Geschichtenerzähler
THE MENZINGERS haben sich in den vergangenen Jahren von einer Punkband zu einer Band gemausert, die nicht nur kurze und laute Parolen zu brüllen vermag, sondern vor allem tiefsinnige und berührende Geschichten erzählt. Irgendwie ist das auch kein Wunder – schließlich stammen die Mitglieder um Frontmann Greg Barnett aus New Jersey. Das ist Boss-Hoheitsgebiet, Springsteen-Land. Sprich: Es ist seit jeher die Geburtsstätte des Storytelling in der Rockmusik. Und intensiver als auf dem neuen Album „Hello Exile“ haben THE MENZINGERS dieses Konzept nie zuvor umgesetzt. Die Platte packt einen vom ersten Moment an der Hand. Sie nimmt einen mit. Und sie lässt den Hörer am Ende in tiefer, aufgewühlter Zufriedenheit und Anteilnahme zurück. Wie ein gutes Buch. Storytelling eben. Greg erklärt im Interview, warum das so ist.
Greg, wo erwische ich dich gerade?
Ich bin auf dem Sprung, um mit meiner Freundin an die Küste bei uns in New Jersey zu fahren. Das machen wir gerne mal.
Habt ihr da schon mal zufällig Bruce Springsteen beim Strandspaziergang getroffen?
Nein, haha, leider nicht. Ich habe ihn überhaupt noch nie getroffen. Aber wir haben mal als Support für SOCIAL DISTORTION in New Jersey gespielt. Und als sie dran waren, kam er auf die Bühne, um mit Mike Ness einen Song zu spielen. Wir waren also zumindest mal auf derselben Seite der Bühne, haha.
Immerhin. Apropos Springsteen: Der hat vor Jahren schon Stimmung gegen Trump gemacht. Ihr habt jetzt „America, you’re freaking me out“ aufgenommen für das neue Album „Hello Exile“. Ein wenig provokant gefragt: Kommt so ein politischer Song nicht zwei Jahre zu spät? Nach Trumps Wahl war das Kind doch eigentlich schon in den Brunnen gefallen. Damals hätte so ein Song viel mehr Sinn gemacht, oder?
Irgendwie schon. Wobei wir diesen Song schon lange im Kopf haben. Ich bin mit dem Irak-Krieg aufgewachsen und habe ihn als sehr prägend in Erinnerung. Was ich damit sagen will: All das, was einen so zur Verzweiflung bringt, fing ja schon viel früher an. Es war immer schon so verrückt. Aber natürlich ist mit Trump nichts besser geworden bei uns in den USA, sondern schlimmer. Entsprechend haben viele Teile des Textes ihren Ursprung in jenen Eindrücken, die wir bekommen, wenn wir heutzutage durch das Land touren.
War der Irak-Krieg Anfang der 90er Jahre, den ich damals ebenfalls als sehr beklemmend erlebte, eine Art Trauma für dich und deine Generation – und somit nicht nur für die unmittelbar Beteiligten?
Ja, absolut. Denn es ist dramatisch, wenn du als Kind in einer Gesellschaft aufwächst, in der die Entscheider deines eigenen Landes denken, es wäre in Ordnung, andere Länder zu überfallen. Und dann sitze ich hier, fast 30 Jahre später, bin in meinen Dreißigern und denke: „Jetzt geht das schon wieder los!“ Das treibt einen zur Verzweiflung.
Haben auch die Künstler in den USA versagt, weil sie dem Prozess des Ausgrenzens und des Fremdenhasses, der heute mehr Fahrt denn je aufgenommen hat, zu wenig entgegensetzten?
Ich weiß nicht, ob es ein Versagen ist. Aber was ich weiß: Es ist schon verdammt schwer, die Stimme für jemanden zu erheben und ihn oder sie zu überzeugen von Dingen, von denen er oder sie nicht überzeugt werden will. Der Drang zur Veränderung muss aus jedem selber kommen.
THE MENZINGERS gelten stets als Punkband. Aber wenn ich eure letzten Platten höre und nicht zuletzt „Hello Exile“, dann ist das für mich kein Punk. Es ist eher eine Art Indierock à la GASLIGHT ANTHEM, der den Texten Raum lässt, sich zu entfalten. Ihr seid über die Jahre zu einer echten Storytelling-Band geworden.
Das stimmt. Ich habe Singer-Songwriter-Musik ja auch schon immer gemocht. Ich bin mit Punk aufgewachsen und meine absolute Lieblingsband ist seit jeher THE CLASH – was sich auch niemals ändern wird. Aber: Ich habe immer auch schon Johnny Cash, Tom Petty oder Bruce Springsteen geliebt. Und diese Einflüsse kommen mehr und mehr heraus, je älter wir werden und je mehr Erfahrungen wir machen. Wir wollen keine Punkplatte machen. Wir wollen weitergehen. Wir wollen Geschichten erzählen. So wie du das gesagt hast. Punk ist wichtig und großartig. Aber er definiert sich über andere Dinge. Und wir wollen uns nicht limitieren.
Gibt es irgendeine Platte, die für dich die klassische Storytelling-Platte ist?
Ja. Das ist Bruce Springsteens „Nebraska“. Was für ein Album, ich liebe es! Man muss sich das einmal vorstellen: Springsteen war schon damals – nach „The River“ und „Born To Run“ und kurz bevor er dann „Born In The USA“ herausbrachte – einer der größten Künstler weltweit. Und dann stellt er sich hin und nimmt in einer Hütte ein LoFi-Album auf einem Vierspur-Tonbandgerät auf, auf dem sich nur Songs befinden, die lange Geschichten umfassen. Das war unglaublich! Das war eigentlich Punkrock! Und „Nebraska“ war mit ein Grund für mich, musikalisch in diese Richtung zu gehen.
Nun klingt „Hello Exile“ für meine Begriffe sehr düster. Songs wie „Last to know“, „High school friend“, „Strangers forever“ oder „I can’t stop drinking“ tragen eine ungeheure Melancholie, mitunter Bitterkeit in sich. Wie kommt das?
Ich sage es mal so: „After The Party“ zuvor war ein Album, aus dem wir fröhlich rausgehen wollten. Wie nach einer guten Party eben. Alle sind gut gelaunt. Alles ist schön. Aber dieses Mal – mit dem Blick auf all das, was um uns herum so vor sich geht – kristallisierten sich einfach mehr und mehr Songs wie diese heraus. Songs, in denen wir melancholisch werden und mitunter auch auf die eigene Vergangenheit zurückblicken.
Hat das auch mit dem Älterwerden zu tun?
Ganz sicher. Man sammelt Erfahrungen, wird ernster und nimmt viel intensiver als früher wahr, wie sich Menschen in deinem Umfeld mit bestimmten Situationen auseinandersetzen. Wenn man ein neues Lebensjahrzehnt beginnt, so wie ich, der ich jetzt in den Dreißigern bin, dann hinterfragt man im Rückblick viel mehr Dinge als zuvor.
Du singst auf „Hello Exile“ passenderweise: „Farewell youth“. Ein „Auf Wiedersehen“ an die Jugend. An welchem Punkt in deinem Leben hast du denn gemerkt, dass deine Jugend vorbei ist – und „Farewell“ gesagt?
Es gab keinen greifbaren Zeitpunkt. Es ist eher die Erkenntnis, die einen irgendwann bei Gesprächen mit Freunden trifft: „Wow, das sind also die Kids, mit denen du aufgewachsen bist. Schau sie dir an: Sie sind jetzt erwachsen geworden.“ In diesen Momenten merkst du: Das war es mit der Jugend, haha.
Und was hat der Plattentitel „Hello Exile“ zu bedeuten?
Der Titel hat mehrere Ursprünge. Der Gedanke kam mir erstmals, als ich neben meinem Bett einen 2.000 Seiten umfassenden Schinken von Buch liegen hatte. Irgendeine Biografie. Und jedes Mal, wenn ich mir das Teil geschnappt und eine Seite gelesen hatte, bin ich sofort eingeschlafen, haha. Ich war wie aus dem Leben genommen, sobald ich es anfasste. Exil eben. Dann war da diese Reise, die ich mit meiner Freundin nach Paris unternahm. Damals dachte ich nur: „Es tut so gut, einmal rauszukommen aus meinem Land. Aus meiner gewohnten Umgebung. Und hier ist es so schön – am liebsten würde ich hierbleiben.“ Im Exil. Vor allem aber – und das ist der Hauptgrund für diesen Titel – ist es so, dass ich aus einem recht kleinen Ort in New Jersey komme. Dorthin reisten damals, als ich Kind und später Teenager war, im Sommer viele Menschen, um Urlaub zu machen – und waren nach ein paar Wochen wieder weg. Ich kenne dadurch das Gefühl von Isolation und Alleinsein. Und als ich exakt dieses Szenario dann vor einiger Zeit beim Lesen von Anton Tschechows Erzählung „Die Dame mit dem Hündchen“ in der Handlung wiederentdeckte, wurde mir das noch bewusster. Mir wurde noch bewusster, dass mein Leben von einem Kommen und Gehen der Menschen geprägt ist. Wie im Exil eben.
Was das Verlassen angeht: Du singst im gleichnamigen Song von einer „Anna“, die du beinahe anflehst, zurück nach Philadelphia zu kommen, weil die Stadt nicht mehr dieselbe sei, seitdem sie von dort weggegangen ist. Gibt es diese Anna wirklich?
Sowohl als auch ... Wir ändern in Songs gerne mal die Namen. Und es gibt viele Annas in unser aller Leben. Aber: Diese Anna gibt es tatsächlich.
Hat sie den Song schon gehört, wie war ihre Reaktion?
Ja. Sie findet ihn fantastisch und liebt ihn, haha.
Im Netz fand ich bezüglich des Videos zu „Anna“ zahlreiche Kommentare, in denen Menschen sagten, dass dieser Song ihnen im Leben geholfen habe, da sie beispielsweise selber den Verlust eines lieben Menschen zu verkraften hätten. Durch eine in die Brüche gegangene Beziehung oder den Tod. Was für Gefühle lösen derlei Bekenntnisse bei dir als Songschreiber aus?
Das ist ehrlich gesagt ein unglaubliches Gefühl. Ein Freund von mir schrieb mir ebenfalls kurz nach der Veröffentlichung des Videos etwas in dieser Art. Er sagte mir, wie unfassbar überwältigt er von dem Stück sei, weil er diese Situation selber kenne. So etwas gibt einem als Musiker viel Kraft und Selbstbewusstsein.
Macht dir so etwas auch Angst?
Nein. Aber es führt dazu, dass ich Demut an den Tag lege. Demut und die Gewissheit, dass es meine verdammte Pflicht ist, beim Schreiben von Songs immer ehrlich zu bleiben und den Leuten nichts vorzumachen. Das zu wissen und zu beherzigen ist wichtig.
Wenn wir schon bei konkreten Personen sind: Gibt es eine oder mehrere Personen, die dich in deinem Leben künstlerisch besonders stark beeinflusst haben und beeinflussen?
Es gibt zig davon. Nicht nur Musiker. Sondern auch – ich bin ein Literatur-Nerd – Schriftsteller, wie mein Lieblingsautor Vladimir Nabokov, von dem ich wirklich alles verschlungen habe. Oder wie der erwähnte Tschechow. Oder wie Jacques Kerouac. Hinzu kommen natürlich meine Freunde und meine Familie: Wenn ich mit ihnen zusammen bin, wenn ich mit ihnen rede, bekomme ich genug Stoff für Songs. Es ist eben wichtig, immer mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, auf die Menschen zu achten, auf sie zuzugehen. Ich habe auch immer ein Notizbuch und meinen Laptop dabei, um Ideen, die mir kommen, sofort aufschreiben zu können.
Welcher Song dieser allesamt hoch emotionalen Songs auf „Hello Exile“ packt dich als Songschreiber eigentlich am stärksten?
Ganz klar: „I can’t stop drinking“. Weil das ein Song ist, der schonungslos offen ist. Der zeigt, wie man sich selber verlieren und zerstören kann – und gleichzeitig auch Menschen, die man liebt.
Und was ist in dieser Hinsicht der Song deines Lebens? Der Song, der dich jedes Mal, wenn du ihn hörst, sofort umhaut?
Da gibt es viele. Aber wenn ich einen nennen muss, dann ist das „Atlantic City“ von Bruce Springsteen. Den habe ich geschätzt schon eine Million Mal gehört. Er hat eine ganz eigene Stimmung und erzählt von einer Stadt, die wirklich unfassbar seltsam ist wegen all der Spieler und Glücksritter, die sich dort treffen. Wir waren während der Warped-Tour einmal dort – und es war eine unglaublich skurille Kulisse für so ein Konzert.
Frank Weiffen
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