ist ein eigenes Lebewesen geworden.

Du warst bis zum Beginn der Corona-Pandemie ständig unterwegs, entweder mit der Band oder solo, bist in der ganzen Welt getourt. Wie geht es dir jetzt, da dieses Tourleben seit über eineinhalb Jahren vorbei ist?
Ich liebe Herausforderungen, und die Situation jetzt ist eine riesige Challenge. Ich wollte schon vor Corona etwas ändern in meinem Leben, mehr Sachen machen, andere Sachen machen, andere Territorien ausprobieren, aber durch die ganz normale Arbeit mit dem Label und der Band und durch das ständige Touren hatte ich nie die Zeit dafür. Von daher kam mir Corona fast schon gelegen und ich konnte in den vergangenen Monaten viel machen, wozu ich sonst nie gekommen bin. Zum Beispiel habe ich einen Filmsoundtrack geschrieben zusammen mit einem jungen Musiker, der mit Analog-Synthesizern arbeitet. Und ich habe ein Straßenmusikprojekt gemacht mit verschiedenen Bands, rein akustisch, um etwas Geld reinzubekommen. Und noch ein paar andere Sachen mehr. Das war großartig! Natürlich hatte ich ein Geldproblem, ich muss meine Wohnung bezahlen und habe zwei Kinder. Künstlerisch war die Zeit bislang eigentlich sehr gut, aber natürlich ist da immer noch das Virus, und dass die Welt nichts gelernt zu haben scheint aus der Situation, das finde ich sehr deprimierend, das hat mich echt umgehauen. Ich war wirklich enttäuscht von den Menschen. Aber das wirkt sich, glaube ich, nicht auf meine Musik aus. Und es gab ja auch sehr positive Erfahrungen. In der Schweiz war es echt genial, wie solidarisch die Leute mit Musikern und Künstlern waren. Da wurde Geld gespendet, Essenseinladungen, Wohnungsmieten, und so weiter – auch von Fremden. Die Solidarität zwischen den Künstlern und etwa Arbeitern war unglaublich, im deutschen, italienischen und französischen Teil der Schweiz. Enttäuscht hat mich, dass das Virus ja auch damit zusammenhängt, wie wir Menschen die Welt ausbeuten, und dass das jetzt einfach so weitergeht. Keiner denkt darüber nach, was wir wirklich besser machen könnten. Ein paar mehr E-Autos sollen uns retten ... Wir erleben die größte Krise der Menschheit und hätten das Know-how sie zu lösen, wir könnten die Probleme in den Griff bekommen, aber stattdessen will jeder nur seine Macht bewahren und seinen Profit. Die Erkenntnis, dass Geldgeilheit hinter all dem steckt, hat mich fast fertig gemacht. Und ich weiß immer noch nicht, wie ich künftig damit umgehen kann, weil ich mit meinem Label ja auch in dieser Gesellschaft drinstecke. Ich produziere CDs und Schallplatten, ich produziere auch Müll, wenn man so will. Das alles beschäftigt mich sehr.

Warum sollte die Menschheit aber auch klüger sein als wir individuell? Wann immer man an einem Abend ein Bier, einen Drink zu viel hatte und am nächsten Tag leiden muss und sich schwört, dass einem das nie wieder passieren wird, lockt einen Tag später schon wieder ein kühles Bier und man vergisst seine Vorsätze.
Da hast du natürlich recht, hahaha.

Voodoo Rhythm als Label ist nicht von der Band zu trennen, gefühlt war das schon immer da, begleitet es mich und das Ox schon ewig. Wann hat es begonnen, eine tragende Rolle in deinem Leben zu spielen?
Das Kompliment gebe ich gerne zurück – dass man so ein Fanzine so lange durchzieht, das ist ja auch nicht normal. Bei mir war das Label zuerst eine Notlösung, weil niemand meine Platten rausbringen wollte oder die von ROY & THE DEVIL’S MOTORCYCLE. Das ist so sperrige Musik, das wollte kein anderes Label machen, aber ich hatte den Drang, solche Musik anderen Leuten bekannt zu machen. Das Label war zunächst aber nur „Spaß“, wirklich ernst wurde es, als vor zwanzig Jahren mein Sohn geboren wurde und ich als alleinerziehender Vater nicht mehr auf Tour gehen konnte. Diese Einnahmequelle versiegte und ich musste mir überlegen, wie ich Geld verdienen könnte. Und so fing ich an, das Label voranzubringen und als zweites Standbein aufzubauen – das natürlich auch Spaß machte.

Geld zu verdienen ist das eine, klingt aber viel zu profan angesichts der sorgsam ausgewählten Bands, die du da kuratierst. Du scharst da vielmehr Gleichgesinnte aus aller Welt um dich.
Ich probiere immer noch ein Stückchen weiter zu gehen, nimm etwa die DEAD BROTHERS. Ich sehe das Label als Plattform für unabhängige Musik. Ich bin Rock’n’Roll-Fan, ich liebe Punk, ich liebe Blues, aber eben auch Industrial und viele andere Musik. Ich versuche das mit dem Labelprogramm abzudecken und finde es super, wenn die Leute mir dabei folgen und Neues entdecken. Ich erweitere also mit solchen Veröffentlichungen nicht nur meinen eigenen Horizont, sondern den anderer Menschen. Das ist ein wunderschöner Aspekt meiner Arbeit.

Wie hat sich diese Arbeit in den letzten Jahren verändert? Streaming hat enorm an Bedeutung gewonnen, gleichzeitig wird es immer schwerer, Vinyl in einem akzeptablen Zeitraum herzustellen.
Lieferzeiten von sechs Monaten bei Vinyl sind wirklich eine Herausforderung, und gleichzeitig sind die Verkaufszahlen seit Jahren rückläufig. Zwischenzeitlich gab oder gibt es mal ein Hoch, etwa wenn jetzt die ganz Jungen Vinyl entdecken, aber dank der Hilfe von Lysander, der sich bei Voodoo Rhythm unter anderem um das Publishing kümmert, habe ich die nötigen Änderungen eingeleitet. Der hat sich vor ein paar Jahren die Zahlen angeschaut und gesehen, dass mit den geringen Stückzahlen nicht mal genug Geld für die Miete verdient wird. Und so sind wir dann mehr ins Digitale reingegangen und versuchen, unsere Musik etwa in Filmen zu platzieren und Geld von GEMA, SUISA und Co. zu bekommen. Das ist enorm viel Arbeit, die ich alleine gar nicht bewältigen könnte. Als Label und als Inhaber nur mit dem Veröffentlichen von Schallplatten zu überleben, das geht gar nicht mehr. Das Labelgeschäft hat sich in den letzten Jahren wirklich komplett geändert. Bisweilen fühlt es sich fast so an, als sei ich mehr eine Promoagentur als ein Label. Alles zusammengenommen funktioniert das dann aber.

Also verteufelst du das Digitale nicht?
Es ist wirklich nicht schlecht, was man mit Spotify, YouTube und all diesen Plattformen nutzen kann, die schätze ich zum Teil enorm. Darüber kann man Musik mit wenig Geld enorm schnell um die ganze Welt schicken. Zumindest war das bislang so, denn leider sind manche Plattformen dazu übergegangen, dass man die Leute nur noch dann gut erreicht, wenn man bezahlt. Das wird künftig ein riesiges Problem werden, glaube ich.

Auf eurem neuen Album ist hinten unten so ein kleines Logo aufgedruckt mit dem Satz „If it’s too loud, you’re too old! 110 db+“ – wie ist es um dein Gehör bestellt?
Was?

Hahahaha!
Ernsthaft, mich fragen das viele Leute, immer wieder. Mein Problem war eher, dass es während der Corona-Krise oft so leise war. Ruhe, damit hatte ich ein Problem, aber Lautstärke ist super. Mit den Ohren habe ich kein Problem, und ich mache das seit 35 Jahren eigentlich drei- bis viermal die Woche bei über 110 db Musik. Ich glaube, das hat damit was zu tun, dass es Spaß macht. Das Ohr ist ein Organ, es lebt mit dir. Steht man auf einer Baustelle und muss mit dem Presslufthammer arbeiten und der Job kotzt einen an, dann könnte ich mir vorstellen, dass mein Gehör kaputt wäre. So aber funktioniert es großartig.

Dafür, dass du die Band als „eigenes Lebewesen“ bezeichnet hast und ihr alle in relativer Nähe zueinander wohnt, seid ihr, wenn man das an Veröffentlichungen festmacht, erstaunlich unproduktiv. Euer letztes Album „M“ kam 2016, davor das letzte 2011.
Das hängt wohl damit zusammen, dass es ein eigenes Lebewesen ist, und das hat seinen eigenen Rhythmus. Manchmal sitzen wir über Monate immer wieder nur zusammen im Proberaum, saufen Bier und reden. Und manchmal spielen wir dann ein bisschen, und plötzlich kommt ein Schwung rein und dieses „Monster“ will etwas sagen, machen, produzieren. Und dann kommen die Songs. Ich schreibe Songs aus einer Entwicklung heraus, und dieses neue Album entstand in der Corona-Zeit. Wir wollten eigentlich touren, durch ganz Europa, durch die USA. Wir hatten uns für die Band Zeit frei genommen – von Arbeit, Frauen und Kindern –, und so haben wir das genutzt, um etwa über einen Zeitraum von zwei Wochen jeden Tag in den Proberaum zu gehen, zu üben und Songs zu schreiben. So intensiv haben wir noch nie in unserer gemeinsamen Zeit als Band an etwas gearbeitet. Zuerst machte wir Handyaufnahmen, einen Monat später, das war im Juni 2020, gingen wir dann ins Studio.

Wie viele deiner Fans willst du eigentlich beleidigen mit „Electrobike asshole“? Heute hat doch jeder ein E-Bike ...
Hahahaha! Stimmt, ich habe auch viele Freunde, die ein E-Bike haben, aber ich hatte bei dem Text zu diesem Lied natürlich eine bestimmte Sorte von Menschen im Sinn: Dieses 40+-Typen, die voller Frust auf ihrem Electrobike sitzen und durch die Stadt rasen und rechts an Autos vorbeidrängeln und total aggressiv sind. Fuck, ich könnte durchdrehen bei solchen Leuten! Echt, der neue Spießer ist der Electrobike-Fahrer – sorry, wenn ich jetzt jemanden angepisst habe, hahaha.

Meine Theorie: Fahrradfahrer spiegeln 1:1 den entsprechenden Autofahrer-Typus: SUV-Fahrer fahren 29-Zoll-Monster-Mountainbikes, Porschefahrer sind Rennradfahrer, und träumende Rentner-Autofahrer schaukeln auch auf dem E-Bike allen anderen im Weg rum.
Das glaube ich auch. Wir haben uns schlapp gelacht, als wir das Lied aufgenommen haben.

Was hat es mit dem „Yellow snow drink“ auf sich? Ich denke ja an Männer, die in den Schnee pissen ...
Das ist ein Song, den ich zuerst als Akustik-Nummer geschrieben hatte während meiner Zeit als Pizzalieferant. In der ersten Corona-Phase habe ich nämlich als Pizzafahrer gearbeitet und beim Ausliefern Songs gespielt und so noch etwas extra verdient. Einer dieser Songs war „Yellow snow drink“, wobei der damals noch „I kill myself“ oder so hieß. Das war zunächst ein recht ernster Country-Song, aber dann brauchten wir den für die MONSTERS und so hat dann jeder seinen Input gegeben für den denkbar blödesten Text: Was würde man sehen, wenn man sich umbringt? Meine Vorstellung war, dass man nackte Christen in einem See herumplanschen sieht. Das ergibt natürlich alles keinen Sinn, aber das endet damit, dass man schließlich in de Himmel kommt und dort alle diesen „Yellow snow drink“ trinken – bestehend aus Schnee, in den wir vorher gepisst haben und der jetzt aufgewärmt wird, hahaha.

Ein weiterer Song heißt „Blasphemy“. Du bist ja nicht gerade als glühender Anhänger der christlichen Religion bekannt.
Blasphemie war für mich schon immer ein Riesenthema. Ich bin christlich erzogen worden, musste in die Sonntagsschule gehen und so weiter. Dagegensein war für mich schon immer wichtig, also ein Gegenpol zu sein zum gängigen Denken. Blasphemie und der Antichrist waren für mich da natürlich ein gefundenes Fressen. „Blasphemie“, das denken die Leute ja schon, wenn sie mich nur ansehen, die hassen mich, obwohl sie mich nicht kennen. Schon von meinem Aussehen her hassen die mich, das ist für die pure Blasphemie. Ich wiederum finde Blasphemie ... wunderschön, hahaha. Ich bin, wie ich bin, und ich fühle mich super, wie ich bin. Der Song war ursprünglich auch ein „Pizza delivery song“, der hieß zunächst „Matchbox“, wie die Pizza-Firma. Das war die „Titelmelodie“ der Firma, und für das Album habe ich den Song nun in „Blasphemy“ umgetauft.

Wenn du sagst, die Leute würden dich schon wegen deines Aussehens hassen ... wie kommt das? Du bist natürlich schon über die Jahre immer markanter geworden von deinem Look her, und gut Grimassen schneiden und schön mit den Augen rollen kannst du auch.
Sagen wir mal so: Ich habe mir über die Jahre eine Aura aufgebaut, so dass ich mittlerweile bei der Einreise in die Schweiz nicht mehr jedes Mal vom Zoll rausgezogen werde. Als Jüngling wurde ich immer rausgewunken, jedes Mal kam der Finger in den Arsch. Jetzt habe ich mir eine Aura aufgebaut, dass ich respektiert werde und man mich in Ruhe lässt. Gleichwohl kann ich noch der sein, der ich bin. Das Lied „Blasphemy“ ist deshalb auch jungen Menschen gewidmet, die vielleicht eher androgyn sind und auf die „normale“ Gesellschaft eher abstoßend wirken, nicht so akzeptiert sind. Blasphemie ist da eine wunderbare Plattform, um sich auszutoben.

Kennt man dich in deiner Heimatstadt Bern? Bist du da so was wie eine „lokale Berühmtheit“?
Bern ist eine Kleinstadt, jeder kennt jeden, und ich bin ein bunter Hund. Die Kulturvereine, die Leute bei der Stadt, die kennen mich schon, weil ich so präsent bin. Aber wirklich akzeptiert bin ich nicht. So wie meine Musik in der ganzen Welt nicht wirklich akzeptiert ist. Ich kenne alle in der Stadt, aber das bedeutet nicht, dass meine Konzerte hier übervoll sind. Meine Musik ist ein Nischenprodukt, das ist bei mir nicht anders als bei Tom G. Warrior von CELTIC FROST. Das ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Schweizer Musiker, aber der ist nie richtig akzeptiert worden hier im Land. Ich bin auch immer noch Underground.

Ist dir Anerkennung in welcher Form auch immer wichtig? Beziehungsweise wessen Anerkennung ist dir wichtig?
Ganz plump ausgedrückt ist Anerkennung der Grund, warum wir Musiker das alles machen. Wir machen Kunst, damit wir etwas zurückbekommen. Wir brauchen das Bauchpinseln der Kritiker, dass jemand sagt, dass das super ist, was wir da machen. Ja, Anerkennung ist sehr wichtig. Aber noch wichtiger ist, wenn ganz junge Menschen zu meinen Konzerten kommen und dann hin und weg sind von dem, was sie da sehen und erleben. Wenn so was passiert, dann habe ich für mich selbst gewonnen. Dann weiß ich, dass ich etwas mache, mit dem ich andere Leute weiterbringe.

Dein Sohn ist auch in diesem Alter. Kommt der zu deinen Konzerten, bringt der Freunde mit? Und gibt es eine gemeinsame musikalische Geschichte?
Die gibt es leider nicht. Der geht seinen komplett eigenen Weg, mit Electro und Rap. Der wollte nie involviert sein in meine Musik. Der kam immer mit auf meine Konzerte, als er noch jünger war, er „musste“ auch immer bei zwei, drei Songs singen, er wurde da eigentlich reingeboren, aber heute macht er sein komplett eigenes Ding und das finde ich auch super. Aber derzeit arbeite ich mit Milan Slick in einem gemeinsamen Projekt, der ist 17 und sehr fit am Synthesizer. Wir proben jede Woche. Da kommt ganz neuer Input, die Jungen denken ganz anders, sind viel schneller mit Ideen – das ist großartig. Mir ist es wichtig, auch über Generationen hinweg interessant zu bleiben, nicht nur in der eigenen Altersgruppe. In der Rock’n’Roll-Szene, in der ich hauptsächlich unterwegs bin, bei meinen Freunden, sehe ich das oft, dass sich das nur in der eigenen Altersgruppe abspielt. Musik ist da oft nicht mehr „eckig“ genug. Uns bei den MONSTERS ist es aber enorm wichtig, und da spreche ich für uns vier, dass wir Songs, Musik machen, bei denen die Leute am liebsten rauslaufen würden, weil es so abstoßend, aber zugleich interessant ist. Ich will probieren, weiterhin interessante Musik zu machen, und wenn unsere Musik mal langweilig werden würden, wenn sie stinken sollte wie ein alter Schuh, dann wäre es das Aus für die MONSTERS. Ich hoffe, dass wir nie an diesen Punkt kommen.

In den Neunzigern habe ich die MONSTERS noch als Band wahrgenommen, die auch einen Anhängerschaft in der Psychobilly-Szene hatte. Gefühlt hat sich das über die Jahre aber verändert.
Als wir uns Mitte der Achtziger gründeten, war der Musikstil Psychobilly etwas komplett Neues. Wir waren eine der wenigen Bands in der Schweiz, die so was machten, also diese Mischung aus Punk, Garage und Rockabilly. So kamen wir dann in diese Szene rein, und anfangs war das super. Eine tolle Szene, ganz offen und frei, man konnte machen, was man wollte – je blöder, je stranger, desto besser. Dann wurde diese Szene wie viele andere auch immer engstirniger, und das war für uns der Grund, auf Abstand zu gehen. Gerade als auch Rechte diese Szene für sich entdeckten. Das war für uns der Punkt, wo wir uns entschlossen, unsere ganz eigene Musik zu kreieren. Da haben wir dann nur noch Vollgas-Rock’n’Roll gemacht. Es gibt aber bis heute geniale Psychobillys, muss ich sagen.

Auf dem neuen Album taucht der Name Mario Batkovic auf. Wer ist das?
Das ist ein Akkordeonist, der in den Neunzigern als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg in Jugoslawien in die Schweiz geflüchtet ist. Er hat dann eine klassische Musikerausbildung durchlaufen und ich kenne ihn vom Theater – ich als Schauspieler, er als Akkordeonspieler. Wir haben zusammen eine Jam-Band, und Mario ist heute Film- und Game-Musikproduzent, der war unter anderem an der Musik von „Red Dead Redemption II“ beteiligt. Der ist mittlerweile richtig gut im Geschäft, auch in Hollywood. Wir hatten dann die Idee, ihn zu fragen, ob er nicht den Song „Dead“ klassisch umsetzen möchte – und er hat das gemacht. Der Song ist jetzt so was wie eine Science-Fiction-Oper – großartig. Wenn der mal live irgendwo auftritt, schau dir das an, das haut dir die Birne weg! Und er spielt auch schon mal bei mir Akkordeon, bei REV. BEAT-MAN & THE NEW WAVE.

Vom Album wird es verschiedene Versionen geben, wie du mir im Vorfeld erzählt hast.
Auf Voodoo Rhythm kommt das normale Album, wobei der LP noch eine Extra-Single beiliegt mit „You’re class I’m trash“, das gar nicht auf der LP ist. Auf der CD ist der Song aber als Bonus enthalten. Auf Slovenly Records aus den USA kommt das Album in einer Version mit schweizerdeutschen Texten, und auf Sounds of Subterrania kommt das Album mit einem gestickten Cover zum Selbermachen. Das heißt, man bekommt das Album mit einer weißen Hülle und kann dann das Motiv selber sticken, so in Kreuzstich-Technik. Gregor von Sounds of Subterrania hat einen Prototyp machen lassen, und die Frau, die dran saß, hat 200 Stunden gebraucht ... Wer das kauft, der wird sicher nicht nur 200 Stunden, sondern 300 Stunden brauchen, bis das Cover fertig ist, hahaha.

Wer ist Jerry Haenggli, von dem die Coverzeichnung ist?
Das ist ein uralter Freund von mir, der aus einer Malerfamilie kommt. Mit dem habe ich schon 1982/83 zusammen eine Industrial-Band gehabt. Die Band hieß BLACK, und jedes Stück hieß „Black“. Seine Bilder sind sehr düster. Wir wollten schon immer mal was mit ihm machen, und so machte er diverse Skizzen. Für eine dieser Skizzen der MONSTERS bei einem Konzert haben wir uns dann entschieden.

Auf dem Albumcover sind drei Menschen, auf dem Bandfoto – auch auf dem Ox-Cover –aber vier ...
... weil unser Soundmann Pumi ja nicht auf der Bühne steht, für uns aber Teil der Band ist. Für uns ist er aber enorm wichtig, gerade auch für mich, weil ich ja meine Gitarre bis ins Unendliche aufdrehe. Ich hatte immer wieder Probleme mit den Soundmenschen, denen war immer meine Gitarre zu laut, deshalb haben wir nun lange schon einen eigenen Soundmann.

Du erwähntest es bereits: Auf deinem Schweizer Label kommt die englische Version, die schweizerdeutsche auf dem US-Label Slovenly. Warum diese „unlogische“ Aufteilung?
Weil Pete von Slovenly ein Sublabel namens Mondo Mongo hat, auf dem er nur Bands veröffentlicht, die in ihrer Muttersprache singen. Und da entstand die Idee, eine schweizerdeutsche Version bei ihm zu machen.

Für uns Deutsche ist es ziemlich schwer bis unmöglich zu verstehen, was ihr da redet, wenn ihr Deutschschweizer so richtig in eurem jeweilige Dialekt loslegt – und Dialekte gibt es bei euch viele, in jedem Kanton, in jedem Tal einen eigenen. Da werden also sicher gerade aus dem Ausland sicher Fragen kommen wie „Which language is that?!?“
Die Amerikaner, die das schon gehört haben, waren alle fast schon geschockt, wie böse sich das anhört. Die Songs haben eine ganz andere Struktur in dieser Sprache. Man betont alle Worte sehr hart. Für mich ist das fast unhörbar. Aber ich finde es interessant, wie man die Sprache fast schon als Instrument einsetzen kann.

Ich mag ja sehr, wie etwa CHARGE 69 Oi!-Punk mit französischen Texten machen und das dann so rund und weich klingt, währende deutsche Oi!-Bands für mich vom Gesang her eher nach kläffendem Kampfhund klingen. Die Sprache ändert also die Wirkung von Musik.
Ja, das ist unglaublich. Und es war auch sehr schwer, das umzusetzen. Ich hatte zuerst alles auf Englisch geschrieben und eingesungen, und als ich das auf Schweizerdeutsch machte, habe ich beim Singen den Text quasi simultan übersetzt. Da merkte ich schnell, wie extrem die Sprache den Song definiert. Ich musste gut überlegen, welche Worte ich auswähle, damit sich das ähnlich anhört.

Sind die Texte auch inhaltlich anders, oder hast du das 1:1 übersetzt?
Bis auf ein oder zwei sind die 1:1 übersetzt. „Gimme germs“ etwa hat auf Schweizerdeutsch nicht geklappt, „Ig bi chrank“ habe ich daraus gemacht.

Wie ist dein Verhältnis zu Dialekt, deinem Dialekt? Ich habe mich da als junger Punk maximalst davon distanziert, denn Dialekt stand für die ganze piefige, spießige Kleinstadtwelt, aus der ich raus wollte. Ganz zu schweigen von Volksmusik mit Dialekt.
Für mich war das anfangs auch so. Wir haben die MONSTERS damals ja auch gegründet als Gegenentwurf zu dieser ganzen Dialektmusik in der Schweiz, das war ein riesiger Markt damals. Dialektrock war für uns das Schlimmste, was es gibt, diesen ganzen Bands wollten wir mit den MONSTERS ans Bein pissen. Und jetzt machen wir 35 Jahre später selbst so was ... Aber das Ding ist, der Umgang mit Dialekt hat sich bei uns in der Schweiz total geändert. Die jungen Leute heute schreiben ihre ganzen Nachrichten im Dialekt ...

... was ein spannendes linguistisches Phänomen ist, denn in der Schweiz wird offiziell wie in Deutschland auf „Hochdeutsch“ geschrieben. Mit dem Aufkommen von SMS und Mobiltelefonen hat sich nun diese Dialektverschriftlichung herausgebildet.
Das ist eine enorm spannende Entwicklung, und manchmal bekomme ich SMS oder E-Mails, die ich fast nicht mehr verstehen kann! Es ist großartig mitzuerleben, wie eine rein gesprochene Sprache, ein Dialekt, sich in eine Schriftsprache verwandelt. Es gibt dafür ja nicht mal Wörterbücher. Dabei ist der Dialekt schon sehr spannend, etwa wie genau man sich da ausdrücken kann, wie es für die seltsamsten Details ein Wort oder ein Wortspiel gibt. So was ins Hochdeutsche oder gar Englische zu übersetzen, ist unmöglich. Auch das ist ein Grund, weshalb wir diese Version des Albums gemacht haben.

Wir Punks, wir Linken, sind da natürlich auch immer misstrauisch, weil man bei solcher Dialektthematik schnell in Bereichen wie Identität und Heimat angelangt ist.
Ganz genau so ist es. Wir hatten bei der letzten Plattentaufe geplant, eine Berner Black-Metal-Band als Vorband zu nehmen, die heißen CHOTZÄ und spielen mit diesen ganzen Klischees, haben sich das Berner Wappen angeeignet. Obwohl die als Band überhaupt nichts mit Rechten zu tun haben, wurde von dieser Seite versucht, die Band zu vereinnahmen. Und das hatte ich im Hinterkopf, als wir das jetzt machten.

In welchem Dialekt singst du genau?
Das ist Berndeutsch.

Und, denkst du, dass diese berndeutsche Version des Albums in deiner Heimat jemand interessieren wird?
Eher nicht. Auf meiner letzten Reverend Beat-Man-Platte habe ich das auch schon mal gemacht, und das wurde kaum wahrgenommen. Die Texte sind ja außerdem auch echt primitiv, oft nur ein paar wenige Worte. Janosh hat das ausgerechnet, auf dem ganzen Album verwenden wir nur 120 Worte oder so. Das ist sehr minimalistisch, haha.

„Einfache Sprache“ ist ja durchaus ein Thema heutzutage ...
Hahahaha! Ich habe es ja an sich schon gerne komplex, etwa in Beziehungen, aber manchmal habe ich auch gerade Linien und einfache Antworten sehr gern. Die Welt ist ja schon sehr komplex, und unser Körper sowieso. Was es überhaupt braucht, damit man laufen kann, das finde ich spannend. Wir sind so enorm komplex, da habe ich es auch gerne mal einfach und direkt.