MEMPHIS MAY FIRE

Foto© by Karo Schäfer

Die Schönheit im Kaputten

Wir wollten eigentlich pünktlich zum Interview da sein, aber ein Stau hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Also telefonieren wir vom Autobahnrastplatz aus mit Matty von MEMPHIS MAY FIRE, der das Ganze ziemlich lustig findet. Trotzdem berichtet er uns sehr schnell über die tiefgründigen Grundlagen zum neuen Album der Band aus Dallas, Texas.

Euer sechstes Album „Broken“ kommt nächsten Monat raus. Du hast gesagt, größtenteils handelt es davon, dass es wichtig sei zu wissen: Es ist okay, wenn man sich kaputt fühlt. Und dass du auch kaputt seist. Das klingt irgendwie traurig ...

Ich glaube, jeder Mensch ist irgendwie kaputt, auf diese oder jene Weise. Wir alle haben unsere Sorgen und Nöte und müssen mit bestimmten Dingen klarkommen. Wobei eigentlich das Schlimmste ist, dass ein solches Tabu ist, über die psychische Gesundheit respektive deren Beeinträchtigung zu reden, dass es den Menschen an Mut fehlt, das von sich aus anzusprechen. Und da kommt unser Album, in dem ich die Probleme, mit denen ich zu kämpfen habe, ausbreite wie ein offenes Buch. Die Leute können zuhören und sich vielleicht selbst darin wiederfinden. Schon zu wissen, dass man nicht alleine ist und es Menschen gibt, die das Gleiche durchmachen, ist, denke ich, der erste Schritt zur Heilung. Zumindest für mich ist es so.

Der erste Song heißt „The old me“. Glaubst du, dass du irgendwie einen Teil deiner Identität verloren hast, oder denkst du, Menschen müssen sich in ihrem Leben auf eine gewisse Art weiterentwickeln?
Ich glaube, wir entwickeln uns permanent, ungeachtet dessen, ob wir wollen oder nicht. In diesem Song geht es um meine Erfahrungen mit Depressionen. Am liebsten wollte ich diesen Teil meiner Persönlichkeit von mir abspalten, um ihn loszuwerden, da ich ihn nicht mag. Ich möchte wieder der Mensch sein, der ich war, bevor ich in dieses tiefe Tal geraten bin. Es geht um den alltäglichen inneren Kampf von dem, der ich tief im Herzen bin, mit der Person, die von den Depressionen fast erdrückt wird. Denn jeden Tag passieren Dinge, die unsere Persönlichkeit, unseren Charakter formen – manchmal zum Guten, manchmal unterliegt es aber auch nicht unserer Kontrolle, was es mit uns macht.

Welche anderen Themen behandelt ihr auf „Broken“?
Es geht beispielsweise um zerbrochene Beziehungen. Aber wir haben auch positive Lieder, die davon erzählen, etwas überstanden zu haben, wo man als Sieger hervorgehen konnte. In „Live another day“ etwa geht es um Menschen, die mit Selbstverletzung oder Selbstmordgedanken zu tun hatten. Und ich hoffe, der Song kann den Leuten neues Vertrauen vermitteln, dass das in Zukunft kein Thema mehr für sie sein muss.

Kannst du uns mehr über euer Artwork erzählen? Es ist morbid-romantisch, auf dem Cover ist ein zerbrochener Totenkopf mit einer Rose, das neue Merch-Motiv ein Rippenbogen, aus dem Blumen wachsen.
Mit unserem Artwork wollen wir zeigen, dass es auch Schönheit im Kaputten, im Zerbrochenen gibt. Und das kann man auch metaphorisch verstehen. Durch alles, was passiert, wird man auch eine stärkere Persönlichkeit. Gewebe ist stärker als Haut. Müssten wir nie etwas Negatives bewältigen, hätten wir nie die Chance, daran zu wachsen und schließlich bessere Menschen zu werden. Der Schädel symbolisiert das Zerbrochensein und die Rose zeigt, dass man sich immer auf die andere Seite durchkämpfen kann.

Im Moment seid ihr nur zu viert. Bleibt es in Zukunft dabei oder möchtet ihr wieder Zuwachs in der Band haben?
Wir haben einen Gitarristen, der uns auf Tour unterstützt und als fünftes Mitglied mit dabei ist. Aber ich möchte mich so weit aus dem Fenster lehnen zu behaupten, dass die vier, die wir jetzt sind, für immer in der Konstellation MEMPHIS MAY FIRE bleiben werden.

Im modernen Metalcore ist die Standardbesetzung eine fünfköpfige Band. Empfindet ihr es so, dass euch etwas fehlt? Wie äußert sich das Ganze beim Songwriting?
Nein, darauf hat das überhaupt keinen Effekt, denn alle Lieder, die wir bisher veröffentlicht haben, auch die alten, haben unser Gitarrist Kellen und ich geschrieben. Wir beide sind alleine für sämtliche Songs verantwortlich. Was nicht heißt, dass der Rest der Band nicht aus wunderbaren Live-Musikern bestehen würde.

Vor zehn Jahren bist du bei MEMPHIS MAY FIRE eingestiegen, als der ursprüngliche Sänger beschlossen hatte, lieber eine Familie als eine Band zu haben. Könntest du dir vorstellen, jemals etwas anderes als Musik zu machen? Könnte dich je irgendwas genau so sehr erfüllen?
Die Musik war immer schon ein elementarer Teil meines Lebens, sie war einfach immer schon da. Trotzdem gibt es auch andere Dinge, die mir Spaß machen oder die mir auf irgendeine Art und Weise etwas geben im Leben. So was sollte jeder Mensch haben, denn das ist es, wodurch es im Grunde genommen erst lebenswert wird. Im Moment ist mein Leben einfach zu hundert Prozent der Musik gewidmet. Das Unterwegssein, das Songwriting, all das ist das, was mich aktuell zur Gänze erfüllt. Und ich glaube, es wird immer so bleiben.

Sehe ich das eigentlich richtig, dass alle von euch tätowiert sind, nur einer nicht?
Haha, du meinst Corey. Nein, er hat auch Tattoos, nur keine sichtbaren.

Okay. Hast du ein besonderes Tattoo, dessen Geschichte oder Bedeutung du mit uns teilen möchtest?
Jedes meiner Tattoos hat eine Geschichte und eine Bedeutung, also ich nehme jetzt mal das auf meiner linken Hand: ein Herz. Ich habe es mit Absicht dort tätowieren lassen, damit es mich täglich daran erinnert, herzlich mit meinen Mitmenschen umzugehen. In der Musikindustrie wird man schnell selbstsüchtig, denkt nur noch an seine eigenen Belange, aber dieses Herz steht dafür, dass selbst ich all den anderen auch viel zu verdanken habe und dass ich ihnen deswegen immer dankbar sein sollte.