MICK HARVEY

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Serge, Jeffrey und Wölfe im Theater

Nach seinem Weggang 2009 beim Musikerkollektiv NICK CAVE AND THE BAD SEEDS ist der australische Multi-Instrumentalist Mick Harvey nicht untätig geblieben – im Gegenteil. Harvey veröffentlichte seitdem zahlreiche Soundtracks und Soloalben, arbeitete am Jeffrey Lee Pierce Sessions Project mit und betätigte sich als Produzent, unter anderem für seinen langjährigen Freund Rowland S. Howard („Pop Crimes“) oder bei PJ Harveys Album „Let England Shake“. Auch den Weg zur Theaterproduktion hat Mick Harvey gefunden und dies erstaunlicherweise in Deutschland. Mit seinem alten Freund Alexander Hacke (EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, CRIME & THE CITY SOLUTION) arbeitete er unter dem Namen THE MINISTRY OF WOLVES an der musikalischen Umsetzung einer Theaterinszenierung in Dortmund für Stücke der Gebrüder Grimm unter dem Titel „Republik der Wölfe – Ein Märchenmassaker mit Live-Musik“. Mit dabei ist Paul Wallfisch (BOTANICA), der seit 2010 musikalischer Leiter am Schauspiel Dortmund ist. Das Album hierzu ist im März 2014 erschienen, die Premiere war im Februar dieses Jahres. Und natürlich ist Mick Harvey bei der dritten Auflage des „Jeffrey Lee Pierce Sessions Project“ beteiligt, welches Ende März unter dem Albumtitel „Axels & Sockets“ erschienen ist und an dem illustre Musiker wie Iggy Pop, Nick Cave, Hugo Race und Thurston Moore (SONIC YOUTH) beteiligt sind. Seine beiden Alben „Intoxicated Man“ (1995) und „Pink Elephants“ (1997), die ausschließlich Coverversionen von Songs von Serge Gainsbourg enthalten, werden im April als Doppelalbum neu auf Mute erscheinen.

Mick, demnächst werden Wiederveröffentlichungen deiner Gainsbourg-Alben erscheinen. Was macht Gainsbourg so faszinierend für dich, was unterscheidet ihn von anderen Musikern seines Genres?


Mein Interesse an seiner Musik und seinen Songs gründet sich im Wesentlichen auf der außergewöhnlichen Qualität seines Songwritings. Diese Qualität ist nicht immer gleich unmittelbar und greifbar, insbesondere dann, wenn Gainsbourg mit verschiedenen Stilrichtungen seiner Zeit experimentiert hat. Selbst als er Songs auf der Basis von Reggae-Musik eingespielt hatte, was zugegebenermaßen eher mittelprächtig war, oder er andere Musik lediglich als Hilfsmittel eingesetzt hat, gab es immer großartige Texte, und seine eigenen Kompositionen weisen ohnehin immer eine enorme Qualität auf und reflektieren seine künstlerischen Fähigkeiten sehr gut. Was ihn von anderen Musikern so stark unterscheidet, sind schlicht seine Texte, sein Enthusiasmus und seine enorme musikalische Wandlungsfähigkeit. Übrigens werden zu den bereits bekannten Songs noch zwei bisher unveröffentlichte Coverversionen erscheinen.

Gainsbourg hat oft Songs über den Tod von Frauen geschrieben, etwa „Cargo culte“ (1971), „La noyée“ (1971) und „Sorry angel“ (1972). Was, glaubst du, hat ihn an diesem Thema fasziniert?

Solche Tragödien und traurige Anlässe sind immer der Nährboden für große emotionale Zerwürfnisse und Untiefen und somit ein starker Impuls, darüber einen Song zu schreiben. Um ehrlich zu sein, es überrascht mich viel eher, dass es nicht wesentlich mehr Songs zu diesem Thema im Werk von Serge Gainsbourg gibt.

Jüngst hast du in einem Interview verlauten lassen, dass du dich selbst nicht als Singer/Songwriter siehst. Mich erstaunt diese Aussage etwas.

Das ist vermutlich für einen Außenstehenden etwas schwer zu verstehen, zumal es den Anschein macht, dass ich bereits sehr viele Songs geschrieben hätte. Bis in die jüngste Vergangenheit habe ich aber eigentlich mehr Musik geschrieben und eher weniger Songs mit Texten im klassischen Singer/Songwriter-Sinne. Das ist auch nicht mein gängiges Betätigungsfeld und Genre als Musiker. Normalerweise würde ich überhaupt keine Songs schreiben. Und seit meinem letzten Album habe ich keine eigenen Songs mehr geschrieben, sondern nur noch Beiträge für andere Projekte, an denen ich beteiligt war oder noch bin. Eigentlich bin ich eher – wenn du so willst – ein „Auftragssongschreiber“ für bestimme Projekte, aber ich würde das nicht als meine hauptsächliche Berufung ansehen wollen. Für mich sind Songwriter jene Musiker, die quasi innerlich dazu getrieben werden, Songs zu schreiben und die gar nicht anders können, was bei mir absolut nicht der Fall ist.

Hugo Race hat neulich erwähnt, dass ihr beide wieder am nächsten „Jeffrey Lee Pierce Sessions Project“ arbeitet. Welche Musiker sind daran beteiligt und welche Songs können wir erwarten?

Das musst du Tony Chmelik alias Cypress Grove fragen, der Hauptverantwortlicher für das „Jeffrey Lee Pierce Sessions Project“ ist. Er trifft letztlich die finale Auswahl der Songs, die auf das nächste Album kommen. Ich erfahre das nie im Voraus und auch erst mit Erscheinen des Albums. Ich spiele Schlagzeug bei zwei Songs, bei denen Hugo singt. Und ich habe zwei Songs eingespielt von Jeffreys erster Band THE RED LIGHTS, die er gründete, bevor er mit THE GUN CLUB aktiv wurde, mit J.P. Shilo und unserer Tribute-Band THE AMBER LIGHTS, mit der wir auch den Song „The jungle book“, ebenfalls ein alter Song der RED LIGHTS, für die „Jeffrey Lee Pierce Sessions II“ aufgenommen haben. Das Endergebnis mit allen Songs der dritten Session wird auch für mich eine Überraschung werden.

Dein aktuelles Projekt hat dich wieder mit Alex Hacke zusammengeführt, deinem ehemaligen Kollegen von CRIME & THE CITY SOLUTION. Ihr habt mit Danielle de Picciotto und Paul Wallfisch als THE MINISTRY OF WOLVES an einer Theaterproduktion in Dortmund für Stücke der Gebrüder Grimm gearbeitet. Wie war eure Zusammenarbeit nach all den Jahren?

Für mich war und ist es immer sehr großartig, mit Alex Hacke zusammenzuarbeiten. Wir sind in den Jahren, in denen wir nicht aktiv Kontakt hatten, gute Freunde geblieben. Es gab immer wieder Versuche, gemeinsame Projekte zu initialisieren und anzuschieben, was meist nicht einfach war, da wir selten in der gleichen Stadt waren. Seit unseren Tagen bei CRIME & THE CITY SOLUTION haben wir auch nicht mehr in einem Projekt zusammengearbeitet, so dass es natürlich spannend für mich war, bei dieser Theaterinszenierung wieder mit ihm zusammenzufinden. Das Projekt war und ist eine große Herausforderung, aber mit Alex, Danielle und Paul war es eine wunderbare Zusammenarbeit.

Ich habe fünf Alben ausgewählt, die du bitte kurz kommentierst: Los geht’s mit The Moodists „Thirsty’s Calling“ von 1984.

Ich habe mir das Album viele Jahre nicht mehr angehört. Man muss ehrlicherweise sagen – und das ist irgendwie etwas traurig –, es ist das einzig stimmige und kohärente Album der Band, die in so vielen Phasen ihres Bestehens einem schlechten Einfluss des Managements und der jeweiligen Plattenfirma ausgesetzt war. Sie waren sehr stark durch THE BIRTHDAY PARTY beeinflusst, auch wenn das immer ein zweischneidiges Schwert ist. Wir haben damals ihre Musik und Songs wirklich gemocht. Und man darf nicht vergessen, dass Chris Walsh, der Bassist der MOODISTS, einen wirklich großen Einfluss auf die damalige Musikszene in Melbourne hatte, und dies bereits Ende der Siebziger Jahre, und somit auch auf uns, als wir THE BIRTHDAY PARTY gründeten.

Conway Savage „Nothing Broken“, 2001.

Bei den meisten Songs auf diesem Album habe ich Schlagzeug gespielt und Martyn P. Casey den Bass, ein wunderbares und schönes Werk. Die Solomusik von Conway neben seiner Arbeit bei NICK CAVE AND THE BAD SEEDS ist nicht wirklich vielen bekannt, was unter anderem auch daran liegt, dass er über Phasen hinweg seine Veröffentlichungen von zu Hause aus seinem Wohnzimmer vertrieben hat.

Rowland S. Howard „Pop Crimes“, 2009.

Ein wunderbarer Schwanengesang meines alten Freundes. Glücklicherweise hat das neu erwachte Interesse an der Musik von Rowly die Aufmerksamkeit vieler wieder auf sein erstes Album „Teenage Snuff Film“ und seine Songs mit den THESE IMMORTAL SOULS gelenkt. Rowly war nie ein überaus produktiver Songwriter. Aus diesem Grund findest du auf seinen Alben auch immer wieder mal Coverversionen, wie beispielsweise „Life’s what you make it“ von TALK TALK auf „Pop Crimes“. Aber auf diesem Album sind sicherlich einige seiner besten Songs überhaupt.

Nina Simone „Nuff Said!“, 1968.

Du hättest jedes Album von Nina Simone wählen können, eben dieses oder „Forbidden Fruit“, „Nina Simone And Piano“ oder ihre Live-Alben aus den frühen Siebziger Jahren. Jedes ihrer Alben hat versteckte Juwelen, die man musikalisch nicht immer exakt kategorisieren kann. Ich suche mir oft unzählige Songs von Nina Simone aus und stelle meine eigenen Compilations zusammen. Auf diese Weise haben wohl etwa 200 Songs von Nina Simone ihren Weg auf meinen PC gefunden und da sind so viele wunderbare und rare Perlen von ihr dabei.

Louis Tillett „Ego Tripping At The Gates Of Hell“, 1987.

Als ich kürzlich einige Solokonzerte in Australien gespielt habe, hat mich Louis im Vorprogramm als auch bei einigen meiner Songs auf der Bühne begleitet. Wir haben durchaus Pläne, etwas zusammen auf die Beine zu stellen, aber ich bin mir nicht sicher ob und wann wir das umsetzen können, wenn ich auf meine anderen Projekte und Verpflichtungen schaue. Louis Tillett ist ein einzigartiger Musiker. Ich warte bei diesem Album auf eine entsprechend aufbereitete Wiederveröffentlichung. Dieses Album und „Letter To A Dream“ von 1992 sind einfach brillant!