Die MANGES aus Italien sind seit vielen Jahren eine europäische Institution in Sachen Ramonescore. Ende September haben sie ihr fünftes Album „Punk Rock Addio“ veröffentlicht. Der Titel erinnert an das letzte RAMONES-Studioalbum „¡Adios Amigos!“ und das klingt stark nach Abschied. Frontmann Andrea versichert uns jedoch, dass auch nach 27 Jahren noch kein Ende in Sicht ist, es aber an der Zeit ist, neue Dinge auszuprobieren. Auf dem Weg zu neuen Ufern mit dabei sind nach wie vor Manuel an den Drums, Mayo an der Gitarre und Mass am Bass.
Andrea, euer neues Album trägt den Namen „Punk Rock Addio“. Ist das etwa das Ende?
Keine Angst, das ist eher provokativ gemeint. Es soll nicht unser letztes Album sein. Der Titel basiert einfach auf der Tatsache, dass wir das Gefühl hatten, an unserer aktuellen Situation etwas ändern zu müssen. Wir waren nicht glücklich, wie manche Dinge in der letzten Zeit in der Szene gelaufen sind. Es ist kein Abschied vom Punkrock, wir haben auch unseren Stil nicht geändert. Unser neues Album ist auch keine Absage an den Punk, sondern vielmehr sogar eine Liebeserklärung.
In drei Jahren steht euer dreißigjähriges Bandjubiläum an. Gibt es dafür schon Pläne?
Momentan ist jede Art der Planung schwierig, Matt von den DEECRACKS hat das kürzlich bei einem Interview treffend ausgedrückt. Auf die Frage, was bei der Band in Zukunft ansteht, sagte er nur: „Warten auf den Impfstoff.“ Erst dann können wir wieder zu unserem normalen Leben und längerfristigen Planungen zurückkehren. Außerdem waren wir als Band immer sehr aktiv, da ist eine Festlegung drei Jahre im Voraus natürlich übertrieben. Wir werden sicherlich auch zum Dreißigjährigen wieder etwas Besonderes machen, auch wenn ich kein großer Freund von diesen ganzen Jubiläumsfeierlichkeiten bin. Es gibt Bands, die feiern zwanzig Jahre Bandbestehen, haben in der ganzen Zeit aber kaum was auf die Beine gestellt. Wir konzentrieren uns lieber auf die Gegenwart.
In der Ankündigung des Albums schreibt ihr, dass ihr eure eigene neue Punkrock-Welt erschaffen wollt. Wie sieht die aus?
Dem Klischee unserer äußeren Erscheinung mit Streifen-T-Shirts und Lederjacken bleiben wir natürlich weiterhin treu. Es geht vielmehr darum, wie wir uns in der Punkrock Szene sehen und verhalten. Wir mögen einfach nicht mehr diese eingefahrenen Strukturen, wir bewegen uns seit vielen, vielen Jahren in der gleichen Szene, machen die gleichen Dinge, hängen mit den gleichen Leuten herum, touren mit den gleichen Bands und feiern uns dabei gegenseitig ab. Das ist zwar supercool, aber andererseits auch eingefahren, ohne jede Veränderung und ohne Risiko. Wir halten vieles für selbstverständlich und wiederholen diese Dinge einfach immer wieder und wieder. Und wir haben momentan das Gefühl, dass das nicht unsere Mission ist. Wir müssen Sachen ändern, neue Territorien erobern und auch mal wieder Risiken eingehen. Das betrifft dann nicht vorrangig die Musik, musikalisch haben wir uns nicht verändert, das Album ist ein typisches MANGES-Album mit allen Klischees, die wir schon in der Vergangenheit bedient haben. Es geht vielmehr um das Musikbusiness und wie wir auch weiterhin den Punkgedanken leben wollen.
Das klingt doch sehr stark nach „raus aus der Komfortzone“.
Das ist exakt die Idee. Es geht vorrangig darum, neue Ideen, neue Anregungen zu bekommen. Wenn du weiterhin das machst, was du schon die letzten 25 Jahre mit Spaß gemacht hast, bist du irgendwann nicht mehr interessant. Unsere Fans erwarten auch, immer mal wieder überrascht zu werden. Und wenn uns das gelingt, dann ist das auch etwas, was uns auszeichnet.
Die Komfortzone zu verlassen, ist aber immer leichter gesagt als getan.
Natürlich sprechen wir hier nicht von drastischen Veränderungen. Es geht hier um mehrere kleine Ideen, die wir umsetzen wollen. Das könnte einfach auch darin bestehen, mal mit anderen Bands zu touren, die nicht unbedingt aus unserem Musikgenre kommen. Unser neues Album haben wir erstmals mit Leuten der populären italienischen Glamrock-Band GIUDA produziert. Sie haben zwar ihre Wurzeln im Punkrock, können heute aber eher im Bereich Seventies-Glamrock verortet werden. Und die haben echt ein großes Talent für das Produzieren anderer Bands. Sie scheren sich einen Dreck um moderne Bands. Auf jeden Fall hat das neue Album wieder viel Punkrock-Feeling und viel rohe Energie. Wir hatten das nicht geplant, aber irgendwie klingt es wie ein Update unseres 2006er-Albums „Go Down“. Und das ist echt super, denn viele unserer Fans halten „Go Down“ für unsere bisher beste Platte.
Das neue Album ist von den Texten und der Stimmung her etwas düsterer als sonst.
Stimmt. Das liegt auch daran, wie wir dieses Mal die Songs erarbeitet haben. Fast alle Songs wurden gemeinsam von unserem Drummer Manuel und mir geschrieben. Wir trafen uns immer ohne Vorbereitung im Proberaum und haben herumexperimentiert. Wir haben dann auch die Texte gemeinsam verfasst. Früher habe ich die meisten Songs alleine geschrieben, wir haben uns mit der gesamten Band im Proberaum getroffen und dann die Songs noch optimiert. Außerdem hat unser Schlagzeuger viele düstere Themen und Stimmungen zu den neuen Songs beigetragen. Aber es ist nach wie vor der MANGES-Stil erkennbar, auch wenn wir früher mehr fröhliche Songs geschrieben haben. Heute dominieren eher Songs über Ängste und Depressionen.
Wäre das Album ohne COVID-19 heiterer ausgefallen?
Definitiv nicht. Wir haben die Aufnahmen für das Album in den ersten Märztagen abgeschlossen. Wir kamen vom Studio zurück und am nächsten Tag kam es in Italien zum Lockdown. Somit hatte Corona auf das Songwriting und die Aufnahmen überhaupt keinen Einfluss. Und ich glaube auch nicht, dass das Album anders ausgefallen wäre, wenn wir es während des Lockdowns geschrieben hätten. Wir mögen es als MANGES nämlich nicht, in Songs hochaktuelle Themen zu verarbeiten, da möchten wir eher zeitlos sein. Wir greifen in unseren Songs lieber Themen aus dem letzten Jahrhundert auf, haha.
Bei eurem Song „Vietnam addio“ geht es um das Dasein als Veteran. Ihr seid jetzt natürlich auch so etwas wie Punkrock-Veteranen. Wie fühlt sich das an, sowohl psychisch wie auch physisch?
Es geht uns dabei hauptsächlich um die psychische Komponente. Nach so vielen Jahren fühlt man sich schon etwas ausgebrannt. Und in der ganzen Zeit haben wir nie länger als ein paar Monate Auszeit gehabt. Wir haben fast ständig irgendwas gemacht, Songs geschrieben, Tonträger rausgebracht, sind auf Tour gegangen. Auch wenn wir manchmal etwas müde sind, haben wir aber trotzdem noch die Energie und den Willen, mit Vollgas weiterzumachen. Und was das Physische angeht, klar, mit zunehmendem Alter werden ausgedehnte Tourtätigkeiten schon beschwerlicher. Wir mögen es aber, gemeinsam auf Tour zu sein und das hilft, den Stress zu ertragen. Wir versuchen schon, beim Tourstart gut in Form zu sein. Und wir können bei längeren Touren nicht mehr jede Nacht durchfeiern, haha. Längere Touren sind heute dabei sogar eher möglich als früher, weil wir alle aktuell keine Nine-to-five-Jobs haben und so durchaus auch mal dreißig Tage am Stück unterwegs sein könnten.
Bei der Vermarktung eurer Musik haltet ihr weiterhin die Fäden in der Hand. Mit Striped Records und Striped Music habt ihr ein eigenes Label und einen eigenen Mailorder.
Stimmt. Und beim Booking und bei der Tourorganisation arbeiten wir mit Otis Tours zusammen, mit denen wir auch eng verbunden sind.
Da bewegt ihr euch aber schon noch in der bewährten Komfortzone, oder?
Ja, das stimmt schon. Wir möchten eben wichtige Fragen selbst entscheiden. Für uns ist es einfach die beste Lösung, die wir auch aktuell nicht ändern wollen. Wenn wir zu einem größeren Label gehen würden, wäre das eine große Veränderung. Die meisten Labels wären aber, glaube ich, nicht in der Lage, uns wirklich deutlich nach vorne zu bringen. Das, was wir selbst machen, ist nach meiner Einschätzung schon sehr gut.
Viele Leute haben während des Lockdowns gepostet, dass ihnen ihre Lieblingsmusik in der schweren Zeit viel Zuversicht und Freude gebracht hat. Wurden bei euch im Mailorder auch viele Platten geordert?
Die Verkäufe während der Corona-Zeit waren sehr gut. Hinzu kam, dass ich endlich die Zeit gefunden habe, bei einigen Releases auch digitale Veröffentlichungen umzusetzen, das hatte ich lange vor mir hergeschoben. Auch das wurde sehr gut angenommen. Und ich glaube, dass die Verkäufe auch dadurch forciert wurden, dass die Leute zu Hause saßen und Ablenkung und Aufmunterung brauchten. Hinzu kam, dass die Fans nicht ausgehen konnten, sie hatten keine Ausgaben für Konzerttickets oder Anreisen zu Shows. Die Szene ist gut vernetzt, Live-Chats, Instagram-Chats, Podcasts, Blogs und Akustik-Shows aus dem Wohnzimmer haben ein Übriges getan, neue Alben zu promoten und Bands bekannter zu machen.
Ein großes Problem für die Punkrock-Szene ist aktuell, dass keine Shows in kleinen Clubs stattfinden können. Gerade auch für Bands, die ein neues Album rausbringen und noch nicht einmal eine Record-Release-Show veranstalten können, ziemlich bitter. Wie sieht es bei euch aus?
Sobald wieder Touren möglich sind, werden wir sofort loslegen und die Booking-Maschine anschmeißen. Bis dahin können wir nur abwarten. Aktuell steht bei uns nur ein Termin an, im Oktober wollen wir mit GIUDA in Rom spielen. Wenn die Show stattfinden kann, wird es eine richtig große Sache. Was man aber so hört, haben schon viele Bands Termine für 2021 gebucht. Hinzu kommen die ganzen Ersatzdates für die Konzerte, die in diesem Jahr ausfallen mussten. Demnächst wird es wohl in allen Städten an jedem Abend Rock’n’Roll-Shows geben. Aber wir sind sehr zuversichtlich. Unser neues Album läuft großartig an. Wir wollten ursprünglich 500 LPs pressen lassen, wir hatten aber schon so viele Vorbestellungen, dass wir auf 1.000 Exemplare aufgestockt haben, 500 in Schwarz und 500 in Weiß. Die Nachfrage ist da und deshalb bin ich auch zuversichtlich, dass eine Tour auch gut laufen wird, selbst wenn die Konkurrenz zugegeben sehr stark sein wird.
Du bist maßgeblich auch bei der Organisation des Punk Rock Raduno Festivals beteiligt, eines der Top-Festivals in Europa in Sachen Pop-Punk-Rock. Nachdem sich die Lage etwas entspannte, konntet ihr sogar im Juli unter dem Motto „The Worst Raduno Ever“ im abgespeckten Umfang einige Aktivitäten entfalten.
Aufgrund der Umstände mussten wir schon recht früh das für Juli geplante Festival schweren Herzens absagen. Einige Wochen vor dem eigentlichen Termin stellten wir aber fest, dass auf einem Open-Air-Gelände im begrenzten Ausmaß Aktivitäten mit Live-Bands und bis zu 300 Besuchern möglich sind. Dies alles unter strenger Beachtung aller Auflagen wie Abstandhalten, Mund-Nasen-Masken, Temperaturkontrollen am Eingang und schriftlichen Vorab-Anmeldungen. Kurz vor dem Festival gab es weitere Lockerungen, so dass wir die Besucherzahl sogar auf 500 erhöhen konnten. Die ganzen Einschränkungen haben sich irgendwie seltsam angefühlt, aber wir hatten auch das Gefühl, dass die Punkrock-Szene und auch die Stadt das Festival gebraucht haben und es allen richtig gutgetan hat. Uns allen hat es gefehlt, gemeinsam abzuhängen, gemeinsam unser Bier zu trinken und gemeinsam Bands anzuschauen. Eine absolut notwendige Veranstaltung. Ich bin zuversichtlich, dass Punk Rock Raduno im nächsten Sommer wieder in alter Form stattfinden kann.
Gibt es Erfahrungen aus den letzten Monaten, die wir für die Zukunft mitnehmen?
Wenn man über mehrere Monate zu Hause sitzen muss und nichts unternehmen kann, kommt man schon ins Nachdenken. Dann erkennt man, dass viele Dinge, die man für selbstverständlich hält, in Wahrheit gar nicht selbstverständlich sind. Und dass Dinge, die einem wichtig sind, einem von jetzt auf gleich weggenommen werden können. Und man bekommt schon den Eindruck, dass man bewusster leben sollte und Dinge, die man liebt, mehr wertschätzen sollte. Und wenn ich zurückblicke, früher bin ich manchmal nicht zu einem Konzert gegangen, weil ich einfach keine Lust hätte. Heute würde ich wieder gerne zu Konzerten gehen, habe aber nicht die Möglichkeit dazu. Dann bemerkt man, dass man in der Vergangenheit einfach aus Faulheit die eine oder andere Chance vertan hat. In unserem Leben können sich die Dinge so schnell ändern. Dann zählt, wie man seine Leidenschaft ausleben kann und sich klar zu machen, was einem wirklich wichtig ist.
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