MICK HARVEY

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Songs for the dead

Nachdem Mick Harvey 2009 als Musikdirektor im Orchestergraben bei NICK CAVE & THE BAD SEEDS ausgeschieden war, fand er wieder Zeit für das, was er fast noch besser kann, die Arbeit als Kollaborateur in Projekten mit befreundeten Musikern wie PJ Harvey und bereits zuvor für sein Kurzprojekt THE WALLBANGERS, an dem auch Tex Perkins (BEASTS OF BOURBON) und die australische Sängerin und Schauspielerin Loene Carmen, die bereits für DIRTY THREE und KILL DEVIL HILLS Support spielte, mitwirkten. Speziell im letzten Jahr arbeitete Mick Harvey aber mit seinem langjährigen Freund und THE BIRTHDAY PARTY-Weggefährten Rowland S. Howard zusammen, den er als Live-Musiker am Schlagzeug und als Produzent unterstützte. Für kurze Zeit spielte er auch bei THE TRIFFIDS und wirkte 2009 an deren Biografie „Vagabond Holes: David McComb and The Triffids“ mit. Bereits 2007 begann Mick Harvey Songs zu schreiben, die vom Andenken an verstorbene Freunde handelten. Im August 2010, nach Beendigung seiner Arbeit an PJ Harveys Album „Let England Shake“, kehrte er nach Australien zurück, um die Aufnahmen zum Album „Sketches From The Book Of Dead“ zu beenden.

Es entstanden eigene sehr private Songs, auch zum traurigen Tod seines langjährigen Freundes Rowland S. Howard im letzten Jahr. Harvey beschäftigte sich intensiv mit der Bedeutung von Beziehungen mit Menschen über den Tod hinaus. Wie organisiert sich Erinnerung? Wie können diese Verbindungen für die Lebenden weiter bedeutsam und real sein? Ihm ging es vor allem darum, die Bilder verlorener Freunde und der Familie festzuhalten, diese zu skizzieren, eben „Sketches“ zu schaffen, Skizzen der Verstorbenen. In seiner Musik schwingt auch ein wenig der Geist von Johnny Cash und seinem alten Freund Jeffrey Lee Pierce mit, als dieser noch auf den Spuren von „Bad America“ wandelte, jenem „dunklen Amerika“, wie es einst Greil Marcus beschrieb. Mick Harvey folgt dem Pfad des True Storytellers zwischen Blues und Folk-Rock. Mick Harvey beantwortete vor seiner Abreise in die USA einige Fragen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Musik und Songwriting ein guter Weg sind, um den Verlust eines Menschen zu verarbeiten. Kannst du etwas zum Entwicklungsprozess des Songs „October boy“ sagen, in dem es um Rowland S. Howard geht?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diesen Song nicht aus dem von dir genannten Grund geschrieben habe. Es mag so sein, dass dies für viele Musiker ein probater Weg ist, um über den Verlust eines Menschen hinwegzukommen. Auf mich trifft das in jedem Fall nicht zu. Vielmehr sind die Songs, die ich für das Album geschrieben habe, eine Art Erinnerung an diese Menschen, die nicht mehr unter uns sind, uns aber weiter durchs Leben begleiten. Es ist ein Versuch, die vielen Geschichten und Episoden, die man mit ihnen erlebt hat, zu verbinden, sie wie kleine Schnappschüsse von lieb gewonnenen Erinnerungen an diese Menschen zusammenzufügen – quasi die Teile ihrer physischen Präsenz, an die wir uns erinnern, nachdem sie von uns gegangen sind. Und dabei geht es sicher nicht um Bitterkeit über den Verlust. Rowland ist auch die einzige Person und Freund aus meinem Leben, der von uns gegangen ist, für den ich einen Song geschrieben habe. Und dieser sollte auch weit davon entfernt sein, sich in Kummer und Trauer zu verlieren, was auch grundsätzlich nicht der Ansatz des Albums gewesen ist. Vielmehr war der Grundgedanke, diese Menschen ob ihrer mitunter ausufernden Charaktereigenschaften entsprechend zu würdigen.

Was hältst du von Richard Lowensteins Dokumentation „Autoluminescent“ über das Leben von Rowland S. Howard?

Das kann ich dir nicht sagen, bevor diese Dokumentation nicht vollends fertiggestellt ist. Aber ich habe bereits jetzt schon Bedenken, dass Lowenstein sich zu sehr auf den zeitlichen Abschnitt mit THE BIRTHDAY PARTY konzentriert und Rowlands andere künstlerischen Tätigkeiten – insbesondere die Zeit, in der seine beiden Soloalben entstanden sind – nicht hinreichend würdigt. Es wäre eine Schande, wenn die Dokumentation nicht auch diese aktuellen Projekte behandeln würde.

Ich habe versucht, Parallelen zwischen den Charakteren und den Musikern Jeffrey Lee Pierce und Rowland S. Howard zu ziehen. Du warst mit beiden lange eng befreundet. Was hat sie als Menschen verbunden und inwiefern waren sie unterschiedlich?

So richtig stellt sich mir diese Frage nicht. Sie waren sicherlich als Menschen und Musiker sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Um ehrlich zu sein, abgesehen von dem Umstand, dass sie der gleichen Generation von Post-Punk- und New-Wave-Musikern entsprungen sind und jeweils die Arbeit des anderen immens respektierten, gab es nicht viel, was sie verbunden hätte, um sie als ähnliche Persönlichkeiten erscheinen zu lassen. Es mag aber durchaus Parallelen zwischen Musikern wie mir, Nick Cave, Lydia Lunch oder Spencer P. Jones geben. Aber davon abgesehen, bin ich generell nicht daran interessiert, befreundete Musiker dahingehend zu analysieren, ob es ähnliche Mentalitäten oder Charaktereigenschaften zwischen ihnen gibt. Das ist letztlich Zeitverschwendung.

Ich finde deinen Gesang auf dem aktuellen Album besser denn je, er rückt dich für mein Empfinden nahe an Van Morrison oder gar Johnny Cash. Welches sind die Sänger und Musiker, die dich nachhaltig beeinflussen?

Als Musikerin und Sängerin hat mich immer Nina Simone sehr inspiriert. Sie ist definitiv völlig einmalig und man kann ihren Stil eigentlich nicht wirklich kategorisieren. Dass ich ähnlich wie Van Morrison klingen könnte, kann ich mir gar nicht vorstellen, obgleich ich ihn sehr schätze, was für die Mehrzahl meiner, sagen wir mal, jüngeren Freunde nicht zutrifft. Wenn es um den Gesang geht, ist es doch meist so, dass der Ansatz eher der ist, wie man bestenfalls nicht klingen möchte. Als ich die Tribute-Alben für Serge Gainsbourg eingespielt habe, „Intoxicated Man“ und „Pink Elephants“, ging es mir im Wesentlichen darum, in welchem Stil die Musik und Songs zu „entwickeln“ waren, und das war nicht notwendigerweise meine eigene Prägung im Gesang. Beim Folgealbum „One Man’s Treasure“ war es eine ganz bewusste Entscheidung von mir, den Gesang zu einer ganz reduzierten und, wenn du so willst, simplen Form zu bringen. Es war in gewissem Sinne auch eine Reaktion auf die Art und Weise des Gesangs beim klassischen amerikanischen Rhythm & Blues, den ich zum Zeitpunkt der Aufnahmen des Albums gehört habe, oder ganz generell eine Art Gegenreaktion zu einer Form des überelaborierten Gesangs im Allgemeinen. Der Fokus sollte mehr auf den den Worten selbst und nicht so sehr auf deren Betonung durch den Gesang liegen. Beim aktuellen Album ist das ganz anders. Hier ging es mir explizit darum – und es war bei diesen Songs auch absolut notwendig –, eine gewisse emotionale Intensität zu erreichen, um die Bedeutung und Inhalte der Texte zu unterstützen und diese etwas tragender erscheinen zu lassen. Ich glaube, ich habe eine bessere Balance gefunden zwischen der Emotionalität im Gesang und der Bedeutung meiner Texte, aber letztlich ist es nicht an mir, das zu beurteilen, das musst du selbst für dich entscheiden.

Du hast in so vielen Projekten mit befreundeten Musikern wie jüngst beim neuen Album von PJ Harvey mitgewirkt, oft als Produzent. Andererseits bist du erfolgreicher Komponist von Soundtracks. Wie unterscheidet sich da die Arbeitsweise und was ist „inspirierender“ für dich?

Eigentlich versuche ich in beiden Genres immer mit befreundeten Musikern oder überhaupt mit Freunden zusammenzuarbeiten. Wenn ich beispielsweise an einem Soundtrack arbeite, bei dem ich diese freundschaftliche Basis zum Regisseur nicht habe, endet das in aller Regel in einem Desaster. Ich habe aber stets betont, dass es für mich im Grunde genommen keinen Unterschied macht, ob ich zusammen mit einem Musiker oder Sänger an speziellen Songs arbeite oder ob es um Filmmusik geht. Es ist mir immer wichtig, die richtige Lösung für die Atmosphäre in einem Film zu finden, und das ist bei den Songs für einen befreundeten Musiker nicht anders. Es gibt also eher keinen Unterschied in der Herangehensweise.

Wenn du in deiner langen Karriere als Musiker zurückschaust, gibt es da etwas, was du gerne ändern oder anders machen würdest?

Gleichzeitig Mitglied in zwei vollwertigen Bands zu sein und auch noch im Wesentlichen die Bands zu managen, wie ich das in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre bis ungefähr 1991 eben bei NICK CAVE & THE BAD SEEDS als auch bei CRIME & THE CITY SOLUTION getan habe, das wäre eine Sache, die ich heute so nicht mehr machen würde. Das hat in meinem Privatleben große Probleme verursacht, war enorm substanzzehrend und letztlich war es das auch nicht wert. Jede Band hatte zu diesem Zeitpunkt ihre Wertigkeit und es war gut, dabei zu sein, aber eben nicht als paralleles Phänomen. Für mich und meine Gesundheit war beides zusammen oft einfach zu viel. Es bedeutete, enorm viel in meinem Privatleben zurückzustellen, während die Belange der Bands stets vorgehen mussten. Rückblickend würde ich das nicht mehr machen.

Welches Erlebnis würdest du als ein wirklich eindringliches Highlight bezeichnen, das dich immer emotional begleiten wird?

Was die Highlights in meinem Schaffen angeht, gibt es natürlich sehr viele. Insbesondere die Zeit mit THE BIRTHDAY PARTY, speziell in den Jahren 1981/82, war eine unglaubliche Erfahrung, vor allem unsere Live-Auftritte. Sicher, auch viele Phasen mit den BAD SEEDS waren großartig. Aber um ganz offen zu sein, gegenwärtig fühlt es sich für mich als die beste und kreativste Zeit an. Wenn du so willst, empfinde ich die Gegenwart als den künstlerischen Höhepunkt in meinem Leben. Die Arbeit am aktuellen Album von PJ Harvey und die gemeinsame Tour, sowie die Veröffentlichung meines neuen Albums. Es fühlt sich derzeit einfach gut an und ich habe den Eindruck, dass ich mich künstlerisch sehr viel weiter entwickelt und neue Richtungen eingeschlagen habe. Mehr, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.