MENTAL CRUELTY

Foto© by Kriss Jakob

Eine Naturgewalt

MENTAL CRUELTY haben mit ihrem 2021er Album „A Hill To Die Upon“ international für Furore gesorgt und sich als relevante Blackened-Deathcore-Band positioniert. Auf „Zwielicht“ legt das Quintett aus Karlsruhe nun wagemutig und bissig nach.

Das verbindende Element bei uns ist die Natur, wenn auch eher implizit“, erwidert der neue Frontmann Lukas, darauf angesprochen, was die Stücke der Band eint und wie sich das in der Außendarstellung im Sinne von Artworks, Videos, etc. ausdrückt: „Bei uns ist fast alles in eine Natur-Szenerie eingebettet. Das beginnt bei dem surrealistischen Cover von Mariusz Lewandowski, der viel mit Natur- und Fantasie-Elementen gespielt hat. Der Clip zu ,Symphony of a dying star‘ spielt in einer Eislandschaft, der zu ,Nordlys‘ im Wald, wo wir alles abfackeln. Das Video zu ,Forgotten kings‘ wiederum ist an einem kleinen Waldsee entstanden. Man sieht nicht alles klar und deutlich, doch es ist bei einer Ruine mitten im Wald gedreht worden. Damit haben wir beim Video für ,Ultima hypocrita‘ vom letzten Album begonnen. Seither arbeiten wir mit Bäumen und Wäldern als wiederkehrende Elemente weiter, wobei auch in den Lyrics eine Verbindung zu der Gewalt der Natur hergestellt wird.“

Sowohl musikalisch als auch visuell bleibt bei den Deutschen nichts dem Zufall überlassen: „Wir machen uns viele Gedanken“, bestätigt Gitarrist Nahuel. „Oft ist es ja so, wenn wir einen Song schreiben, dass wir uns von einem Film oder Bild inspirieren lassen oder von Musik. Dann haben wir selbst bestimmte Bilder im Kopf, die uns später als Startpunkt für die Szenerien dienen. Es geht darum, was man sieht und fühlt, aber wir schauen auch, was in den Lyrics passiert. Das ist dann unser Leitfaden. Für unsere Videos schreiben wir immer auch ein Drehbuch. Mitunter haben wir Ideen, die nicht umsetzbar sind, aber wir finden immer etwas, das machbar ist und das wir uns leisten können.“ Das Artwork des vierten Albums von MENTAL CRUELTY erinnert auffällig an LORNA SHORE. Frontmann Lukas zufolge steckt dahinter nicht das vermutete Kalkül, sondern ein anderer Plan: „Die Ähnlichkeit resultiert schon daher, dass es sich auch um ein Bild von Mariusz Lewandowski handelt, also demselben Künstler. Als wir uns auf dieses Cover festgelegt haben, wussten wir bereits, wie das erste Video aussehen würde. Im Clip zu ,Symphony of a dying star‘ wandere ich als weißer Geist durch eine Traumlandschaft zwischen Leben und Tod. Mein Kostüm stand lange fest. Deshalb passte es richtig gut, dass sich diese Figur, der weiße Geist, auf unserem Cover wiederfindet. Bei LORNA SHORE ist es ebenfalls eine Figur mit Schleier, meine ich. Eine Ähnlichkeit ist sicherlich gegeben, doch beabsichtigt war das so nicht. Für uns hat es einfach nur richtig gut zum Konzept des Videos gepasst.“ Die wiedererkennbare Ästhetik dürfte dennoch die „richtige Hörerklientel“ ansprechen. Musikalisch bestehen ebenfalls Gemeinsamkeiten: „Ich würde lügen, wenn ich abstreite, dass LORNA SHORE Einfluss auf uns ausüben“, gibt Gitarrist Nahuel zu. „Ihr Schlagzeuger Austin war für mich eine große Inspiration beim Schreiben fürs Schlagzeug. Er ist ein mega guter Drummer und unglaublich verspielt. Das hört man in dieser Form nirgendwo sonst. Früher war der Einfluss von LORNA SHORE auf uns noch größer. Inzwischen gibt es viele weitere Bands, die ich in den Ring werfen könnte, von denen wir uns irgendetwas genommen haben, um daraus unser eigenes Ding zu entwickeln.“

Das durchklingende Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr. MENTAL CRUELTY treten mit einem gleichsam bissigen wie konkurrenzfähigen Blackened Deathcore an, den man mit den Deutschen verbindet: „Wenn wir Songs schreiben, rasten wir kreativ komplett aus und versuchen dann, das Maximale rauszuholen“, verrät Frontmann Lukas. „Im Proberaum müssen wir anschließend sicherstellen, dass wir es auch live-ready hinbekommen. Bisher hat das noch immer geklappt, auch wenn das wahnsinnig anstrengend sein kann. Doch das ist nun einmal die Mucke, die wir spielen.“ Nahuel verweist zu Recht darauf, dass „Zwielicht“ mehr als nur Riff-Salat bietet: „Es gibt Bands, bei denen das funktioniert“, weiß der Gitarrist. „Viele Songs von MASTODON sind dem Grunde nach Riff-Salat, aber sie ergeben dennoch Sinn. Bei uns funktioniert das anders: Marvin, unser zweiter Gitarrist, und ich ergänzen uns gut. Er ist musiktheoretisch auf dem höchsten Stand, während ich da überhaupt nichts kapiere. Ich habe zwar ein gutes Gehör, könnte aber niemals theoretisch erklären, was nicht stimmt. Dafür bin ich der Verspielte, während Marvin der Strukturierte ist. Aufgrund dieser Aufteilung kommt bei uns nichts zu kurz und auch die Struktur passt am Ende immer. Und Lukas hat für seine Vocals immer gute Ideen, auf die wir selbst nicht gekommen wären und die der Musik noch etwas Neues geben.“

Der Neuzugang, der mit „Zwielicht“ seinen Veröffentlichungseinstand gibt, spielt seinen Beitrag in seiner Replik herunter: „Was will man bei MENTAL­ CRUELTY, die ein Album wie ‚A Hill To Die Upon‘ veröffentlicht haben, noch verbessern?“, fragt der Frontmann. „Das war schon brillant. Als ich zur Band gestoßen bin und wir uns zum ersten Mal getroffen haben, war es mir wichtig, dass wir alsbald Tracks zusammen schreiben. Bei den Lyrics habe ich freie Hand, so dass ich meine eigenen Ideen einbringen kann. Es ist längst eine super Symbiose entstanden, doch noch immer gilt: Bevor ein Song fertig ist, wird er unfassbar oft gehört und häufig auch geändert. Bei dieser Band findet ein wahnsinnig konstruktiver Perfektionismus statt. Das ist das Geheimnis, weshalb die Songs am Ende so groß, schön und toll sind. Viele Stücke auf dem neuen Album dauern über fünf Minuten, werden aber trotzdem nicht langweilig. Um das zu erreichen, braucht es versierte Musiker, die sich gegenseitig respektieren, aber auch kritisieren dürfen. Es ist anstrengend, aber doch auch spaßig.“