Im Juli erschien das neue DLDGG-Album „Gschichterln aus dem Park Café“. Damit untermauern die Hamburger eindrucksvoll ihre Ausnahmestellung im deutschsprachigen Indie-Pop-Beat-Punk-Soul-Bereich und zeigen nach Monaten der Entbehrung der schlechten Laune die rote Karte. Frontmann Carsten Friedrichs erweist sich im Gespräch mal wieder als eloquenter Gesprächspartner mit Stil, Witz und Charme – und der passenden Antwort auf die ganzen Pandemie-Egoisten der letzten Monate: Es ist nett, nett zu sein.
Euer vorletztes Album „It’s OK To Love DLDGG“ ist auf Platz 60 der deutschen Albumcharts eingestiegen. Der Nachfolger „Fuck Dance, Let’s Art“ erreichte Platz 48. Was bedeutet das für euer neues Album – Ansporn oder Belastung? Oder ist „Charten so was von Achtziger“?
Wirklich triste Zahlen. Bin immer noch nicht drüber hinweg. So gute Alben und dann nur 60 und 48? Dann lieber Platz 1000. Ich meine, auf „OK“ sind solche Klassiker wie „Song für Eis-Gerd“ oder auch „Der große Kölner Pfandflaschen Betrug“. Will gar nicht damit anfangen, was für Hits auf „FDLA“ waren, dafür würde der Platz hier gar nicht reichen. Glaube ja immer noch, dass da unser Telex irgendwas falsch übermittelt hat. Charten mag Achtziger sein, möglichst viele Platten verkaufen, das ist für mich 2021.
Arbeitstitel für euer neues Album war „11 Songs in DLDGG-Dur“ mit dem Anspruch, ausschließlich leichte, fröhliche, optimistische Kost zu liefern. Wie zeitgemäß ist das nach der dritten Corona-Welle? Absolut notwendiges Antidepressivum, um nach vielen Monaten voller Trübsinn und Entbehrung endlich mal wieder in positive Stimmung zu kommen? Oder ist das Singen über Hemden, Eis und Ferien doch eine Form von Eskapismus?
Hemden, Eis und Ferien beziehungsweise die Abwesenheit von guten Hemden, Eis und Ferien sind für mich wie für den Großteil unserer Mitbürger absolut wichtige Themen, würde ich mal behaupten. Irgendwelche Bessergestellten, die den Kühlschrank ihrer Ferienwohnung voll mit Magnum haben, für die ist das vielleicht kein wichtiges Thema. Für mich schon. Abgesehen davon: Popmusik sollte doch immer eskapistisch sein. Wenn ich einen Popsong höre, möchte ich entweder, dass er mich zumindest in meiner Birne an einen besseren Ort versetzt und nicht ins Jobcenter, an den Schreibtisch oder ans Fließband. Oder aber er drückt etwas aus, was ich so nicht kann. Der Sänger oder die Sängerin spricht zu mir, sie oder er geben beispielsweise meiner Aggression eine schönere Stimme in messerscharfen Worten. Und ich denke: So ist es, ich bin nicht allein! Wenn dann noch Beat und/oder Melodie stimmen: Der Song kann sich als gestreamt betrachten.
Wird in diesem Land zu viel problematisiert? Wie glücklich kann man sein, wenn man den Spruch „Houston, wir haben kein Problem“ funken kann?
Ich habe keine Probleme mit dem Problematisieren. Ich habe auch schon viele Bücher über Probleme gelesen. Und, man mag es mir unter der heiteren Oberfläche nicht ansehen, aber auch ich habe Probleme. Ich kenne mich mit dem Sujet besser aus, als mir lieb ist. Aber ich muss ja nicht immer einen Song drüber machen. „Houston, wir haben kein Problem“ geht um das Gefühl, welches sich idealerweise einstellt, wenn man sich an einem sommerlichen Freitagabend bei Sonnenuntergang bereits drei Bier reingeschraubt hat. Nicht besonders deep, zugegeben. Aber muss ja auch nicht.
In dem Song „Houston, wir haben kein Problem“ singt ihr die schöne Zeile: „Was nützen einem Haare, wenn der Frisör ein Idiot ist?“ Wie habt ihr die letzten Monate ohne regelmäßige Frisörbesuche gemeistert?
Da muss ich dich korrigieren. Das singen wir in dem Song nicht, das stand nur im Info zum Song. Da war der Song im Kasten, als ich das Frisör-Malör hatte. Und das kam so: Ich bin nach den Monaten des Lockdowns zum Frisör. Inzwischen hatte ich eine prächtige Mähne, was mir eigentlich ganz gut gefiel. Kam auch sonst gut an, machte mich irgendwie jünger, künstlermäßiger. War allerdings rausgewachsen, da musste also mal ein Fachmann drüber. Zumal wir am Wochenende darauf Bandfotos machen wollten. Da sah ich mich schon so frisiert wie Robert Redford in „Die drei Tage des Condor“. Ich bin also zum Frisör. Ich zum Frisör: „Bitte nur einen Zentimeter ab und bisschen Form reinbringen.“ Der Frisör aber verstand: „Bis auf einen Zentimeter alles ab.“ Schnippschnapp, da lag der Pony auf dem Kachelboden. Quasi point of no return. Nun muss ich dazu sagen, dass ich vermutlich genuschelt habe und den Frisör keine Schuld trifft. Frisöre sind für mich absolute Respektspersonen, die sehen immer spitze aus und fuchteln mit scharfen Gegenständen vor einem rum. Da werde ich immer ganz klein mit Hut und fange an zu nuscheln. Den Frisör trifft also keine Schuld. Da war sie nun weg, die fluffige Künstlermähne, und ich sah wieder aus wie immer: Ein Drittel Schläger, zwei Drittel Spießer. Und das kurz vor den Bandfotos. Aber ich schweife ab.
Euer erstes Video zum neuen Album präsentiert die Hymne „Es ist nett, nett zu sein“. Bist du heute schon nett gewesen?
Klar.
Unentspannte Miesepeter neigen dazu, das „Nettsein“ mit solchen blöden Phrasen wie „nett ist die kleine Schwester von scheiße“ zu diskreditieren. Was entgegnet ihr zur Rettung kleiner Nettigkeiten?
Na, wir entgegnen das Übliche, wir schreiben Hymnen übers Nettsein.
Und was ist mit den Zeitgenossen, die das Nettsein von anderen schamlos ausnutzen?
Denen muss man das irgendwie heimzahlen. Aber halt in nett, mit einem Augenzwinkern.
In der Vergangenheit habt ihr immer wieder Fußball-Songs geschrieben. Auf dem neuen Album sucht man danach vergebens. Ist das dem Umstand geschuldet, dass ihr eigentlich ein positives Konzeptalbum schreiben wolltet? Schließlich bietet der Fußball im Moment nicht unbedingt viel Pläsier, wenn man an Themen wie DFB, HSV und Super League denkt.
Mist, stimmt, ist tatsächlich kein Song über Fußball drauf. Schade, war ja so eine Art Alleinstellungsmerkmal. Haben wir einfach vergessen.
In eurem letzten Song des Albums singt ihr davon, dass Manchester weit ist. Das gilt momentan auch für den HSV. Wann kommen für Uwe Seelers Enkel wieder bessere Zeiten?
Der HSV war leider gar nicht mal so weit. Jedes verdammte Wochenende kam er in mein Wohnzimmer. Der Song, von dem du sprichst, ist im Original übrigens von der Münchner Band MERRICKS. Ich bin inzwischen seit Jahrzehnten ein Riesenfan dieser Band, die waren echt immer ganz weit vorne. Die haben als Mod-Band angefangen, dann haben sie so eine Art Easy-Listening-Sound mit Spielzeuginstrumenten und Bläsern gemacht, dann eine großartige Disco-Platte. „The Sound Of Munich“, was für ein Album! Und später elektronische Musik. Eine ganz tolle Band, die leider nie den ihr zustehenden Erfolg hatte. Wenn ich nur wüsste, an welche Band mich das noch erinnert? Wie dem auch sei, mit dem Bassisten und Mastermind der MERRICKS, Bernd Hartwich, verband mich eine lange Freundschaft. Ich lernte ihn Anfang der Neunziger kennen, als ich ihn für mein kurzlebiges Fanzine interviewte. Bernd hat mir auch ganz viel Musik gezeigt, auf die ich ohne ihn nicht gekommen wäre, er war wirklich ein großer Einfluss. Die großartige Nachfolgeband der MERRICKS, DER ENGLISCHE GARTEN, sind Labelmates von uns und mit denen haben wir auch schon zusammen gespielt. Leider ist Bernd verstorben. „Cheer up“ ist einer meiner Lieblingssongs. Der erschien übrigens 1991 auf der „Der schönste Tag im Jahr EP“. Da auch Tim und Gunther Bernd sehr gerne mochten, haben wir den Song als Tribute an Bernd aufgenommen.
Vor wenigen Wochen hat ein Hamburger Jung beim diesjährigen Eurovision Song Contest die deutsche Misserfolgsserie überzeugend fortgesetzt. Ich bin mir sehr sicher, dass ihr mit jedem einzelnen Stück eures Albums deutlich besser abgeschnitten hättet. Wenn ihr die Chance hättet, bei diesem musikalischen Wettstreit mitzumischen, wäre das ein Thema für euch?
Dafür fehlt uns leider grundsätzlich noch ein bisschen der Glam. Aber ein bisschen entwürdigend ist diese ganze Wettstreitnummer auch. Stell mir das so vor, dass man da früh aufstehen muss, dann erst mal eine Runde durch den Wald joggen, damit man fit für die Tanzeinlagen ist, und schlussendlich bekommt man von irgendwelchen Leuten keine Punkte, die noch nicht mal die TELEVISION PERSONALITIES kennen. Dafür ist man ja nicht Indiepop-Musiker geworden. Ich spreche mal mit den anderen drüber, aber Stand jetzt: Eher nicht.
Auf eurem Album besingt ihr das erotische Jahr 2020. Ganz ehrlich, was war an diesem Jahr wirklich erotisch?
Nix natürlich. Obwohl, ich kann ja nicht für alle sprechen. Für Ausnahmezustands-Fetischisten war das Jahr eventuell ganz prickelnd. Auf die Idee kam ich, als ich das „Fucking Legend“-Meme gesehen habe: „What did you do during Corona-Virus, Daddy?“ – „Playing House Music real loud and getting high as a kite“ – „Fucking Legend!“ Und gleichzeitig habe ich „69 année érotique“ von Gainsbourg gehört. Da dachte ich, machen wir mal einen Song drüber. Übers zu Hause rumsitzen, LSD nehmen und Musik hören.
Guter Stil ist keine Frage des Budgets oder vielleicht doch? Luxus-Boutique oder Secondhand-Laden, wo liegen eure Präferenzen?
Ich fürchte, guter Klamottenstil ist zunächst mal eine Frage des Körperbaus. Leider. Ich bin ein eher klobiger Typ, da sieht vieles sofort unmöglich aus. Manche Leute können alles überschmeißen, sieht sofort spitze aus. Ich gehöre leider nicht dazu. Und dann ist das natürlich auch eine Frage des Budgets. Und eine Zeitfrage. Und ein bisschen Mut gehört auch dazu. Wenn alle rumlaufen wie auf dem Campingplatz und du bist der Einzige mit Schlips, das muss man erst mal bringen. Und dann muss man sich die Frage stellen: Was ist eigentlich guter Stil? Weiß auch nicht. Eines der großen Mysterien unserer Zeit. Da sollten mal Songs drüber geschrieben werden.
Im Song „Ferien für immer“ singt ihr von der Option, in den Süden umzusiedeln. Was wären Gründe, die euch zu dieser Luftveränderung bewegen würden? Und was würdet ihr dann am meisten an Hamburg vermissen?
Ist ja leider eh keine Option. Daher tröste ich mich immer mit dem Gedanken, dass ich, wenn ich dann im Süden am Meer sitze, sowieso alles in Hamburg vermissen würde.
Euer Song „Später kommen, früher gehen“ ist ja durchaus ein Plädoyer für gepflegtes Prokrastinieren und kleine, scheinbar unnütze Zeitverschwendungen sowie gegen übertriebenes Zeitmanagement und widerliche Selbstoptimierung. Wie sieht die Organisation bei DLDGG aus? Wer von euch ist am besten „selbstorganisiert“ und wer ist derjenige, der am meisten angetrieben werden muss? Was sind deine bevorzugten „Zeitfresser“, die scheinbar nutzlos sind, aber viel Spaß bringen?
Zeitverschwendungen sind doch nicht „scheinbar“ unnütz, die sind tatsächlich unnütz, das ist ja das Schöne daran. Als Band würde ich mal behaupten, dass wir 1A organisiert sind. Wir haben beispielsweise viel Freude daran, dass wir immer pünktlich sind. Tja, angetrieben werden muss wohl am ehesten meine Vielheit. Bin so der Typ „schlampiges Genie“. Meine Lieblingszeitverschwendung ist wohl das Anschauen von Fußballspielen, die mich überhaupt nix angehen, bei denen mir beide Clubs komplett wurscht sind. Das entspannt mich.
Mit eurer eingängigen und tanzbaren Pop-Beat-Punk-Soul-Melange spielt ihr in einer eigenen Liga zusammen mit den AERONAUTEN. Die Schweizer haben mit dem viel zu frühen Tod ihres Frontmanns Guz Anfang 2020 einen schweren Schicksalsschlag erleiden müssen. Wie habt ihr diesen Verlust wahrgenommen?
Der Tod von Guz ist wirklich unfassbar traurig. Der war ja nicht nur ein genialer Songschreiber, Musiker, Sänger und Produzent, sondern auch ein sehr freundlicher, humorvoller und bescheidener Typ. Gibt ja nicht allzu viele Menschen von der Sorte. Ich bin mir fast sicher, dass er nie einen schlechten Song geschrieben hat, und er hat ja sehr viele Songs geschrieben. Um sicher zu gehen, müsste ich unseren Gitarristen Fabio fragen, ich glaube, der hat alles von Guz und den AERONAUTEN.
Wie zuversichtlich seid ihr, dass eure geplanten Konzerte in der zweiten Jahreshälfte 2021 und Anfang 2022 tatsächlich stattfinden können?
Ein bisschen zuversichtlich. Langt jetzt mit Corona.
Bei unserem letzten Austausch hast du von deinen Plänen berichtet, eventuell auch als Autor durchzustarten. Hat sich hier etwas getan oder wird weiter prokrastiniert?
Ach, ich möchte einfach Publikum, Verlage und vor allem Lektoren nicht auch noch mit so einem Kram belästigen. Dafür bin ich einfach zu nett.
© by - Ausgabe # und 4. Juli 2024
© by - Ausgabe # und 16. Juli 2021
© by - Ausgabe # und 9. Juli 2021
© by - Ausgabe # und 3. Mai 2021
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #115 August/September 2014 und Gereon Helmer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #124 Februar/März 2016 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #133 August/September 2017 und Gereon Helmer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #145 August/September 2019 und Axel M. Gundlach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #157 August/September 2021 und Axel M. Gundlach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #163 August/September 2022 und Axel M. Gundlach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #114 Juni/Juli 2014 und Florian Feldmann
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #163 August/September 2022 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #145 August/September 2019 und Axel M. Gundlach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #157 August/September 2021 und Axel M. Gundlach
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #133 August/September 2017 und Gereon Helmer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #104 Oktober/November 2012 und Florian Feldmann
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #124 Februar/März 2016 und Gereon Helmer