Irgendwann hat sich Indierock gedacht, dass er jetzt lange genug mit hängendem Kopf herumgestanden ist und zu weinerlichen Klängen auf seine Schuhe gestarrt hat. Und hat sich endlich auch auf die Tanzfläche getraut. Den Anfang machte der FRANZ FERDINAND aus England. Seine Bewegungen wirkten zwar noch etwas unbeholfen und hatten etwas Mechanisches an sich, und manche fanden sogar, dass sie ein bisschen einstudiert aussahen. Doch das Parkett füllte sich. Da waren THE KILLERS, die mit ihren großen, pathetischen Bewegungen fast die Discokugel von der Decke gerissen hätten. Oder die coolen BLOC PARTY, die immer mit geschlossenen Augen tanzen und leicht weggetreten wirken. Und ganz hinten in der Ecke stehen MINUS THE BEAR und haben beleidigt die Arme verschränkt, weil sie da eigentlich überhaupt nicht dazugehören wollen ...
Bands immer sofort in Schubladen zu stecken, ist eben die zweithäufigste Journalistenkrankheit nach Alkoholismus. Letzteres lernt man ja sogar auf der Uni (in der Vorlesung Journalismusforschung). Und wenn dann auch noch „Trend“ vorne draufsteht, dann kann es schnell vorbei sein mit der Freundschaft. Sänger Jake Snider pocht jedenfalls darauf, dass weder bei ihm noch bei einem seiner Bandkollegen eine der oben genannten Bands im Plattenschrank steht und wehrt sich gegen eine derartige Schubladisierung: „Ich denke nicht, dass wir so leicht einzuordnen sind. Wir machen einfach die Musik, die uns interessiert. Und wenn die gerade angesagt ist, dann ist uns das nicht bewusst.“ Wenn man sich die Bands so anschaut, in denen die Mitglieder von MINUS THE BEAR schon so gespielt haben, dann ist man durchaus geneigt, dieser Aussage Glauben zu schenken. Schließlich waren bei aller musikalischen Unterschiedlichkeit weder KILL SADIE noch SHARKS KEEP MOVING und am allerwenigsten BOTCH dafür bekannt, irgendwelchen Trends hinterherzulaufen. Wenn überhaupt, dann hat man welche gemacht.
Und trotzdem kann man sich MINUS THE BEAR irgendwie neben den die Charts stürmenden, englischen Kunststudenten auf der Tanzfläche vorstellen. Denn es gibt etwas, das die Musik dieser Bands verbindet. Sie ist Zappelphilipps feuchter Traum. Sie lässt Füße wippen, Köpfe nicken und vor allem Ärsche wackeln. Zumindest in schummriger Disco-Atmosphäre gibt es also durchaus Gemeinsamkeiten. Die enden allerdings, wenn nach der Party das Licht angeht. Dann merkt man MINUS THE BEAR ihre Szenewurzeln an. Sie sind risikofreudiger und verspielter als die angebliche Konkurrenz, weitaus weniger berechenbar und haben auch auf dem einsamen Heimweg noch Bestand. In diesen ruhigen Momenten kommen einem dann urplötzlich die unglaublichen PINBACK in den Sinn. Und ab da hört man die Musik dieser Band am liebsten nur noch ganz alleine und mit Kopfhörer.
Wahrscheinlich haben MINUS THE BEAR also mehr mit Ben Gibbard gemeinsam als mit FRANZ FERDINAND. Doch während der DEATH CAB FOR CUTIE-Sänger mit seinem Nebenprojekt THE POSTAL SERVICE versucht, den Indierock-Gedanken zur Elektronik zu tragen, geht die Band aus Seattle den umgekehrten Weg: „Wir versuchen einfach, die Ideen von HipHop und anderer elektronischer Musik im traditionellen Gitarrenkontext zu benutzen“, erläutert Jake die Herangehensweise der Band. „Es gibt eine Feinsinnigkeit bei guter elektronischer Musik, die dem Indierock fehlt.“ Wie gut also, dass man mit Matt Bayles einen Produzenten in den eigenen Reihen hat, der mit einer solchen Experimentierlust umzugehen weiß. Schließlich ist der Keyboarder auch schon mit ISIS, MASTODON oder den BLOOD BROTHERS fertig geworden.
Doch nicht nur musikalisch versuchen MINUS THE BEAR, ihren eigenen Weg zu finden. Viele der Texte auf dem neuen Album wirken wie Kurzgeschichten, wie Schnappschüsse aus dem Leben des Erzählers. Musik wird so zur Möglichkeit für die Band, kostbare Erinnerungen für alle Zeiten zu konservieren. Auffällig ist dabei, wie viele Bilder von Europa (beispielsweise das mit der Bildunterschrift „Pachuca sunrise“) in das Fotoalbum „Menos El Oso“ eingeklebt wurden. Noch dazu ist der Albumtitel nichts anderes als die spanische Übersetzung des Bandnamens. Jake erklärt, was aus amerikanischer Sicht so inspirierend an der alten Welt ist: „In Europa und vor allem in Spanien gibt es ein Gefühl der Freiheit, welches wir in den USA nicht genießen. Die Leute leben einfach und sorgen sich nicht nur um ihren Lebensunterhalt.“
Mit der neuen Platte wollen MINUS THE BEAR also weg vom Image der Spaßband, die Texte über „drinking and girls“ mit vermeintlich willkürlich gewählten Titeln vom Schlage „Monkey!!! Knife!!! Fight!!!“ oder „Absinthe party at the fly honey warehouse“ versieht. Insbesondere da ein solcher Sinn für Humor der Karriere nicht unbedingt immer zuträglich ist, wie Jake einräumt, der niemals gedacht hätte, dass „sich die Leute so stark auf diesen Aspekt der Band konzentrieren würden“. So ganz werden MINUS THE BEAR aber wohl die Geister, die sie gerufen haben, nie loswerden. Das wird spätestens dann klar, wenn man das Mysterium um den Bandnamen lüftet. Von 1979 bis 1981 lief im amerikanischen TV eine Serie mit dem Titel „BJ And The Bear“, bei der ein Trucker namens B.J. McCay und sein Schimpanse Bear durch das Land fahren. Damit lässt sich folgende Gleichung aufstellen: „BJ And The Bear“ minus „The Bear“ gleich „BJ“. Wer jetzt immer noch nicht hinter des Rätsels Lösung gekommen ist, der kann sich ja mal überlegen, wie der Amerikaner wohl „Oralverkehr“ abkürzt ...
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