MIKE WATT

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Maximum Wattage

Mike Watt – dieser Name steht seit Ende der 70er Jahre für basslastigen Musikgenuss der besonderen Art. Großartige Bassisten gibt es sicher viele, aber die Form, in der Mike Watt seine früheren Bands MINUTEMEN und fIREHOSE prägte, machte sie unvergleichlich und ihn zu einer lebenden Legende. Zwei Tage in Italien zusammen mit dem Herrn aus San Pedro, Kalifornien zu verbringen, war eine unglaubliche Erfahrung. Zudem war es ein sehr nettes „Spiel“, wie der 47-jährige Herr Watt Interviews zu nennen pflegt. Wir „spielten“ über seine schwere Krankheit, die ihn vor fünf Jahren fast dahinraffte, kamen natürlich auf sein Leben vor und nach den MINUTEMEN und mit Iggy Pop und den STOOGES zu sprechen, und streiften auch jene Gedanken, die in den mittleren Lebensjahren so gern ans Tageslicht kommen. Alles sprudelte förmlich aus ihm heraus, ein Geysir ist ein mickriger Springbrunnen gegen diesen Mann! Dieses ,Gespräch fand selbstredend in Mikes „boat“ statt, wie der Spielmeister seinem Tourvan nennt und vor der schönsten Kulisse, die man sich denken kann – auf einem Berg, hoch über der Stadt Terracina mit direktem Blick aufs Meer.

Was ist das Besondere für dich an deiner momentanen Tour und an deiner neuen Platte „The Secondman’s Middle Stand“?


„Ich habe noch nie so lange Songs gemacht. Vorher habe ich immer kurze Songs geschrieben. Und diese Platte hat sieben sechsminütige Songs! Und alles handelt von meiner Krankheit, die mich fast umgebracht hat. Insgesamt hat die Platte neun Songs. Die ersten drei Songs handeln von meiner Krankheit, die nächsten drei beschreiben die Heilung und die letzten drei handeln davon, wie ich wieder beginne, Bass spielen und Fahrrad zu fahren. Ich habe, seit ich 13 Jahre alt war, niemals meinen Bass aus der Hand gelegt. Ich habe niemals eine so lange Zeit nicht meinen Bass spielen können. Das war Horror! Mit dem Singen der Songs machst du alles irgendwie noch mal durch und das ist bestimmt nicht einfach. Aber es gibt ein Happy End, denn ich bin wieder gesund.“

Ist es auch irgendwie eine Therapie für dich, immer wieder über deine Krankheit zu singen?

„Ja, ich will auch zeigen, dass die Leute etwas anderes mit Musik versuchen sollten. Du kannst nicht immer dasselbe tun. Und diese Platte ist wie ein Hilfsmittel, um eine Geschichte zu erzählen.“

Viele Leute werden wahrscheinlich irritiert sein, wenn sie dich jetzt hören. Was sagen deine eingefleischten Fans von früher zu deiner neuen CD und deinem teilweise sehr eigenwilligen Sound? Auch ich habe mich erst mal an diese Orgel gewöhnen müssen.

„Was ist das? Was macht der da? Das fragen sie sich! Aber die Orgel war auch ungewohnt für mich, aber das war es nun mal, was ich wollte. Ich will mich, so oft es geht, in neue, andere Situationen bringen. Es ist eine Kluft zwischen dem Hörer und dem Macher, die überwunden werden muss, so groß wie der Grand Canyon. Ich will damit zeigen: Versucht es einfach! Seht den Risiken ins Auge und versucht etwas anderes zu tun! Lasst es darauf ankommen! Aber die Leute sind in dieser Hinsicht recht offen, das ist das, was ich mag. Das ist das, was ich in der Musik sehe, nicht immer zu wissen, wo es endet, aber dafür offen zu sein. Es ist wie eine Entdeckung von neuen Dingen.“

Aber auch Teil einer ständigen Entwicklung ...

„Ja, für mich ist es definitiv eine Entwicklung und verbunden mit einem Lernprozess! Nun, ich denke nicht über alles genau nach, was ich mache. Ich versuche eher, mich immer und immer wieder bewusst in verschiedene Situationen zu bringen und niemals aufzuhören, daraus zu lernen. Nun, über Krankheit zu sprechen, sich mit langen Songs zu beschäftigen, ist hart für mich. Aber es birgt eine gewisse Gefahr in sich, wenn du eine einzige Sache zu lange machst. Du beginnst zu denken, dass du alles über diese eine Sache herausgefunden hast. Das ist wirklich eine gefährliche Situation, denn es erschwert das Lernen oder macht es unmöglich. Das ganze Leben ist eine fortwährende Schule.“

In dieser Hinsicht bist du ja auf einem guten Weg. Nicht alle Menschen sehen es so positiv wie du, auch negative Momente im Leben als Gegenstand des Lernens zu betrachten.

„Natürlich. Die Krankheit hat meine Sicht auf die Dinge verändert. Aber ebenso hat mich Punkrock aufgeschreckt. Das hat mir gezeigt, mit der Kunst kannst du wagen, anders zu sein! Es gibt so viele Kräfte, die versuchen, dich konform zu machen. Und mit der Kunst kannst du die Chance wahrnehmen, anders zu sein. Ich hörte eigentlich eher Stadionrock und als ich das erste Mal ein Punk-Konzert besuchte, war ich beeindruckt von dieser komplett anderen Musik. Keine dieser Bands zu kennen und nicht zu wissen, was da auf mich zukommt, bewirkte eine große Veränderung bei mir. Diese Erfahrung versuche ich die ganzen Jahre zu behalten und mich bei allem, was ich mache – Konzerte, Touren, Platten – daran zu erinnern. Für mich sind meine Platten wirklich der erste Moment, an dem ich etwas wage. Wenn ich im Studio bin und kein Publikum da ist, versuche ich einfach etwas von mir für mich zu machen. Und jetzt möchte ich wieder mehr Platten und kürzere Songs aufnehmen. Denn es ist keine natürliche Sache für mich, lange Songs zu machen wie auf ‚The Secondman’s Middle Stand‘. Es ist wohl ein Hilfsmittel, die Geschichte meiner Krankheit zu erzählen. Eine Krankheit, die nie vorüber zu gehen schien. Zeit, die unerträglich langsam vergeht, wenn du Schmerzen hast. Und das alles ist schwer zu übermitteln ... Ich wäre fast an einer Infektion gestorben, als ich 22 war. Ich habe niemals einen Song darüber geschrieben. Aber ich war auch erst 22 Jahre alt, und wenn du jung bist, denkst du, du lebst für immer. Sobald du gesund bist, vergisst du alles. Wenn dir so etwas in deinem mittleren Lebensabschnitt passiert, realisierst du, dass du schwach und zerbrechlich bist, und dass das Leben sicher nicht für immer hält. Aber diese Krankheit war anders und hat mich auch gelehrt, bewusster zu leben.“

Kannst du dich noch daran erinnern, was du während deiner Krankheit gedacht und empfunden hast?

„Ich hatte ein Foto von D. Boon, meinem Vater und meiner Katze an meinem Bett. Ich hatte 14 Jahre lang einen Kater, er starb einen Sommer vorher an einem Gehirntumor. Ich habe niemals wieder eine Katze nach ihm gehabt. Ich schaute auf die Fotos, als ich da lag, und dachte, wie lange wird es wohl dauern, bis ich sie alle treffe? Das ist keine gesunde Gedankenlage. Ich war zu dem Zeitpunkt erst 42 Jahre alt und eigentlich hatte ich noch eine ganze Menge vor im Leben. Das war wirklich hart für mich. Zunächst war da dieses hohe Fieber. Fast 48 Tage lang kochte es förmlich mein Hirn. Ich wäre fast gestorben und dieser Abszess wuchs in mir. Ich lag da und ich konnte nicht eine Nacht schlafen. Ich schlief nicht während der Heilung. Ich schlief fast fünf Monate nicht. Das macht dich wahnsinnig! Aber da waren zwei verschiedene Arten von Schmerz. Da war der körperliche, direkte Schmerz, der mich merken ließ, dass die Krankheit mit dem Fieber in mir wächst, und gerade zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Hoffnung. Und da war dieser andere Schmerz, als sie mich untersuchten, mich aufschnitten und alles wieder verheilen musste. Das schmerzte wie verrückt – vielleicht sogar noch mehr –, aber da hatte ich wieder Hoffnung geschöpft und wollte gesund werden. Da sind diese beiden Schmerzen, aber der eine bedeutet Tod und der andere Leben. Und mit dem einen Schmerz konnte ich verdammt noch mal besser umgehen als mit dem anderen.“

Du warst innerlich noch nicht bereit, um zu gehen ...

„Richtig! Das ist es, worum es im Leben geht. Du meinst, du hast immer noch genug Zeit, bis so was passiert. Dann sagst du: ‚Oh mein Gott, ich bereue das so. Warum habe ich nicht das oder jenes gemacht.‘ Meine erste ernsthafte Begegnung mit dem Tod war der von D. Boon. 20 Jahre ist das nun her. Mein Vater starb vor 14 Jahren. Das war wirklich hart. Meine letzte Platte ‚Contemplating The Engine Room‘ handelte von ihm. Es war das erste Mal, wo ich bewusst versucht habe, lange Songs zu machen. Dieses Album handelte davon, Menschen durch den Tod zu verlieren. Und das war, alle Lehrstunden in meinem Leben zusammen genommen, das Härteste. Bei dieser Platte lernte ich, dass da Leute sind, die mir helfen, so schwere Zeiten durchzustehen. Alles hat zwei Seiten. Schau, was hab ich jetzt? Ich spiele bei den STOOGES! So hat sich alles zum Gutem gewandelt. Wer konnte das jemals ahnen? Als ich wieder anfing, Bass zu spielen, war ich immer noch sehr schwach und da haben mir die STOOGES sehr geholfen. J. Mascis nahm mich mit THE FOG auf Tour und das half mir sehr, wieder gesund zu werden. Als mein Freund D. Boon damals starb, wollte ich keine Musik mehr machen. Und dann kam Ed Crawford zu meinem Haus nach Pedro, nachdem er meine Telefonnummer im Telefonbuch gefunden hatte. Wir spielten zusammen in fIREHOSE für siebeneinhalb Jahre. Das half mir ungemein. Wir machten drei Europa-Touren zusammen. Eigentlich vier, denn die erste Tour waren wir der Support für SONIC YOUTH. SONIC YOUTH halfen mir auch wahnsinnig, alles zu verarbeiten. Gerade SONIC YOUTH haben einen großen Einfluss auf andere Menschen. Es ist unglaublich, welchen Einfluss diese Band hat! Sie sind zeitlos, und es gibt sie jetzt auch schon über 25 Jahre. Sie riskieren etwas und experimentieren viel, und das inspiriert mich.“

Wie ist es jetzt für dich, mit Iggy und den STOOGES zu spielen?

„Wenn D. Boon mir damals gesagt hätte, als wir noch 16 waren, dass ich jemals mit Iggy spielen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Wer konnte so etwas ahnen? Ich höre ihnen gerne zu. Sie haben alle so viele verschiedene Erfahrungen gesammelt und sind alle so interessant! Ronny ist sehr an Geschichte interessiert, Scotty weiß eine Menge über Buddha, Iggy weiß alles über die verschiedensten Kulturen. Ich bin da wie ein Schwamm und versuche alles aufzusaugen. Was ich gelernt habe, ist, dass du nicht immer nur der Boss sein kannst. Das klappt nicht. Bei den STOOGES lasse ich niemals meine Augen von Iggy und den anderen. Es ist wie eine Lehrstunde für mich. Bei THE SECONDMEN bin natürlich ich der Boss und alles ist um mich herum arrangiert.“

Was hat sich seit deiner Krankheit in deinem Leben verändert?

„Seit zwei Jahren fahre ich viel mit dem Kajak, und seit ich mit 37 wieder angefangen habe Fahrrad zu fahren, bin ich viel unterwegs und höre der Natur zu. Ich habe niemals den Vögeln zugehört, weil ich immer mit dem Auto gefahren bin. Das ist eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich gehe nicht viel raus. Die Leute in San Pedro denken wahrscheinlich, dass ich ziemlich verrückt bin, wenn ich da rumlaufe. Aber Pedro ist nun mal eine Stadt wie jede andere auch, dort laufen nicht nur lauter Typen wie ich herum, wie es sich viele so gerne vorstellen. Ich habe nur ganz wenige enge Freunde, die teilweise ganz normale Sachen machen, ein ganz normales Leben führen. Ich gehe nicht aus um zu Essen, ich koche selbst. Ich bin ganz bodenständig, außer dass ich toure und Musik mache. Ich habe viele so genannte Stars im Leben getroffen, die meinten, sie wären wichtig. Aber niemand, der auf der Bühne steht, ist wichtiger als der, der in einem Bergwerk arbeitet.“

Du machst auch eine Internet-Radioshow, die „Watt From Pedro Show“, und bist eigentlich sehr aktiv, was das Internet anbelangt. Wie stehst du zum Thema Musik-Downloads?

„Zu Zeiten von MINUTEMEN haben wir die Welt in zwei Kategorien eingeteilt, Konzerte und Flyer. Alles was kein Konzert war, stellte im Gegenzug Werbung für uns dar. Und so sind MP3s für mich wie Flyer. Dieses Interview ist wie ein Flyer, ein Foto von mir im Internet oder in Zeitschriften ist wie ein Flyer. Und so sehe ich alles, was die Öffentlichkeit auf mich und meine Kunst aufmerksam macht, als wirklich hilfreich an. Woher sollen die Leute auch sonst wissen, wo meine Konzerte stattfinden und welche Musik ich gerade mache?“

Und sie sollen wissen, dass du in der nächsten Zeit noch eine Menge machen willst ...

„Ja, D. Boons Vater gab mir einige seiner Gitarren und jetzt schreibe ich die Songs mit Hilfe seiner Gitarren. Das ist schon komisch für mich, auf seinen Gitarren zu komponieren. Sicher auch, weil dabei der Bass nicht im Vordergrund steht und dies bisher der Schwerpunk meiner Musik war ... Ich will wie gesagt wieder zu kürzeren Songs zurück und ich möchte nach Cleveland gehen und dort Songs aufnehmen, mit ganz normalen Menschen, die in keiner Band spielen. Ähnlich wie ich es auch bei meinem ersten Soloalbum ‚Ball-Hog Or Tugboat?‘ mit verschiedenen Leuten gemacht habe. Ich möchte einfach versuchen, jede Platte anders zu gestalten. Wir werden sehen. Ich bin für alles offen.“