Marc Calmbach, *1974, lebt in Berlin-Kreuzberg, seit 1993 Sänger bei DAWNBREED, hat für „Unità“ erstmalig eine Gitarrenspur aufgenommen, die es aber nicht aufs Album geschafft hat. Er arbeitet als Sozialwissenschaftler in der Grundlagenforschung zu lebensstilbezogener sozialer Ungleichheit und hat dazu mehrere Fachbücher veröffentlicht. Helm Pfohl, *1974, lebt in Zürich. Hat 1993 DAWNBREED und 1996 MONOCHROME gegründet, spielt Gitarre und schreibt zusammen mit Marten Thielges und Marc Calmbach bei MONOCHROME die Songs. Arbeitet seit acht Jahren als Designchef bei Eclat in Zürich und gestaltet nebenbei Plattencover.
Wäre MONOCHROME ein Vulkan, wären die Vulkanologen sicher sehr erstaunt, dass da nach jahrelanger Ruhe plötzlich wieder Aktivität zu verzeichnen ist. Wie kam es dazu?
Marc: In der Tat erscheinen unsere Platten so unvorhersehbar wie Vulkanausbrüche. In aller Regel bemerkt die „gemeine Bevölkerung“ davon zunächst wenig, Interessierte verlieren einen Vulkan aber auch in Zeiten vermeintlicher Ruhe nicht aus den Augen. Das macht sie sympathisch. Wir mussten in den letzten Jahren viel Schutt und Asche wegräumen, uns privat und als Band sortieren.
Helm: Ein guter Wissenschaftler befasst sich mit der Aufzeichnung aller seismischen Aktivitäten und wird festhalten, dass es schon vor dem Ausbruch ziemliche Bewegungen gab. Nach der Veröffentlichung von „Caché“ hat es für uns einen kurzen vulkanischen Winter gegeben, die Atmosphäre hat sich für einen Moment abgekühlt. Wir haben aber schon im Februar 2009, also ein halbes Jahr nach dem Release, unsere Arbeit für ein neues Album aufgenommen, von dem wir relativ früh wussten, dass es – inhaltlich und musikalisch – eine richtig lange Reise wird.
Marc: ... mit einem immer recht offenen Ende. Es wurde viel ausprobiert und wieder verworfen. Das war gleichermaßen anstrengend wie aufregend. Neu war sicherlich, dass wir uns zum ersten Mal seit der Gründung in den tiefen Neunzigern aus der Konzertlandschaft zurückgezogen haben und die wenige Zeit ausschließlich der kreativen Arbeit im eigenen Studio gewidmet haben. Dass das im Musikgeschäft „aufmerksamkeitsökonomisch“ betrachtet Nonsens ist, ist uns natürlich klar gewesen. Aber: We don’t care ’cause we don’t have to ...
Wie schafft ihr es, die Band immer weiter am Laufen zu halten, obwohl die Mitglieder auf Städte wie Stuttgart, Berlin, Zürich und Basel verteilt sind?
Helm: Klar ist es schade, dass wir uns alle viel zu selten sehen. Aber wer bereit ist, solche Entfernungen nicht ernst zu nehmen, der weiß auch ziemlich genau, was er tut. Vor allem über so viele Jahre. Wir kennen uns zum Teil schon, seit wir 17, 18 sind. Es ist wie eine gute Beziehung. Wir brauchen die Luft dazwischen, um atmen zu können.
Marc: Die Erfindung des Internets kam uns dann aber doch auch recht gelegen, um die leidige Tape-2-Tape-Überspielerei und Verschickerei und physische Präsenz im Proberaum minimieren zu können.
Helm: Durch die Distanz sind wir alle auch persönlich gewachsen und leben von genau den Einflüssen, die unsere verschiedenen Lebenswelten mit sich bringen. In uns steckt zu gleichen Anteilen schwäbischer Tüftlergeist, der Höhendrang der Bergwelt, das Schweizer Uhrwerk und die Veränderungsfähigkeit einer Großstadt. „Unità“ ist das erste Album, das komplett im eigenen Studio entstanden ist. Marten hat sich ein eigenes Studio aufgebaut und ist zu einem Toningenieur mit dem großen Gespür fürs Detail geworden. Während der letzten fünf Jahre war das Proxy-Studio deshalb unser Epizentrum. Wir treffen uns im Abstand von einigen Wochen. Dann arbeiten wir entweder Tag und Nacht an neuen Songs oder proben zwischendurch auch mal. Insgesamt haben wir aber knapp hundert Tage im Studio verbracht.
Was macht einen MONOCHROME-Song aus, welche Elemente bestimmen den speziellen Charakter?
Helm: Wir mögen es in jedem Fall, Probleme zu lösen, und haben eine große Freude am Prozess. In der Umsetzung pflegen wir vielleicht eine Art Mathematik des Songwritings. Jeder Song hat seine eigene Berechnung und Formel. In Grundrechenarten ausgedrückt ist es aber weniger die Addition, die uns interessiert. Klar gibt es Komponenten, einzelne Vokabeln, die unsere Sprache ausmachen.
Marc: Am Ende hört man die Mathematik aber kaum mehr. Ein paar Musikerkollegen haben aber immer ihre helle Freude am Takte zählen. Popkultur ist letztlich eine Zitationsmaschine im Loop-Modus. Damit haben wir kein Problem, sondern spielen damit. Irgendeine bekannte Zeile kriegen wir ja immer unter.
Wie schafft man es, bei ständig abnehmenden Aufmerksamkeitsspannen und immer kürzeren Halbwertszeiten als Band in Erinnerung zu bleiben, sich auch nach über fünf Jahren wieder Präsenz zu verschaffen? Lieben euch einfach ein paar hundert Menschen da draußen?
Helm: Für uns hatten Einzelne immer eine größere Bedeutung als Tausende. Natürlich standen wir auch vor dem Punkt, uns überlegen zu müssen, wer wir sind und wer wir sein wollen. Wir hatten mehrfach die Möglichkeit, alles auf die eine Karte zu setzen, die uns für einen Augenblick mehr Verkaufszahlen beschert hätte. Wir waren uns für den kurzfristigen Erfolg aber selbst zu schade. Unser Schicksal möchten wir als Band selbst in die Hand nehmen. Am Ende ist es nur wichtig, wie viele Menschen hast du begeistert, inspiriert, weitergebracht oder zum Lachen gebracht. Relevanz heißt für uns, in Erinnerung zu bleiben. Da spielen persönliche Erlebnisse in der Tiefe eine viel wichtigere Rolle als die kurzen Sensationsmomente in der Breite.
Marc: Man kann uns in diesem Sinne auch als konservativ bezeichnen; wir pflegen alte Kontakte, arbeiten zum Beispiel seit bald zwei Jahrzehnten in vielen Orten mit den gleichen Bookern beziehungsweise Veranstaltungsorten zusammen. Sicherlich profitieren wir heute noch davon, dass es ein paar alte Hasen gibt, auch Musikjournalisten, die uns nicht vergessen haben. Alles in allem sind wir aber auch gelassen, was die Reichweite unserer Band angeht.
Helm: „Außer Reichweite“ klingt so schön nach traumhafter Insel. Wir bleiben Exotik, die nicht ganz massenkonform ist. Wir bleiben eine Band, die sich der Idee des Albums und eines Zusammenhangs verschrieben hat. Wir komponieren das Zusammenspiel auf einer Platte mit einer Gesamtlänge. Vielleicht überdauern wir auch eine Mode, in der auf den kurzlebigen Einzeltrack mehr Wert gelegt wird, als auf den Kontext eines Albums oder seiner Entstehungsgeschichte.
Marc: Um näher zur Frage zurückzukommen: Wir haben eigentlich keine Ahnung, wie viele Leute sich noch für uns interessieren. Wir haben ja auch nicht wirklich viel dafür getan, dass man sich an uns erinnert. Als wir vor ein paar Monaten auf Facebook mal den Post „We are alive and recording“ gesetzt hatten, haben uns positive Rückmeldungen natürlich gefreut und motiviert. Letztlich haben wir unser Fortbestehen aber nie davon abhängig gemacht, ob es überhaupt noch ein Publikum für uns gibt.
Helm: Verweigerung gegenüber Größe ist für uns ja keine Headline, sondern eine klare Linie, die wir verinnerlicht haben. Wir äußern sie weniger laut, weil sie für uns kein künstlerisches Konzept, sondern selbstverständlich ist. Das ist ein Teil unseres Überlebenswillens, der uns seit 1993 zusammen Musik machen lässt. Mir fallen wenig andere Bands ein, die aus dieser Zeit überlebt haben und noch aktiv sind, vielleicht NOTWIST, TURBOSTAAT, KETTCAR.
Marc: Wir freuen uns über deren Erfolg, vor allem für TURBOSTAAT. Aber tauschen würde von uns keiner wollen. Musik ist für uns die schönste Nebensache der Welt.
In welcher dunklen Ecke eures Lebens, eurer Seele, versteckt sich der Hardcore?
Marc: Der Begriff Hardcore war uns vielleicht 1993 für wenige Monate wichtig. Ich würde eher sagen, dass D.I.Y. in Leuchtreklameschrift über vielen unserer privaten wie beruflichen Lebensabschnitte steht.
Helm: Geblieben ist mir eine kreative und erfinderische Zeit des Aufbruchs, die mich noch immer motiviert. Der strukturelle und mediale Vorläufer für vieles, was uns heute selbstverständlich ist, war die Zeit Mitte der Neunziger Jahre. Mir ist auch eine starke Orientierung an der Eigenverantwortung geblieben. Im Zentrum steht die Energie. Die Selbstproduktion sehe ich auch als Ausdruck unserer eigenen Unabhängigkeit. Wir sind eine Handvoll Freunde mit ein paar Akkorden auf dem Griffbrett. Und wir sind immer noch verrückt genug zu glauben, dass wir mit unserer Musik oder unseren Einstellungen die Welt ein wenig verändern können.
MONOCHROME 2014 sind ... ? Ihr hattet ja mal wieder „Damenbesuch“.
Marc: Ja, Ahlie hat nach vielen Jahren wieder für ein paar Stücke zu uns gefunden. Insgesamt mussten wir einfach kreativ mit der Situation umgehen, dass es schwierig ist, ambitionierte Solokünstlerinnen an ein sporadisches Bandgefüge zu binden. Umso sehr freut es uns, dass alle Zeit und Mühen auf sich genommen haben. Wann und wo auch immer sich die Gelegenheit ergab, haben wir ihnen ein Mikro vor den Mund gestellt. So haben wir beispielsweise einiges bei mir im Wohnzimmer aufgenommen.
Helm: Noch viel schlimmer: wir hatten auch Herrenbesuch! Auch wenn wir bestimmt keine Kommune der freien Liebe sind, wir mögen es trotzdem, mit unseren Freunden an einem Album zu arbeiten. Es haben mehr als zwanzig davon ihren Teil zur Veröffentlichung beigetragen, wofür wir uns mal richtig bedanken möchten!
„Unità“, „Éclat“, „Tréma“, „Caché“ – ihr seid große Fans von Plattentiteln mit Akzent ...
Helm: „Laser“, „Radio“, „Ferro“. „Trema“ hat auch keinen. In der Summe reiner Zufall, aber im Zweifelsfall stehen wir schon ein wenig aufs typografische Dressing. Für alle nicht Deutsch- oder Englischsprachigen scheinen die diakritischen Zeichen in der Sprache völlig normal. Wir sind eben so weltbejahende, metrokulturelle Typo-Hippies! Ist doch schön, wie wenig Akzente es eigentlich braucht, um wirklich in Erinnerung zu bleiben.
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