MENZINGERS

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Pilzexperten und Springsteen-Liebhaber

Bei „Some Of It Was True“ von den „Elder Emos“ THE MENZINGERS darf man getrost von einem erwachsenen und gleichzeitig auch unruhigen und getriebenen neuen Album sprechen. So nah an Bruce Springsteen wie nie und gleichzeitig doch so sehr sie selbst – so in etwa lassen sich die 13 neuen Songs der Band aus Philadelphia beschreiben, die es schon wieder geschafft hat, all diejenigen abzuholen, die das Herz ganz sicher am rechten Fleck haben, deren Konto aber vielleicht auch gerade deswegen leer ist, weil sich das Ziel der langen Reise „Leben“ noch nicht annähernd abzeichnet. Gitarrist und Sänger Tom May spricht im Interview über das Getriebensein, den Einfluss, den ihre Fans auf das Album hatten und sein eher außergewöhnliches Hobby.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass mein Leben ebenso wie die Menschen um mich herum irgendwie an mir vorbeirauschen. Ihr habt es mit euren fantastischen Alben, die ihr bis jetzt veröffentlicht habt, immer irgendwie geschafft, dass ich mich verstanden gefühlt habe. Das bringt mich direkt zu meiner ersten Frage: Für wen habt ihr „Some Of It Was True“ geschrieben?

In erster Linie für unsere Fans. Natürlich haben wir es auch für uns gemacht, weil es einfach etwas ist, das wir tun müssen. Es ist ein innerer Impuls, immer weiter Songs zu schreiben. Auch weil es zu den wenigen Dingen auf der Welt zählt, die sich auch nach all den Jahren gut für uns anfühlen, und womit wir unsere Verbindung innerhalb der Band immer weiter festigen können. Die Behauptung, dass unsere Fans einen großen Anteil an „Some Of It Was True“ hatten, rührt daher, dass wir das Gefühl hatten, man hätte viel zu lange nichts mehr von uns gehört. Wir haben uns, auch bedingt durch die Corona-Pandemie, lange Zeit zurückgezogen. Wir wollten wieder diese Verbindung zu unseren Fans spüren und Songs schreiben, die Leute in unserer Situation und unserem Alter verstehen. Es ging uns darum, die Erfahrungen der Menschen um uns herum, die sich mit Problemen der westlichen Welt herumschlagen, nachzuvollziehen und zu verarbeiten. Dabei geht es dann schlussendlich viel um Hoffnung und das Loslassen von Dingen und Menschen, die Teil unseres Lebens waren. Besonders wichtig war uns aber, dass wir kein Album über die Pandemie schreiben wollten.

Vergleicht man „Hello Exile“ von 2019 mit dem neuen Album kann man eine deutliche musikalische Entwicklung hören. Es wirkt auch so, als hättet ihr eine andere Herangehensweise an das Schreiben neuer Songs entwickelt. Was gleich blieb, ist, dass packende Geschichten auf vielfältige Tracks treffen. Kannst du mir mehr über die Schwierigkeiten oder die schwierige Seite des sich neu Erfindens mit jedem Album erzählen? Wie groß war die Herausforderung, Ideen zu finden? Oder schwirrten diese mit all den Emotionen bereits in euren Köpfen umher und ihr musstet sie einfach zu Papier bringen?
Das ist eine interessante Frage. Also ich habe das Schreiben immer als eine Form des Denkens betrachtet. Das Schreiben von Worten hilft mir dabei, meine Gedanken zu organisieren, zu strukturieren und zu entwickeln, um sie in ein höheres Konzept, in komplexere Wahrheiten zu verwandeln. Das Schreiben von Musik wiederum ist eine Art, Gefühle und Erfahrungen zu organisieren. Wenn wir also damit beginnen, ein Album zu schreiben, suchen wir erst mal nach dem Konzept. Die Kernidee der Gefühle ist uns klar und wir wissen, wohin wir wollen. Wir schreiben das Konzept jedoch nicht zuerst auf und passen dann die Songs daran an. Vielmehr tasten wir uns im Dunkeln umher und suchen genau das, was wir finden wollen. Damit geht auch eine gewisse Angst einher, sich wohlmöglich zu wiederholen. Tatsächlich streben wir danach, etwas Neues zu tun, das sich so verdammt gut anfühlt, dass wir eine höhere Ebene unserer Gedanken und Gefühle erreichen. Wir bekommen immer mehr Übung darin. Der ganze Prozess funktioniert auch nicht ohne Kommunikation untereinander.

Gibt es irgendwelche Referenzen zu älteren Songs auf dem Album? Oder anders gefragt: Wie kriegt ihr es hin, eure Vergangenheit und eure neuen Ideen auszubalancieren?
Es gibt auf „Some Of It Was True“ keine absichtlichen Verweise auf ältere Songs. Wir haben jedoch ein paar Easter Eggs auf dem Album versteckt, über die ich nicht zu viel verraten möchte. Auf die Frage, wie wir uns selbst ausbalancieren, kann ich nur sagen, dass wir uns der Dinge bewusst werden, die in der Vergangenheit schon funktioniert haben, und die die Leute vielleicht auch hören wollen oder eben nicht. Und das ist vor allem unsere Live-Energie. Das ist quasi die Essenz unserer Band. Deswegen haben wir dieses Mal auch versucht, so viel wie möglich in einem Live-Setting aufzunehmen. Wir sind nun mal eine richtige Live-Band. Also müssen wir auf Platte auch genauso so klingen.

Wie viel ist dran an der Information, dass ihr das Album in Hotelzimmern und während der Soundchecks auf Tour geschrieben habt?
Ein paar Songs sind sicher so entstanden. Die meisten haben wir jedoch gemeinsam in einem Raum geschrieben. Definitiv wurden die Grundsteine aber in der Zeit gelegt, als wir unterwegs waren.

Inwieweit hat es euch beim Schreiben der Songs beeinflusst, nicht zu Hause zu sein? Ich denke nämlich, dass man „Some Of It Was True“ eine gewisse Rastlosigkeit aber auch eine bestimmte Sehnsucht anhören kann.
Ja, das stimmt. Auf Tour gibt es immer eine gewisse emotionale, einsame Grundstimmung, weil man seine Familie zu Hause vermisst. Ich vermisse meine Frau. Wir vermissen unsere Familien, unsere Haustiere und die tägliche Routine. Da ist immer ein Hauch von Einsamkeit, der sich durchzieht, und der dich von Natur aus in eine etwas emotionale Verfassung versetzt. Dadurch wird das Schreiben der Texte und Lieder ein Stück kathartisch und es geht einem direkt besser. Das ist also eine Sache, die fast wie ein Jucken ist, das gekratzt werden muss. Andererseits sind die ständige Bewegung und der Aufenthalt an temporären Orten, an denen du auch nur zeitlich begrenzt mit Menschen zu tun hast, sehr inspirierend. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum das so ist, aber ich denke, dass es daran liegt, dass wir keine Zeit für Unsinn haben und alles irgendwie darauf abzielt, die aktuellen gemeinsamen Aspekte zu erkennen, die alles miteinander verbinden.

Der Song „Try“ scheint sich um den Konflikt zwischen Idealismus und Realität zu drehen. Wie kann man trotz all der Ideen und Wünsche, die wir in unserem Leben entwickelt haben, irgendwie mit der Realität klarkommen und sich durch die Tage kämpfen?
Das ist eine unglaubliche Beobachtung deinerseits. Ich hätte nicht gedacht, dass du mit den so simplen Texten so leicht darauf kommen würdest, aber das hast du definitiv geschafft. Und genau so fühlt es sich an. Ja, der Versuch, das Gleichgewicht zwischen Erwartungen und Realität oder deiner eigenen Wahrnehmung der Realität zu finden, ist etwas, dem ich viel Zeit widme, und da fließen auch viele Emotionen ein. Also ja, da gibt es einen ganzen Bereich des Versuchs, sich damit auseinanderzusetzen und sich damit abzufinden. Und deshalb gibt es am Ende des Lieds, wo es irgendwie ruhig wird und das Outro einsetzt, die Idee, dass du dein Schicksal in gewisser Weise akzeptierst und es sich löst. Viele meiner Lieblingsautoren und viele Menschen, die sich für Existenzphilosophie interessieren, sind im Punkrock und auch im Emo unterwegs. Wir haben den gleichen Ansatz. Da ist diese Art von Gefühl, das ich fast als die Vorstellung betrachten würde, dass es mir so schlecht geht, wie ich es zulasse. Ich kann diese Dinge nicht in Einklang bringen. Aber in Wirklichkeit dreht sich die Welt weiter, und du musst dich zusammenreißen und manche Dinge einfach tun. Ich hoffe, wenn wir älter werden, können wir das endlich akzeptieren.

Ich bin über die Zeilen „too broke to save the world“ und „too broke to save myself“ gestolpert. Wo würdest du anfangen, wenn du die Welt retten wolltest?
Wahrscheinlich ganz im Kleinen – zu Hause. Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Menschen gut genug versteht, um mit einem Ansatz alles zu verändern. Ich würde so viel es geht kommunizieren, mich erkundigen, wie es den Leuten geht. Es mag albern klingen, aber wenn du deine Nachbarn nicht kennst, solltest du sie schleunigst kennen lernen. Wenn das alle täten, würde sofort eine empathischere Situation geschaffen, in der ihr füreinander da wärt und erkennen würdet, dass wir alle irgendwie gleich sind. Wir betrachten die Welt nur durch verschiedene Augen.

Lass uns über eure Fans sprechen. Du hast gerade schon erwähnt, dass ihr „Some Of It Was True“ auch für sie geschrieben habt. Viele von ihnen sind mit euch älter geworden und haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Habt ihr euch mal Gedanken darüber gemacht, wie sie auf die neuen Songs reagieren würden? Denkst du, es gibt auf dem Album Elemente, die besonders an sie gerichtet sind?
Wir wissen, was wir unseren langjährigen Fans zu verdanken haben, und sie spielen tatsächlich ein wichtige Rolle für uns. Kurz bevor wir mit diesem Interview angefangen haben, haben wir uns per Textnachrichten in der Band über genau dieses Thema ausgetauscht. Ich frage mich, wie wir mit den Leuten in Kontakt bleiben können. Wir verbringen als Band nicht so viel Zeit in den sozialen Medien und haben nur bei Konzerten die Möglichkeit, Feedback einzuholen. Ich finde es wichtig zu wissen, wie die Leute sich fühlen, die sich unsere Musik anhören. Es hat seinen Grund, warum sie sich für unsere Band begeistern können. Wahrscheinlich sind das die Storys, die wir in unseren Texten erzählen, mit denen sie sich identifizieren können und die bei ihnen auf Resonanz treffen. Ganz wichtig ist auf jeden Fall auch der Live-Aspekt. Wir klingen auf dieser Platte wieder etwas roher. So wie auf den alten Alben, aber ohne dass wir uns wiederholen.

Es wird sicherlich auch viele Leute geben, die erst mit „Some Of It Was True“ auf euch aufmerksam werden.
Ich finde es immer wieder aufregend zu sehen, was Leute dazu bewegt, sich mit einer Band zu beschäftigen. Wir haben vor ein paar Tagen in Omaha gespielt und da war eine ganze Familie am Start, bei der die Kids jetzt endlich alt genug waren, um sich eine Show von uns anzugucken. Sie sagten mir, dass es eine vollkommen neue Erfahrung für sie war. So ähnlich wie es bei mir als Teenager war, dessen Leben sich komplett verändert hat, als er auf seiner ersten Punkrock-Show war. Das war die Initialzündung und hat mich zu dem werden lassen, der ich jetzt bin. Ich bin super gespannt zu erfahren, was die verschiedensten Leute über unsere Musik denken. Wir sehen uns ja selbst immer noch als Oldschool Punkrocker, die mit dem DIY-Gedanken großgeworden sind.

Lass uns noch darüber sprechen, dass eure Musik sehr oft mit der von Bruce Springsteen verglichen wird. Auch eure Art des Songwritings wird oft in die Storyteller-Ecke gestellt. Ich finde übrigens, dass ihr mit dem Titelsong des Albums euer eigenes „Atlantic City“ aufgenommen habt. Was sagst du zu diesem Vergleich?
Ich fühle mich dadurch sehr geschmeichelt. Beide Songs haben einen sehr catchy Refrain. Jeder kennt Springsteens „Atlantic City“ und kann es aus dem Stand mitsingen. Wenn das irgendwann auch mal für „Some Of It Was True“ zutrifft, wäre es der absolute Hammer.

Lass uns noch über euren Produzenten Brad Cook sprechen und wie er eure Art des Songwritings beeinflusst hat. In welchem Stadium ihrer Karriere sollte sich eine Band spätestens eine Produzentin oder einen Produzenten mit ins Boot holen?
Jeder Weg ist unterschiedlich und einige Bands produzieren sich während ihrer gesamten Karriere selbst. Das ist selten. Ich würde sagen, dass es unsere Erfahrung mit ihm großartig war. Brad hat uns definitiv eine völlig neue Denkweise über Musik nahegebracht. Mit einem neuen Produzenten zu arbeiten, ist eine weitere Ergänzung deines Songwriting- und Aufnahmeprozesses. Und was Brad uns beigebracht hat, war eine Rückkehr zu oder eine neue Wertschätzung dafür, unserem Bauchgefühl zu vertrauen. Hätte ein anderer Produzent das zu einem anderen Zeitpunkt unserer Karriere gemacht, hätte es nicht funktioniert, weil wir nicht gut genug waren und wir uns selbst nicht gut genug kannten. Und jetzt, da wir es sind, wir so viele Alben geschrieben, auch tatsächlich geübt und so oft zusammengespielt haben, konnten wir unserem Bauchgefühl vertrauen und uns blindlings auf neue Ideen einlassen. Es herrschte so eine „Scheiß drauf“-Mentalität. So haben wir auch spontane Gitarrenideen direkt aufgenommen, ohne dass wir sie vorher komplett durchkonstruierten. Damit ging eine Menge dieser Art von universellen „Blitzschlägen“ einher, das war fast schon eine spiritualle Erfahrung. Das ist vor allem Brads Verdienst.

Meine letzte Frage betrifft deine Lizenz als Pilzexperte. Ich bin im Internet darüber gestolpert und wollte dich fragen, wie du auf diese ausgefallene Idee gekommen bist.
Oh, Mann, ich könnte stundenlang mit dir über Pilze reden. Ich liebe sie. Es ist eine ganz eigene, versteckte Welt. Als ich das erste Mal psychedelische Pilze genommen habe, hat es mein Leben definitiv zum Besseren verändert. Aber die Pilzwelt beschränkt sich nicht nur auf psychedelische Pilze. Vor allem das Myzelium und wie es in die Ökologie der Welt eingreift, das ist äußerst faszinierend. Es ist verborgen und dennoch überall durch irgendwelche Sporen präsent. Auch die Art und Weise, wie das myzeliale Netzwerk Bäumen hilft zu kommunizieren und seine Rolle im Kreislauf des Lebens und beim Abbau von organischem Material sind für mich super interessant. Und dann ist da das Erscheinen von Pilzen an den unterschiedlichsten Orten. Es gibt keine Logik oder keinen Grund dafür, dass sie irgendwo auftauchen. Es ist wirklich mystisch. Ich mag es, beim Spazierengehen im Wald darauf zu stoßen. Auch in der urbanen Umgebung von Philadelphia wirst du Pilze in den Blumentöpfen der Leute auftauchen sehen, oder an den verfallenen Bäumen, die Teil des Tree Street Line-Programms sind. Während der Pandemie hatte natürlich jeder viel Zeit. Also habe ich angefangen, mich intensiv mit Pilzen zu beschäftigen. Nach ein paar Monaten und Prüfungen habe ich eine kommerzielle Lizenz als Sammler erhalten, damit ich Pilze an Restaurants verkaufen kann, wenn ich möchte. Bis jetzt habe ich das noch nicht getan. Aber mir ging es auch hauptsächlich darum, durch den Kurs etwas Neues zu lernen und meinen Horizont zu erweitern.